Rheinfall,
s. Rhein.
4 Seiten, 1'246 Wörter, 8'624 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
s. Rhein.
Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902
(Kt. und Bezirk Schaffhausen und Kt. Zürich, Bez. Andelfingen). 385-361 m. Der Rheinfall bei Neuhausen und 2,5 km sw. Schaffhausen ist der mächtigste Wassersturz Europas. Schon bei Schaffhausen wälzt der Rhein seine Fluten über ein Kalkriff und bildet eine Stromschnelle, deren Kraft für die Industrie der Stadt ausgenutzt wird. Dann ziehen die Wogen wieder ein Stück weit still und ruhig dahin, aber schon unterhalb Flurlingen beginnt der sanfte Strom neuerdings zwischen Felsenklippen hindurch zu schäumen. Der Rhein hat hier im Jurakalk, der sein Bett bildet, tiefe Rinnen erodiert, die durch Felsrippen voneinander getrennt sind. Zahlreiche mit Strauchwerk bewachsene Riffe ragen als Felseninseln oberhalb der Eisenbahnbrücke aus dem Wasser empor und lösen so die Strömung des Flusses in eine Anzahl Stränge auf. Die Pfeiler der im Winter 1856/57 erbauten Eisenbahnbrücke wurden meistens auf die Kalkrippen gesetzt, woher die ungleiche Spannweite der zehn steinernen Bogen rührt. Mit rasender Eile schiessen die Wogen unter der Brücke hervor und stürmen strudelnd und schäumend zwischen Felsenklippen hindurch, dann wirft sich der Strom in seiner ganzen Breite von 175 m in die Tiefe. Auf beiden Seiten ist der Fall von Felswänden eingerahmt. Vom linken
Ufer grüssen die ehrwürdigen Türme und Giebel des Schlosses Laufen hernieder, und auf der rechten Seite trägt die grüne Uferhalde eine rauchgeschwärzte Fabrik, aus welcher der dumpfe Schlag schwerer Hämmer sich mit dem Brausen und Donnern der Wogen mischt. Aus den aufsteigenden Wasserwolken tauchen 4 Kalkfelsen empor, die den Fall in zwei grössere und drei kleinere Teile zerlegen. Ein mutiger Fährmann führt uns vom Schlösschen Wörth durch den feinen Wasserdunst an den Fuss des höchsten dieser Felsen, der auf sicherer Treppe erstiegen werden kann. Die Höhe des Hauptsturzes beträgt 15-19 m; rechnen wir die Stromschnelle bis zur Eisenbahnbrücke hinzu, so kommen wir auf 24 m. Die gewaltigsten Effekte entwickelt der Rheinfall beim Hochwasserstand im Juli, in welchem Monat sich durchschnittlich 600 m3 Wasser niederstürzen; es können aber gelegentlich bis zu 1000 m3 sein. Dann gewährt der Fall vom «Fischez» oder «Känzeli» (durch das Schloss Laufen erreichbar) einen überwältigenden Eindruck. Wunderbar sind die Licht- und Farbenspiele, wenn die Sonne in den Abendstunden die Millionen von Wasserperlen mit ihren Strahlen übergiesst, aber auch die nächtliche Beleuchtung bei Mondenschein oder elektrobengalischem Farbenlicht zaubert feenhafte Bilder hervor. In den Sommernächten ist das Tosen des Falles weit herum vernehmlich, bei ganz stiller Luft soll sein Brausen noch in Kaiserstuhl, d. h. in einer Entfernung von 4 Stunden (21 km) hörbar sein. Bei niedrigem Wasserstand im Winter (im Februar durchschnittlich 160 m3, am 28. Januar 1854 nur 54 m3) ist die rechte Seite des Bettes bis nahezu auf einen Drittel der Breite trocken gelegt. Ueberall zeigen dann die harten Kalkbänke die Spuren der Wassererosion in Form von zahlreichen Strudellöchern. Auf ihrem Grunde liegen oft noch die gerundeten Kalk- und Kieselgerölle, die durch die Kraft des stürzenden Wassers in drehende Bewegung versetzt wurden und so die Löcher ausschliffen.
Bei kalter trockener Witterung überzieht der aufwirbelnde Wasserstaub Drähte, Bäume und Sträucher mit einer silberblinkenden Kruste von Eisnadeln, was namentlich im Schein der Wintersonne einen zauberischen Anblick gewährt. In einem breiten, bis 13 m tiefen Becken sammeln und beruhigen sich die Wogen, um dann als sanfter Strom am malerischen Inselschlösschen Wörth vorbei in weitem Bogen gegen die ehemalige Benediktinerabtei Rheinau zu ziehen. Die stetig wachsende Zahl von Besuchern des Rheinfalles hat Neuhausen und Schaffhausen zu Fremdenorten gemacht. Durch Anlage von Wegen und Parken, durch den Bau von aussichtsreichen Gerüsten und durch künstliche elektrobengalische Beleuchtung des Falles hat man die Fremdenindustrie zu heben gesucht. Die Kraft des Rheinfalles wurde schon 1693 auf dem rechten Ufer durch das Schmelz- und Hammerwerk Laufen ausgenutzt, das lange Zeit die Bohnerze der 3 km westl. gelegenen Eisengruben am «Lauferberg» verarbeitete und die ganze Umgebung mit einem vorzüglichen Eisen versah. In neuerer Zeit sind an diese Stelle grössere Fabrikanlagen getreten, in denen die Kraft des Rheinfalles benutzt wird, um Aluminium auf elektrolytischem Wege zu gewinnen. Auch die benachbarten Gewehr- und Waggonfabriken der Industriegesellschaft Neuhausen entnehmen ihre Kraft dem Rheinfall.
Die Felsenunterlage des Rheinfallgebietes bildet ein massiger, zerklüfteter, harter Kalkstein des obern Jura
mit Rhynchonellen, Terebrateln und ziemlich viel Kieselsäure. Die Höhlungen der Oberfläche des angewitterten und zernagten Kalkes sind mit Bohnerz gefüllt, das oberhalb Laufen bei niedrigem Wasserstand im Winter 1829/30 in grösseren Mengen aus den Schluchten und Spalten des Flussbettes gewonnen wurde. An der «Buchhalde» folgen dann über dem Rheinniveau die Sande und Mergel der untern Süsswassermolasse.
Ungefähr in der Mitte des Eiszeitalters hat der Rhein in jener Gegend in die harten Kalkbänke ein schmales Thal gegraben, das von der heutigen Flussrichtung ziemlich stark abweicht. Die Sohle der alten Rinne ist selbst unterhalb des Rheinfalles ebenso tief oder noch tiefer als der heutige Rhein, und bei Schaffhausen liess sie sich tief unter dem Spiegel des Flusses nachweisen. Der frühere Rhein muss also jene Stelle ohne einen wesentlichen Gefällsbruch passiert haben, d. h. der Rheinfall hat damals noch nicht existiert. In späterer Zeit hat der Rheingletscher seine Eismassen über die Stelle des jetzigen Rheinfalles vorgeschoben, die Schmelzwasser haben mit ihren Kiesen die alte Rinne zugeschüttet, das Eis legte eine mächtige Schicht von Moräne darüber, und erst auf diese hat dann der Rhein beim Rückzug des Gletschers ein neues Terrassensystem gebaut. Am Schluss der Eiszeit begann der Rhein mit der Tiefenerosion; er grub sich eine Rinne in die Terrasse, wo er zu jener Zeit gerade seine Wasser dahinwälzte und zwar ganz unabhängig von dem in der Tiefe vorgezeichneten und nun zugeschütteten Thal. Unterhalb Neuhausen fand der Rhein sein altes Bett wieder, und da dieses mit einem nur teilweise verkitteten Kies ausgefüllt war, konnte er sich hier in dem weichen Material relativ leicht in die Tiefe bohren. Schon am Schluss der Eiszeit, als der Rheingletscher sich aus der Gegend von Diessenhofen zurückzog, kam die Sohle des Flusses bei Neuhausen auf Jurakalk, welcher wegen seiner Zähigkeit die Tiefenerosion ungemein verlangsamte, während flussabwärts das weiche Material sehr leicht abgetragen wurde. Infolge dieser ungleichen Erosion musste sich hier an der Vereinigungsstelle von altem und neuem Thal ein immer höher werdender Gefällsbruch entwickeln, so dass der Rhein jetzt über den linken Felsabhang seines alten Thales stürzt. Der Rheinfall fällt heute nicht mehr genau mit dem linken Ufer des alten Thales zusammen, d. h. er hat sich im Laufe der Zeit etwas flussaufwärts verlegt, wie dies bei Wasserfällen allgemein konstatiert werden kann. Auf der kanadischen Seite des Niagarafalles hat man z. B. von 1842-1890 einen jährlichen Rückschritt von 0,67 m gemessen, der Rheinfall dagegen hat sich seit der Eiszeit d. h. in einem Zeitraum von mindestens 20000 Jahren nur um 40-60 m nach rückwärts verschoben, per Jahr also kaum einige Millimeter. Vergegenwärtigen wir uns, dass der Kalkriegel am Rheinfall etwa 1500 m lang ist