Reimlexikon
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s. Reim.
Reimlexikon
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Reimlexikon,
s. Reim.
der volle Gleichklang von Silben und Wörtern bei verschiedenen Anfangsbuchstaben, tritt in der modernen Poesie gewöhnlich am Ende der Verse auf und bildet so gewissermaßen den musikalischen Schlußstein des Rhythmus. Man teilt die Reime in Bezug auf die Silbenzahl in männliche oder stumpfe (einsilbige), z. B. Baum, Saum; weibliche (zweisilbige), z. B. Waffen, [* 3] schaffen; gleitende (dreisilbige, aus Daktylen bestehend), z. B. wonnige, sonnige, und klingende (viersilbige), z. B. unermessen, unvergessen, wozu noch der sogen. schwebende Reim (zweisilbig, aus Spondeen bestehend), z. B. ehrlos, wehrlos, kommt.
Eins der wesentlichen Erfordernisse gereimter Dichtung ist die Reinheit des Reims, [* 4] welche durch die möglichst vollkommene Gleichartigkeit der Vokale und Konsonanten bedingt ist. Namentlich bei den weiblichen und gleitenden Reimen müssen die Konsonanten vollkommen übereinstimmend sein (»schlafen« z. B. reimt sich nicht auf »schaffen«); der männliche Reim gestattet zwar eher eine Lizenz, doch klingt dem feinern Ohr [* 5] schon »Bad« [* 6] und »Rat« fehlerhaft. Auch die Quantität der Vokale muß überall in beiden Reimwörtern gleich sein (»Ruhm« reimt sich z. B. nicht aus »stumm«). Gleichklingende Vokale und Diphthonge sind jedoch gestattet, z. B. »Hände« und »Ende«, während »Höhlen« und »fehlen« ein fehlerhafter ist. Werden gleiche Wörter oder Silben aufeinander gereimt (z. B. Liebe und Liebe), so entsteht der sogen. identische Reim, der aber für fehlerhaft gilt. Er wird ein reicher Reim genannt, wenn ihm (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher Reim unmittelbar vorangeht oder folgt, z. B.:
Wer seine Augen stets am rechnen Orte hat,
Zum rechten Sinne stets die rechten Worte hat,
Den rechten Schlüssel zu der rechten Pforte hat... (Bodenstedt.)
Zwei aufeinander reimende Verse heißen ein Reimpaar. Wenn immer nur zwei Reimpaare miteinander verbunden werden, so nennt man diese Form (aabb) Berührung, z. B.:
So machte Braun mit stolzem Sinn
Sich auf den Weg zu fernen Bergen [* 7] hin,
Durch eine Wüste, groß und lang,
Nahm er zu Reineken den Gang. [* 8] (Reineke Fuchs.)
Eine Umschlingung (abba) entsteht, wenn ein Reimpaar von einem andern eingeschlossen wird, z. B.:
Er strahlt im Morgensonnenschein,
Er schreitet vor zum Rande,
Er sieht ins blaue Meer hinein. (A. W. v. Schlegel);
eine Kreuzung (abab), wenn zwei Reimpaare einander durchkreuzt, z. B.:
Festgemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen! Seid zur Hand! (Schiller);
eine Verschränkung (abcabc oder abcbac), wenn drei Reimpaare einander durchkreuzt, z. B.:
O wundersüßes, heilig Wesen
Der ewigen Gesänge,
Die schon in jeder trunknen Brust erwachen!
Wie leicht mag der vom herben Schmerz genesen.
Dem hold die Musen [* 9] aus den Augen lachen. (F. v. Schlegel);
eine Unterbrechung (abcb), wenn zwei reimlose Verse ein Reimpaar durchkreuzt, z. B.:
Droben auf dem schroffen Steine
Raucht in Trümmern Autafort,
Und der Burgherr steht gefesselt
Vor des Königs Zelte dort. (Uhland.)
Seltener kommen vor der Anfangsreim zu Anfang des Verses, z. B.:
Zage nicht, wenn dich der grimme Tod will schrecken,
Jage nicht das flüchtige Reh [* 10] des Weltgenusses. (Rückert); ¶
der Mittelreim in der Mitte zweier Langzeilen, z. B.:
Nun ist's dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib, | |
Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib. (Uhland); |
der Binnenreim innerhalb einer einzelnen Verszeile, z. B.:
Durch Korn und Dorn, durch Heid' und Stoppel (Bürger); |
der Kettenreim, wenn sich das Endwort eines Verses mit der Mitte des folgenden reimt, z. B.:
Wenn langsam Welle sich an Welle schließet, | |
Im breiten Bette fließet still das Leben. (F. v. Schlegel); |
das Reimecho, wenn das mit dem Ende des Verses reimende Echo erfolgt; z. B.:
Hier bin ich einsam, keiner hört die Klage? - Klage! | |
Wie lang harr' ich umsonst, daß mir es tage? - Tage. | |
Wem liegt wohl dran, mein Leben zu verschönen? - Schönen. | |
So wird das holde Glück mich endlich krönen? - Krönen. (A. W. v. Schlegel.) |
Eine komische Wirkung sucht man durch den Reim mit einem gebrochenen Wort zu erzielen, z. B.:
Wenn du ein Konversations- | |
Lexikon brauchst statt Postillions. (Rückert.) |
Über den Kehrreim s. Refrain. - Der Reim entstand in der Poesie wie von selbst aus einem fast instinktartigen Bestreben, den innern Trieb nach Begrenzung auch äußerlich und zwar zunächst für das Ohr darzustellen, wie man denn schon bei Kindern die Neigung findet, gleichklingende Wörter miteinander zu verbinden. Er findet sich bereits bei den alten Indern, vereinzelt bei Griechen und Römern und bot den romanischen Völkern im Anfang des Mittelalters gewissermaßen einen Ersatz für das immer mehr absterbende Gefühl der sprachlichen Quantität.
Die römische Geistlichkeit pflegte ihn als ein auf christlichem Boden erwachsenes Element im Gegensatz zu der reimlosen Poesie des Altertums und verschaffte ihm in allen christlichen Litteraturen Eingang. So findet er sich bei den Angelsachsen schon im 6. Jahrh., in der Edda der nordischen Germanen im 8. Jahrh. und in Deutschland [* 12] zuerst in Otfrids »Krist« (868), wo er seitdem den altheidnischen Stabreim oder die Allitteration verdrängte. Überall aber erscheint der Reim zuerst als unmittelbar gebunden (rimes plates) und als stumpfer oder männlicher, und erst mit der Ausbildung der Kunstpoesie wurden auch die weiblichen und gleitenden Reime sowie die verschiedenen Gattungen der verschränkten Reime (rimes croisées) eingeführt.
Durch die höfische Kunstlyrik, namentlich durch die der Troubadoure, und später die deutschen Meistersänger kamen neben den einreimigen Tiraden und den Reimpaaren der Volkslieder die künstlich verschlungenen, genau gebundenen Reimsysteme in die Poesie, und je mehr die Poesie selbst in Verfall kam, um so größern Wert legte man auf die gesucht schweren Reime; es entstanden die Binnen- und Mittelreime (versus leonini), die reichen Reime etc. und die Reimspiele. Zur Erleichterung des Aufsuchens von Reimen entstanden Reimlexika, Zusammenstellungen aller in einem Sprachschatz enthaltenen Reimendungen, von denen wir, von ältern Versuchen absehend, nur das »Allgemeine deutsche Reimlexikon« von Peregrinus Syntax (Ferd. Hempel, Leipz. 1826, 2 Bde.) anführen.
Vgl. Poggel, Grundzüge einer Theorie des Reims (Hamm [* 13] 1834);