Rheumatismus
(v. griech. rhein, fließen,
Fluß,
Gliederreißen), Bezeichnung für eine
Reihe verschiedener
Krankheiten,
welche unter mehr oder weniger heftigen
Schmerzen der
Gelenke und
Muskeln
[* 2] bei verhältnismäßig wenig auffallenden anatomischen
Störungen in den genannten
Organen verlaufen. Nicht jede
Erkältung bringt einen Rheumatismus
hervor, und durch
Erkältung
allein entsteht wahrscheinlich nur die
Disposition zum Rheumatismus;
denn der akute
Gelenkrheumatismus (Rheumatismus
articulorum acutus) bezeichnet
ein ganz typisch verlaufendes
Leiden,
[* 3] welches auf einer
Infektion mit niedersten Pilzkeimen beruht.
Den örtlichen Verlauf des Gelenkschmerzes s. unter
Gelenkentzündung. Der Rheumatismus
dauert oft in großer Heftigkeit
viele
Wochen hindurch; beinahe regelmäßig gesellen sich im spätern Verlauf oder bei der Wiederkehr des Rheumatismus
Entzündungen
der
Herzklappen hinzu, welche direkt tödlich werden können, aber weit häufiger zu chronischen Klappenfehlern ausheilen.
Bei spätern Anfällen des Rheumatismus
stellen sich auch Nachschübe des Herzleidens ein, so
daß die
Gefahr sich von Anfall zu Anfall steigert. Als ein fast untrügliches, wirklich spezifisches
Mittel gegen den akuten
Gelenkrheumatismus hat
Stricker in neuerer Zeit den innern
Gebrauch großer
Gaben von
Salicylsäure entdeckt. Gleichzeitig ist
es zweckmäßig, die leidenden
Gelenke mit
Watte zu umwickeln.
Der chronische
Gelenkrheumatismus betrifft meist nur ein einzelnes oder wenige
Gelenke, springt nur selten
von einem
Gelenk auf ein andres über und führt trotz seiner langen Dauer doch nur zu verhältnismäßig geringen anatomischen
Veränderungen der befallenen
Gelenke. Er entwickelt sich in vielen
Fällen aus einem akuten Rheumatismus.
In andern
Fällen tritt er von
Anfang an als chronische, fieberlose, allmählich sich entwickelnde
Krankheit auf. Der Verlauf der
Krankheit ist verschieden.
In dem einen
Fall sind einzelne
Gelenke längere Zeit, oft mehrere
Monate und Jahre hindurch, der Sitz beständiger
Schmerzen.
Druck auf die kranken
Gelenke und
Bewegungen vermehren die
Schmerzen, welche überdies manchmal auch ohne
besondern
Grund, besonders in den Abendstunden, stärker hervortreten. Manchmal sind die
Gelenke
¶
mehr
geschwollen, oder sie scheinen es wenigstens zu sein, weil die Muskeln in der Umgebung geschwunden sind. In dem andern Fall
besteht der chronische Gelenkrheumatismus im Grund genommen aus einer Reihe sehr oft und in kurzen Pausen wiederkehrender leichter
Anfälle des akuten Gelenkrheumatismus, wobei immer nur ein oder wenige Gelenke ergriffen werden. Auch
diese Krankheitsform ist sehr hartnäckig und bleibt, wenn sie einmal eingewurzelt ist, oft während des ganzen Lebens bestehen,
kompliziert sich übrigens gern mit Muskelrheumatismus
sowie mit rheumatischen Nervenschmerzen und rheumatischen Lähmungen.
Bleibt der chronische Rheumatismus
auf einzelne Gelenke fixiert, so wird er am besten durch örtliche Mittel behandelt;
wechselt er dagegen seinen Sitz, so muß eine allgemeine Behandlung eingeleitet werden. Für die örtliche Behandlung werden
in frischen Fällen Blutentziehungen durch Blutegel
[* 5] oder Schröpfköpfe empfohlen, welche man an die kranken Gelenke ansetzt;
in ältern Fällen sind Senfteige, Spanisch-Fliegenpflaster, Einreibungen von spirituösen und reizenden Mitteln (Kampferspiritus,
flüchtiges Liniment etc.) am Platz; ebenso werden Einreibungen von Jodkalium und Quecksilbersalbe unter
Umständen guten Erfolg haben.
Für die allgemeine Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus verdient die systematische Anwendung warmer Bäder das meiste
Vertrauen (Wiesbaden,
[* 6] Gastein, Rehme, Teplitz, Wildbad etc.). Russische
[* 7] Dampfbäder leisten weit weniger als einfache warme Bäder;
dagegen hat man mit schönem Erfolg lange fortgesetzt warme Sandbäder (Köstritz bei Gera)
[* 8] gegen chronischen
Rheumatismus
gebraucht. Dem Patienten ist außerdem das Tragen von Flanell auf dem bloßen Leib zu empfehlen.
Der Muskelrheumatismus
ist eine die Muskeln, die Knochenhaut und Muskelbinden ergreifende schmerzhafte Krankheit, welche die
betreffenden Teile bald gar nicht verändert, bald infolge des Nichtgebrauchs zum Schwund (zur rheumatischen
Lähmung) der Muskeln führt. Das wichtigste und oft einzige Symptom des Muskelrheumatismus
bilden ziehende und reißende Schmerzen,
welche durch Bewegung gesteigert, durch gleichmäßigen Druck aber gemildert zu werden pflegen.
Zuweilen können die kranken Muskeln nicht willkürlich bewegt werden. Die Haut
[* 9] über den schmerzenden Stellen erscheint gewöhnlich
ganz normal. In den Abendstunden pflegen sich die Beschwerden zu steigern, am Morgen dagegen zu mildern. Kälte und Feuchtigkeit
erhöhen die Schmerzen, während trockne Wärme
[* 10] dem Patienten gutthut. Manchmal scheinen sich jedoch die rheumatischen Schmerzen
durch die Bettwärme zu vermehren. Bald ist der Muskelrheumatismus
ein vager, indem die Schmerzen an der
einen Stelle verschwinden, um an einer andern wieder aufzutreten, bald bleibt er auf gewisse Muskeln beschränkt.
Meist ist er ein akutes Leiden, welches nach kurzem Bestand spurlos verschwindet; doch kann die Krankheit auch chronisch werden.
Als Beispiel eines akuten Muskelrheumatismus
kann der Hexenschuß (s. d.) genannt werden. Auch gehört hierher
der sogen. rheumatische Kopfschmerz, welcher seinen Sitz in den Muskeln, Aponeurosen und in der Knochenhaut des Schädels hat
(Kopfgicht); desgleichen der rheumatische Brustschmerz, der in den Brust- und Zwischenrippenmuskeln sitzt. Die Behandlung des
Muskelrheumatismus muß nach denselben Grundsätzen und mit denselben Mitteln vorgenommen werden, wie sie oben beim chronischen
Gelenkrheumatismus angegeben wurden. In Fällen,
welche der Einwirkung der oben erwähnten Thermenbäder
widerstehen, ist die Elektrizität
[* 11] und die Knetkur (s. d.) zu empfehlen. In frischen Fällen von Muskelrheumatismus ist ein
einmaliges Dampfbad oft von auffallend günstiger Wirkung.