Ritom
(Lago) (Kt. Tessin, Bez. Leventina). 1829 m. Grösster und schönster der Seen im Val Piora, 2½ Stunden ö. über Airolo. 2 km lang und 500 m breit. Grösste Tiefe 45 m. Sein blaugrünes Wasser, die seine Ufer säumenden blumenreichen Matten, seine reizenden kleinen Einbuchtungen, die über seinem S.-Ufer stehenden Waldparzellen und die ringsum sich erhebenden formenreichen Berge machen ihn zu einem der schönsten Gebirgsseen. Er wird im Sommer von zahlreichen Touristen besucht, die in dem nahen Gasthof gerne einen längeren Aufenthalt nehmen. Das Wasser ist bemerkenswert klar, so dass man auf dem Grund liegende Steine noch bis in eine Tiefe von 15 m sehen kann. Dazu gesellt sich die hier schon ganz südliche Lichtfülle, die der ganzen Landschaft lebhaftere Farben und schärfer gezeichnete Umrisse verleiht. In den wenig tiefen Buchten steigt die Wassertemperatur im Sommer bis auf 20° C., was zu angenehmem Bade einladet. Die Temperatur der tiefern Wasserschichten wird durch eine unterseeische kalte Quelle beträchtlich herabgesetzt. Den See speisen die Bäche des Val Piora, deren bedeutendste die Murinascia und der Abfluss des Lago Cadagno sind. Dem SW.-Ende des Lago Ritom entfliesst der Wildbach Foss, der sich zuerst gegen SO. wendet, um dann nach S. abzubiegen und mit einer fast ununterbrochenen Reihe von schönen Kaskaden dem Tessin zuzueilen, in den er unterhalb Piotta von links mündet. Das nahe dem Ausfluss des Foss aus dem See stehende Hotel Piora ist eine beliebte Sommerfrische und dient als Exkursionszentrum für die Berge um das Val Piora, den O.-Abschnitt des Gotthardmassives und das Lukmaniergebiet. Die ganz im anstehenden Fels ausgewaschene Wanne des Lago Ritom liegt auf der Grenze zwischen den krystallinen Gesteinen (Gneis und Glimmerschiefer) im S. und den metamorphen Sedimenten der Mulde von Airolo im N. Genau dem Boden des Sees entlang zieht sich in der Längsrichtung ein Band von Rauhwacke, das von Gips begleitet wird und sich über die Bucca di Fongio (zwischen dem Fongio und dem Pianalto) in der Richtung gegen Airolo fortsetzt.
Nach der Annahme von Prof. Heim fand der das Val Piora einst längs diesem Triasband durchfliessende Bach bei der genannten Bucca seinen unterirdischen Abfluss gegen das Thal des Tessin, bis dann eine Verstopfung dieses Ausganges das Wasser zurückstaute und so Anlass gab zur Bildung des Lago Ritom und seiner beiden Nachbarn Lago Tom und Lago Cadagno. Der Ritomsee bietet eine ausserordentlich günstige Gelegenheit zur Kraftgewinnung. Einer diese Verhältnisse eingehend würdigenden Studie von Ingenieur A. Nizzola (Neue Zürcher Zeitung. 1905, Nr. 221 und 225) entnehmen wir darüber Folgendes: Der Ritomsee ist der natürliche Sammelweier einer 23 km2 messenden Mulde, des den Bergtouristen wohlbekannten Hochthales Piora. Er misst etwa 1 km2 Fläche, liegt fast dicht am Rande der steil abfallenden felsigen Bergwand von Altanca und ergiesst sein Wasser durch eine in den Fels eingeschnittene, ziemlich schmale Schlucht.
Durch eine geringe Aufstauung vergrössert sich die Seeoberfläche um die Hälfte, und es ist hier eine sehr leichte Aufgabe, durch einen gemauerten Staudamm den Abfluss zu versperren und den See bis auf ein 20-30 Millionen m3 haltendes Becken aufzustauen. Es ist also hier möglich, nicht allein einen Ausgleich des Abflusses zwischen den wasserreichen Sommermonaten und dem wasserarmen Winter, sondern sogar eine Kompensation zwischen den verschiedenen Niederschlagsmengen aufeinanderfolgender Jahrgänge zu schaffen. Es kann ferner mit sehr einfachen und billigen Mitteln das Einzugsgebiet durch Einbeziehung des obern Cadlimothales und Einleiten des Medelser Rheins in das Piorathal um weitere 9,5 km2 vergrössert werden, so dass es 32,5 km2 misst.
Nach der Billwillerschen Regenkarte der Schweiz, in der das Ergebnis der ombrometrischen Beobachtungen der Jahrenreihe 1864 bis 1893 zusammengefasst wird, liegt das hier in Frage kommende Regengebiet zwischen den Zonen mit 180 und 200 cm Regenhöhe im Jahr. Nimmt man blos die niederste Zahl 180 an und berücksichtigt man, dass nur 80% (wie beim Sihlseeprojekt) des niederschlagenden Wasserquantums verwertet werden können, so ergibt sich die Möglichkeit, eine konstante Abflussmenge von 1050 Sekundenliter mit dem Piorathal allein und 1480 Sekundenliter mit dem Cadlimothal zu schaffen.
Das in diesem von der Natur gebotenen, idealen Sammelbecken aufgespeicherte Wasser kann durch Rohrleitungen bis unterhalb Piotta (1002 m) geführt und dort mit einem Bruttogefälle von etwa 835 m und einem Nettogefälle von 800 m zur Kraftgewinnung verwertet werden. Die Schlussfolgerung ist einfach: es können unweit der Eisenbahnstation Ambri-Piotta aus dem Ritomsee 8400 resp. 11800 ununterbrochene effektive Turbinenpferde gewonnen werden. Erstere Zahl ist in Uebereinstimmung mit einer vom hydrometrischen Bureau herrührenden Zusammenstellung, in der die Ritomkraft ebenfalls mit 8000 24stündigen Pferden bewertet wird.