Rechtsfall,
eine Handlung, auf welche eine Rechtsvorschrift Anwendung findet. Die konstante Entscheidung gleichartiger Rechtsfälle bildet den Gerichtsgebrauch (s. d.), welcher für die künftige Entscheidung analoger Rechtsfälle von großer Wichtigkeit ist. Besonders in England wird ein großes Gewicht auf frühere rechtliche Entscheidungen gelegt, weshalb sich die englische Rechtswissenschaft vorzugsweise auf die seit dem 14. Jahrh. vorhandenen Sammlungen gerichtlicher Entscheidungen (report of adjudged cases) gründet.
Das vielseitigste Interesse für den Juristen nicht allein, sondern auch für den Psychologen und Menschenbeobachter gewähren die kriminalistischen Rechtsfälle, und zwar steht auch hier, was die Aufzeichnung und Sammlung von solchen anbelangt, England obenan. Sammlungen von »State trials«, d. h. solchen Kriminalprozessen, in welchen die Staatsregierung die Anklägerin war, gaben Hargrave (9 Bde.),
von Heinrich IV. bis 1779, Howell (seit 1809),
von 1163 bis 1784 u. später, heraus. Pitavals »Causes célèbres« machten in Frankreich Epoche. Von Sammlungen deutscher Rechtsfälle sind zu erwähnen: Feuerbachs »Merkwürdige Kriminalrechtsfälle« (3. Aufl., Gießen 1839, 2 Bde.);
Hitzigs »Zeitschrift für die preußische Kriminalrechtspflege« (Berl. 1825 ff.) und dessen »Annalen für deutsche und ausländische Kriminalrechtspflege« (das. 1828 ff.; seit 1836 von Demme, seit 1845 von Schletter fortgesetzt);
Hitzigs und Härings »Neuer Pitaval« (2. Aufl., Leipz. 1857-72, 36 Bde.; neue Serie 1866 ff., fortgesetzt von A. Vollert).
Für den akademischen Gebrauch wurden Zivilrechtsfälle herausgegeben von Girtanner (4. Aufl., Jena 1869) und Jhering (4. Aufl., das. 1881) und Strafrechtsfälle von Dochow (3. Aufl., das. 1884).