Rheinwald
,
s. Hinterrhein.
Rheinwald
2 Seiten, 1'251 Wörter, 8'726 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Rheinwald,
s. Hinterrhein.
Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902
Rheinwald
(Kt. Graubünden). Kreis des Bezirkes Hinterrhein; umfasst die 5 Gemeinden Hinterrhein, Medels, Nufenen, Splügen und Sufers. Er bildet die oberste Thalstufe des Hinterrheinthales. Grenzt im O. an den Kreis Schams, im S. an das italienische San Giacomothal und das bündnerische Misoxerthal, im W. an das Tessiner Bleniothal und im N. an die Bezirke Glenner und Heinzenberg. Parallel mit dem Rhein zieht bald auf der rechten und bald auf der linken Seite desselben die untere Kommerzialstrasse, welche sich im Dorf Splügen in die Splügen- und die Bernhardinerstrasse teilt.
Die erstere führt von dort südwärts über den Splügen und durch das italienische San Giacomothal nach Chiavenna; die letztere führt dem Thal entlang bis zum hintersten Dorf Hinterrhein, von wo sie sich in zahlreichen Windungen südwärts auf den Bernhardin und durch das Misoxerthal nach Bellinzona wendet. Durch die Kommerzialstrasse werden alle Dörfer untereinander verbunden, nur die unterste Gemeinde Sufers liegt seitwärts von der Hauptstrasse und wird mit ihr durch ein Nebensträsschen verbunden.
Die reform. und deutsch sprechende Bevölkerung des Kreises Rheinwald
ist in starkem Rückgang begriffen. 1850 zählte der
Kreis 1274, 1860: 1294, 1870: 1195, 1880: 1092, 1888: 933 und 1900: 899 Ew., wovon 841 Reformierte und 58 Katholiken,
sowie 861 Ew. deutscher, 29 romanischer und 9 italienischer Zunge. Der bedeutende Transit, welcher einst über den Splügen
und den Bernhardin sich bewegte, gab viel Verdienst; seit Eröffnung der Gotthardbahn jedoch hat der Verkehr andere Wege eingeschlagen.
Die Bevölkerung, welche in der fast einzig im Thal möglichen Erwerbsquelle der Alpwirtschaft, des Wiesenbaues
und der Viehzucht nicht genügendes Einkommen findet, wendet sich seither zum Teil nach überseeischen Ländern, zum Teil
auch nach gewerbsreichen Orten im Kanton. In neuerer Zeit bestreben sich Sufers, Splügen und Hinterrhein, als Luftkurorte zur
Geltung zu kommen. S. den folgenden Art.
Rheinwald
oder Rheinwaldthal
(Kt. Graubünden,
Bez. Hinterrhein).
2216-1200 m. So heisst die oberste der drei Hauptstufen des Hinterrheinthales,
von der mittleren Stufe, Schams, getrennt durch die enge Schlucht der Rofna und von da bis zum obersten Thalboden unter dem
Zapportgletscher etwa 25 km oder bis zum Rheinwaldhorn etwa 30 km lang. Bildet ein schönes, typisches
Längsthal, im N. eingefasst von der Kette Güferhorn (3393 m), Hochberghorn (3003 m), St. Lorenzhorn (3047 m), Kirchalphorn
(3039 m), Valser Berg (Pass, 2507 m), Bärenhorn (2932 m), Safier Berg oder Löchliberg (Pass, 2490 m), Splügner Kalkberge (Weisshorn,
Grauhorn etc.), im S. von der
Kette Vogelberg (3220 m), Rheinquellhorn (3200 m), Zapporthorn (3149 m), Marschollhorn
(2902 m), Bernhardinpass (2063 m), Einshorn (2941 m), Guggernül (2887 m), Tambohorn (3276 m), Splügenpass (2117 m) und Surettahörner
(3025, 3039 m etc.). Der Thalboden ist ein ziemlich ebener, grüner Wiesengrund, der durch sanft ansteigende
Halden sich an die steileren Bergwände anschmiegt und von 1340 m bei der Sufner Schmelze am obern Ende der Rofna bis 1850 m
vor dem Anstieg zur Zapporthütte auf eine Länge von etwa 22 km aufsteigt.
Der junge Hinterrhein durcheilt ihn in raschem Lauf, im hintern Teil des Thales öfter mehrarmig geteilt
zwischen seinen eigenen Kies- und Sandbänken. Seinen Ursprung nimmt er in 2216 m Höhe an dem ziemlich steil vom Rheinwaldfirn
herunterhängenden Paradiesgletscher, von wo weg er, bevor er den eigentlichen Thalboden erreicht, erst eine von hohen Wänden
eingeschlossene Schlucht, deren finsterster Teil die «Hölle» heisst, in wildem Ungestüm durchbraust.
Das Rheinwaldthal
zerfällt geologisch und auch kulturell in drei Abschnitte.
Der unterste derselben ist in Rofnagneis, der mittlere in Bündnerschiefer und der oberste in das Adulamassiv eingeschnitten. Der Rofnagneis reicht auf der linken Seite bis Sufers, auf der rechten bis Splügen herauf, die Adulagesteine beginnen gerade beim Dorf Hinterrhein, und zwischen drin liegt der Bündnerschiefer, der über den Valserberg, das Bärenhorn und den Safierberg ins Lugnez und Safienthal hinüberzieht. Hoch über Splügen und Sufers sitzen die Splügner Kalkberge schollenartig auf dem Bündnerschiefer.
Ein schmaler Schieferstreifen geht auch über den Bernhardin bis weit ins Misox hinüber. Gegen die Gneis-
und Kalkgebirge ist hier im Rheinwald
der Bündnerschiefer überall von einem schmalen Band Rötidolomit umsäumt, der stellenweise,
z. B. am Splügenpass, durch den Gebirgsdruck in schönen weissen Marmor umgewandelt ist. Für die Besiedelung kommt nur die
etwa 13 km lange Strecke von Sufers bis Hinterrhein mit den zwischenliegenden Dörfern Splügen, Medels und
Nufenen in Betracht, d. h. gerade das Gebiet des Bündnerschiefers, der auch hier, wie überall in Graubünden,
den besten Pflanzenboden
liefert.
Die genannten 5 Dörfer liegen alle anmutig auf den sonnigen Halden der N.-Seite in der Höhe von etwa 1400-1600 m. Bei dieser Höhenlage ist das Klima natürlich rauh, der Winter sehr lang und schneereich, aber von der nebelfreien, sonnigen Art wie überall in den bündnerischen Hochthälern. Der Anbau ist sehr gering; doch gedeihen noch etwas Gerste, Hanf, Flachs, Erbsen und Kartoffeln. Der Hauptreichtum des Thales besteht in den blumendurchwirkten Wiesen der tiefern und den schönen Alpweiden der höhern Lagen, die einen relativ starken Viehstand zu ernähren vermögen, darunter auf einigen Alpen auch Bergamaskerschafe. Der Wald, hauptsächlich aus Lärchen und Fichten bestehend, ist von der Rofna bis Splügen reichlich und kleidet die Abhänge bis auf etwa 1900 m. Sufers ist ganz von würzigen Wäldern umschlossen. Weiter hinten wird er spärlich und bildet nur noch schmale Streifen und kleine Horste. Bei Hinterrhein ist er schon fast ganz zu Ende.
Die Bevölkerung, deutsch redend und reformiert, entstammt einer der ältesten Valserkolonien. Nach einer Ueberlieferung sollen diese Leute von Barbarossa und seinen Nachfolgern hier angesiedelt und mit grossen Freiheiten begabt worden sein, um die wichtigen Pässe des ¶
Thales zu sichern. Diese Pässe, besonders die 1818/23 mit prachtvollen Kunststrassen versehenen des Splügen und Bernhardin, haben lange Zeit viel Verkehr und Verdienst ins Land gebracht. Seit Eröffnung der Gotthardbahn haben sie an Bedeutung sehr viel eingebüsst, obwohl sie auch jetzt noch im Sommer und Winter von der Post befahren werden. Der Rückgang des Verkehrs hat sich sehr fühlbar gemacht, die Güterpreise und die Bevölkerung sind gesunken. Im Jahr 1880 betrug diese für das ganze Thal 1091, im Jahr 1900 nur noch 899 Seelen, für die grösste Gemeinde, Splügen, sank sie in dieser Zeit von 484 auf 373 Einwohner.
Eine Splügenbahn würde zwar den Verkehr des Rheinwald
mit der Aussenwelt erleichtern, jedoch den alten
Transit zwar wohl für Graubünden,
aber nicht für das Rheinwald
zurück erobern und vermehren. Denn der nach dem Projekt Moser 18 km
lange Tunnel würde schon bei der Bärenburg hinter Andeer beginnen. Dagegen würde der Fremdenverkehr auch
im Rheinwald
einen bedeutenden Aufschwung nehmen. In bescheidenem Mass hat er sich übrigens schon ohne dies eingestellt,
und er wird sich bei den mancherlei Vorzügen des Thales noch weiter entwickeln.
Die Adulagruppe mit ihren stolzen Gipfeln und weitgedehnten Gletschern, das herrliche Tambohorn, die Surettahörner und die wildzerrissenen Mauern und Spitzen der Splügner Kalkberge werden die Touristen mehr und mehr anziehen; die reine Bergluft und der selten getrübte Himmel, die prächtigen Matten, der wechselreiche Blick auf eine vielgestaltige Bergwelt, die Möglichkeit weitgedehnter ebener oder wenig ansteigender Spaziergänge, die sprudelnden Wasser und nicht zum Mindesten die wohltuende Stille und Abgeschiedenheit werden von den Sommerfrischlern gesucht werden.
Auch die vielen Pässe, die ein Kommen und Gehen von und nach verschiedenen Seiten ermöglichen, sind ein Vorzug des Thales, so ausser den beiden Bergstrassen auch der Valserberg (nach Vals-Lugnez), der Löchliberg (nach dem Safienthal) und die Pässe des bei Nufenen mündenden Areuethales (nach San Bernardino-Mesocco). An interessantern Vertretern der Flora seien noch genannt: am Splügenpass Gentiana purpurea, Polypodium raeticum, Primula longiflora, Sesleria disticha, weisse Alpenrosen und manche schöne Fels- und Polsterpflanzen;
bei Nufenen Polygonum alpinum, das seltene amethystblaue Eryngium alpinum, Pedicularis incarnata, hieracium albidum, Allium victoriale;
bei den Rheinquellen Aster alpinus, Saussurea lapathifolia, Gnaphalium leontopodium, Pinguicula grandiflora, Armeria alpina, Salix glauca etc.