Reiterei
(Kavallerie, franz. Cavalerie, v. ital.
cavallo, lat. caballus,
Pferd),
[* 2] die zu
Pferd fechtende
Truppe, die zweite Hauptwaffe der
Heere, weniger zahlreich
als das
Fußvolk. Sie ist im
Vergleich zu letzterm schwieriger zu beschaffen, kostspieliger zu erhalten, langsamer auszubilden
und bei eintretendem Verlust schwerer zu ersetzen. Der
Gebrauch der Reiterei
beruht auf Ausnutzung der
Kraft
[* 3] und
Schnelligkeit des
Pferdes; davor tritt selbst die
Bewaffnung zurück.
Letztere muß aber in blanken
Waffen,
[* 4]
Säbel,
Pallasch (zu Hieb
[* 5] und
Stich),
Lanze, bestehen, denn das
Schießen
[* 6] zu
Pferd ist unsicher.
Der
Karabiner (s. d.) kann nur wirksam zur Anwendung kommen, wenn der
Reiter absitzt, also als Fußkämpfer auftritt. Sonst
dienen die Schußwaffen der Reiterei
wesentlich zu Signalschüssen. Durch ihre
Schnelligkeit ist die Reiterei
unentbehrlich
für das rasche
Einholen von Nachrichten und Überbringen von Meldungen und Befehlen; zugleich erleichtert der hohe Sitz des
Reiters den raschen Überblick und das Zurechtfinden im
Terrain und erhöht die Bedeutung der Reiterei
für Sicherheits-,
Aufklärungs-
und Kundschaftsdienst, wozu sie deshalb auch überall gebraucht wird, wo irgend ein
Pferd noch gut fortkommen
kann.
Pferde II

* 7
Pferde.
In der Marschleistung übertrifft Reiterei
das
Fußvolk bei Zurücklegung kürzerer
Strecken und bei Gewaltmärschen auf einige
Tage;
auf längere Dauer aber widersteht das
Pferd weniger den erschöpfenden äußern Einflüssen und gleicht die
Ausdauer der
Infanterie
die
Schnelligkeit der
Pferde
[* 7] wieder aus. Im
Kampf soll die Reiterei
durch die
Wucht, welche die aufs höchste entwickelte
Schnelligkeit des
Pferdes erzeugt, im
»Chok«, den Gegner um- und überreiten, und erst nachdem durch diesen Anprall die
Ordnung
beim Gegner gestört ist, tritt der
Gebrauch der
Waffen ein.
Wirksam ist der
Chok aber nur, wenn die in geordneten, geschlossenen Abteilungen auftritt, und wenn der
Gegner womöglich überrascht wird. Der
Angriff muß fortgesetzt werden, bis auch die hintern
Treffen des Gegners durchbrochen
und geworfen sind; erst dann ist der Erfolg gesichert. Zur vollen Ausnutzung der
Kraft der
Pferde und Geltendmachung aller
Waffen muß die in entwickelter
Linie attackieren, vorher, um überraschend den Gegner in ungünstiger
Lage, womöglich in
Flanke und
Rücken, anfallen zu können, verdeckt in dichten
Massen
(Kolonnen) manövrieren und zur
Attacke
rasch aufmarschieren, nachher, wenn durch den
Angriff die eigne
Ordnung gelöst ist, womöglich die
Teten der fliehenden Feinde
überholen, dabei aber gegen das Auftreten neuer feindlicher Reiterei
durch geschlossen folgende
Reserven gedeckt sein.
Anlauf - Anna

* 8
Anlauf.
Dies die Hauptgesichtspunkte der
Führung, deren schwere
Kunst im richtigen
Erkennen und raschen Ausnutzen der schnell vorübergehenden
günstigen
Momente für das Auftreten der Reiterei
besteht, die aber dann eines gewaltigen moralischen
Eindrucks gewiß sein kann.
Zur vollen Ausnutzung kommt
Reiterei
nur, wo sie freie Umsicht,
Raum zur
Entwickelung und zum
Anlauf
[* 8] sowie möglichst
ebenen, festen
Boden unter sich hat.
Nebel und Dunkelheit machen ihre
Bewegungen, ja den
Gang des
[* 9] einzelnen
Pferdes unsicher.
Nach dem
Schlag der
Pferde und
Menschen scheidet man die in leichte und schwere; letztere sollte durch stärkere
Tiere und kräftigere
Menschen befähigt sein, im
Gefecht eine größere
Wucht des Anpralls auszuüben, u. trat zu diesem
Zweck
auch möglichst nur geschlossen zur
Attacke auf. Die leichte hat durch die Wendigkeit der kleinere
Pferde mehr die Fähigkeit,
Terrainhindernisse zu überwinden etc.; ihr sollte mehr der
Aufklärungs- und
Sicherheitsdienst, der
Kampf
in aufgelöster
Ordnung und, wo es nötig, das Fußgefecht zufallen. In neuester Zeit ist diese Unterscheidung fast ganz in
Wegfall gekommen, die Verwendung der Reiterei
wird mehr und mehr eine gleiche.
Geschichtskarten von D

* 10
Deutschland.
Die Benennungen der
Regimenter als
Kürassiere,
Karabiniere,
Dragoner,
Husaren, und
Ulanen decken sich nicht
in allen
Heeren gleichmäßig mit den
Begriffen von leicht und schwer. Zur schweren Reiterei
gehören überall die Panzerreiter
(Kürassiere,
s. d.), zur leichten die
Husaren und
Chevau-legers; die Lanzenreiter
(Lanciers,
Ulanen) gelten bald als schwere, bald als leichte,
in
Deutschland
[* 10] dem Pferdeschlag und der
Fütterung nach als eine sogen. mittlere Reiterei.
Alle
Arten Reiterei
sind jetzt
mit dem
Karabiner, die
Unteroffiziere mit
Revolvern bewaffnet und werden auf das
Gefecht zu
Fuß eingeübt.
Verwendungseinheit der ist die
Eskadron von 100-150
Pferden, darüber
Regimenter von meist 4
Eskadrons. Zu höhern
Verbänden
ist die in
Brigaden (meist 2
Regimenter) und in selbständigen
Divisionen (2-3
Brigaden mit zugeteilten reitenden
Batterien) vereinigt. Die einzige Verwendungsart der Reiterei
im
Gefecht ist die
Attacke, die Form dazu die
Linie, bei größern Abteilungen
in mehreren
Treffen, deren zweites hinter den
Flügeln (zur Flankendeckung), ein drittes als
Reserve mit je 400-500
Schritt
Abstand
folgt.
Nur wo zum
Aufmarsch kein
Raum oder keine Zeit ist, attackiert die in
Kolonnen und, wo der Gegner nicht
mehr in geschlossenen Abteilungen gegenübersteht, es also mehr auf rasches
Einholen des wankenden Feindes ankommt, in aufgelöster
Ordnung. Ein
Angriff in
Echelons (s. d.), jedes
in sich in
Linie, ergibt sich stets da, wo die Zeit fehlt,
in Einer
Linie aufzumarschieren. Zum Fernhalten einzelner feindlicher
Reiter, während die Reiterei
steht, manövriert oder sich
sammelt, dient das Vorziehen einzelner
Reiter mit aufgenommene Schußwaffe, das
Plänkeln oder
Flankieren. Im
Gefecht wie im
Sicherheitsdienst ist endlich zu unterscheiden die Verwendung der in unmittelbarer
Verbindung mit den andern
Waffen als Divisionskavallerie (vgl.
Division) und in größern selbständigen Kavalleriedivisionen oder
-Korps, die vor und
nach den
Schlachten
[* 11] um Tagemärsche dem
Heer voraus den Gegner aufsuchen und die
Bewegungen des eignen
Heers verschleiern, also
eine hauptsächlich operative Thätigkeit haben, im
Gegensatz zu der Schlachtenthätigkeit der Divisionskavallerie. Das Stärkeverhältnis
der Reiterei
zur
Infanterie, nach Zeit und
Ländern vielfach wechselnd, ist in den europäischen
Heeren seit den
Napoleonischen
Kriegen
ziemlich gleichmäßig mit 1/5-1/7 des
Fußvolkes festgehalten worden.
Reithgras - Reitkunst

* 13
Seite 13.709. Geschichte. Während der Ursprung der Reiterei
bis in die mythische Zeit hinaufreicht, bildete doch erst
Kyros in
Persien
[* 12] eine Nationalkavallerie,
welche zuletzt 120,000 Mann zählte; in der
Schlacht bei
Marathon hatten die
Perser 10,000 Mann, bei
Platää
40,000, im
¶
mehr
makedonisch-persischen Krieg 100,000 Mann zu Pferde. Die Griechen errichteten erst in den persischen Kriegen eine Reiterei
, welche
1/11 aller Streitkräfte ausmachte und schwer gerüstet war. Im Peloponnesischen Kriege gesellte sich dazu auch noch eine
Art leichter Reiter. Am ausgebildetsten erscheint die Reiterei
unter Alexander d. Gr. Seine schwere Reiterei führte Panzer,
Helm, Beinschienen von Erz, einen am linken Arm hängenden Reiterschild, einen Wurfspieß, einen langen Speer und ein Schwert; die
leichte hatte keine Schutzwaffen, selbst keinen Schild.
[* 14] Reiterei stand bei den Griechen meist an den Flügeln, auch in den Zwischenräumen
des Fußvolkes.
Sie wurde in Einer Linie oder in Form eines Keils oder länglichen Vierecks aufgestellt. Die Römer [* 15] besaßen eine Reiterei schon seit den ersten Königen, zunächst als deren Leibwache; aus ihr entwickelte sich der Stand der Ritter (equites). Unter der Republik wurden jeder Legion 300 Reiter zugeteilt, dazu trat dann die Reiterei der Bundesgenossen. Seit Marius kamen auch andre Stände, selbst Ausländer, in diese Reiterei, deren Ansehen damit sank. Unter den Kaisern bestand die Reiterei größtenteils aus Ausländern.
Sie war mit Spieß und Schwert bewaffnet; als Schutzwaffen dienten ein Schild, eiserner Helm, Brustharnisch und Beinschienen. Auch hier deckte die Reiterei gewöhnlich die Flügel des schwerbewaffneten Fußvolkes, die römische den einen, die der Bundesgenossen den andern Flügel. Bei den Germanen nahm die Reiterei noch schnelle Fußgänger unter sich auf und war, wie die römische, abgerichtet, von den Pferden zu springen und zu Fuß zu kämpfen; daher war ihre Bewaffnung von jener des Fußvolkes nicht sehr verschieden.
Als die Avaren und Hunnen mit ihren ungeheuern Reiterscharen in Deutschland einbrachen, zwangen ihre Fortschritte die Deutschen, ihren Feinden gleiche Waffen entgegenzustellen. Damals erwachte in Deutschland die Liebe zum Reiterdienst. Die Kraft der Heere lag bald in der Reiterei, indem nur der schwer gepanzerte Edle zur Geltung kam. Nur die Edlen kämpften in ihr, der Reiterdienst an sich wurde eine Auszeichnung; die Reiter wurden Ritter genannt, und es bildete sich hieraus das Ritterwesen (s. d.). Eine Reiterei, die unabhängig war von der feudalen Ritterschaft, entstand zuerst in Frankreich in den Ordonnanzkompanien (s. d.), in denen schwere und leichte Reiterei gemischt war.
Schießpulver (Fabrikat

* 16
Schießpulver.Infolge der Erfindung des Schießpulver [* 16] verloren die ältern Streit- und Schutzwaffen nach und nach ihre Brauchbarkeit. Die deutsche Reiterei bildeten zu den Zeiten Karls V. Reiterstandarten, deren jede 60 schwere Lanzen, 120 Kyrisser (s. Kürassiere) und 60 Arkebusiere zählte. Unter Maximilian mußten die deutschen Reiter noch von Adel sein und führten teils noch die Lanze, teils Degen und Pistolen; [* 17] ein jeder hatte einen halb geharnischten und mit einem langen Feuerrohr bewaffneten Knecht bei sich, und diese Knechte bildeten die leichte Reiterei. Später bildete man aus den Knechten besondere Kompanien, so daß eine Kompanie Kürassiere 100, jene der Arkebusiere oder Karabiniere 50-60 Pferde stark war.
Rüstung

* 19
Rüstung.Das Aufkommen der Dragoner (s. d.) verdrängte die Lanze ganz, die Lanzen- oder Speerreiter wurden in Kürassiere umgewandelt. Sie führten nun Degen und Pistole, die Karabiniere oder Arkebusiere dagegen die größern Handfeuerwaffen. [* 18] Ein Reiterregiment zählte damals 1000, eine Fahne 250 Pferde. Der Dreißigjährige Krieg bezeichnet eine neue Periode in der Entwickelung der Reiterei Gustav Adolf vereinfachte die Manöver der Reiterei, machte ihre Rüstung [* 19] leichter und wies sie vorzugsweise auf den Gebrauch der blanken Waffe an. In Deutschland bestand damals ein Regiment aus 8 Eskadrons, jede zu 66-72 Pferden. In Preußen [* 20] betrug die Reiterei unter dem Kurfürsten Georg Wilhelm nicht über 1000 Pferde, der Große Kurfürst vermehrte sie auf 32 Eskadrons Kürassiere und 8 Eskadrons Dragoner.
Beim Tod Friedrich Wilhelms I. zählte die Reiterei schon 60 Eskadrons Kürassiere, 45 Eskadrons Dragoner und 9 Eskadrons Husaren, die Eskadron 50-60 Reiter. Friedrich II. vermehrte die Husaren, stellte der Reiterei wieder ihre wahre Gefechtsaufgabe, das rücksichtslose Reiten u. Einhauen mit der blanken Waffe, und sicherte ihr, von Führern wie Zieten und Seydlitz unterstützt, im Siebenjährigen Krieg die allbekannte Überlegenheit. Sein Grundsatz, daß Reiterei sich nie darf stehenden Fußes attackieren lassen, sondern jedem Angreifer entgegenzugehen hat, ist noch heute die Grundlage für die Taktik der Waffe.
Oesterreich ob der Enn

* 23
Österreich.Deutschland hat Kürassiere, Dragoner, Husaren, Ulanen, Reiter (Sachsen) [* 21] und Chevau-legers (Bayern), [* 22] zusammen 93 Regimenter;
Österreich [* 23] Dragoner, Husaren, Ulanen, zusammen 41 Regimenter, sämtlich mit Säbel und Karabiner bewaffnet;
England Kürassiere, Dragoner, Ulanen, Husaren, zusammen 31 Regimenter;
Frankreich Kürassiere, Dragoner, Chasseurs, Husaren, Chasseurs d'Afrique (4), Spahis (3), zusammen 77 Regimenter;
Rußland nur bei der Garde Kürassiere, Dragoner, Ulanen, Husaren, bei den Kavalleriedivisionen nur Dragoner und Kosaken, zusammen 77 Regimenter, sämtlich (mit geringen Ausnahmen) mit Säbel und Dragonergewehr bewaffnet;
vgl. den Abschnitt »Heerwesen« bei den einzelnen Staaten.
Vgl. Jähns, Roß und Reiter (Leipz. 1872, 2 Bde.);
Denison, History of cavalry (Lond. 1877; deutsch von Brix, Berl. 1879);
v. Haber, Die Kavallerie des Deutschen Reichs.
Ihre Entstehung etc. (Hannov. 1877; ein zweites Werk Rathenow [* 24] 1886);
Derselbe, Geschichte der Kavallerie des Deutschen Reichs (Berl. 1881);
v. Schmidt, Instruktionen der Reiterei (2. Aufl., das. 1886);
Kühler, Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer innern Entwickelung (das. 1879);
v. Mühlwerth-Gärtner, Die österreichische Kavallerie in Feldzügen des 18. Jahrhunderts und der neuesten Zeit (Wien [* 25] 1881);
v. Suttner, Reiterstudien zur Geschichte der Ausrüstung etc. (das. 1880).