Reproduktion.
Man hat bisher angenommen, daß die höher organisierten Gewebe des tierischen und menschlichen Körpers nicht jene Fähigkeit zum Wiederersatz verloren gegangener Teile besitzen, welche man bei Pflanzen und niedern Tieren sowie bei den einfachen Geweben auch des menschlichen Organismus findet. Wenn Teile des Gehirns, des Herzens, der Leber, der Nieren etc. schwinden, pflegen sie endgültig verloren zu sein und sich nicht wieder neu zu bilden. Die neuere Chirurgie hat nun aber in dieser Beziehung sehr überraschende Thatsachen geliefert.
Ponfick hat eine weitgehende Reproduktion der Leber beobachtet (s. Chirurgenkongreß, S. 158), und Kümmell konnte ähnliches für die Nieren nachweisen. Er entfernte bei einem Patienten die Spitze der rechten Niere, und als der Mann nach einigen Monaten aus andrer Ursache zu Grunde ging, ergab die Sektion keine Lücke in der operierten Niere; diese hatte vielmehr normale Größe, indem von dem stehen gebliebenen Teil aus eine Neubildung des verloren gegangenen Teiles stattgefunden hatte.
Versuche an Tieren ergaben, daß nach Entfernung von Nierenteilen im Längs- und Querdurchmesser bis zur Hälfte des ganzen Organs bei ungestörter Wundheilung sehr schnell eine Neubildung der entfernten Teile erfolgt. Viel schneller erfolgt die Neubildung einer teilweise entfernten Niere, wenn gleichzeitig die andre vollständig entfernt worden war. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß der reproduzierte Teil nicht etwa nur aus Bindegewebe, sondern aus echtem Nierengewebe bestand.