Reisen
werden zu verschiedenen Zwecken unternommen, hauptsächlich zu solchen des Erwerbs, der Entdeckung und Erforschung, der Belehrung, des Vergnügens, der Heilung oder Besserung Kranker, sowie aus religiösem Eifer. Die Entwicklung des Reisens hängt mit den Kulturstufen der Völker eng zusammen; es ist erst allmählich zu großer Bedeutung gelangt, der Beginn anderer als nur kaufmännischer Reisen bezeichnet stets einen vorgerückten Civilisationsgrad. Waren bis vor kurzem Reisen für manche Zwecke so gut wie unbekannt, so ist jetzt die größte Entwicklung aller genannten Reisearten eingetreten, wobei die Wallfahrten, namentlich in christl. und mohammed. Ländern, als religiöse Reisen zu bezeichnen sind.
Hauptursachen dieser Blüte sind die großartige Ausbildung der Verkehrsmittel, zunehmende persönliche Sicherheit und besonders wachsende Wertschätzung der Reisen. Der Verkehr der Völker bahnt kosmopolit. Ideen den Weg, stärkt das Band der Zusammengehörigkeit aller Nationen; durch die heutige ununterbrochene Berührung mit allen Zonen der Erde wird unser Ideenkreis erweitert. Indem das Reisen die Nationen miteinander bekannt macht, mindert es den Nationalhaß, der die Völker sich gegenseitig Hindernisse bereiten läßt; daher rühmt Ad. Smith das Reisen als ein Förderungsmittel der Volkswohlfahrt. Die kaufmännischen Reisen teilen als wichtiges Arbeitsmittel des Welthandels dessen hervorragende Bedeutung für die Vervollkommnung des wirtschaftlichen Lebens; durch die allgemeine Zunahme auch kleinerer kaufmännischer Reisen ist manche kaufmännische Betriebsweise wesentlich umgestaltet,
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so sind seitdem die großen Messen im Niedergange. Die Wertschätzung der Reisen für Herstellung der Gesundheit ist in raschestem Wachstum begriffen.
Entdeckungsreisen, d. h. Reisen, die in der Absicht unternommen werden, um noch unbekannte Länder aufzufinden und ungenügend bekannte genauer kennen zu lernen, sind oft zu gleicher Zeit kaufmännische und wissenschaftliche Reisen. Im frühesten Altertum konnten der Natur der Sache nach wissenschaftliche Reisen nicht wohl vorkommen, während zu Entdeckungsfahrten im Interesse des Handels, z. B. bei den Phöniziern, Karthagern und Griechen, vielfach Veranlassung vorlag.
Bekannte Beispiele sind die Seereisen des Hanno, des Pytheas von Massilia und Nearchs sowie die Landreisen eines röm. Ritters von Italien nach der Bernsteinküste, der Agenten des Macedoniers Maës Titianos durch Hochasien nach China. Wissenschaftliche Reisen kann man die vieler griech. Philosophen, Geschichtschreiber u. a. nennen, weil zur Erweiterung des Gesichtskreises und der Kenntnisse unternommen. Als Frucht einer solchen Reise ist ein großer Teil der Geschichtsbücher des Herodot zu betrachten.
Aristoteles benutzte die Feldzüge seines großen Schülers Alexander, um im fernen Osten Erkundigungen einziehen und Beobachtungen sammeln zu lassen. Ganz ähnlich blieben die Verhältnisse unter den Römern. Man reiste, um sich zu bilden und zu belehren, nicht mit dem Zwecke, ein Land wissenschaftlich zu erforschen und die Resultate dieser Forschung seinen Zeitgenossen in einer Beschreibung mitzuteilen. Eine eigentliche Reisebeschreibung für Landreisen findet sich auch unter den noch erhaltenen Litteraturwerken der Römer nicht. Die noch vorhandenen Itinerarien (s. Itinerarium) können nicht dazu gerechnet werden. Für Seefahrer bestimmt war der um Christi Geburt geschriebene «Stadiasmos», eine Rundfahrt um das Mittelländische Meer.
Die Abgeschlossenheit des Mittelalters ließ nur wenig Reisewerke hervortreten. Dahin gehören die zur Zeit des Königs Alfred unternommenen Expeditionen Othars und Wulfstans und die Berichte über die Unternehmungen der Skandinavier nach den Färöer, Island, Grönland und Vinland (Neuschottland). Diese Entdeckungen haben die Erdkunde nur um die Kenntnis Islands und Grönlands bereichert, während die Kunde jener Fahrten nach der Neuen Welt das altnord. Sprachgebiet nicht überschritt.
Dagegen hat die arab. und jüd. Litteratur des Mittelalters eine nicht unbedeutende Reiselitteratur aufzuweisen. Die jährlichen Pilgerfahrten führten Mohammedaner von allen Weltgegenden zusammen. Mohammed. Fürsten rüsteten selbst Expeditionen zur Lösung naturhistor. Fragen aus, so Harun Al-Raschid nach Jemen zur Erforschung des Ursprungs und der Natur des grauen Ambra. Die Reisewerke der Araber Massudi, Ibn Foslan, Ibn Batuta und Leo Africanus sind wichtige Quellen für die Kunde der mittelalterlichen Verhältnisse zum Teil selbst noch gegenwärtig schwer zugänglicher Länder.
Von Bedeutung für die Kenntnis Ostasiens sind die Reisen buddhistischer Priester, wie z. B. des Fahien und besonders des Hiwen-tsang. Die erste Kenntnis Mittelasiens verschafften uns die Sendungen kirchlicher Botschafter an die Nachfolger Dschingis-Chans; 1240 erreichte die erste päpstl. Gesandtschaft unter Piano di Carpine die Residenz des mongol. Herrschers. Die Handelsbegünstigungen seitens der Mongolen riefen im 14. Jahrh. einen geordneten Überlandverkehr bis nach Peking ins Leben, über dessen Weg Balducci Pegoletti, Handelsreisender eines Florentiner Hauses, berichtet (1376). Dem Handelsgeiste der Venetianer verdanken wir vor allem die Reisen Marco Polos, während die Reisen der Gebrüder Zeno wie die des Mandeville auf Erfindungen beruhen. Das spätere christl. Mittelalter hat eine Anzahl Berichte über das besonders seit den Kreuzzügen von Pilgern häufig besuchte Heilige Land aufzuweisen (vgl. Tobler, Bibliographia geographica Palaestinensis, Lpz. 1867; Röhricht und Meißner, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Berl. 1880; Röhricht, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Gotha 1889).
Am Ausgange des Mittelalters trifft man die Periode der größten Entdeckungsreisen, das «Zeitalter der Entdeckungen», eines Columbus und Vasco da Gama. Die Seereisen bekommen erst Bedeutung nach der Erfindung des Kompasses, der den Beginn der atlantischen Reiseepoche bezeichnet. Zuerst ermutigte Prinz Heinrich der Seefahrer seine Kapitäne westwärts und südwärts in das unbekannte Weltmeer hineinzufahren. Vasco da Gama und Columbus wurden auf diesen Fahrten herangebildet.
Alle diese Reisen wurden zum Ländererwerb und zur Ausbreitung des Christentums unternommen. Nachdem von Columbus, Cortez, Pizzaro Neu-Spanien, durch Magalhães’ erste Weltreise (1519-22) die Philippinen entdeckt und in span. Gewalt gebracht waren und Spanier und Portugiesen sich durch die Bulle Alexanders VI., die die Demarkationslinie bestimmte, sich in die bekannten Länder und besonders in die Gewürzinseln geteilt hatten, blieb den im 16. Jahrh. noch zu schwachen Engländern und Holländern nur der Versuch, um den Norden Europas oder Amerikas nach Kathai (China) und den Gewürzinseln zu suchen.
Sebastian Cabot machte im engl. Auftrage zuerst den Versuch, die nordwestl. Durchfahrt zu finden; er drang um 1497 bis zum 67.° nördl. Br. vor. Unter seiner Leitung begannen die Engländer 1553 auch die nordöstl. Durchfahrt zu suchen, wobei Richard Chancellor die Dwinamündung erreichte und die ersten Seehandelsverbindungen mit dem nördl. Rußland anknüpfte. Der erste, der es wagte, die span. Weltmacht in den Kolonien anzugreifen, war der kühne Seefahrer Francis Drake, der nach mehrern Beutezügen nach Westindien und Brasilien 1577-80 einen erfolgreichen Kaperzug um die Erde machte.
Ihm folgte als dritter Erdumsegler Cavendish (1586-88). Die vierte Weltreise wurde von dem Holländer Oliver van Noort 1598-1601 ausgeführt. 1576 beginnen die Nordwestfahrten Frobishers, 1585 die von John Davis, während 1580 Pet und Jackman ins Karische Meer vordringen. Im Anfang des 17. Jahrh. besuchten schon viele engl. und holländ. Handelsgeschwader die Philippinen und andere span. Besitzungen, wo sie teilweise unter harten Kämpfen Handel trieben und Beute machten; erwähnenswert sind die Seefahrer Jacques Mehn, Cornelius Houtman, van Neck, van Warwick aus Holland und die Engländer Lancaster und Michelbourne. Hudson begann 1610 die Reise in die nach ihm benannte Bucht; Baffin segelte 1615 in die nach ihm benannte Bai. Am wurde zum erstenmale das Kap Hoorn umsegelt, vom Holländer Schouten. Den Reisen zur nordwestl. Durchfahrt schließen sich die Nordpolexpeditionen (s. d.) an, der Erschließung der Südsee die Reisen nach den Südpolarländern (s. d.).
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Nach Umfahrung des Ostkaps drang Deschnew durch die Beringstraße 1648 bis zum Anadyr vor und bewies so die Trennung der Alten von der Neuen Welt. Bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrh. waren merkantile Zwecke für die Richtung der großen Entdeckungsreisen bestimmend; das Vorkommen der Edelmetalle begrenzte das Feld der span. Entdeckungen, die Gewürzinseln waren das fast ausschließliche Ziel der Portugiesen, das Vordringen der Russen folgte der Verbreitung der Pelztiere, die Engländer suchten eine Abkürzung der Seewege. An den Thaten jenes Zeitalters der Entdeckungen haben sich fast alle abendländ. Kulturvölker beteiligt. Auf Portugiesen und Spanier folgten Engländer, Niederländer und Franzosen, später auch Russen. Die Deutschen traten noch lange nur als Begleiter anderer Reisenden auf; so begleitete M. Behaim den Diogo Cão nach Angola, wir finden Steller bei Bering, die Forster bei Cook, Chamisso bei Kotzebue. -
Vgl. Peschel, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (2. Aufl., Stuttg. 1877);
ders., Geschichte der Erdkunde (2. Aufl., Münch. 1877);
Vivien de Saint-Martin, Histoire de la géographie (Par. 1874);
Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (Berl. 1881).
Die wissenschaftlichen Forschungsreisen nach größern Fernen und entlegenern Räumen der Erde, teils zur Lösung bestimmter wissenschaftlicher Aufgaben (astron. Ortsbestimmungen, Bestimmungen des Sekundenpendels, Gradmessungen, Chronometerreisen u. s. w.), teils zur planmäßigen Erkundung der geogr., naturgeschichtlichen und ethnogr. Verhältniße bestimmter Gebiete beginnen allmählich um die Mitte des 17. Jahrh., sind aber erst in neuerer Zeit zu rascher und großartiger Entwicklung gelangt. Die meisten frühern Reisen dieser Art verdankt man den Franzosen und Engländern, doch sind daneben auch die Russen zu nennen. Die meisten Reisen erfolgten auf Anregung und Kosten des Staates oder in Frankreich seit Ludwigs XIV. Zeit «auf Befehl des Königs».
Die erste wissenschaftliche Reise, welche ein deutscher Fürst ausführen ließ, war die bayr. Expedition nach Brasilien, von Spix und Martius. Andere deutsche Reisende waren Gmelin, Steller, I. Reisen und G. Förster und C. Niebuhr; der hervorragendste ist Alexander von Humboldt (s. d.). Die meisten wissenschaftlichen Forschungsreisen des 19. Jahrh. sind von Deutschen ausgeführt. Von ganz außerordentlicher Bedeutung sind einzelne Reisen der Nordamerikaner; in wahrhaft großartiger Weise läßt die Unionsregierung das Innere ihres Kontinents erforschen. Ebenso arbeiten mit großem Eifer und Erfolg die Russen an der Erforschung Innerasiens und Sibiriens, die Engländer an der Indiens und Innerasiens, die Australier an der ihres Erdteils. Der größte schwed. Reisende ist Nordenskiöld, der zuerst Nordasien umschiffte. In neuester Zeit widmen sich Dänen eifrig der Erforschung Grönlands.
Die Hauptziele der wissenschaftlichen Reisen waren im 19. Jahrh. Südamerika, Hochasien, Innerafrika, Inneraustralien, die Polarregionen und die Meere. (S. die Entdeckungsgeschichte bei den einzelnen Erdteilen sowie Nordpolexpeditionen und Oceanographie.) Sehr bedeutend war dabei die Einwirkung von speciell zu diesem Zwecke gegründeten Gesellschaften (z. B. die Afrikanischen Gesellschaften, s. d.) sowie viele Geographische Gesellschaften (s. d.), die zum Teil, wie die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin in der Karl-Ritter-Stiftung, besondere Kapitalien für Forschungsreisen bereit halten. Außer geogr. und naturwissenschaftlichen Verhältnissen werden von Architekten die Bauwerke, von Fachleuten der Maschinentechnik die Industrien verschiedener darin eigenartiger Gebiete besichtigt, wodurch ein Austausch künstlerischer und technischer Ideen verschiedener Länder vermittelt wird.
Reisen aus religiösem Eifer findet man bei den meisten Völkern. Sie werden meist unternommen, um eine heilige Stätte aufzusuchen (Wallfahrten), an der die Gläubigen Erbauung oder durch die dort thätige Wunderkraft Vergebung ihrer Sünden und Heilung von Krankheit suchen; kriegerische Wallfahrten waren die zur Befreiung des Heiligen Grabes unternommenen Kreuzzüge. Die größte Ausdehnung solcher Reisen findet bei den Mohammedanern statt (Pilgerkarawanen nach Mekka und Medina). Andere religiöse Reisen sind die der Missionare. Diese werden gegenwärtig von England, Frankreich und Deutschland gepflegt; deutsche Missionare werden besonders aus Basel, Barmen, Berlin und Hermannsburg (in Hannover) ausgesendet. Oft sind die Missionare zugleich wissenschaftliche Reisende (Père David in China, Livingstone und Pater Schynse in Afrika).
Reisen zum Zwecke des Vergnügens, des Genusses fremder Naturschönheiten haben sich erst später verbreitet. Schlechte Wege und Verkehrsmittel, ungenügende Verpflegungsvorrichtungen, hohe Zeiterfordernis sowie häufig Mangel persönlicher Sicherheit vereinigten sich, um lange das Reisen als eine Arbeit, nicht aber als Vergnügen erscheinen zu lassen. Als nach der Reformation die Pilgerreisen der Fürsten mehr abkamen, fingen die Vornehmen an, die wichtigen Staaten und Städte in Europa zu besuchen.
Diese Lustreisen des 16. und 17. Jahrh. bewegten sich auf den belebtesten Landstraßen zwischen den großen Städten; aber da das Reisen teuer war, so konnten sich nur die materiell bevorzugten Stände diesen Luxus gestatten. Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande und seltener England mit ihren Fürstenhöfen und Weltstädten bildeten das Ziel. Man reiste zu Wagen, zu Pferde oder zu Schiff, aber nie zu Fuß. Lord Bacon empfiehlt in seinen kleinern Schriften (übersetzt von J. ^[Vorname im Internet nicht eruierbar, steht auch nicht auf Titelseite] Fürstenhagen, Lpz. 1884) als sehens- und beachtenswert: Fürstenhöfe, Gerichtshöfe, Kirchen und Klöster, Wälle und Befestigungen, Häfen, Flotten, Altertümer, Hochschulen, Disputationen, öffentliche Gebäude, Waffensammlungen, Schauspiele, Schatzkammern u. s. w. Naturgenuß wird nicht dabei erwähnt. Die Begleiter der Fürsten und Edeln führten Tagebücher, die vielfach unter dem Titel «Mentor» und «Fidus Achates» veröffentlicht wurden. Diese Litteratur bediente sich eines schwülstigen, blumenreichen Stils und wagte in den ärgsten Übertreibungen die Reisen eines jungen Fürsten von Deutschland nach Frankreich und Norditalien mit den Irrfahrten des Odysseus oder mit den fabelhaften Thaten des Hercules zu vergleichen. -
Vgl. Rathgeb und Schickhardt, Beschreibung der Badenfahrt, welche Herzog Friedrich zu Württemberg 1592 nach England verrichtet hat (Tüb. 1602);
Sagittarius, Ulysses saxonicus (Bresl. 1621);
S. von Bircken, Brandenb. Ulysses (Bayreuth 1609);
Ferdinand Albrechts wunderliche Begebenheiten (Bevern 1678) u. a.
Der Sinn für Gebirgsreisen hat sich für weitere Kreise erst nach der Mitte des 18. Jahrh.
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entwickelt, als die Gegenden sicherer, die Straßen besser und die großartigsten Scenerien zugänglich gemacht waren. Doch sind einzelne Männer auch schon früher, einem wissenschaftlichen Dränge folgend, ins Hochgebirge eingedrungen. Es waren namentlich Botaniker. Joachim von Watt oder Vadianus (1484-1551) bestieg 1518 den Pilatus bei Luzern. Ägidius Tschudi (1505-72) bereiste 1523 einen großen Teil der Schweiz und überstieg dabei zahlreiche Pässe.
Konrad Gesner (1516-65), der erste Botaniker seiner Zeit, war ein begeisterter Alpenfreund. Die Gebirgswanderungen sollten «nicht allein seine Kenntnis der alpinen Pflanzenwelt erweitern, sondern auch seinen Körper stärken und seinem Geiste die edelste Erholung gestatten». Mit Gesner besuchte Johann Bauhin (1541-1613) die Alpen und botanisierte auch im Jura und Schwarzwald. Im 16. Jahrh. werden auch die ersten Reisen in deutsche Mittelgebirge erwähnt. Joh. Thalius, Arzt in Nordhausen (gest. 1587), botanisierte auf dem Thüringer Walde; 1591 besuchte Herzog Heinrich Julius von Braunschweig den Brocken.
Sonst wissen die Humanisten des 16. Jahrh., wenn sie auf ihren Reisen genötigt sind, Gebirge zu übersteigen, nur die Schrecknisse derselben in übertriebener Weise zu schildern. 1615 bestieg der Student David Fröhlich zuerst mit zwei Kommilitonen die Hohe Tatra. David Pareus (1548-1622) wird als der erste genannt, der die Riesenkoppe erreichte, wo 1667-81 die noch bestehende Laurentiuskapelle erbaut wurde. In der Schweiz wurden mit Beginn des 18. Jahrh. die Reisen häufiger. J. J. ^[Johann Jakob] Scheuchzer (1672-1733) bereiste seit 1702 fast jährlich, zuerst mit mathem. und physik.
Instrumenten versehen, die Alpen, blieb aber auf den gut gebahnten Wegen und drang nicht in das einsame Hochgebirge ein. Jede Reise wurde beschrieben («Itinera per Helvetiae alpinas regiones», Lond. 1708; 4 Bde., Leid. 1723). J. ^[Johannes] Geßner (1709-90) setzte diese Reisen mit jungen Leuten fort, um die Jugend «in der Frische des Naturlebens zu ursprünglicher Selbständigkeit anzuregen». Auf seinen Wanderungen kam er auch auf den damals noch ziemlich unbekannten Rigi.
Von noch größerm Einfluß war Albr. von Haller (s. d.),
der von 1728 bis 1736 25 alpine Wanderungen ausführte und in seinem bekannten Gedicht «Die Alpen» zuerst eine ästhetische Würdigung der Hochgebirge versucht. Dadurch angeregt, begann, wenn auch anfangs durch den Mangel an jeder Bequemlichkeit des Reisens gehemmt, der Touristenzug in die Alpen und zwar zunächst in die Schweiz. William Windham und Pierre Martel machten 1741 und 1742 die frühesten Touristenreisen zu den Gletschern von Chamonix und Chr. Jetzler (1734-91) bestieg zuerst zu wissenschaftlichen Zwecken vergletscherte Gipfel.
Doch wurden erst durch Saussures (s. d.) und Bourrits Schriften die Alpen populärer gemacht. Noch nachhaltiger wirkten das Beispiel und die Schriften J. J. ^[Jean Jacques] Rousseaus. Schon in seinem 16. Jahre wanderte er zu Fuß durch die Savoyer Alpen. Seinen Empfindungen über den Genuß einer Alpenreise zu Fuß gab er wiederholt den lebhaftesten Ausdruck. Seine Worte: «Ich bin erstaunt, daß die Bäder in heilsamer und wohlthuender Gebirgsluft nicht unter die größten Heilmittel der Medizin und Moral gehören», gaben den eigentlichen Anstoß zu den Wanderungen und Sommerfrischen im Hochgebirge. Ihm folgten 1775 Goethe und die Brüder Stolberg und eröffneten den bis jetzt stetig anwachsenden Strom von Reisenden, die Erholung und Genesung in den Bergen suchen. (Vgl. auch den Abschnitt über Alpenkunde in Alpen, Bd. 1, S. 445.) Den lebhaftesten Aufschwung gewannen aber die Gebirgsreisen nach der seit 1863 erfolgten Gründung der Gebirgsvereine (s. Gebirgserschließung und Alpenvereine).
In demselben Maße wie die Verkehrsverhältnisse in den letzten Jahrzehnten besser und bequemer geworden sind, hat das Reisen zugenommen. Durch die Einführung von Extrafahrten und Vergnügungsreisen sind die Verkehrsanstalten veranlaßt worden, verschiedene Erleichterungen zur Verbilligung der Reisen eintreten zu lassen; z. B. Rückfahrt-, Rundreise-, Sommerfahrkarten u. dgl. Ebenso ist für die Bequemlichkeit der Reisenden, besonders auf langen Fahrstrecken durch Einführung von Schlaf-, Salon-, Speisewagen u. s. w. gesorgt worden.
Die Firma: Cook & Son in London hat in England für die Ausbreitung des internationalen Verkehrs in hervorragender Weise bahnbrechend gewirkt. (S. Cooks Rundreisekarten.) In Deutschland war es an erster Stelle Stangens Reisebureau (s. d.) in Berlin, das der Erleichterung des Reiseverkehrs, besonders nach dem Auslande, seine ganze Thätigkeit zugewandt hat. In beiden genannten Bureaus kann sich jetzt der Reisende alle Arten Fahrkarten für Eisenbahnen und Dampfschiffe, Hotelcoupons mit Anweisung auf Zimmer, Verpflegung, Licht und Bedienung u. dgl. für die weitgehendsten Reisen zusammenstellen lassen und sich über alle Länder der Erde informieren.
Diese Unternehmungen veranstalten auch Gesellschaftsreisen und machen das Reisen auf diese Art in kleinern oder größern Gruppen unter Führung sprachkundiger, mit den Verhältnissen der zu besuchenden Länder vertrauter Leiter dem reiselustigen Publikum zugänglich. Den ersten Versuch zu solchen Reisen machte Galignani in Paris zu Anfang des 19. Jahrh. und diesen haben sich wohl Cook, Stangen u. a. zum Muster genommen. Carl Stangen leitete 1878/79 die erste deutsche Gesellschaftsreise um die Erde persönlich und schrieb auf derselben «Eine Reise um die Erde» (Berl. 1880), das zuerst erschienene derartige Buch, das über die Verkehrsverhältnisse, Hotels u. a. auf einer großen Reise Auskunft giebt.
Auch Schülerreisen unter Leitung von Lehrern sind in neuester Zeit empfohlen (vgl. Ziller, Zur Theorie pädagogischer Reisen, im «Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik», II, und ausgeführt: Bach, Wanderungen, Turnfahrten und Schülerreisen, Lpz. 1877; s. auch Ferienkolonien); sie sind namentlich in der Schweiz und Frankreich üblich. Die größte Pariser Privatlehranstalt benutzt solche zum Erlernen fremder Sprachen, indem sie eine Gesellschaft Schüler für einige Monate nach einem fremden Lande schickt.
Ähnlichen Aufschwung haben in neuester Zeit die Reisen zu hygieinischen Zwecken genommen (Reisen nach Bädern und Sommerfrischen sowie auf der See). Gegenwärtig wird die Heilkräftigkeit größerer Seereisen sehr betont. Ebenso wird die Heilwirksamkeit der Reisen in Hochgebirgen und südl. Klimaten bereits stark benutzt. Eine Folge davon ist das rasche Aufblühen kleiner, selbst das Entstehen neuer Ortschaften in günstigen Lagen. Neuerdings entstand auf Anregung des Schiffslieutenants Biard die Société française des voyages autour du monde unter Leitung Levasseurs, die periodische Unterrichtsreisen um die Welt hervorrufen will; die Reisezeit beträgt ein Jahr, die
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Teilnahme kostet 14-23000 Frs.; während der Reisen wird auch theoretischer Unterricht erteilt. Eine handelsgeogr. Gesellschaftsreise um Afrika (zur Erweiterung kommerzieller Kenntnisse und Anknüpfung von Verbindungen) regte die Società d’esplorazione commerciale in Africa (in Mailand) an, eine andere derartige Reise der Berliner Centralverein für Handelsgeographie.
Die Reisen haben eine bedeutende Reiselitteratur ins Leben gerufen. Den Hauptteil bildet die Reisebeschreibung. Je nach dem Zwecke des Reisenden wird auch die Beschreibung seiner Reise einen verschiedenen Charakter tragen. Deutsche, Engländer, Franzosen, Nordamerikaner, Italiener, Holländer, Schweden und Russen sind in der wissenschaftlichen Reiselitteratur besonders vertreten. Die Menge der Reisewerke rief schon im 16. Jahrh. Sammlungen derselben, wie von Grynäus (1532). Ramusio (1550 fg.), de Bry und Merian (1590-1634), Hakluyt (1598 fg.) hervor.
Ihnen folgten Purchas, «Hakluytus posthumus or Purchas his pilgrimes» (5 Bde., Lond. 1625-26),
Thevenot (1664 fg.),
«Histoire générale des voyages» (20 Bde., Par. 1746-89),
«Allgemeine Historie der Reisen» (21 Bde., Amsterd. 1747-74) u. s. w. Bei der großen Wichtigkeit der Reisebeschreibungen als Materialiensammlungen für Geographie, Ethnographie, Naturgeschichte u. s. w. war man von jeher bemüht, ausländische Werke dieser Gattung zu übersetzen oder in Auszügen zugänglich zu machen. Unter den neuern Sammlungen solcher Übersetzungen und Bearbeitungen sind hervorzuheben: «Sammlung der besten und neuesten Reisebeschreibungen» (35 Bde., Berl. 1763-1802),
«Bibliothek der neuesten Reisebeschreibungen» (10 Bde., ebd. 1780-90);
«Neue Geschichte der See- und Landreisen» (von Forster u. a., 19 Bde., Hamb. 1789-1808);
«Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen» (39 Bde., Berl. 1790-1839) sowie vor allen Sprengel und Ehrmann, «Bibliothek der neuesten Reisebeschreibungen» (50 Bde., Weim. 1800-14),
an welche sich Bertuchs «Neue Bibliothek der wichtigsten Reisebeschreibungen» (65 Bde., ebd. 1814-35) anschließt;
ferner die «Reisen und Länderbeschreibungen», hg. von Widemann und Hauff (44 Bde., Stuttg. 1835-60);
«Bibliothek geographischer Reisen und Entdeckungen» (Bd. 1-15, Jena 1868-92).
In England giebt die Hakluyt Society ältere Reisewerke heraus. Fast alle geogr. Zeitschriften enthalten Reisebeschreibungen. Als Anleitungen und Ratschläge für wissenschaftliche Reisen sind erschienen: Sir John Herschel, «The Admiralty Manual of scientific enquiry» (1849; neu bearbeitet von Reisen Main);
«Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen» (2. Aufl., 2 Bde., Berl. 1888; in Verbindung mit mehrern Gelehrten hg. von Neumayer);
«Hints to travellers», hg. im Auftrage der königl. Geographischen Gesellschaft zu London (5. Aufl., Lond. 1885);
Kaltbrunner, «Manuel du voyageur» (neue Aufl., Par. 1887),
Kirchhoff, «Anleitung zur deutschen Landes- und Volksforschung» (Stuttg. 1889) u. a. m. Anleitung zum Reisen in unkultivierten Ländern giebt Galtons «Art of travel» (Lond. 1854; 3. Aufl. 1860),
sowie Semler, «Das Reisen nach und in Nordamerika, den Tropenländern und der Wildnis» (Wism. 1884);
von Richthofen, «Führer für Forschungsreisende» (Berl. 1886). - Die königl. Geographische Gesellschaft zu London veranstaltet Lehrkurse zur Ausbildung angehender Reisender.
Neben der wissenschaftlichen Reiselitteratur hat sich eine andere für weitere Leserkreise entwickelt, die besonders seit der großen Erleichterung des Verkehrs in neuerer Zeit außerordentlich angewachsen ist. Es sind dies die Berichte von Reisen, die Gebildete zu eigener Belehrung nach Ländern der civilisierten Welt unternahmen, die durch ihre landschaftlichen Schönheiten, durch ihre Geschichte und Kunst oder durch die hohe Stufe ihrer gegenwärtigen polit. und socialen Entwicklung hervorragen. Auch in dieser Gattung hat die deutsche Litteratur viel Vortreffliches aufzuweisen, wie die Reisewerke von Kohl, Mügge, Löher, Fallmerayer, Tschudi, Hübner, Willkomm, Möllhausen, Gregorovius u. s. w.
Allmählich hat sich neben andern Hilfsmitteln für Reisezwecke auch eine eigene Litteratur der Reisebücher entwickelt, die einesteils eine Vorbereitung zur Reise ermöglichen, andernteils während der Reise gewünschte Auskunft darbieten. Diese Bücher betreffen teils ganze Länder oder anziehende Gebiete, wie z. B. Riesengebirge, Harz, Thüringen, Rheinland, Vogesen, Schwarzwald u. s. w., teils nur einzelne Bezirke oder Städte, in welchem Falle man sie als «Führer» zu bezeichnen pflegt. Da die Schweiz eins der ersten Länder war, das die Reisenden in Menge anzog, so erschien hier eins der ersten Reisehandbücher: «Handbuch für Reisende durch die Schweiz» (2 Tle,, Bern 1777) und später «Anleitung, auf die nützlichste und genußvollste Art in der Schweitz zu reisen» (2 Tle., Zür. 1793);
von Ebel, «Anleitung, die Schweiz zu bereisen» (4 Bde., ebd. 1793 u. ö.; französische Ausg., 3. Aufl. 1818; im Auszuge deutsch, 8. Aufl. 1843),
dem zahlreiche andere folgten.
Reichards «Guide des voyageurs en Europe» (Weim. 1793 u. ö.) und sein «Passagier auf der Reise in Deutschland, in der Schweiz, zu Paris und Petersburg» (Weim. 1801; 19. Aufl., Berl. 1861) haben über ein halbes Jahrhundert ihr Ansehen behauptet. Noch früher erschien von einem akademischen Freunde Goethes in Leipzig das Buch «Die vornehmsten europäischen Reisen, wie solche durch Deutschland, die Schweiz, die Niederlande, England, Frankreich, Italien, Dänemark, Schweden, Hungarn, Polen, Preußen und Rußland auf eine nützliche und bequeme Weise anzustellen sind, mit Anweisung der gewöhnlichsten Post- und Reiserouten, der merkwürdigsten Örter, deren Sehenswürdigkeiten, beste Logis, gangbarsten Münzsorten, Reisekosten u. s. w.» von Gottlob Friedrich Krebel (Hamb. 1767; 15. Aufl. 1796). Besonders instruktiv sind die zahlreichen engl. «Handbooks for travellers» von Murray, und in Deutschland die Reisehandbücher von Baedeker und Meyer. Nennenswert sind auch die Reisehandbücher von Jahn (neu bearbeitet von Gräf), Grieben, Berlepsch, Förster (über Italien),
Gsell Fels (Italien), Tschudi (Schweiz), Amthor (Tirol), M. Busch (für den Orient), Carl Stangen (Palästina und Syrien). Wörl in Würzburg giebt eine Serie von «Reisehandbüchern» heraus; für Kranke ist berechnet: Reimer, «Winterkurorte» (Berl. 1869; 2. Aufl. 1873). Zu erwähnen sind auch die reich illustrierten «Europ. Wanderbilder» (Zürich). Über England hat Black die meisten «Guidebooks» geliefert; die besten Führer durch franz. Gegenden schrieb Joanne. Angaben über Post- und Dampfschiffahrtskurse u. dgl. liefert das Kursbuch (s. d.). Zur Reiselitteratur gehören auch die Schriften über die allgemeine Reisepraxis, die Kunst, nützlich und bequem zu reisen, oder, wie man sie auch genannt hat,
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die Apodemik. Reiseanweisungen wurden wohl am frühesten mit besonderer Rücksicht auf die Wallfahrten nach dem Heiligen Lande entworfen und zuerst handschriftlich verbreitet. So z. B. von Johann Bassenheimer 1426: «Das ist die Ordnung, wie man sich halten soll über Meer und auch die heiligen Städte besuchen» (in der königl. Bibliothek zu Dresden). Auch sind sie schon im 15. Jahrh. gedruckt, allerdings, wie folgendes Beispiel zeigt, unter seltsamem Titel: «Ain hubscher Tractat wie durch Herzog Gotfrid von Pullen (Bouillon) ... das gelobte Landt ... gewonnen ist» (Augsb. 1479). Aus dem 16. Jahrh. sind zu nennen: «Gradarolus, de regimine iter agentium» (Bas. 1561);
Pictorius, «Reisbüchlein» (3. Aufl. 1565);
Zwinger, «Methodus apodemica» (ebd. 1577).
Am meisten verbreitet waren im 17. Jahrh. die Schriften Martin Zeillers: «Getreuer Reisgefert» (Ulm 1632). Dergleichen Werke sind noch bis Ende des 18. Jahrh. (z. B. «Apodemik», Lpz. 1795) erschienen. Ein vorzügliches Buch ist A. Michelis’ «Reiseschule» (4. Aufl., Lpz. 1889). Merkwürdig ist, daß sich auch eine Gegenströmung gegen das Reisen bemerklich machte. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg erließ 1700 ein Reiseverbot und P. I. ^[Paul Jacob] Marperger verlangte in seinem Schriftchen «Anmerkungen über das Reisen in frembde Länder» (Dresden und Leipzig ohne Jahr, um 1720), man müsse eine Reisesteuer einführen, um zu verhindern, daß durch die Reisen zu viel Geld ins Ausland geschleppt werde.
Neuerdings hat man in Deutschland, ebenfalls nach engl. Vorbild, auch Reisebibliotheken, d. i. Sammlungen von Schriften unterhaltenden Inhalts zur Lektüre während der Fahrt, begonnen. Mit den Reisebüchern vermehrten sich auch die Post- und Reisekarten, unter denen für Deutschland besonders die von Graf, Handtke, Liebenow zu empfehlen sind. Die Form der Reisebeschreibung ist öfter benutzt worden, um moralisch-pädagogischen, naturwissenschaftlichen oder satir.
Erzählungen als Gerüst zu dienen. Das bekannteste Beispiel ist der Defoesche «Robinson»; neuerdings erzielte Jules Verne mit seinen fingierten naturwissenschaftlichen Reisebeschreibungen große Erfolge. Periodische Druckschriften specifisch touristischen Inhalts sind die «Mitteilungen» des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, «Österr. Touristenzeitung» (Wien, Organ des Österreichischen Touristenklubs),
«Der Tourist» (Berlin, Organ des Deutschen Touristenverbandes),
«Wanderer im Riesengebirge» (Hirschberg),
«Über Berg und Thal» (Dresden),
die «Blätter des Schwäbischen Alb-Vereins» (Tübingen),
«Riesels Reise- und Verkehrsblätter» (Berlin) und «Stangens Illustrierte Reise- und Verkehrszeitung» (ebd.).