Rinderpest
(Löserdürre,
Viehseuche oder gemeines Viehsterben, Pestis bovina), die gefährlichste
Krankheit, von welcher
die
Rinder
[* 2] befallen werden. Auch
Schafe,
[* 3]
Ziegen,
Antilopen,
Hirsche
[* 4] und andre
Wiederkäuer
[* 5] sind für das
Kontagium der Rinderpest
empfänglich,
aber in einem viel geringern
Grad als das
Rind.
[* 6] Bei
Menschen,
Pferden,
Hunden,
Schweinen und beim Geflügel
haftet das
Kontagium der Rinderpest
gar nicht. Die
Seuche ist in
Asien,
[* 7] namentlich im
¶
mehr
asiatischen Rußland, aber auch in den Ländern westlich und südlich des Schwarzen Meers einheimisch; eine Selbstentwickelung
der Seuche findet aber gegenwärtig nicht mehr statt, und wie in Europa
[* 9] geht auch dort die Rinderpest
nur aus Ansteckung hervor. Zur
Zeit der Völkerwanderung verbreitete sich die Rinderpest
über das westliche Europa. Im Mittelalter scheint sie
in Europa nur selten aufgetreten zu sein. Genauer wurde sie bekannt, als sie 1710 und 1711 einerseits von Rußland nach
Österreich
[* 10] und Preußen,
[* 11] anderseits von Dalmatien nach Oberitalien
[* 12] eingeschleppt war und sich dann fast über ganz Europa ausbreitete.
Im 18. Jahrh. herrschte die Rinderpest
fast unausgesetzt in Deutschland
[* 13] und zum Teil auch in Dänemark,
[* 14] in den
Niederlanden und in Frankreich.
Die großen Schlachtviehherden, welche zur Versorgung der Kriegsheere aus dem südöstlichen Ausland bezogen wurden, führten
zu immer neuen Invasionen. Das Unglück, welches die Rinderpest
im vorigen Jahrhundert über die landwirtschaftliche Bevölkerung
[* 15] in
Europa gebracht hat, läßt sich gegenwärtig kaum noch begreifen. Gar nicht selten büßten die Besitzer
innerhalb weniger Jahre zwei- bis dreimal ihren Viehstand ein. Erst nach Beendigung der Freiheitskriege begriff man, daß
die sofortige Tötung der infizierten Bestände und Isolierung des Kontagiums die einzig brauchbare Schutzmaßregel sei.
Außerdem wurden in Preußen für die östliche Landesgrenze Quarantäneanstalten errichtet, in welchen
alle Tiere, die aus dem Ausland eingeführt werden sollten, zuerst zu beobachten waren. Die gleiche Anordnung traf auch der
österreichische Staat. Mit dem Ausbau der Eisenbahnen wuchs die Gefahr der Rinderpest
für die westeuropäischen Staaten von neuem. Durch
den Handelsverkehr gelangte die Rinderpest
1865 nach England und raffte mehr als 330,000 Stück Rindvieh dahin,
auch in Holland verwüstete sie die Herden.
Gegenüber solchen Gefahren erließ der Norddeutsche Bund das Rinderpest
gesetz vom welches nach Errichtung des Deutschen
Reichs auch für Süddeutschland in Geltung getreten ist. In diesem Gesetz sind die strengen Abwehr- und Tilgungsmaßregeln
beibehalten, und es wurde festgesetzt, daß die Besitzer für alle durch den Ausbruch der Rinderpest
entstehenden Verluste aus der
Reichskasse entschädigt werden sollten. Auf gleicher Grundlage hat Österreich-Ungarn
[* 16] ein Gesetz zur Bekämpfung der Rinderpest
erlassen.
Mit diesen Gesetzen sind die früher gegen Rußland eingerichteten Quarantäneanstalten in Wegfall gekommen.
Das Kontagium der Rinderpest
haftet an den Ausflüssen der kranken Tiere, kann sich aber im Dünger, im Heu, am Rauhfutter
und auch an andern lockern Gegenständen Monate hindurch keimfähig erhalten und wird nur durch unmittelbare Berührung übertragen.
Bei den infizierten Tieren kommt die Rinderpest
durchschnittlich in 7 Tagen, bisweilen etwas schneller oder erst
in 2-3 Wochen zum Ausbruch. Die wichtigsten Symptome sind: Steigerung der Blutwärme auf 41-42°, kurzer, abgebrochener Husten,
Muskelzittern, Schüttelfrost, Versiegen der Milch bei Kühen, Erschlaffung der Körpermuskulatur, Hängenlassen der Ohren, Thränen
der Augen, Schütteln des Kopfes, Schleimausfluß aus der Nase,
[* 17] dunkle Färbung der Schleimhäute, oberflächliche Geschwüre
(Erosionen) im Maul und in der Nase, Schwäche der Herzthätigkeit, Beschleunigung des Pulses, Atemfrequenz,
häufig Stöhnen und Klagen und Durchfall.
In der Regel tritt der Durchfall am dritten Krankheitstag auf und steigert sich mehr und mehr bis zum Tode. Die Körperkräfte verfallen sehr schnell, so daß die kranken Tiere am 3.-4. Tag das Bild eines großen Elends darstellen. Schließlich liegen sie am Boden, ohne sich helfen zu können, und der Tod erfolgt unter allgemeiner Lähmung. Bei der Sektion findet man Erosionen in der Maul- und Rachenschleimhaut, blutige Herde neben Ansammlung eines zähen, katarrhalischen Sekrets in der Luftröhre und Bronchialschleimhaut, Lungenemphysem, trocknes Futter im dritten Magen [* 18] (daher der Name Löserdürre), starke Entzündung und kirschrote Färbung in der Schleimhaut des vierten Magens und im Dünndarm sowie abnorme Rötung der Dickdarmschleimhaut. Die Peyerschen Haufen sind häufig geschwollen;
Leber etwas vergrößert, sonst nicht verändert;
Gallenblase übermäßig gefüllt mit gelblicher oder grüner Galle;
Nieren leicht vergrößert;
Schleimhaut der Harn- und Geschlechtsorgane in geringem Grad geschwollen;
Milz in der Regel nicht verändert;
das Herz enthält dunkles Blut, welches an der Luft bald gerinnt und sich heller rötet.
Das Gehirn [* 19] ist nicht verändert.
Der Krankheitsverlauf unterliegt manchen Verschiedenheiten. Bisweilen genesen die Tiere plötzlich nach 1-2 Tagen von der Erkrankung,
oder sie sterben am 2. oder 3. Tag; in der Regel aber nimmt die Krankheit nach und nach zu und führt erst
am 4.-7. Tag zum Tod. Einzelne Rinder werden, trotzdem sie zwischen pestkranken Tieren stehen, nicht infiziert. Oft erliegt aber
auch der ganze Viehstand eines Dorfs der Seuche in Zeit von wenigen Wochen. Im Durchschnitt gehen von den
erkrankten Rindern 80 Proz. zu Grunde. Da eine Behandlung der Rinderpest
gesetzlich verboten ist, so ist für den tierärztlichen Sachverständigen
die Diagnose als die weitaus wichtigste Aufgabe zu betrachten.
Mit dem Krankheitsbild der Rinderpest
haben die Aphthenseuche, die Lungenseuche, der Milzbrand, die Ruhr und das
bösartige Katarrhalfieber am meisten Ähnlichkeit.
[* 20] Nach der amtlichen Feststellung eines Seuchenausbruchs wird unverzüglich
die Absperrung bis zum Erlöschen der Seuche angeordnet. Die kranken und verdächtigen Tiere müssen getötet und die mit dem
Kontagium verunreinigten Gegenstände vorschriftsmäßig desinfiziert werden. Alle diese Maßregeln werden von der Behörde
angeordnet und ausgeführt.
Jede andre Bekämpfung der Seuche ist gesetzlich verboten. Im 18. Jahrh. und zum Teil auch noch bis in die jüngste Zeit hat man versucht, die gesunden Rinder durch Einimpfung des Pestkontagiums unempfänglich zu machen. Nach den bisherigen Erfahrungen ist aber eine solche Impfung [* 21] sehr bedenklich, denn es kommt vor, daß der größte Teil der geimpften Tiere erheblich erkrankt und zu Grunde geht.
Vgl. Roloff, Die Rinderpest
(2. Aufl., Halle
[* 22] 1877);
Gerlach, Maßregeln zur Verhütung
der Rinderpest
(2. Aufl., Leipz. 1875).