(Kt. Graubünden).
Kreis des Bezirkes
Hinterrhein; umfasst die 5 Gemeinden
Hinterrhein,
Medels,
Nufenen,
Splügen und
Sufers. Er
bildet die oberste Thalstufe des Hinterrheinthales. Grenzt im O. an den Kreis
Schams, im
S. an das italienische
San Giacomothal und das bündnerische Misoxerthal, im W. an das
Tessiner Bleniothal und im N. an die Bezirke
Glenner und
Heinzenberg.
Parallel mit dem
Rhein zieht bald auf der rechten und bald auf der linken
Seite desselben die untere Kommerzialstrasse, welche
sich im Dorf
Splügen in die
Splügen- und die Bernhardinerstrasse teilt.
Die erstere führt von dort südwärts über den
Splügen und durch das italienische
San Giacomothal nach Chiavenna; die letztere
führt dem Thal entlang bis zum hintersten Dorf
Hinterrhein, von wo sie sich in zahlreichen Windungen südwärts auf den Bernhardin
und durch das Misoxerthal nach
Bellinzona wendet. Durch die Kommerzialstrasse werden alle
Dörfer untereinander
verbunden, nur die unterste Gemeinde
Sufers liegt seitwärts von der Hauptstrasse und wird mit ihr durch ein Nebensträsschen
verbunden.
Die reform. und deutsch sprechende Bevölkerung des Kreises Rheinwald ist in starkem Rückgang begriffen. 1850 zählte der
Kreis 1274, 1860: 1294, 1870: 1195, 1880: 1092, 1888: 933 und 1900: 899 Ew., wovon 841 Reformierte und 58 Katholiken,
sowie 861 Ew. deutscher, 29 romanischer und 9 italienischer Zunge. Der bedeutende Transit, welcher einst über den
Splügen
und den Bernhardin sich bewegte, gab viel Verdienst; seit Eröffnung der Gotthardbahn jedoch hat der Verkehr andere
Wege eingeschlagen.
Die Bevölkerung, welche in der fast einzig
im Thal möglichen Erwerbsquelle der Alpwirtschaft, des Wiesenbaues
und der Viehzucht nicht genügendes Einkommen findet, wendet sich seither zum Teil nach überseeischen Ländern, zum Teil
auch nach gewerbsreichen Orten im Kanton. In neuerer Zeit bestreben sich
Sufers,
Splügen und
Hinterrhein, als Luftkurorte zur
Geltung zu kommen. S. den folgenden Art.
Der junge
Hinterrhein durcheilt ihn in raschem
Lauf, im hintern Teil desThales öfter mehrarmig geteilt
zwischen seinen eigenen
Kies- und Sandbänken. Seinen
Ursprung nimmt er in 2216 m
Höhe an dem ziemlich steil vom
Rheinwaldfirn
herunterhängenden
Paradiesgletscher, von wo weg er, bevor
er den eigentlichen Thalboden erreicht, erst eine von hohen
Wänden
eingeschlossene
Schlucht, deren finsterster Teil die
«Hölle» heisst, in wildem Ungestüm durchbraust.
Das Rheinwaldthal zerfällt geologisch und auch kulturell in drei Abschnitte.
Der unterste derselben ist in Rofnagneis, der mittlere in Bündnerschiefer und der oberste in das Adulamassiv eingeschnitten.
Der Rofnagneis reicht auf der linken
Seite bis
Sufers, auf der rechten bis
Splügen herauf, die Adulagesteine beginnen gerade
beim Dorf
Hinterrhein, und zwischen drin liegt der Bündnerschiefer, der über den
Valserberg, das
Bärenhorn
und den
Safierberg ins
Lugnez und
Safienthal hinüberzieht. Hoch über
Splügen und
Sufers sitzen die
Splügner Kalkberge schollenartig
auf dem Bündnerschiefer.
Ein schmaler Schieferstreifen geht auch über den Bernhardin bis weit ins
Misox hinüber. Gegen die Gneis-
und Kalkgebirge ist hier im Rheinwald der Bündnerschiefer überall von einem schmalen Band Rötidolomit umsäumt, der stellenweise,
z. B. am
Splügenpass, durch den Gebirgsdruck in schönen weissen Marmor umgewandelt ist. Für die Besiedelung kommt nur die
etwa 13 km lange Strecke von
Sufers bis
Hinterrhein mit den zwischenliegenden
DörfernSplügen, Medels und
Nufenen in Betracht, d. h. gerade das Gebiet des Bündnerschiefers, der auch hier, wie überall in Graubünden,
den besten Pflanzenboden
liefert.
Die genannten 5
Dörfer liegen alle anmutig auf den sonnigen
Halden der
N.-Seite in der
Höhe von etwa 1400-1600 m. Bei dieser
Höhenlage ist das Klima natürlich rauh, der Winter sehr lang und schneereich, aber von der nebelfreien,
sonnigen Art wie überall in den bündnerischen Hochthälern. Der Anbau ist sehr gering; doch gedeihen noch etwas Gerste,
Hanf,
Flachs, Erbsen und Kartoffeln. Der Hauptreichtum des
Thales besteht in den blumendurchwirkten
Wiesen der tiefern und den
schönen Alpweiden der höhern Lagen, die einen relativ starken Viehstand zu ernähren vermögen, darunter
auf einigen
Alpen auch Bergamaskerschafe. Der
Wald, hauptsächlich aus Lärchen und
Fichten bestehend, ist von der
Rofna bis
Splügen reichlich und kleidet die Abhänge bis auf etwa 1900 m.
Sufers ist ganz von würzigen
Wäldern umschlossen. Weiter
hinten wird er spärlich und bildet nur noch schmale Streifen und kleine Horste. Bei
Hinterrhein ist er
schon fast ganz zu Ende.
Rheinwaldfirn - Rheinw
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Die Bevölkerung, deutsch redend und reformiert, entstammt einer der ältesten Valserkolonien. Nach einer Ueberlieferung
sollen diese Leute von Barbarossa und seinen Nachfolgern hier angesiedelt und mit grossen
Freiheiten begabt worden sein, um
die wichtigen Pässe des
¶
mehr
Thales zu sichern. Diese Pässe, besonders die 1818/23 mit prachtvollen Kunststrassen versehenen des Splügen und Bernhardin,
haben lange Zeit viel Verkehr und Verdienst ins Land gebracht. Seit Eröffnung der Gotthardbahn haben sie an Bedeutung sehr
viel eingebüsst, obwohl sie auch jetzt noch im Sommer und Winter von der Post befahren werden. Der Rückgang
des Verkehrs hat sich sehr fühlbar gemacht, die Güterpreise und die Bevölkerung sind gesunken. Im Jahr 1880 betrug diese
für das ganze Thal 1091, im Jahr 1900 nur noch 899 Seelen, für die grösste Gemeinde, Splügen, sank sie in dieser Zeit von 484 auf 373 Einwohner.
Eine Splügenbahn würde zwar den Verkehr des Rheinwald mit der Aussenwelt erleichtern, jedoch den alten
Transit zwar wohl für Graubünden,
aber nicht für das Rheinwald zurück erobern und vermehren. Denn der nach dem Projekt Moser 18 km
lange Tunnel würde schon bei der Bärenburg hinter Andeer beginnen. Dagegen würde der Fremdenverkehr auch
im Rheinwald einen bedeutenden Aufschwung nehmen. In bescheidenem Mass hat er sich übrigens schon ohne dies eingestellt,
und er wird sich bei den mancherlei Vorzügen des Thales noch weiter entwickeln.
Die Adulagruppe mit ihren stolzen Gipfeln und weitgedehnten Gletschern, das herrliche Tambohorn, die Surettahörner und die
wildzerrissenen Mauern und Spitzen der Splügner Kalkberge werden die Touristen mehr und mehr anziehen;
die reine Bergluft und der selten getrübte Himmel, die prächtigen Matten, der wechselreiche Blick auf eine vielgestaltige
Bergwelt, die Möglichkeit weitgedehnter ebener oder wenig ansteigender Spaziergänge, die sprudelnden Wasser und nicht zum
Mindesten die wohltuende Stille und Abgeschiedenheit werden von den Sommerfrischlern gesucht werden.
Auch die vielen Pässe, die ein Kommen und Gehen von und nach verschiedenen Seiten ermöglichen, sind ein Vorzug des Thales,
so ausser den beiden Bergstrassen auch der Valserberg (nach Vals-Lugnez), der Löchliberg (nach dem Safienthal) und die Pässe
des bei Nufenen mündenden Areuethales (nach San Bernardino-Mesocco). An interessantern Vertretern der
Flora seien noch genannt: am SplügenpassGentiana purpurea, Polypodium raeticum, Primula longiflora, Sesleria disticha, weisse
Alpenrosen und manche schöne Fels- und Polsterpflanzen;
bei NufenenPolygonum alpinum, das seltene amethystblaue Eryngiumalpinum, Pedicularis incarnata, hieraciumalbidum, Allium victoriale;
bei den Rheinquellen Asteralpinus, Saussurea lapathifolia,Gnaphalium leontopodium, Pinguicula grandiflora, Armeria alpina, Salix glauca etc.