Reh
[* 2] (Cervus capreolus L.), Säugetier aus der Gattung Hirsch [* 3] (Cervus L., s. Hirsch), 1,25 m lang, 75 cm hoch, 12-20, doch auch bis 30 kg schwer, ist höchst zierlich gebaut, mit kurzem, abgestumpftem Kopf, mittellangen Ohren, großen Augen, kaum bemerkbaren Thränengruben, mäßig langem Hals, verhältnismäßig wenig schlankem Leib, hohen und schlanken Beinen und kleinen, schmalen, spitzigen Hufen. Das Gehörn besitzt breite Rosen, starke, rauhe Stangen, welche gewöhnlich nur zwei Sprosse ansetzen, ohne Augensprosse. Im ersten Jahr erhält der Schmal- oder Spießbock unzerteilte, schlanke Spieße; im zweiten Jahr ist die Stange etwa in der Mitte geteilt (Gabelbock), wobei die Hauptstange sich von der Teilung an nach hinten biegt.
Beim Sechsender teilt sich die nach hinten gebogene Hauptstange abermals und biegt sich wieder nach vorn vor. Selten
kommen
Acht- und Zehnender vor, desto häufiger allerlei
Mißbildungen. Sehr alte Weibchen
(Ricke,
Hille,
Geiß, Altreh
) setzen bisweilen schwache
Gehörne auf (vgl.
Geweih).
Wenn der
Bock
[* 4] das
Gehörn abgeworfen hat, erkennt man ihn
leicht am
Pinsel, die
Ricke an der
Schürze (s. d.). Die
Behaarung des Rehs
ist glatt und dicht, auf der
Ober- und
¶
mehr
Außenseite im Sommer dunkel rostrot, im Winter braungrau, auf der Unter- und Innenseite der Gliedmaßen heller. Kinn, Unterkiefer und ein Fleck jederseits der Oberlippe sind weiß; das Gehör [* 6] ist außen etwas dunkler, innen gelblichweiß, der Spiegel, [* 7] d. h. Steiß und Hinterteil der Keulen, im Sommer gelblich, im Winter weiß; das Kalb besitzt auf rötlichem Grund kleine weiße oder gelbliche Flecke. Mehrfach kommen schwarze, weiße, silberfarbene und gefleckte Spielarten vor.
Das Reh
findet sich fast in ganz Europa,
[* 8] etwa bis 58° nördl. Br., und in einem großen Teil Asiens. Es fehlt im nördlichen
und mittlern Rußland u. ist in der Schweiz
[* 9] bis auf einzelne Trupps ausgerottet. Es bewohnt größere Waldungen
aus Laub- und Nadelholz, besonders die erstern, liebt Unterholz, junge Baumschläge mit viel Dunkel und Schatten
[* 10] und tritt im
Sommer oft auf die Felder heraus. In Sibirien macht es beim Wechsel der Jahreszeiten
[* 11] größere Wanderungen von den Gebirgen in die
Ebene und umgekehrt.
Seine Bewegungen sind sehr behend und anmutig; die Fährte
[* 12] zeigt obige
[* 2]
Figur. Sie ist so viel kleiner als die des Hirsches,
daß sich sogar ein Kapitalbock noch bedeutend geringer als ein Rotwildkalb von wenigen Monaten spürt. Das Reh
springt und
schwimmt vortrefflich, klettert auch, wittert und äugt sehr scharf und ist sehr schlau, vorsichtig und
furchtsam. Diese letztere Eigenschaft verliert es nur, wenn es von zartester Jugend an von Menschen erzogen wurde. Es lebt meist
familienweise, ein Bock mit einer, seltener 2-3 Ricken und deren Jungen, wo es an Böcken fehlt, in Trupps von 12-15 Stücken.
Im Winter vereinigen sich zuweilen mehrere Familien und leben friedlich miteinander.
Das Reh
hält sich am Tag verborgen und tritt gegen Abend auf junge Schläge, Felder und Wiesen heraus, um sich zu äsen. Es nährt
sich von Blättern, Knospen,
[* 13] Zweigspitzen, grünem Getreide,
[* 14] Kräutern etc., leckt sehr gern Salz
[* 15] u. sucht reines Wasser auf.
Bisweilen dringt es in Gärten ein, um Gemüse zu fressen; auch verbeißt es in Forsten und Gärten häufig genug die jungen
Bäume. Der Bock wirft im Oktober oder November das Geweih ab und fegt Ende März oder im April. Die Brunftzeit währt von Mitte
Juli bis Mitte August, in welcher Zeit der Bock mehrere Ricken und Schmalrehe beschlägt; aber bis zum November
entwickelt sich das befruchtete Ei
[* 16] in der Gebärmutter
[* 17] äußerst langsam und erst von da ab in regelmäßiger Weise. Da sich
nun überdies die Tiere in den Wintermonaten necken und jagen, so hat man lange von einer zweiten oder
Dezemberbrunft (Afterbrunft) gesprochen.
Die Ricke geht 40 Wochen hoch beilagen und setzt an einem stillen Ort 1-3 weiß gefleckte Kälber (Kitze), welche sie nach 10-12
Tagen dem Bock zuführt. Nach 10 Monaten trennen sich die Kälber von den Eltern, und mit 14 Monaten sind sie fortpflanzungsfähig.
Das junge, noch unbefruchtete Weibchen heißt Schmalreh. Das Reh
liefert Wildbret, Felle, die als Decken benutzt
oder gegerbt werden, Haare
[* 18] zum Polstern und Gehörn; es richtet viel weniger Schaden an als das übrige Hochwild, ist aber doch
überwiegend schädlich.
In der Gefangenschaft
wird es sehr zahm, aber selbst in Gehegen erreicht es nie die volle Größe wie im
Wald, und Böcke werden im Alter leicht trotzig und unverschämt und selbst gefährlich. Die Bezeichnung der einzelnen Körperteile
sowie die Jagdarten, welche beim in Anwendung kommen, sind dieselben wie beim Rotwild. Zur Brunftzeit schießt man die Reh
böcke
auch beim Blatten.
Vgl. v. Dombrowski, Das Reh
(Wien
[* 19] 1876);
Hiltl, Das Reh
(Klagenf. 1885);
Waldenburg,
[* 20] Jagd
u. Hege vom Reh
etc. (Königsb.
1886).