Titel
Ragaz
(Kt. St. Gallen,
Bez. Sargans).
521 m. Gem., Pfarrdorf und berühmter Kurort in der Rheinebene, vor der Ausmündung
der wilden Taminaschlucht und in einer an Naturschönheiten reichen Gegend. 1,3 km nnö. vom Mittelpunkt des Dorfes die Station
Ragaz
der Linien
Zürich- und
Rorschach-Chur. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen Ragaz
-Pfäfers-Vättis.
Strassen nach
Sargans,
Valens,
Pfäfers-Vättis,
Mastrils und
Maienfeld. Gemeinde: 307
Häuser, 1866 Ew. (wovon 392 Reformierte);
Dorf: 285
Häuser, 1733 Ew. 1826 zählte die Gemeinde 811 Ew. und 1850 deren 1366. Acker-,
Mais-,
Wiesen-, Gemüse-, Obst- und
Weinbau;
Viehzucht. In den höhern s. und w. Teilen der 2701,5 ha umfassenden und bis gegen den Piz Sol in den Grauen Hörnern hinaufreichenden Gemeinde Alpwirtschaft und schöne Waldungen, Fels, Firn und Alpenseen.
Das alte Dorf
liegt am linken Ufer der
Tamina um die 1703 erbaute Pfarrkirche, während am rechten Flussufer unmittelbar vor dem Eingang
in die Taminaschlucht der neue Kurort mit den grossen Gasthöfen
Hof Ragaz
(früher Amts- und Erholungshaus
des Abtes und der Konventualen des
Klosters
Pfäfers) und
Quellenhof (links und rechts der
Tamina) aufgeblüht ist. Ragaz
, das
noch vor 50 Jahren ein einfaches Bauerndorf war, ist jetzt eine moderne Badestadt mit allem erdenklichen Komfort. Diese rasche
Umwandlung verdankt der
Ort der Zuleitung des Thermalwassers von
Pfäfers, dem landschaftlichen Reiz
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der Gegend, der Lage an der grossen internationalen Durchgangsroute Paris-Wien via Sargans und am Eingang in die Thäler des Bündnerlandes, sowie den prachtvollen Badeeinrichtungen und Gasthofbauten. Die nach der 1,3 km vom Mittelpunkt des Dorfes entfernten Bahnstation führende Strasse wird zu beiden Seiten von zahlreichen Villen mit Gartenanlagen begleitet. Bei der Station ansehnliche neue Hotels, besonders das grosse Hotel Bristol. Ferner hat man einen künstlichen See von 1000 m Länge und 100-150 m Breite angelegt.
Der Aufschwung von Ragaz
datiert seit 1840. 1839 liess der Staat durch die Taminaschlucht bis Pfäfers eine Strasse erbauen
und zugleich das Thermalwasser von da bis nach Ragaz
hinaus leiten, worauf man am das neue
Heilbad mit seinen Gartenanlagen feierlich eröffnete. Der energische und unternehmungslustige Architekt B. Simon kaufte
dann 1863 die Staatsdomäne Ragaz
-Pfäfers an und erhielt zugleich auf 100 Jahre die alleinige Konzession für den Betrieb
des Bades Pfäfers und des Dorfbades Ragaz.
Dieser Mann, dem Ragaz
seine heutige Blüte zum grossen Teil verdankt, liegt auf dem hiesigen Friedhof begraben, wo ein Denkmal
an seine Verdienste erinnert. Ebenfalls auf dem Friedhof steht das Grabdenkmal des Philosophen Friedr. Wilh. von Schelling
(† 1854), von seinem Schüler und Verehrer König Maximilian II. von Baiern errichtet, und auf dem
Dorfplatz das 1897 erstellte Denkmal des deutschen Menschenfreundes und Begründers des Armenbades Bartholome († 1878).
Die Temperatur des Thermalwassers beträgt in den Badekabinen 34-35 °C und im grossen Schwimmbad 29-32,5 °C. Die Analyse von Prof. Treadwell 1895 hat folgende Zusammensetzung ergeben: 10000 gr Wasser enthalten in Grammen
Eisen | 0.001017 | Kupfer | Spur |
Aluminium | 0.000863 | Kieselsäure | 0.209960 |
Calcium | 0.552340 | Kohlensäure | 1.037300 |
Strontium | 0.007036 | Phosphorsäure | 0.003000 |
Barium | 0.001760 | Schwefelsäure | 0.292450 |
Magnesium | 0.155180 | Jod | 0.000092 |
Kalium | 0.035543 | Brom | 0.001220 |
Natrium | 0.292570 | Chlor | 0.346330 |
Lithium | 0.001812 | Fluor | 0.000280 |
Ammonium | 0.000576 | Salpetersäure | 0.005080 |
Caesium | Spur | Borsäure | 0.004150 |
Rubidium | Spur | Arsensäure | 0.000060 |
Thallium | Spur | Organ. Substanzen | 0.000900 |
Total | 2.949549 | ||
Direkt bestimmt | 2.90000 | ||
Spezifisches Gewicht | 1.00031 |
Das Thermalwasser der Pfäferser Quellen wird mit Erfolg angewendet gegen chronischen Rheumatismus und Gicht, chronische Krankheiten der Knochen, Gelenke und Muskeln, allgemeine Nervosität, Neurasthenie, Neuralgien (Ischias), chronische Gehirn- und Rückenmarksleiden, Verdauungsstörungen, chronischen Darmkatarrh, Blasen- und Nierenleiden, Frauenkrankheiten, chronische Erkrankungen der Luftwege etc. Behandlung mit Elektrizität und Massage, schwedische Heilgymnastik nach Methode Zander, Hydrotherapie etc. Dauer der Bade-Saison von Mitte Mai bis Mitte Oktober.
Ragaz
erfreut sich eines milden Klimas, das alle Vorteile einer Hügelgegend mit denen einer sonnigen
Ebene vereinigt und den Ort zu einer Uebergangsstation zwischen dem Flachland und den hohen Alpenthälern stempeln. Die grossen
Waldungen an den Berghängen und ein steter Luftzug erhalten die Luft in vorzüglicher Reinheit. Die Aufzeichnungen der meteorologischen
Station haben folgende 10 jährige Temperaturmittel ergeben: Mai 13,7°;
Juni 16,5°;
Juli 17,7°;
August 17,0°;
September 14,4°;
Oktober 8,5. C. Die mittlere Bewölkung während dieser Monate schwankt zwischen 4,3 bis 5,8%. Ragaz
weist heute an Kuranten eine Jahresfrequenz von 30000 Personen auf, denen eine ganze Reihe von grossen Hotels, einfachern
Gasthöfen, Pensionen und Restaurationen zur Verfügung stehen.
Viele Verkaufsmagazine und moderne Privatbauten. Mitten im
Dorf erhebt sich die zu den Bade- und Kuranstalten gehörige Bade- und Trinkhalle, das sog. Dorfbad. Oberhalb des Dorfes stehen
am rechten Ufer der Tamina die neuen Bade- und Kuranstalten, voran der altertümliche Hof Ragaz
und der moderne Quellenhof, an
die sich die vielen anderen Etablissemente und ein prächtiger Kurpark mit dem Kursaal anschliessen.
Vorzügliche Kurmusik. Kur- und Verkehrsverein. Je eine katholische, reformierte und anglikanische Kirche. Schönes Schulhaus
für die Primar- und Sekundarschule. Ein Bankinstitut. Druckwasserversorgung, grosses Elektrizitätswerk an der Strasse Ragaz
-Vättis.
Eine Buchdruckerei mit einer wöchentlich 3 mal
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erscheinenden Zeitung. Sehr stark besuchte Jahrmärkte. An der Strasse Mels-Sargans steht am Fuss der malerischen Burgruine
Freudenberg das grosse Armenhaus und daneben die Kapelle St. Leonhard. Zahlreiche andere Burgruinen in der Umgebung. Drahtseilbahn
von Ragaz
zum Schloss Wartenstein, das eine prachtvolle Aussicht bietet. Ragaz
ist Ausgangspunkt für zahlreiche Exkursionen,
so vor allem in die durch eine Strasse bequem zugängliche Taminaschlucht, und dient als Touristenstation für interessante
Gebirgstouren, besonders ins Gebiet der Grauen Hörner und der östl. Glarnerberge.
Der Ort erscheint zum erstenmal 998 in einer Bulle des Papstes Gregor V. als Ragez;
dann 1050: Regacies;
Ende des 11. Jahrhunderts: Ragaces;
später Ragazzes
, Ragats, Ragatsch, Ragaz.
Wahrscheinlich von runcatia (rätoromanisch runcaisch) = Reute herzuleiten. Er lag in der Nähe der Porta Romana, des Durchpasses der uralten rätischen Handelsstrasse aus dem Zürich- und Walenseethal nach Italien. Rudolf von Hardegg, Abt von Pfäfers, erbaute hier 1174 eine St. Niklauskapelle als Filiale der Mutterkirche von Pfäfers. Das Kloster Pfäfers erwarb im ausgedehnten Hof Ragaz, der einen eigenen Gerichtsbezirk bildete, viele Rechtsame und Liegenschaften, so z. B. 1228 das ausschliessliche Mühlenrecht, das es dem die Freiherrschaft Freudenberg als Reichslehen verwaltenden Heinrich von Wildenberg abkaufte.
Eine ganze Reihe von in der Umgebung und auch in Bünden begüterten Edeln benannten sich von Ragaz, so diejenigen, die in Urkunden von 1209 bis 1339 als Zeugen oder als Guttäter des Klosters Pfäfers öfters erwähnt werden. 14111413 errichteten Margaretha von Marmels und ihr Gemahl Hans Ludwig Heinrich Hegner die St. Leonhardskapelle. 1136 schloss Ragaz wie die andern Gemeinden des Sarganserlandes ein Burgrecht mit Zürich. 1515 erstand ein Kaufhaus (Sust) mit Zollstätte für alle über den Kunkelspass gehenden Warentransporte.
Die 1525 im Land eingeführte Reformation wurde von den Gesandten der regierenden alten Orte der Eidgenossen 1532 wieder aufgehoben. Grosse Feuersbrünste zerstörten 1583 18 Häuser, 1731 deren 42 und am deren 133. Am verheerte ein Hochwasser der Tamina die ganze Gegend, riss 42 Wohnhäuser und Scheunen mit sich und beschädigte noch weitere 150 Gebäude. Im Hof Ragaz s. vom Dorf liess Abt Johannes IV. von Pfäfers ein Amtshaus errichten, das dann der Fürstabt Bernhard Boxler 1774 durch ein Erholungshaus für den Abt und die Konventualen von Pfäfers ersetzte, dem er auch noch eine Kapelle, ein Verwaltungsgebäude, verschiedene Oekonomiebauten und einen grossen Garten angliederte. Im gleichen Jahr erstellte man in Ragaz ein neues Rathaus. Im Winter 1798/99 war Ragaz mit dem Sarganserland der Schauplatz von Kämpfen zwischen Oesterreichern und Franzosen, in deren Verlauf die alte gedeckte Holzbrücke über die Tamina und die Hälfte des Dorfes in Flammen aufgingen.
Die helvetische Verfassung gliederte Ragaz dem Kanton Linth an, worauf es 1803 zum neuen Kanton St. Gallen kam. Dieser liess 1825 die alte Schlachtkapelle im Dorf erneuern und in ihr eine bildliche Darstellung des am in der Nähe ausgefochtenen Kampfes zwischen den Eidgenossen und Oesterreichern anbringen, die bald durch ein einfaches Denkmal ersetzt werden wird. Von bekannten Bewohnern von Ragaz sind neben dem schon erwähnten Architekten B. Simon noch zu nennen der Badedirektor und Verfasser mehrerer Schriften über Ragaz Flavian Egger († 1896), der Pfarrer J. A. S. Federer († 1868), Rektor der katholischen Kantonsschule zu St. Gallen und eidgenössischer Schulrat, der Reallehrer Fiavian Kaiser († 1902), der Kanonikus und Administrationsrat J. Oesch, auch verdient als Historiker und Philanthrop.
Bibliographie:
Führer von Ragaz und Pfäfers. Zürich, Verlag von J. A. Preuss; Heule, A. Vom Walensee zur Tamina. Glarus 1903; Kaiser, J. F. Die Thermen von Ragaz und Pfäfers. 1869; Kaiser, Flav. Ragaz-Pfäfers und ihr Exkursionsgebiet. 2. Aufl. Ragaz 1880; Schädler, A. Ragaz-Pfäfers, die Heilwirkungen seiner Therme. 1886. Vergl. ferner die Bibliographie beim Art. Pfæfers und die verschiedenen Schriften des Ragazer ¶