Titel
Reuchlin
,
1) Johann (gräzisiert Kapnion), berühmter Humanist und Vorkämpfer der Reformation, geb. zu Pforzheim, [* 2] besuchte die Schule zu Schlettstadt, [* 3] studierte seit 1470 in Freiburg, [* 4] ward wegen seiner schönen Stimme in die Kapelle des Markgrafen Karl von Baden-Durlach aufgenommen, begleitete 1473 den jungen Markgrafen Friedrich auf die Pariser Universität, wo er besonders Griechisch und Lateinisch lernte, kam 1474 nach Basel, [* 5] wurde hier 1475 Bakkalaureus und 1477 Magister, ging 1478 nach Orléans, [* 6] um die Rechte zu studieren, und 1479 nach Poitiers.
Als Lizentiat der Rechte 1481 nach Tübingen [* 7] zurückgekehrt, trat er hier als Lehrer der Rechte und schönen Wissenschaften auf, praktizierte als Advokat und ward bald der Liebling Eberhards des Bärtigen von Württemberg, [* 8] in dessen Gefolge (als Geheimschreiber) er 1482 nach Italien [* 9] kam. 1484 wurde er Beisitzer des Hofgerichts zu Stuttgart [* 10] und von Eberhard zu mehreren diplomatischen Missionen verwandt. 1490 finden wir ihn abermals in Italien. 1492 begleitete er Eberhard nach Linz [* 11] zum Kaiser, der ihn zum Pfalzgrafen und kaiserlichen Reichsrat ernannte.
Nach
Eberhards
Tod begab sich Reuchlin
1496 an den kurpfälzischen
Hof
[* 12] nach
Heidelberg
[* 13] und erwirkte 1498 als Abgesandter in
Rom
[* 14] die
Lossprechung des
Kurfürsten
Philipp von der
Pfalz vom
Bann. Nach
Stuttgart 1499 zurückgekehrt, widmete er
sich ganz den
Wissenschaften und dem
Unterricht. Von 1502 bis 1513 war er Vorsitzender beim schwäbischen
Bundesgericht.
Sein
Widerraten der vom
Kaiser 1509 befohlenen
Verbrennung aller nichtbiblischen hebräischen
Schriften verwickelte ihn in einen
bittern Streit mit den
Dominikanern zu
Köln,
[* 15] vor allen mit
Jakob von
Hoogstraten.
Die
Universitäten
Paris,
[* 16]
Löwen,
[* 17]
Erfurt
[* 18] und
Mainz
[* 19] traten gegen in die
Schranken, der aber, obgleich ihm ein
Inquisitionsprozeß
gemacht wurde, zuerst in
Mainz und
Speier,
[* 20] dann in
Rom seine
Sache siegreich verfocht. Zugleich wurden die blinden
Eiferer durch
die berühmten
»Epistolae obscurorum virorum« (s. d.) dem Gelächter preisgegeben.
In dem
Kampf zwischen dem
Herzog
Ulrich und dem
Schwäbischen
Bund wurde Reuchlin
, obwohl er seine
Stelle als Bundesrichter
niedergelegt hatte, vom
Herzog gefangen genommen, erhielt aber durch den
Herzog
Wilhelm von
Bayern
[* 21] seine
Freiheit wieder und wurde 1519 zum
Professor in
Ingolstadt
[* 22] ernannt.
Einen
Ruf nach
Wittenberg
[* 23] schlug er aus und empfahl dafür seinen
Schüler
Melanchthon. Der
Pest halber kehrte
er schon 1521 nach
Stuttgart zurück. Er starb, nach einer kurzen Wirksamkeit an der
Universität zu
Tübingen, im
Bad
[* 24]
Liebenzell bei
Hirschau. Seine ansehnliche
Bibliothek hatte er seiner Vaterstadt
Pforzheim vermacht. Insofern Reuchlin
auf die bessere
Gestaltung des
Schulwesens in
Deutschland
[* 25] teils durch Verbreitung liberaler
Grundsätze, teils durch das
lebendige
Wort und durch Abfassung zweckmäßiger Elementarbücher für die Erlernung der alten
Sprachen einen großen Einfluß
übte und so die Läuterung und
Reform der religiösen
Vorstellungen anbahnte,
ist er mit
Recht ein Vorkämpfer der
Reformation
zu nennen; mit ebendemselben
Recht heißt
er aber auch der Begründer der klassischen
Philologie und der
Schöpfer des
Humanismus in
Deutschland.
In der griechischen Sprache [* 26] begründete er eine eigne Aussprache der Diphthonge, den sogen. Itazismus (vgl. Etazismus). Von seinen Werken nennen wir außer mehreren lateinischen Übersetzungen griechischer Schriftsteller die Ausgaben von »Xenophontis Apologia, Agesilaus, Hiero« (Hagenau [* 27] 1520) und »Aeschinis et Demosthenis orationes adversariae« (das. 1522);
zur lateinischen Sprache: »Vocabularius breviloquus« (Basel 1475);
zur griechischen Sprache: »Micropaedia sive grammatica graeca« (um 1478 verfaßt; nicht gedruckt) und »Synopsis grammaticae graecae« (Pforzh. 1506);
zur hebräischen Sprache: »Rudimenta hebraica« (das. 1506),
»De accentibus et orthographia Hebraeorum libri III« (das. 1518) und die Ausgabe der sieben Bußpsalmen (Tübing. 1512),
die als der erste hebräische Druck in Deutschland gilt.
»Der
Augenspiegel«
[* 28] (Pforzh. 1511; hrsg. von Mayerhoff, Berl.
1836) war gegen eine
Schmähschrift des
Kölner
[* 29] Obskuranten.
Pfefferkorn (s.
Epistolae obscurorum virorum) gerichtet. Auf die
jüdische
Geheimlehre beziehen sich:
»De verbo mirifico« (Basel
1494) und
»De arte cabbalistica«
(Hagenau 1517).
In dem satirischen
Lustspiel
»Sergius, sive capitis caput« (Pforzh. 1507) geißelte Reuchlin
die Pfaffenherrschaft.
Sein »Briefwechsel« wurde von L.
Geiger herausgegeben (Stuttg. 1876, Litter.
Verein).
Vgl. L.
Geiger, J. Reuchlin
, sein
Leben und seine
Werke (Leipz. 1871);
Horawitz, Zur
Biographie und
Korrespondenz J. Reuchlins
(Wien
[* 30] 1877);
Holstein, J. Reuchlins
Komödien
(Halle
[* 31] 1888).
2) Hermann, namhafter Geschichtschreiber, Nachkomme des vorigen, geb. zu Markgröningen bei Stuttgart, studierte in Tübingen Theologie, begleitete als Hauslehrer seinen Zögling Sieveking aus Hamburg [* 32] nach Paris, wo er sich längere Zeit aufhielt und sich mit der Geschichte des Jansenismus beschäftigte, ward 1842 Pfarrer zu Pfrondorf bei Tübingen und privatisierte seit 1857 in Stuttgart, wo er starb. Von seinen Werken sind hervorzuheben: »Geschichte von Port Royal« (Hamb. u. Gotha [* 33] 1839-44, 2 Bde.);
»Pascals Leben und der Geist seiner Schriften« (Stuttg. 1840);
»Geschichte Italiens [* 34] von Gründung der regierenden Dynastien bis zur Gegenwart« (Leipz. 1858-74, 4 Bde.) und »Lebensbilder zur Geschichte des neuen Italien« (Graf Balbo, Garibaldi, General Pepe; Nördling. 1860-62, 3 Tle.).