Bei der
Wurzellaus sind vier
Metamorphosen zu unterscheiden. Das Muttertier oder die
Larve der Reblaus, 0,3-0,5mm lang, ei- oder
birnförmig, gelb bis braun, mit Saugrüssel, lebt auf den
Wurzeln und legt nach und nach parthenogenetisch
200-300
Eier,
[* 3] aus welchen sich im
Lauf desSommers 6-8
Generationen oder
Millionen von
Läusen entwickeln können. Die jüngern
Tiere überwintern, oft 2 m tief, und setzen im Frühjahr ihre Thätigkeit fort. Von Ende Juni bis
August erscheinen unter
den Muttertieren schlankere, dunklere
Nymphen, welche am Rebstock emporkriechen und in 12-14
Tagen nach
der letzten
Häutung die geflügelten Rebläuse liefern.
Diese erscheinen im
August und
September, können aber in nördlichen
Ländern und in kalten, nassen
Jahren ganz fehlen. Sie
sind schlank, haben große
Flügel, einen kurzen Saugrüssel, legen parthenogenetisch 4-6
Eier an die Unterseite derBlätter
(auf die
Rinde) und sterben. Aus den kleinern, bräunlichen
Eiern schlüpfen nach 12-14
Tagen Männchen, aus den größern,
gelblichen Weibchen. Diese Geschlechtstiere sind ohne
Flügel, Saugrüssel und Verdauungsorgane, kleiner als die Muttertiere.
Nach der Paarung legt das Weibchen hinter alter
Rinde am
Fuß des Rebstocks ein einziges großes, gelbliches, später
olivengrünes Winterei, welchem im Frühjahr ein alsbald an die Wurzelspitzen herabkriechendes Muttertier entschlüpft. -
Die Reblaus läßt sich mit Sicherheit nur an der
Wurzel
[* 4] nachweisen und hat bereits eine große Verbreitung gefunden, wenn die
oberirdischen Teile des
Weinstocks zu kränkeln beginnen.
Charakteristisch sind die
Verkrümmungen und Verdickungen (Nodositäten)
der Wurzelspitzen, die mit saugenden Rebläusen besetzt sind. Die
Oberhaut dieser Verdickungen springt
auf, und in die
[* 1]
^[Abb.: Fig. 1. Reblaus
(Phylloxera vastatrix), ungeflügelt, geflügelt, saugend. a Saugrüssel.
Stark vergr.]
[* 1]
^[Abb.: Fig. 2. Rebwurzel mit Anschwellungen.]
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Wunden dringen Pilze
[* 6] ein, unter deren Einwirkung sehr schnell Fäulnis erfolgt. Die Läuse gehen dann (im Herbst) an die ältern
Wurzeln und zeugen hier geringere Anschwellungen (Tuberositäten,
[* 5]
Fig. 2), die erst im nächsten
Frühjahr faulen. Im zweiten Jahr ist die Beschädigung der Wurzeln viel erheblicher, es beginnen auch die oberirdischen
Teile zu leiden, u. im dritten Jahr kann schon der ganze Wurzelstock zerstört sein. Boden- und klimatische Verhältnisse u.
die Widerstandsfähigkeit der Rebensorte können den Zerstörungsprozeß verzögern, und im allgemeinen verläuft derselbe
im Süden schneller als im Norden.
[* 7] Die Läuse verlassen den zerstörten Stock und verbreiten sich durch oberirdische Wanderung,
bei geschlossenem Weinbau auch von Wurzel zu Wurzel und im Herbst die geflügelte Form durch die Luft. Außerdem findet sicher
auch Verbreitung durch Menschen, Tiere, Geräte, allerlei Materialien und Pflanzen statt.
Die Reblaus wurde in Europa
[* 8] 1868 von Planchon bei St.-Remy (Bouches du Rhône) entdeckt, wo seit 1865 eine Rebenkrankheit
beobachtet worden war. Diese Weingärten hatten bis vor kurzem Eichenwald getragen, und in dem noch stehenden benachbarten
Eichenwald zeigte sich reichlich PhylloxeraQuercus (s. unten). Man kann annehmen, daß die Reblaus damals schon etwa 10 Jahre in
Frankreich vorhanden gewesen war, und in den 50er Jahren wurden viele dem Traubenpilz widerstehende amerikanische
Rebensorten nach Frankreich eingeführt.
Indes sind amerikanische Reben schon seit 30 oder 50 Jahren in Europa kultiviert, ohne daß man von der Reblaus gehört hätte. Die
Wurzeln bewohnende Form der Reblaus wurde erst 1870 in Amerika entdeckt, während die Gallen bewohnende Form schon 1854 dort bekannt
war. Es ist aber nachgewiesen, daß Anbauversuche mit unsrer Rebe im 17. Jahrh.
und später in Amerika fehlschlugen, während die Rebe, auf amerikanische Unterlage veredelt, dort recht gut gedeiht. In Europa
hat die ReblausFrankreich am stärksten geschädigt. 1885 waren von 77 weinbautreibenden Departements 53 und von 2,485,829 Hektar
Weinland über 1 Mill. verseucht.
Zur Bekämpfung der hat man die befallenen Stöcke ausgegraben, mit Petroleum begossen und verbrannt und dann die Fläche mit
Schwefelkohlenstoff (150-250 g pro QKilometer), schwefliger Säure etc. behandelt; sie darf in 4-5 Jahren nicht wieder mit Reben
bepflanzt werden. Ebenso wurde Schwefelkohlenstoff unter Schonung der Rebstöcke in den Boden gebracht (10
g pro Stock) und dabei stark gedüngt, auch Sulfocarbonat u. Teeröl wurden angewandt und mit größerm Erfolg eine Unterwassersetzung
im Sommer auf 25-40 Tage (10-30,000 cbmWasser pro Hektar) mit starker Düngung, Kultur in Sandböden und vor allem Veredelung auf
amerikanische Reben, welche viel kräftigeres Wachstum besitzen als die europäischen und dadurch der
Reblaus besser widerstehen.
Diese Konvention wurde 3. Okt. bis auf einer internationalen Konferenz in Bern
[* 23] revidiert, und auf der neuen Übereinkunft
basiert das deutsche Reichsgesetz vom die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheiten betreffend.
Fatio (»État de la question phylloxérique en Europe en 1877«, Basel
[* 27] 1878).
Zu derselben Gattung gehört die Eichenrindenlaus (PhylloxeraQuercusB. d. Fonsc.), der Tannenlaus ähnlich,
am Thorax schwarz, am Kopf, Hinterleib und an den Beinen rot, auf den Vorderflügeln mit rötlichgelbem Randmal, legt auf der
Unterseite der Eichenblätter gelbliche Eier, aus welchen nach 6-8 Tagen weiße, ungeflügelte Läuse ausschlüpfen, die sich
festsaugen und 30-40 Eier legen. Aus diesen entsteht eine zweite Brut und so mehrere hintereinander, sämtlich
parthenogenetisch.
Unter den letzten Bruten erscheinen auch geflügelte Läuse, die südwärts ziehen und aus Quercus coccifera einige größere
hellgelbe und kleinere rötliche Eier legen. Erstere liefern Weibchen, letztere Männchen, beide ohne Schnabel. Die befruchteten
Weibchen legen ein einziges Ei
[* 28] zwischen Knospenschuppen oder Rindenrissen, und aus diesem schlüpft eine
Laus, welche nach mehreren Häutungen stachlig ist und an Stengel
[* 29] und Blattunterseiten 150-200 Eier legt. Aus diesen entwickeln
sich glatte Läuse, welche Flügel erhalten und nordwärts ziehen, um den Kreislauf
[* 30] von neuem zu beginnen.
[* 1] Dem energischen Vorgehen gegen die Reblausgefahr auf Grund internationaler
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Vereinbarungen ist es zuzuschreiben, daß wenigstens in einigen Ländern die Reblaus nur sporadisch vorkommt und ihre Verbreitung
keine größern Dimensionen annimmt, so daß die Hoffnung auftauchen kann, des Feindes allmählich gänzlich Herr zu werden.
Im ganzen freilich ist unleugbar ein Fortschreiten in der Verseuchung der europäischen Weinberge zu konstatieren. In
Bezug auf die Verseuchung der Weinberge zeigt Deutschland die günstigsten Resultate, indem fast stets bei den jährlich durch
Sachverständige vorgenommenen Untersuchungen die ältern desinfizierten Herde reblausfrei gefunden und neue Herde meist nur
in geringerm Umfang nachgewiesen werden. Am Ende der Jahre 1888 und 1889 lagen in Deutschland die Verhältnisse folgendermaßen,
woraus zugleich der Erfolg der Vernichtungsarbeiten ersichtlich ist: In der preußischen Rheinprovinz
[* 32] 1888: 46 Herde mit 467 Stöcken,
1889: 18 neue Herde mit 249 Stöcken, die vorjährigen Herde wurden reblausfrei gefunden;
die Bekämpfung der Reblaus erfolgte
auf einer Fläche von nahezu 100,000 Hektar. In Algerien sind im ganzen seit 1885 der Reblaus rund 144 Hektar zum Opfer gefallen. In
Spanien waren 1888: 80,000 Hektar Rebland zerstört, namentlich die ProvinzenMalaga
[* 38] und Granada
[* 39] leiden unter
dem rapiden Rückgang ihrer Weinproduktion, was eine vermehrte Auswanderung der Bewohner zur Folge hat;
in Portugal sind 134,000
Hektar, ungefähr die Hälfte des gesamten Weinlandes, ergriffen, besonders die nördlichen Provinzen haben unter den Angriffen
der Reblaus zu leiden, der Süden ist schon vielfach zerstört.
In den 16 ergriffenen Kreisen wurden 1887: 194,564
hl geerntet, vor dem Eindringen der Reblaus dagegen 410,828 hl. In der Schweiz fanden sich im Kanton Zürich
[* 40] 1887: 492 Infektionsherde, die sich
aber bis 1888 um den dritten Teil verminderten;
Kanton Genf
besaß 1887: 111,1888: 99 infizierte Stellen mit zusammen 13,279 verseuchten Reben;
im Kanton Waadt
fanden sich 1888: 10 Herde mit 128 Stöcken.
In Italien waren 1887 als verseucht bekannt 152 Gemeinden mit 85,000 Hektar Gesamtweinland, die 1888 neu aufgefundenen
Reblausherde nahmen eine Fläche von rund 72 Hektar ein. In Österreich hat die Reblauskrankheit 1888
beträchtliche Fortschritte
gemacht;
das infizierte
Terrain umfaßte 76,102 Hektar, wovon zu dieser Zeit bereits 31,978 Hektar vollkommen zerstört waren;
bis Ende 1888 war die
Zahl der versuchten Gemeinden um 452, beinahe 55 Proz., gestiegen. Im Rußland wurden nur verstreute, sofort der
Vernichtung unterworfene kleine Herde aufgefunden, nur im kaukasischen GouvernementKutais zeigt das Übel
größere Ausdehnung.
[* 45] In Kleinasien wurde die in der Umgegend von Smyrna aufgefunden, und die Verheerung greift dort immer mehr
um sich. In Afrika
[* 46] wurde die Reblaus zuerst 1886 am Kap amtlich nachgewiesen, das Insekt tritt hier ebenso verheerend
auf wie in Europa;
Die Bekämpfung der Reblaus geschieht in allen zur Reblauskonvention gehörigen Ländern nach denselben Grundzügen,
und die Verschiedenheiten in der Ausführung sind untergeordneter und lokaler Natur. Werden Reblausherde aufgefunden, so erfolgt
die Vernichtung der befallenen und nächststehenden Stöcke mittels Verbrennung und eine Desinfektion
[* 51] des Bodens mit Insektengiften
zur Tötung der in dem Boden und an den nicht ausgegrabenen Wurzeln befindlichen Rebläuse und deren Eier;
die Tiefe der hierzu gebohrten Löcher, ihr gegenseitiger Abstand, die Natur des angewandten Giftes und die zur Verwendung kommende
Menge ist nach den einzelnen Methoden verschieden. In erster Linie kommen als Insektengifte Schwefelkohlenstoff und Petroleum
zur Anwendung, letzteres dient auch zum Überbrausen der Bodenoberfläche und zur Desinfektion der bei
der Arbeit gebrauchten Geräte und des Schuhwerks wie der Kleidung der Arbeiter selbst.
Solaröl hat sich als dem Petroleum ungefähr gleichwertig und gleichwirkend gezeigt. Versuche mit Kaliumsulfocarbonat lassen
dieses Mittel weniger sicher erscheinen und seine Anwendung nur da empfehlen, wo bei sehr schwerem, undurchlassendem
Thonboden und bei sehr nasser Witterung eine Desinfektion mit Schwefelkohlenstoff nur einen mangelhaften Erfolg ver. spricht;
außerdem bedingt die Anwendung des Kaliumsulfocarbonats große QuantitätenWasser. Die Beimengung kleiner Quecksilbermengen
in die die Wurzel umgebende Erde hat sich als nutzlos erwiesen. Während in manchen Ländern die Wurzeln sorgfältig ausgegraben
und verbrannt werden, werden in andern statt dessen neue Schwefelkohlenstoffinjektionen
¶
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in hoher Dosis gemacht. Eine für größere Strecken versuchten Landes besonders in Frankreich viel angewandte, aber den lokalen
Bedingungen nach nur selten mögliche Methode ist das Unterwassersetzen der Weinanlagen, wobei das Wasser wenigstens 30 Tage
lang ca. 8 cm hoch über der Erde stehen soll. In frankreich wurden 1889 von 100,000 Hektar 58,000 Hektar
mit Schwefelkohlenstoff, 9000 Hektar mit Sulfocarbonaten behandelt und 30,000 Hektar unter Wasser gesetzt. In Frankreich und Ungarn
werden zahlreiche Weinpflanzungen in Sandboden angelegt, da sich ergeben hat, daß der Sandboden der Reblaus feindlich
ist. In Ländereien, wo die Verseuchung eine solche Ausdehnung angenommen, daß die Weinberge aufgegeben
werden mußten, wie vielfach in Portugal, Italien, Frankreich und Ungarn, hat in großem Maßstab
[* 53] die Anpflanzungen amerikanischer
Reben stattgefunden, die sich bis jetzt als reblausfest erwiesen haben;
am besten widerstehen von diesen der Krankheit die
zu den ArtenVitis rotundifolia, V. aestivalis, V. cordifolia, V. riparia, V. cinerea und V. Berlandieri
gehörigen Sorten;
da aber der Wein dieser Sorten von geringerer Qualität ist, werden sie in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle mit einheimischen Sorten veredelt. In Portugal hält die Bepflanzung mit amerikanischen Reben mit der Verwüstung durch
die Reblaus völlig gleichen Schritt;
die amerikanischen Reben werden meist gegen geringe Entschädigungen von
staatlichen Rebschulen den Weinbauern geliefert. In Frankreich waren 1889 schon 299,801 Hektar in 44 Departements mit amerikanischen
Reben bepflanzt, von denen der größte Teil mit französischen Reben veredelt wurde. In Ungarn wurden neben den von den ungarischen
Rebschulen gelieferten Reben außerdem noch durch Vermittelung der Regierung von 1881 bis 1888 aus Frankreich
6,296,097 amerikanische Schnittlinge eingeführt.
Diese Methode der Reblausbekämpfung wird übrigens erschwert durch die Schwierigkeit,
für jeden Boden und jedes Klima
[* 54] eine amerikanische Rebe zu finden, die sich mit wünschenswerter Leichtigkeit akklimatisiert,
ohne an Ertragsfähigkeit zu verlieren. Neben den direkt zur Bekämpfung der Reblaus getroffenen Maßregeln haben
sich ferner alle Staaten gegen das schädliche Insekt durch Gesetze zu schützen gesucht, welche sich auf die Einfuhr von Pflanzen
und Pflanzenteilen aus reblauskranken oder reblausverdächtigen Gegenden beziehen. Als natürliche Feinde der Reblaus, die
jedoch derselben bisher nur wenig nachweisbaren Schaden zu thun vermochten, werden angeführt eine kleine Thrips, welche
die Eier frißt, Coccinella septempunctata, Anthacoris nemorum, die Larve eines Hemerobius, Trombidium sericeum, die Larve eines
Syrphus und des Scymnus biverrucatus.
Vgl. die amtlichen »Denkschriften, betreffend die Bekämpfung der Reblaus« (Berl.).