Religionsp
hilosophie,
die wissenschaftliche Erkenntnis des allgemeinen Wesens der
Religion, ihrer
psychol. Gesetze und ihrer geschichtlichen Erscheinungsformen. Eine Religionsp
hilosophie giebt es strenggenommen erst
dann, wenn die Erkenntnis gereift ist, daß die
Religion mehr sei als ein
System von übernatürlich mitgeteilten und mit äußerm
Autoritätsglauben aufzunehmenden Glaubenssätzen; daß das Auftreten solcher Glaubenssätze nur eine von den Erscheinungsformen
des religiösen Lebens sei, die im engsten Zusammenhang mit allen übrigen aus dem Wesen der
Religion und ihrer geschichtlichen
Entwicklung verstanden werden müsse.
Hiermit ist die
Anerkennung eines
Ewigen,
Allgemeinen und Göttlichen, das sich in dem Wechsel religiöser
Anschauungen und Kultusformen
geltend macht, so wenig ausgeschlossen, daß man vielmehr die geschichtlichen Gestalten des religiösen
Lebens nur durch Zurückgehen auf die in der Geschichte waltenden und in ihr sich offenbarenden göttlichen Ordnungen richtig
zu würdigen vermag. Wie das religiöse Leben selbst ein wesentliches
Moment im geistigen Leben der Menschheit überhaupt,
so bildet die Religionsp
hilosophie einen wesentlichen
Bestandteil der Geistesphilosophie.
Von der dogmatischen
Theologie unterscheidet sie sich nicht sowohl durch ihren Gegenstand als durch ihr
rein philos. Interesse, sofern in ihr nicht sowohl, wie in jener, das christl.-religiöse
Bewußtsein über sich selbst, als
vielmehr der wissenschaftliche
Geist über die Eigentümlichkeit des religiösen
Bewußtseins klar zu werden sucht; dabei wird
freilich religiöse Selbsterfahrung unentbehrlich sein, wie auch die theol.
Arbeit ohne philos.
Bildung
nicht zu vollziehen ist. Zur allgemeinen Religionsgeschichte endlich verhält sich die Religionsp
hilosophie wie deren
principieller
Teil zur empirischen Ausführung.
Im Unterschied von der Religionsp
hilosophie als einer
Frucht erst der neuern
Philosophie hat man die frühere Art, ihre Gegenstände zu behandeln,
nur als «religiöses Philosophieren» zu bezeichnen; so die philosophisch
angeregten
Spekulationen der Gnostiker und der jüd. und christl.
Alexandriner, trotz der Abhängigkeit derselben von Platonischer
Philosophie. Ebenso waren die mittelalterliche Scholastik, die nur die objektive Wahrheit des kirchlichen Dogmas durch
scharfsinnige
Reflexionen erweisen wollte, und die der Scholastik sehr verwandte altprot.
Grenzen der Hörbarkeit
![Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert] Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert]](/meyers/thumb/58/58_0307.jpeg)
* 2
Grenzen.
Dogmatik noch nicht im stande, sich auf den religionsp
hilos. Standpunkt zu erheben. Der erste wirkliche Versuch einer Religionsphilosophie
ist
die Kantsche
«Religion innerhalb der Grenzen
[* 2] der bloßen
Vernunft» (Königsb. 1793). Dieselbe hat es freilich mehr mit einer
Zurückführung der christl.
Glaubenslehre auf die Grundideen eines religiösen Moralismus als mit einer
wirklichen Erörterung des Wesens der
Religion und ihrer geschichtlichen Erscheinungen zu thun. Eine spekulative
Entwicklung
der religiösen Idee hat in großartiger
Weise
Hegel in seinen «Vorlesungen über die
Philosophie der
Religion» (2. Aufl., 2 Bde.;
Bd. 11
u. 12 der «Werke», Berl. 1840) gegeben, doch
behandelte er die
Religion zu einseitig als eine unvollkommene Form metaphysischen Erkennens, um dem wirklichen
Gesamtumfange ihres Wesens wie ihrer Erscheinungsformen gerecht werden zu können, was besonders in der Umdeutung des
Christentums
in seiner, der Hegelschen,
Philosophie hervortrat. Den
Grund zu einer echt psychol. und histor. Behandlung der Religionsp
hilosophie hat Schleiermacher
(s. d.) gelegt, der namentlich den Unterschied des religiösen
Denkens vom philos. Erkennen zuerst festgestellt hat. (S.
Religion.) Nach ihm und neben ihm hat auch die Herbartsche und Friessche
Schule sich um die Religionsp
hilosophie verdient gemacht. -
Vgl. Pfleiderer, Religionsphilosophie
auf geschichtlicher Grundlage (Berl. 1878; 3. Aufl.
u. d. T.: Geschichte der Religionsphilosophie
von
Spinoza bis auf die Gegenwart, ebd. 1893);
Teichmüller, Religionsphilosophie
(Bresl. 1886);
E. von
Hartmann, Religionsphilosophie
(Tl. 1, 2. Aufl.; Bd. 5 der «Ausgewählten
Werke», Lpz. 1888);
Rauwenhoff, Religionsphilosophie
(deutsch von Hanne, Braunschw. 1889);
Rud. Seydel, Religionsphilosophie
im
Umriß (Freib. i. Br.
1893);
Siebeck, Lehrbuch der Religionsphilosophie
(ebd. 1893).