Titel
Reichstag
,
im alten
Deutschen
Reiche Bezeichnung für die Versammlungen der Reichsstände (s. d.).
Alle Inhaber königl.
Ämter hatten der Ladung des
Kaisers zum Reichstag
in der Stadt, die er bestimmte, zu entsprechen. Seit
Rudolf
von Habsburg erschienen auch die
Städte regelmäßig auf dem Reichstag.
Diese hatten, nach den Reichsgrundgesetzen und dem Herkommen,
als Reichskörper mit dem
Kaiser die gemeinschaftliche Ausübung aller Hoheitsrechte, die nicht an die Landesherren übergegangen
waren und mit
Ausschluß der kaiserl.
Reservate.
Geschichtskarten von D

* 2
Deutschland.
Alle von der
Entscheidung des
Kaisers und des
Reichs abhängenden Angelegenheiten konnten nur auf dem Reichstag
verhandelt werden. Früher
erschien der
Kaiser persönlich auf den Reichstag
, in spätern
Zeiten ließ er sich durch seinen Prinzipalkommissarius, der ein Reichsfürst
war, repräsentativen Charakter und einen die
Geschäfte leitenden Konkommissarius zur Seite hatte, vertreten.
Kurmainz, als Reichserzkanzler in
Deutschland,
[* 2] war Direktor der Reichsversammlung.
Die reichsständischen Gesandten überreichten ihre Beglaubigungsschreiben sowohl dem Prinzipalkommissarius als dem Kurfürsten
von Mainz,
[* 3] bei welchem letztern sich auch die auswärtigen Gesandten legitimierten. In
Abwesenheit des Reichserzkanzlers vertrat
ihn sein Direktorialgesandter.
Alles an den Reichstag.
Gerichtete ging an den Kurfürsten von Mainz und wurde
von der mainzischen Kanzlei den übrigen
Kanzlisten in die Feder diktiert, später gewöhnlich gedruckt verteilt, was die
Diktatur hieß. Die Verhandlungen geschahen in drei Kollegien (Reichskollegien), nämlich:
1) in dem Kurfürstenkollegium, wo Kurmainz die Stimmen sammelte und die seinige an Sachsen [* 4] abgab;
2) in dem fürstl. Kollegium (Reichsfürstenrat), welches sich in die weltliche und die geistliche Bank teilte (s. Fürstenbank). Die Reichsgrafen hatten in diesem Kollegium keine Virilstimmen, sondern waren in die wetterauische, schwäb., frank, und westfäl. Grafenbank, von welchen jede nur eine Stimme (votum curiatum) hatte, geteilt. So auch die Reichsprälaten oder Äbte, Pröpste und Äbtissinnen, die sich in die schwäb. und rhein. Bank teilten und zusammen nur zwei Stimmen hatten. Das Direktorium in dem Fürstenkollegium führten abwechselnd der Erzbischof von Salzburg [* 5] und der Erzherzog von Österreich. [* 6] Im ganzen wurden hier 100 Stimmen (94 Viril-, 6 Kuriatstimmen) geführt;
Reichstag [unkorrigier
![Bild 63.733: Reichstag [unkorrigiert] Bild 63.733: Reichstag [unkorrigiert]](/meyers/thumb/63/63_0733.jpeg)
* 7
Seite 63.733.3) in dem reichsstädtischen Kollegium, welches sich ¶
forlaufend
731
in die rhein. (14 Städte) und schwäb. (37 Städte) Bank teilte.
Die Reichsstadt, wo der Reichstag
gebalten wurde, hatte das Direktorium
und jede Reichsstadt eine Stimme auf dem Reichstag
Regelmäßig entschied in späterer Zeit die Stim- menmehrheit, nicht aber in
Religions- und solchen Sachen, welche Rechte der einzelnen Reichsstände be- trafen. (S. t^0rpii8 6vanF6iicuin.)
Jedes der drei reichsständischen Kollegien faßte seine Beschlüsse be- sonders.
Hierauf suchte man durch Relation und Kor- relation die Beschlüsse der Kollegien in Übereinstim- mung zu bringen, und wenn dies geschehen, wurde der so zu stände gebrachte Beschluß dem Kaiser als Reichsgutachten (collciuLnin imperii) übergeben.
Ein solches war also nicht vorhanden, wenn auch nur ein Kollegium nicht zugestimmt hatte.
Erhielt es durch ein kaiserl. Ratifikations- oder Vestätigungs- dekret Gesetzeskraft, so hieß es Reichsschluh oder Reichskonklusum.
Den Begriff sämtlicher Be- schlüsse eines Reichstag
nannte man
Reichs abschied (s. d.) oder Reich srezeß.
Der Kaiser konnte die Ratifikation ganz oder teilweife versagen, aber an dem Inhalt nichts ändern, auch die fehlende Zustim- mung eines der drei Kollegien nicht ergänzen.
Nach erfolgter Unterschrift der Reichsbeschlüsse wurden dieselben bekannt gemacht und den Reichsgerichten znr Einregistrierung und Nachachtung mitgeteilt.
Manche Angelegenheiten wurden auch durch or- dentliche oder außerordentliche Reichsdcputationen beitlich (Einkammersystem) organisiert ist.
Der Reichstag
besteht aus 397 Mitgliedern, welche in einzel- staatlich abgegrenzten Wahlkreisen, die auf Gesetz
beruhen, gewählt werden. - Auf durchschnitt- lich 100000 E. (nach der Volkszählung von 1807) entfällt ein Abgeordneter.
Preußen

* 8
Preußen.Danach wählt Preußen [* 8] 230, Bayern [* 9] 48, Sachsen 23, Württemberg [* 10] 17, Elsaß-Lothringen [* 11] 15, Baden [* 12] 14, Hessen [* 13] 9, Mecklen- burg-Schwerin 6, Sachsen-Weimar, Oldenburg, [* 14] Brannschweig, Hamburg [* 15] je 3, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha, Anhalt [* 16] je 2, die übrigen 11 Staaten je einen Vertreter.
Der Reichstag
tritt all- jährlich zusammen und wird vom Kaiser berufen. Die Legislaturperiode
dauerte früher 3 Jahre, ist aber durch Gesetz vom auf 5 Jahre verlängert worden.
Die Beschlußfassung erfolgt durch absolute Stimmenmehrheit.
Beschlußfähig ist der Reichstag
, wenn mindestens die Hälfte seiner Mit- glieder, also
mindestens 199, anwesend sind.
Die Mitglieder des N. sind Vertreter des gesamten Volks und an Instruktionen nicht gebunden.
Sie erhalten keine Diäten und genießen das Privileg der Redefrei- heit (s. d.).
Auch darf kein Mitglied des Reichstag
ohne dessen Genehmigung während der Sitzungsperiode zur
Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn er bei Ausübung der That oder am nächsten Tage ergriffen wird.
Deutsche Altertümer -

* 17
Deutsche.
Die
Neichstagsabgeordneten gruppieren sich in verschiedene Fraktionen (s. d.), deren zur Zeit (1895) 10 im R. bestehen.
Zusammensetzung
des Reichstags
bei Beginn der Legislaturperioden: Namen der Parteien 1871 1874 1877 1878 1881 1884 1887 1890 50 22 40 59 50 78 80 73 38 33 38 57 28 28 41 20 29 3
- - - - - - 110 155 141 109 47 51 99 42 44 49 35 20 4000 07 32 00 57 91 93 94 100 99 98 100 13 14 14 14 18 10 13 10 2 9 12 9 12 24 11 35 -
1 4 3 9 7 - 10 4 4 4 10 10 11 4 11 - 15 15 15 15 15 15 10 1 1 1 1 2 1 1 1 -
- - - _ - 1 5 - - - - - - 2 2 (Deutsch-) Konservative Partei Deutsche
[* 17] Neichspartci (Freikonservativ)
Liberale Reichspartei Nationallibcrale Partei z 110 Liberale Vereinigung l f^/'^, / Freisinnige Fortschrittspartei
j ^mug. ^ Vereinigung Vultspa'rtt'i' Centrum. Polen Socialdemokraten Volkspartei Welsen Elsaß-Lothringer Dänen Dentschsociale
Reformpartei Unbestimmt 72 28 53 13 24 90 19 44 11 7 8 1 10 (s. d.) besorgt.
Die Reichsversammlung hatte das Recht, Gesetze zu geben, aufzuheben und auszulegen, Krieg und Frieden zu beschließen, Gesandte anzu- nehmen und zu schicken, Bündnisse und Verträge zu schließen u. s. w. In Rücksicht der zu unternebmen- den Reichskriege, worüber die Beratschlagung durch ein kaiserl. Kommissionsdekret vorgeschlagen wer- den mnßte, entschied Mehrheit der Stimmen' auch die Stände, welche in einen beschlossenen Reichs- krieg nicht gewilligt hatten, mußten nach Maßgabe der Reichsmatrikcln ihre Kontingente stellen.
Seit 1603 blieb der Reichstag
zu
Regcnsbnrg permanent.
Jetzt erschienen die Fürsten überhaupt nicht mehr in Per- son, sondern ließen sich durch Gesandte
vertreten. In dem heutigen Deutschen Reiche ist Reichstag
der Name der gemeinsamen Repräsentation des deut- schen Volks, welche hervorgeht
aus allgemeinen, geheimen, direkten Wahlen (s. Wahlrecht) und ein- Während der Legislaturperiode kann
die Auf- lösung des Reichstag durch den Kaiser unter Zustimmung des Bundesrats erfolgen;
die Neuwahlen müssen innerhalb 00, die Einberufung innerhalb 90 Tagen vom Zeitpunkt der Auflösung an erfolgen.
Ohne Zustimmung des Reichstag darf die Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht überschreiten und während dcrsclben Session nicht wiederholt werden. Der Reichstag übt mit dem Bundesrat (s. d.) gemeinsam das Recht der Gesetzgebung aus und hat dabei das Recht der Initiative. (Über die Art der Beratung eines Gesetzes im N. s. Gesetzentwurf.) Der jähr- lich aufzustellende Neichshaushaltsetat sowie die Aufnahme von Reichsanleihen unterliegen feiner Genehmigung.
Ebenso bedürfen Verträge mit frem- den Staaten, die sich auf Gegenstände beziehen, die der Reichsgesetzgebung unterworfen sind, wie z. B. Handelsverträge, seiner Zustimmung. Außerdem ¶