Reformierte
Kirche, im Gegensatz zur luth. Kirche die von Zwingli und Calvin begründete prot. Kirchengemeinschaft. Dasselbe Verlangen nach einer Reformation der Kirche, das im 16. Jahrh. in Deutschland [* 2] erwacht war und durch Luther befriedigt wurde, zeigte sich auch in der Schweiz, [* 3] in den Niederlanden, in England und Frankreich. Unter den Schweizern traten besonders Ulrich Zwingli (s. d.) in Zürich [* 4] und Johann Ökolampadius (s. d.) in Basel [* 5] als Führer der reformatorischen Bewegung auf.
Zwinglis Bemühungen gelang es, den
Rat der Stadt für die Durchführung der
Reformation zu gewinnen; mit
der Abendmahlsfeier unter beiderlei Gestalt im
Münster
[* 6] erhielt dieselbe ihren
Abschluß Zürich
verteidigte von nun
ab standhaft die Neuerungen in der
Lehre
[* 7] und in den Gebräuchen gegen die feindseligen Kantone, besonders gegen Schwyz,
Zug,
Uri,
Unterwalden,
Freiburg
[* 8] und Luzern;
[* 9] bald erklärten sich auch Appenzell
[* 10] und
Mülhausen
[* 11] für die neue
Lehre. Auf das Anerbieten
Ecks kam es zu
Baden
[* 12] im Aargau
zu einem
Religionsgespräch, wobei Ökolampadius für die Neuerungen das Wort führte. Noch in demselben Jahre wurde
in Graubünden
völlige
Religionsfreiheit eingeführt, und nach dem
Religionsgespräch zu Bern
[* 13] (7. bis trat
auch dieser Kanton
[* 14] zur
Reformation völlig über. Die kath. Kantone verbündeten sich zur Verteidigung der alten
Lehre mit dem Könige Ferdinand,
Kaiser
Karls V.
Bruder. Dem gegenüber schlössen Zürich
und Konstanz
[* 15] einen
Bund unter
dem
Namen Burgrecht, dem zunächst Bern,
St.
Gallen,
Biel,
Mülhausen, Basel
und Schaffhausen
[* 16] (1529) beitraten. Auch im
Auslande suchte
man Bundesgenossen zu gewinnen; doch stand einer
Verbindung mit den deutschen
Protestanten die Verschiedenheit in der Abendmahlslehre
gegenüber, die namentlich
Luther mit steigendem Widerwillen gegen
Zwingli und die
Schweizer erfüllte. Das Gespräch zu
Marburg
[* 17] (1. bis brachte in allen andern
Stücken, nur nicht in der Abendmahlslehre, eine Verständigung
unter den Theologen zu stande und führte nur eine engere
Verbindung der
Schweizer mit dem Landgrafen von Hessen,
[* 18] der in das
Burgrecht aufgenommen wurde, herbei. Die Reformierten
in der
Schweiz hoben die Gemeinschaft mit den fünf
kath. Orten
auf und sagten diesen den freien
Kauf der Lebensmittel ab. Jetzt fielen die kath. Orte plötzlich in Zürich
ein, und die
ihnen in aller Eile entgegengeführten
Truppen wurden bei Kappel geschlagen und
Zwingli selbst fiel in diesem Kampfe.
Durch den Ausgang der
Schlacht bei Kappel war der
Verbreitung der in der Reformierte Kirchein
der deutschen
Schweiz ein Ziel gesetzt;
desto mehr verbreitete sie sich in der franz.
Schweiz. In Neuchâtel war sie (1530) durch Wilhelm Farel (s. d.) begründet
worden; von Bern
aus gewann sie 1534 Eingang
in Genf.
[* 19] Hier trat im Aug. 1536
Johann
Calvin (s. d.) auf, der auf die
Entwicklung der gesamten Reformierte Kirche
den tiefgreifendsten Einfluß übte und Genf
an deren
Spitze brachte. Er stiftete 1559 die
Genfer
Akademie, auf der viele Prediger für das
Ausland ihre
Bildung empfingen. Die calvinistische
Lehre verpflanzte sich auch nach
Deutschland, wo die der Melanchthonschen
Richtung treu gebliebenen Landeskirchen
, besonders in Hessen,
der Pfalz,
Anhalt
[* 20] und
Bremen,
[* 21] allmählich mit den
Schweizern in völlige
Kirchengemeinschaft traten. Außerdem fand die Calvinsche
Reformation in
Frankreich, England,
Schottland, den
Niederlanden,
Polen und
Ungarn
[* 22] Eingang. Von England aus hat sie sich in Nordamerika
[* 23] verbreitet.
Trotz gewisser Verschiedenheiten in der äußern Gestaltung der Reformierte Kirche
läßt sich
ein gemeinsamer Grundtypus wie in der
Lehre so in
Verfassung und
Kultus nicht verkennen. Gemäß dem scharf ausgeprägten Gegensatz
gegen alle Kreaturvergötterung oder gegen alle
Lehren
[* 24] und Ordnungen, die Göttliches und Menschliches vermischen, entwickelte
sich das Kirche
nwesen in apostolischer Einfachheit und im strengsten Anschlusse an die Vorbilder der
Heiligen Schrift.
Daher die große Einfachheit des reform. Gottesdienstes, wovon nur die Anglikanische Kirche eine Ausnahme macht, die Abschaffung von Bildern, Altären, Orgeln, Kerzen, Meßgewändern, allen nicht in der Schrift begründeten kirchlichen Feiertagen u. s. w. Auch die Ersetzung der bischöfl. Verfassung durch Presbyterien und Synoden (wobei man doch der weltlichen Obrigkeit, wenn sie gleichen Bekenntnisses war, einen großen Einfluß gestattete) wurde aus der Heiligen Schrift als Gottes Ordnung begründet. Im Dogma zeigt sich die eigentümliche Entwicklung am frühesten in der Lehre vom Heiligen Abendmahl, bei der man konsequenter als die Lutheraner mit der röm. Lehre von der Transsubstantiation (s. d.) brach und statt eines leiblichen Genusses von Christi Leib und Blut nur einen geistigen Genuß durch den Glauben gelten ließ, während der Mund nur die äußern Speisen, als Sinnbilder der übersinnlichen Güter, empfange.
Die Unterschiede der Zwinglischen und Calvinschen Auffassung sind in dieser Hinsicht nur gering. Auf dem Reichstage zu Augsburg [* 25] 1530 ließ Zwingli dem Kaiser seine Konfession (Fidei ratio) übergeben, aber neben ihm überreichten auch die vier Städte Straßburg, [* 26] Konstanz, Memmingen [* 27] und Lindau [* 28] (daher Confessio Tetrapolitana) ein besonderes Bekenntnis. Von den spätern Bekenntnisschriften sind zu erwähnen die «Baseler Konfession» von 1534, die «Erste Helvetische Konfession» zum Zwecke der Verständigung mit Luther von Bullinger, Myconius, Grynäus, Judä und Megander verfaßt (1536),
die von den Städten Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Mülhausen und Biel angenommen wurde; danach zur Abwehr erneuter Angriffe Luthers die «Züricher Konfession» von Bullinger (1549),
zur Verständigung der Züricher und Genfer in der Abendmahlslehre der «Züricher Konsens» (1549),
und als Ausdruck der Calvinschen Prädestinationslehre der «Genfer Konsens» (1552). Die größte Verbreitung, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, Polen, Ungarn und Schottland hat die von Bullinger im Namen der schweiz. Kirchen dem Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz überreichte «Zweite Helvetische Konfession» (1566) erlangt. Dagegen wurde die im Geiste ¶
mehr
engherzigster Orthodoxie von dem Züricher Theologen Joh. Heinr. Heidegger 1671 verfaßte «Helvetische Konsensusformel» zwar seit 1675 allmählich von den reform. Schweizerkantonen angenommen, aber bald wieder abgeschafft. Von Katechismen erlangte namentlich der von Calvin verfaßte Genfer Katechismus großes Ansehen und weite Verbreitung, kam aber im 17. Jahrh. auch in der Schweiz selbst wieder außer Gebrauch.
Unter schweren Kämpfen hatte sich die Reformation in den Niederlanden anfangs nach Lutherschem, bald aber nach Calvinschem
Vorbild ausgebreitet, das auch das niederländ. Glaubensbekenntnis (Confessio Belgica, 1561) trägt. Als sich gegen die Prädestinationslehre
Calvins namentlich durch Jakob Arminius entschiedener Widerspruch erhob, raffte sich die Calvinsche Orthodoxie
zum energischen Kampfe gegen die Arminianer (s. d.) zusammen, deren Lehre auf der Dordrechter Synode (s. d.) verworfen wurde
und die als Remonstranten außerhalb der Landeskirche
weiter bestanden. In Frankreich hatten die reform. Gemeinden die schwersten
Kämpfe nach außen zu bestehen. (S. Hugenotten.) Anton de Chandieu, Prediger zu Paris,
[* 30] stellte für sie
ein Bekenntnis auf, das als «Gallicarum ecclesiarum confessio fidei» auf
einer Synode zu Paris 1559 angenommen und von neuem auf einer Nationalsynode zu La Rochelle 1571 als Bekenntnisschrift der franz.-reform.
Gemeinden anerkannt wurde. Erst durch das Edikt von Nantes 1598 erhielten sie Duldung im Staate. Die heftigsten Verfolgungen
erneuerten sich aber, als Ludwig XIV. das Edikt wieder aufhob, und erst die Französische Revolution brachte
den Reformierten
Glaubensfreiheit.
In England, wo die Reformation unter Eduard VI. und nach dem blutigen Regiment der span. Maria durch Elisabeth
eingeführt worden war, bildete sich neben der in den Bräuchen vielfach katholisierenden Staatskirche
(s.
Anglikanische Kirche) eine streng Calvinsche Partei, die sog. Presbyterianer (s. d.),
die in Schottland von Anfang an die Oberhand hatten. Die engl. Presbyterianer legten ihren Glauben in der auf Befehl des Langen
Parlaments verfaßten Westminsterkonfession von 1648, die schottischen schon früher in der von John Knox verfaßten Confessio
Scotica (1560) nieder. In Ungarn hat die reform. Richtung die Oberhand behalten (Confessio Hungarica 1557).
Das Gemeindewesen der Waldenser (s. d.) hat sich seit 1532 ebenfalls in reform.
Weise entwickelt.
In Deutschland, wo zuerst nur die oberdeutschen Städte sich der Zwinglischen Lehre zugeneigt hatten, gewann der Calvinismus Eingang durch seine Union mit der Melanchthonschen Richtung, die anfangs in der deutsch-evang. Kirche mit der Schule Luthers (s. Lutheraner) um die Herrschaft rang. Namentlich in der Abendmahlslehre hatten schon Melanchthon und Calvin sich miteinander verständigt. Melanchthons Änderungen im 10. Artikel der Augsburgischen Konfession, die anfangs allgemeine Billigung fanden, dienten wesentlich dem Zwecke, die Gemeinschaft mit den Schweizern zu ermöglichen, doch wurden seine Schüler von den strengen Lutheranern seit 1560 mit immer steigender Leidenschaft als Kryptocalvinisten (s. d.) verketzert.
Während in Kursachsen und anderwärts die Melanchthonianer oder Philippisten vertrieben und seit 1580 durch die Konkordienformel (s. d.) von der neuen «Lutherischen Kirche» Norddeutschlands förmlich ausgestoßen wurden, hatte in der Pfalz, Anhalt, Hessen und anderwärts das Corpus doctrinae Philippicum (1559), in das die erweiterte Augsburgische Konfession aufgenommen worden war, symbolisches Ansehen erlangt, daher die dortigen Evangelischen unbeschadet ihrer Gemeinschaft mit den Schweizern mit Recht sich als Augsburgische Konfessionsverwandte betrachten durften.
Doch wurde die Einführung des von Ursinus und Olevianus verfaßten Heidelberger Katechismus (1563) durch
den Kurfürsten von der Pfalz, dem nachmals noch eine Anzahl andere Reichsstände sich anschlossen, von den starren Lutheranern
als Abfall zum Calvinismus verurteilt. Allmählich fand auch die Calvinsche Prädestinationslehre in diesen Ländern Eingang,
und schon sehr frühzeitig wurde auch die Ordnung des Gottesdienstes nach schweiz. Muster geregelt. So
bildeten sich neben den lutherischen eine Reihe von «deutschreformierten»
Landeskirchen
, die im Westfälischen Frieden (1648) als Augsburgische Konfessionsverwandte Anerkennung fanden, nachdem ihnen
schon der Konfessionswechsel des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg
[* 31] eine mächtige Schutzwehr geboten. Auch in den
Rheinlanden, Nassau, Bremen u. s. w. entstanden reform. Gemeinden.
Die Eigentümlichkeit des reform. Bewußtseins, wie dieselbe mit scharfer Konsequenz nach allen Beziehungen
hin ausgeprägt wurde, beschränkt sich nicht auf die schon in der Reformationszeit streitigen Lehrartikel über das Abendmahl,
die Person Christi, die Prädestination u. s. w., sondern zieht sich durch alle Teile des Lehrbegriffs hindurch. Aber in der
neuern Theologie haben sich reform. und luth. Elemente in ausgedehntem Maße durchdrungen. Die von den
Reformierten
zuerst ausgebildete Presbyterial- und Synodalverfassung wird auch bei den Lutheranern immer allgemeiner; dagegen
zeigen sich auch reform. Gemeinden einer reichern Ausgestaltung des Kultus nicht abgeneigt.
Die seit 1817 in Preußen [* 32] und andern deutschen Staaten erfolgte Einführung der evang. Union (s. d.) war daher durch die Gemeinsamkeit der prot. Grundprincipien wie durch die ganze bisherige Entwicklung hinlänglich gerechtfertigt. In der Schweiz, Frankreich und Holland war eine förmliche Union ebensowenig kirchliches Bedürfnis wie in den anglogerman. Ländern Europas und Amerikas, wo vielmehr die Neigung zu fortschreitender kirchlicher Zersplitterung überwiegt.
Doch traten überall dieselben Gegensätze einer streng orthodoxen und einer freiern Richtung wie in Deutschland
hervor und konnten bei der größeren Freiheit der Kirche sich ungestörter entfalten. Die Begründung sog. Freikirchen, d. h.
vom Staate unabhängiger evang. Gemeinschaften, ging in der franz.
Schweiz, Frankreich und Holland von der orthodoxen Partei aus, während die Liberalen an der Staatskirche
festhielten. 1875 wurde als Vertretung der sämtlichen Reformierte
Kirche (mit gegen 40 Mill. Mitgliedern) die
Presbyterianische Allianz in London
[* 33] gegründet. Der Zusammenhang ist lose; doch ist man 1877, 1880, 1884 und 1888 zu Panpresbyterian
Councils zusammen getreten. Organ der Vereinigung war anfangs der «Catholic Presbyterian», jetzt ist es
das «Quarterly Register» in Edinburgh. Weit bescheidener an Umfang ist der Reformierte
Bund, der 1884 gelegentlich der sechsten
Versammlung
¶
mehr
der Reformierten
Konferenz in Marburg gestiftet wurde und Mitglieder in allen Teilen der Reformierte
Kirche Deutschlands
[* 35] zählt. Derselbe
bezweckt die Nahrung und Pflege der Güter der in Reformierte
Kirche Deutschland, enthält sich aber jeder Einmischung in die besondern Angelegenheiten
der einzelnen Kirchenkörper. Der Bund hält alle zwei Jahre eine Hauptversammlung und hat u. a. die
Ausgabe einer deutschen Übersetzung von Calvins Glaubenslehre (durch B. Spieß, Wiesb. 1887) veranlaßt. Den Interessen des reform.
Kirchenwesens dient die durch Prof. K. Müller in Erlangen
[* 36] herausgegebene «Reformierte
Kirchenzeitung».
Vgl. Schweizer, Die Glaubenslehre der evang.-reform. Kirche (2 Bde., Zür. 1844-47);
Schneckenburger, Vergleichende Darstellung des luth. und reform. Lehrbegriffs (2 Bde., Stuttg. 1855);
Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der Reformierte
Kirche (10 Bde.,
Elberf. 1857-63; hg. von Baum, Christoffel, Hagenbach u. a.).