Ravenna
,
ital.
Provinz (bis 1860
Legation des
Kirchenstaats), zur
Landschaft
Emilia gehörig, grenzt
im N. an die
Provinz
Ferrara,
[* 2] im
W. an
Bologna, im
S. an
Florenz
[* 3] und
Forli, im O. an das
Adriatische Meer und umfaßt 1922 (nach
Strelbitsky 2134) qkm (38,8 QM.) mit (1881)
225,764 Einw. Das Land ist großenteils ebener Alluvialboden und fruchtbar, stellenweise allerdings
sumpfig, nur im
SW. durch Verzweigungen des toscanischen
Apennin etwas gebirgig.
Längs der
Küste ziehen sich
Dünen hin, auf
welchen bei Ravenna
der berühmte große Pinienwald emporgewachsen ist.
Zur Urbarmachung der Sümpfe sind in neuester Zeit Abzugskanäle und andre Arbeiten ausgeführt worden. Die bedeutendsten Flüsse [* 4] sind: der Po di Primaro, welcher den Santerno und Senio aufnimmt, der Lamone, Montone, Ronco und Savio. Auch enthält die Provinz zwei Kanäle, den Canale Corsini, welcher die Hauptstadt mit Porto Corsini am Adriatischen Meer in einer Länge von 10 km verbindet und auch für Seeschiffe zugänglich ist, und den Naviglio Zanelli von Faenza zum Po di Primaro in einer Länge von 50 km. Das Klima [* 5] ist an der Küste feucht, nebelig und ungesund, im Innern dagegen günstiger.
Hauptprodukte sind:
Weizen (1886: 798,200
hl),
Mais (758,900
hl),
Bohnen, Futterkräuter,
Reis,
Hanf,
Wein (385,400
hl),
Kastanien,
Öl,
Holz,
[* 6]
Seide,
[* 7]
Salz
[* 8] (aus den
Lagunen an der
Küste, namentlich zu
Cervia), Vieh,
Fische
[* 9] etc. Die
Industrie
ist ziemlich lebhaft und hat ihren Hauptsitz zu
Faenza; sie erstreckt sich insbesondere auf
Seide, Baumwollwaren,
Majolika,
Glas,
[* 10] Tischlerwaren und
Gerberei. Die
Provinz wird von der
Eisenbahn von
Bologna nach
Ancona
[* 11] mit der Zweigbahn von
Castel
Bolognese
über Ravenna
nach
Cervia und von der
Via
Emilia durchzogen.
Die Eisenbahnlinien
Ferrara-Ravenna-Rimini und
Faenza-Florenz sind im
Bau. Häfen besitzt die
Provinz vier, nämlich
den der
Hauptstadt,
den Vorhafen derselben
(Porto
Corsini), Primaro an der Mündung des
Po di Primaro und
Cervia. Die
Provinz zerfällt in die
Kreise
[* 12] Faenza,
Lugo und Ravenna.
Die gleichnamige Hauptstadt der
Provinz ist als die Vorgängerin von
Venedig
[* 13] anzusehen.
Sie war im
Altertum eine bedeutende Seestadt, lag auf
Inseln und war von
Kanälen durchschnitten wie
Venedig.
Jetzt liegt die Stadt, wenn auch noch von nicht ganz ausgetrockneten
Sümpfen umgeben, auf dem festen Land, 7 km vom Meeresufer,
mit dem sie nur durch den
Canale
Corsini in
Verbindung steht. Dies hat seit dem
Mittelalter ihren
Verfall
herbeigeführt. An den alten
Glanz von Ravenna
erinnern noch manche Bauwerke, welche kunstgeschichtlich als
Denkmäler aus der Übergangszeit
von der altchristlichen zur mittelalterlichen
Kunst von höchster Bedeutung sind. Dahin gehören: die
Domkirche (um 400 als
fünfschiffige
Basilika
[* 14] vom
Erzbischof
Ursus erbaut, 1734 in eine dreischiffige Kuppelkirche umgewandelt,
so daß vom alten
Bau nur eine
Krypte und der runde Glockenturm übrigblieben), mit Fresken von
Guido Reni, zwei altchristlichen
Sarkophagen und einem interessanten Bischofstuhl mit von
Reliefs geschmückten Elfenbeintafeln von 550 in der
Sakristei; das
nahe dabei gelegene
Baptisterium
San Giovanni (430 durch
Bischof Neon restauriert), ein achteckiges Gebäude
mit
Kuppel, altem Taufbrunnen und wohlerhaltenen
Mosaiken aus dem 5. Jahrh.; die
Kirche
San Vitale (von 526 bis 547 erbaut),
eine Vorstufe zur vollendeten Form des byzantinischen Kirchenstils bildend, von außen einschmuckloser Ziegelbau, im Innern
achteckig, mit einer auf acht
Pfeilern ruhenden, aus topfartigen
Hohlziegeln erbauten
Kuppel und zwischen
den
Pfeilern stehenden
Nischen, deren
Wände von zweigeschossigen
Arkaden durchbrochen werden, herrlichem musivischen
Fußboden,
Stuckornamenten, schönen alten Mosaikgemälden im
Chor und mehreren antiken Marmorreliefs (s. Tafel
»Baukunst
[* 15] VII«,
[* 16] Fig. 4-6);
San Francesco, eine 427 errichtete dreischiffige Basilika, deren ursprüngliche Form in dem spätern Umbau noch erhalten ist, mit zwölf alten Säulenpaaren, Glockenturm und Marmorsarkophag des Erzbischofs Liberius (gest. 350) mit altchristlichen Reliefs;
Sant' Apollinare Nuovo, von Theoderich (504) erbaut und ehemals Sitz der arianischen Bischöfe, eine dreischiffige Basilika, deren Mittelschiff noch jetzt das seltene Beispiel einer wohlerhaltenen Innendekoration aus altchristlicher Zeit mit Marmorsäulen und -Bogen, Mosaikgemälden etc. aufweist;
San Giovanni Evangelista, eine von der Kaiserin Galla Placidia 425 erbaute Votivkirche mit reichskulptiertem Portal des Vorhofs und Fresken von Giotto im Innern;
das den Märtyrern Nazario und Celso geweihte Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia, ein von der letztern 440 für sich und ihre Angehörigen errichteter einfacher Ziegelbau, das erste Beispiel einer tonnengewölbten Kreuzkirche mit überhöhter Kuppel über der Vierung mit herrlichem Mosaikschmuck, dem Sarkophag [* 17] der genannten Kaiserin und mehreren andern Grabmälern;
die Grabstätte Dantes, ein 1482 errichtetes, 1780 umgebautes Tempelchen mit dem Sarkophag und der Halbfigur Dantes.
Vor den
Thoren
von Ravenna
liegen drei ebenfalls sehr interessante alte
Kirchen, nämlich:
Sant' Apollinare in
Classe, die bedeutendste unter den
altchristlichen
Basiliken
Italiens
[* 18] (534-549 erbaut), mit geschlossene Vorhalle, hohem runden Glockenturm, im Innern aus drei
Schiffen bestehend, welche durch je zwölf
Säulen
[* 19] aus griechischem Cipollino getrennt sind, mit erhöhter
Tribüne und einer
Krypte unter derselben,
¶
mehr
zwei kleinen Seitentribünen, Medaillonfriesen, kostbarer Marmorverkleidung, Mosaiken etc.; die Kirche Santa Maria della Rotonda, das Grabmal Theoderichs d. Gr., ein Bau des 6. Jahrh., in seinem Grundgedanken noch den römischen Mausoleen verwandt und doch altgermanisch, ein zweigeschossiger Zentralbau, unten ein den kreuzförmigen Gruftraum enthaltendes massives Zehneck, von welchem zwei strebebogenartige Treppen [* 21] zu dem stark zurücktretenden Obergeschoß führen, im Innern kreisrund, von zehn kleinen Fenstern erleuchtet und durch einen riesigen Flachkuppelstein aus istrischem Kalkstein (8000 Ztr. schwer) abgeschlossen; Santa Maria in Porto Fuori, 1096 vom Bischof Pietri Onesti erbaut, eine dreischiffige Basilika mit Fresken und Sarkophag des Stifters.
Außer 14 andern, meist ebenfalls sehr alten und kunstgeschichtlich interessanten Kirchen enthält an sonstigen bemerkenswerten Gebäuden: den Palast des Erzbischofs, mit merkwürdiger, aus dem 5. Jahrh. trefflich erhabener Hauskapelle;
den Palast Theoderichs, welcher freilich nur in spärlichen Überresten erhalten ist, u. a. Von den
Plätzen Ravennas
, meist nur von geringer Ausdehnung,
[* 22] ist die Piazza Vittorio Emmanuele, im Mittelpunkt der
Stadt, zu erwähnen, auf welcher sich zwei hohe, von den Venezianern 1483 errichtete Granitsäulen mit Basreliefs, dann die
Statue Papst Clemens' XII. (1738) und acht eingesunkene Säulen der sogen. Basilika des Herkules befinden.
Vor dem Bahnhof erhebt
sich das Monument des Staatsmannes Farini. Unter den Straßen zeichnet sich vor allen der die Stadt geradlinig
durchschneidende Corso Garibaldi aus. Vor der Porta Sisi (einem der sechs Stadtthore) liegt 6 km entfernt die Colonna dei Francesi,
eine 1557 aufgerichtete kleine, mit Arabesken und Inschriften geschmückte Säule gegenüber dem berühmten Schlachtfeld, wo 1512 Ludwig
XII. von Frankreich die Truppen des Papstes Julius II. schlug. Ravenna
zählt mit den Vorstädten (1881) 18,571,
als Gemeinde 60,573 Einw. Die Beschäftigung derselben bilden zumeist Weinbau und Seidenzucht, Seidenspinnerei und -Weberei,
Fabrikation von Glas, Seife, Stärke,
[* 23] Hüten etc. und Handel.
Die Stadt ist durch die Zweigbahn nach Castel Bolognese und durch die Dampftramwaylinie nach Forli mit der
Eisenbahn Bologna-Ancona und durch den Schiffahrtskanal Corsini mit dem Adriatischen Meer verbunden. Im Hafen von Ravenna
sind 1886: 1761 Schiffe
[* 24] mit 50,255 Ton. eingelaufen. Der gesamte Warenverkehr von Ravenna
zur See belief sich auf 114,739 Ton. hat ein Lyceum mit Konviktkollegium,
eine technische Schule, ein Seminar, eine Bibliothek mit 50,000 Bänden, zahlreichen Inkunabeln und 700 Manuskripten,
nebst kleinem Museum, eine Akademie der schönen Künste mit Sammlung von Gemälden, Gipsabgüssen und Kupferstichen, ein Theater,
[* 25] ein großes Krankenhaus,
[* 26] zwei Waisenhäuser, eine Sparkasse und ein Leihhaus. Es ist Sitz eines Erzbischofs, eines Präfekten und
einer Handels- und Gewerbekammer. Südöstlich von Ravenna
gelangt man zu dem berühmten Pinienwald (Pineta).
- Ravenna
, das in ältester Zeit eine Stadt der Etrusker, dann der Umbrer war, dessen Blüte
[* 27] aber erst aus der Zeit des Augustus herrührte,
war im 5. Jahrh. Residenz mehrerer weströmischer Kaiser, nach dem Untergang des abendländischen Römerreichs seit 493 der
ostgotischen Könige, endlich der Exarchen.
Die Sage von der Ravenna-
oder Rabenschlacht (s. d.) zeugt von der Bedeutung, welche
Ravenna
damals
hatte. Die Exarchen wurden 752 von den Langobarden vertrieben, welchen jedoch der fränkische König Pippin 755 die Stadt nebst
dem ganzen Exarchat wieder abnahm, um beides dem römischen Stuhl zu schenken, was 774 von Karl d. Gr. bestätigt
wurde. Ravenna
wurde hierauf von Konsuln regiert. Seit 1275 herrschte die Familie Pollenta in Ravenna.
Von 1440 bis 1509 war die Stadt
in den Händen der Venezianer, denen sie infolge der Liga von Cambrai entrissen wurde, seit welcher Zeit sie dem Papst
verblieb. Julius II. setzte einen Kardinallegaten hierher. Durch den Frieden von Tolentino 1797 wurde Ravenna
den Franzosen unterthan;
durch den Wiener Kongreß 1815 aber kam es wieder zum Kirchenstaat, 1860 zu Italien.
[* 28]
Vgl. Fantuzzi, Monumenti Ravennati
de'
secoli di mezzo (Vened. 1801);
Quast, Die altchristlichen Bauwerke von Ravenna
(Berl. 1842);
Rahn, eine kunstgeschichtliche Studie (Leipz. 1869);
Diehl, Ravenne; études d'archéologie byzantine (Par. 1885).