Reisen
werden zu verschiedenen Zwecken unternommen, hauptsächlich zu solchen des Erwerbs, der Entdeckung und Erforschung,
der Belehrung, des Vergnügens, der
Heilung oder Besserung
Kranker, sowie aus religiösem Eifer. Die
Entwicklung des Reisens
hängt mit den Kulturstufen der
Völker eng zusammen; es ist erst allmählich zu großer Bedeutung gelangt, der Beginn anderer
als nur kaufmännischer Reisen
bezeichnet stets einen vorgerückten Civilisationsgrad. Waren bis
vor kurzem Reisen
für manche Zwecke so gut wie unbekannt, so ist jetzt die größte
Entwicklung aller genannten Reisearten eingetreten,
wobei die
Wallfahrten, namentlich in christl. und mohammed.
Ländern, als religiöse Reisen
zu bezeichnen sind.
Reisen

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Seite 63.748.
Hauptursachen dieser
Blüte
[* 2] sind die großartige Ausbildung der Verkehrsmittel, zunehmende persönliche
Sicherheit und besonders wachsende Wertschätzung der Reisen.
Der Verkehr der
Völker bahnt kosmopolit. Ideen den Weg, stärkt
das
Band
[* 3] der Zusammengehörigkeit aller Nationen; durch die heutige ununterbrochene Berührung mit allen Zonen der Erde wird
unser Ideenkreis erweitert. Indem das Reisen
die Nationen miteinander bekannt macht, mindert es den Nationalhaß,
der die
Völker sich gegenseitig Hindernisse bereiten läßt; daher rühmt Ad.
Smith das Reisen
als ein Förderungsmittel der Volkswohlfahrt. Die kaufmännischen Reisen teilen als wichtiges
Arbeitsmittel des Welthandels dessen hervorragende Bedeutung für die Vervollkommnung des wirtschaftlichen Lebens; durch
die allgemeine Zunahme auch kleinerer kaufmännischer Reisen
ist manche kaufmännische Betriebsweise
wesentlich umgestaltet,
¶
mehr
so sind seitdem die großen Messen im Niedergange. Die Wertschätzung der Reisen
für Herstellung der Gesundheit ist in raschestem
Wachstum begriffen.
Entdeckungsreisen
, d. h. Reisen
, die in der Absicht unternommen werden, um noch unbekannte Länder aufzufinden und ungenügend
bekannte genauer kennen zu lernen, sind oft zu gleicher Zeit kaufmännische und wissenschaftliche Reisen.
Im
frühesten Altertum konnten der Natur der Sache nach wissenschaftliche Reisen
nicht wohl vorkommen, während zu Entdeckungsfahrten
im Interesse des Handels, z. B. bei den Phöniziern, Karthagern und Griechen, vielfach Veranlassung vorlag.
Bekannte Beispiele sind die Seereisen
des Hanno, des Pytheas von Massilia und Nearchs sowie die Landreisen
eines röm.
Ritters von Italien
[* 5] nach der Bernsteinküste, der Agenten des Macedoniers Maës Titianos durch Hochasien nach China.
[* 6] Wissenschaftliche
Reisen kann man die vieler griech. Philosophen, Geschichtschreiber u. a. nennen, weil zur Erweiterung des Gesichtskreises und der
Kenntnisse unternommen. Als Frucht einer solchen Reise ist ein großer Teil der Geschichtsbücher des Herodot zu
betrachten.
Romanzement - Römer

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Römer.Aristoteles benutzte die Feldzüge seines großen Schülers Alexander, um im fernen Osten Erkundigungen einziehen und Beobachtungen sammeln zu lassen. Ganz ähnlich blieben die Verhältnisse unter den Römern. Man reiste, um sich zu bilden und zu belehren, nicht mit dem Zwecke, ein Land wissenschaftlich zu erforschen und die Resultate dieser Forschung seinen Zeitgenossen in einer Beschreibung mitzuteilen. Eine eigentliche Reisebeschreibung für Landreisen findet sich auch unter den noch erhaltenen Litteraturwerken der Römer [* 7] nicht. Die noch vorhandenen Itinerarien (s. Itinerarium) können nicht dazu gerechnet werden. Für Seefahrer bestimmt war der um Christi Geburt geschriebene «Stadiasmos», eine Rundfahrt um das Mittelländische Meer.
Die Abgeschlossenheit des Mittelalters ließ nur wenig Reisewerke hervortreten. Dahin gehören die zur Zeit des Königs Alfred unternommenen Expeditionen Othars und Wulfstans und die Berichte über die Unternehmungen der Skandinavier nach den Färöer, Island, [* 8] Grönland und Vinland (Neuschottland). Diese Entdeckungen haben die Erdkunde [* 9] nur um die Kenntnis Islands und Grönlands bereichert, während die Kunde jener Fahrten nach der Neuen Welt das altnord. Sprachgebiet nicht überschritt.
Dagegen hat die arab. und jüd. Litteratur des Mittelalters eine nicht unbedeutende Reiselitteratur aufzuweisen. Die jährlichen Pilgerfahrten führten Mohammedaner von allen Weltgegenden zusammen. Mohammed. Fürsten rüsteten selbst Expeditionen zur Lösung naturhistor. Fragen aus, so Harun Al-Raschid nach Jemen zur Erforschung des Ursprungs und der Natur des grauen Ambra. Die Reisewerke der Araber Massudi, Ibn Foslan, Ibn Batuta und Leo Africanus sind wichtige Quellen für die Kunde der mittelalterlichen Verhältnisse zum Teil selbst noch gegenwärtig schwer zugänglicher Länder.
Peking

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Peking.Von Bedeutung für die Kenntnis Ostasiens sind die Reisen buddhistischer Priester, wie z. B. des Fahien und besonders des Hiwen-tsang. Die erste Kenntnis Mittelasiens verschafften uns die Sendungen kirchlicher Botschafter an die Nachfolger Dschingis-Chans; 1240 erreichte die erste päpstl. Gesandtschaft unter Piano di Carpine die Residenz des mongol. Herrschers. Die Handelsbegünstigungen seitens der Mongolen riefen im 14. Jahrh. einen geordneten Überlandverkehr bis nach Peking [* 10] ins Leben, über dessen Weg Balducci Pegoletti, Handelsreisender eines Florentiner [* 11] Hauses, berichtet (1376). Dem Handelsgeiste der Venetianer verdanken wir vor allem die Reisen Marco Polos, während die Reisen der Gebrüder Zeno wie die des Mandeville auf Erfindungen beruhen. Das spätere christl. Mittelalter hat eine Anzahl Berichte über das besonders seit den Kreuzzügen von Pilgern häufig besuchte Heilige Land aufzuweisen (vgl. Tobler, Bibliographia geographica Palaestinensis, Lpz. 1867; Röhricht und Meißner, Deutsche [* 12] Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Berl. 1880; Röhricht, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Gotha [* 13] 1889).
Am Ausgange des Mittelalters trifft man die Periode der größten Entdeckungsreisen, das «Zeitalter der Entdeckungen», eines Columbus und Vasco da Gama. Die Seereisen bekommen erst Bedeutung nach der Erfindung des Kompasses, der den Beginn der atlantischen Reiseepoche bezeichnet. Zuerst ermutigte Prinz Heinrich der Seefahrer seine Kapitäne westwärts und südwärts in das unbekannte Weltmeer hineinzufahren. Vasco da Gama und Columbus wurden auf diesen Fahrten herangebildet.
Norddeutscher Lloyd -
![Bild 62.415: Norddeutscher Lloyd - Nordenberg [unkorrigiert] Bild 62.415: Norddeutscher Lloyd - Nordenberg [unkorrigiert]](/meyers/thumb/62/62_0415.jpeg)
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Norden.Alle diese Reisen wurden zum Ländererwerb und zur Ausbreitung des Christentums unternommen. Nachdem von Columbus, Cortez, Pizzaro Neu-Spanien, durch Magalhães’ erste Weltreise (1519-22) die Philippinen entdeckt und in span. Gewalt gebracht waren und Spanier und Portugiesen sich durch die Bulle Alexanders VI., die die Demarkationslinie bestimmte, sich in die bekannten Länder und besonders in die Gewürzinseln geteilt hatten, blieb den im 16. Jahrh. noch zu schwachen Engländern und Holländern nur der Versuch, um den Norden [* 14] Europas oder Amerikas nach Kathai (China) und den Gewürzinseln zu suchen.
Sebastian Cabot machte im engl. Auftrage zuerst den Versuch, die nordwestl. Durchfahrt zu finden; er drang um 1497 bis zum 67.° nördl. Br. vor. Unter seiner Leitung begannen die Engländer 1553 auch die nordöstl. Durchfahrt zu suchen, wobei Richard Chancellor die Dwinamündung erreichte und die ersten Seehandelsverbindungen mit dem nördl. Rußland anknüpfte. Der erste, der es wagte, die span. Weltmacht in den Kolonien anzugreifen, war der kühne Seefahrer Francis Drake, der nach mehrern Beutezügen nach Westindien [* 15] und Brasilien [* 16] 1577-80 einen erfolgreichen Kaperzug um die Erde machte.
Reisen

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Seite 63.749.Ihm folgte als dritter Erdumsegler Cavendish (1586-88). Die vierte Weltreise wurde von dem Holländer Oliver van Noort 1598-1601 ausgeführt. 1576 beginnen die Nordwestfahrten Frobishers, 1585 die von John Davis, während 1580 Pet und Jackman ins Karische Meer vordringen. Im Anfang des 17. Jahrh. besuchten schon viele engl. und holländ. Handelsgeschwader die Philippinen und andere span. Besitzungen, wo sie teilweise unter harten Kämpfen Handel trieben und Beute machten; erwähnenswert sind die Seefahrer Jacques Mehn, Cornelius Houtman, van Neck, van Warwick aus Holland und die Engländer Lancaster und Michelbourne. Hudson begann 1610 die Reise in die nach ihm benannte Bucht; Baffin segelte 1615 in die nach ihm benannte Bai. Am wurde zum erstenmale das Kap Hoorn umsegelt, vom Holländer Schouten. Den Reisen zur nordwestl. Durchfahrt schließen sich die Nordpolexpeditionen (s. d.) an, der Erschließung der Südsee die Reisen nach den Südpolarländern (s. d.). ¶
mehr
Nach Umfahrung des Ostkaps drang Deschnew durch die Beringstraße 1648 bis zum Anadyr vor und bewies so die Trennung der Alten von der Neuen Welt. Bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrh. waren merkantile Zwecke für die Richtung der großen Entdeckungsreisen bestimmend; das Vorkommen der Edelmetalle begrenzte das Feld der span. Entdeckungen, die Gewürzinseln waren das fast ausschließliche Ziel der Portugiesen, das Vordringen der Russen folgte der Verbreitung der Pelztiere, die Engländer suchten eine Abkürzung der Seewege. An den Thaten jenes Zeitalters der Entdeckungen haben sich fast alle abendländ. Kulturvölker beteiligt. Auf Portugiesen und Spanier folgten Engländer, Niederländer und Franzosen, später auch Russen. Die Deutschen traten noch lange nur als Begleiter anderer Reisenden auf; so begleitete M. Behaim den Diogo Cão nach Angola, wir finden Steller bei Bering, die Forster bei Cook, Chamisso bei Kotzebue. -
Vgl. Peschel, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (2. Aufl., Stuttg. 1877);
ders., Geschichte der Erdkunde (2. Aufl., Münch. 1877);
Vivien de Saint-Martin, Histoire de la géographie (Par. 1874);
Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen (Berl. 1881).
Die wissenschaftlichen Forschungsreisen nach größern Fernen und entlegenern Räumen der Erde, teils zur Lösung bestimmter wissenschaftlicher Aufgaben (astron. Ortsbestimmungen, Bestimmungen des Sekundenpendels, Gradmessungen, Chronometerreisen u. s. w.), teils zur planmäßigen Erkundung der geogr., naturgeschichtlichen und ethnogr. Verhältniße bestimmter Gebiete beginnen allmählich um die Mitte des 17. Jahrh., sind aber erst in neuerer Zeit zu rascher und großartiger Entwicklung gelangt. Die meisten frühern Reisen dieser Art verdankt man den Franzosen und Engländern, doch sind daneben auch die Russen zu nennen. Die meisten Reisen erfolgten auf Anregung und Kosten des Staates oder in Frankreich seit Ludwigs XIV. Zeit «auf Befehl des Königs».
Die erste wissenschaftliche Reise, welche ein deutscher Fürst ausführen ließ, war die bayr. Expedition nach Brasilien, von Spix und Martius. Andere deutsche Reisende waren Gmelin, Steller, I. Reisen und G. Förster und C. Niebuhr; der hervorragendste ist Alexander von Humboldt (s. d.). Die meisten wissenschaftlichen Forschungsreisen des 19. Jahrh. sind von Deutschen ausgeführt. Von ganz außerordentlicher Bedeutung sind einzelne Reisen der Nordamerikaner; in wahrhaft großartiger Weise läßt die Unionsregierung das Innere ihres Kontinents erforschen. Ebenso arbeiten mit großem Eifer und Erfolg die Russen an der Erforschung Innerasiens und Sibiriens, die Engländer an der Indiens und Innerasiens, die Australier an der ihres Erdteils. Der größte schwed. Reisende ist Nordenskiöld, der zuerst Nordasien umschiffte. In neuester Zeit widmen sich Dänen eifrig der Erforschung Grönlands.
Süd-Amerika. Fluß- und

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Südamerika.Die Hauptziele der wissenschaftlichen Reisen waren im 19. Jahrh. Südamerika, [* 18] Hochasien, Innerafrika, Inneraustralien, die Polarregionen und die Meere. (S. die Entdeckungsgeschichte bei den einzelnen Erdteilen sowie Nordpolexpeditionen und Oceanographie.) Sehr bedeutend war dabei die Einwirkung von speciell zu diesem Zwecke gegründeten Gesellschaften (z. B. die Afrikanischen Gesellschaften, s. d.) sowie viele Geographische Gesellschaften (s. d.), die zum Teil, wie die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin [* 19] in der Karl-Ritter-Stiftung, besondere Kapitalien für Forschungsreisen bereit halten. Außer geogr. und naturwissenschaftlichen Verhältnissen werden von Architekten die Bauwerke, von Fachleuten der Maschinentechnik die Industrien verschiedener darin eigenartiger Gebiete besichtigt, wodurch ein Austausch künstlerischer und technischer Ideen verschiedener Länder vermittelt wird.
Ausdehnung (der festen

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Ausdehnung.Reisen aus religiösem Eifer findet man bei den meisten Völkern. Sie werden meist unternommen, um eine heilige Stätte aufzusuchen (Wallfahrten), an der die Gläubigen Erbauung oder durch die dort thätige Wunderkraft Vergebung ihrer Sünden und Heilung von Krankheit suchen; kriegerische Wallfahrten waren die zur Befreiung des Heiligen Grabes unternommenen Kreuzzüge. Die größte Ausdehnung [* 20] solcher Reisen findet bei den Mohammedanern statt (Pilgerkarawanen nach Mekka und Medina). Andere religiöse Reisen sind die der Missionare. Diese werden gegenwärtig von England, Frankreich und Deutschland [* 21] gepflegt; deutsche Missionare werden besonders aus Basel, [* 22] Barmen, [* 23] Berlin und Hermannsburg (in Hannover) [* 24] ausgesendet. Oft sind die Missionare zugleich wissenschaftliche Reisende (Père David in China, Livingstone und Pater Schynse in Afrika). [* 25]
Reisen zum Zwecke des Vergnügens, des Genusses fremder Naturschönheiten haben sich erst später verbreitet. Schlechte Wege und Verkehrsmittel, ungenügende Verpflegungsvorrichtungen, hohe Zeiterfordernis sowie häufig Mangel persönlicher Sicherheit vereinigten sich, um lange das Reisen als eine Arbeit, nicht aber als Vergnügen erscheinen zu lassen. Als nach der Reformation die Pilgerreisen der Fürsten mehr abkamen, fingen die Vornehmen an, die wichtigen Staaten und Städte in Europa [* 26] zu besuchen.
Niederlande

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Niederlande.Diese Lustreisen des 16. und 17. Jahrh. bewegten sich auf den belebtesten Landstraßen zwischen den großen Städten; aber da das Reisen teuer war, so konnten sich nur die materiell bevorzugten Stände diesen Luxus gestatten. Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande [* 27] und seltener England mit ihren Fürstenhöfen und Weltstädten bildeten das Ziel. Man reiste zu Wagen, zu Pferde [* 28] oder zu Schiff, [* 29] aber nie zu Fuß. Lord Bacon empfiehlt in seinen kleinern Schriften (übersetzt von J. ^[Vorname im Internet nicht eruierbar, steht auch nicht auf Titelseite] Fürstenhagen, Lpz. 1884) als sehens- und beachtenswert: Fürstenhöfe, Gerichtshöfe, Kirchen und Klöster, Wälle und Befestigungen, Häfen, Flotten, Altertümer, Hochschulen, Disputationen, öffentliche Gebäude, Waffensammlungen, Schauspiele, Schatzkammern u. s. w. Naturgenuß wird nicht dabei erwähnt. Die Begleiter der Fürsten und Edeln führten Tagebücher, die vielfach unter dem Titel «Mentor» und «Fidus Achates» veröffentlicht wurden. Diese Litteratur bediente sich eines schwülstigen, blumenreichen Stils und wagte in den ärgsten Übertreibungen die Reisen eines jungen Fürsten von Deutschland nach Frankreich und Norditalien mit den Irrfahrten des Odysseus oder mit den fabelhaften Thaten des Hercules zu vergleichen. -
Vgl. Rathgeb und Schickhardt, Beschreibung der Badenfahrt, welche Herzog Friedrich zu Württemberg [* 30] 1592 nach England verrichtet hat (Tüb. 1602);
Sagittarius, Ulysses saxonicus (Bresl. 1621);
S. von Bircken, Brandenb. Ulysses (Bayreuth [* 31] 1609);
Ferdinand Albrechts wunderliche Begebenheiten (Bevern 1678) u. a.
Der Sinn für Gebirgsreisen hat sich für weitere Kreise [* 32] erst nach der Mitte des 18. Jahrh. ¶