Rätsel
die umschreibende
Darstellung eines nicht genannten Gegenstandes,
den der
Leser oder
Hörer
selbst auffinden (»raten«) soll. Die Hauptaufgabe eines guten Rätsels
besteht darin, daß die ganze
Beschreibung, wenn auch ihre einzelnen Teile mehrdeutig sind, doch treffend den Gegenstand bezeichne;
es ist um so vollkommener, je schärfer bei aller absichtlichen Dunkelheit die Bezeichnungen sind, und
je mehr dabei dem Nachdenken überlassen wird. Man unterscheidet: Buchstabenrätsel, wenn einer oder zwei
Buchstaben am Anfang
des
Wortes verändert werden, während der übrige Teil des
Wortes unverändert bleibt
(Maus,
Haus, Schmaus);
Logogriphen, wenn durch Versetzung der Buchstaben andere Wörter gebildet werden (Bernhardus, Bruder Hans);
Arithmogriphen oder
Zahlenrätsel;
Palindrome, wenn das betreffende Wort vor- und rückwärts gelesen einen Sinn geben muß;
Homonymen, wenn ein und dasselbe Wort in verschiedener Bedeutung genommen werden soll;
Scharaden oder Silbenrätsel, wenn erst die einzelnen Silben und dann das Ganze eines mehrsilbigen Wortes bezeichnet werden;
Worträtsel
, bei denen gleich das ganze
Wort zusammengenommen wird.
Nebenzweige des Rätsels
sind: das Bilderrätsel oder der
Rebus (s. d.), der sogen.
Rösselsprung
(s. d.), endlich das Schachrätsel.
Das hat seinen Ursprung im
Orient, wo es im
Altertum nicht selten als
Ausdruck höherer
Erkenntnis diente, die sich gern in Dunkelheit hüllte.
Schon bei den
Hebräern spielte es im Volksleben
bei ernsten und heiterm Anlässen eine bedeutende
Rolle. Dem
Joram muß es dazu dienen, das
Königtum
Abimelechs zu verhöhnen;
Simson würzt damit sein Hochzeitsmahl; die
Königin von
Saba geht mit
Salomo an dessen
Hof
[* 2] einen Rätsel
kampf ein. Bei den Griechen
schloß sich das in den frühsten
Zeiten an die Orakelsprüche an und war daher meist in
Hexametern abgefaßt.
Besonders kam es zur Zeit der
Sieben Weisen, die es zu didaktischen
Zwecken verwendeten, in
Aufnahme, und namentlich soll
Kleobulos
eine große Anzahl von Rätseln
in
¶
mehr
Versen geschrieben haben. Fast alle bei uns jetzt üblichen Formen des Rätsels
finden sich schon im hellenischen Altertum, und
selbst die Epiker, die dramatischen Dichter und Lyriker mischten gern rätsel
artige Aussprache in ihre Dichtungen ein. Bekannt
ist das von Ödipus gelöste Rätsel
der Sphinx
[* 4] (vgl. Ohlert, Rätsel
und Gesellschaftsspiele der alten
Griechen, Berl. 1886). Die Römer
[* 5] fanden weniger Geschmack an dergleichen Denkübungen. Besonders häufig war dagegen der Gebrauch
der Rätsel
bei den germanischen Völkern.
Schon die Eddalieder sind voll solcher Fragen, womit man seine gegenseitige Kenntnisse prüfte. Aus dem spätern deutschen
Altertum sind besonders zwei Gedichte von Rätselform
zu erwähnen: das sogen.
»Tragemundeslied« und der »Wartburgkrieg«, außerdem zahlreiche im Volksmund und in Volksbüchern erhaltene Überreste von
Rätseln.
Eine weitere Ausbildung hat das Rätsel
im 18. und 19. Jahrh. erhalten, wo man ihm durch die
poetische Form größern Reiz zu geben suchte.
Durch poetischen Gehalt und Formenschönheit ragen Schillers bekannte in der »Turandot« hervor; mehr
durch Humor oder durch Witz und Scharfsinn ausgezeichnet sind die Rätsel
von Hebel
[* 6] und Schleiermacher, ferner von Mises, Thiersch, Hauff,
Schmidlin, Brentano u. a. Die erste deutsche Rätsel
sammlung wurde 1505 in Straßburg
[* 7] gedruckt (neu hrsg. von Butsch, das.
1875). Eine Sammlung alter Volksrätsel enthält auch Simrocks »Deutsches Rätselbuch« (3. Aufl., Frankf.
1874). Von den zahlreichen neuern Sammlungen empfehlen sich durch Reichhaltigkeit Ohnesorges Rätselalmanach »Sphinx« (Berl.
1833-35, 6 Bde.) und Hoffmanns »Großer deutscher Rätselschatz« (Stuttg. 1874, 2 Bde.).
Vgl. Friedreich, Geschichte des Rätsels (Dresd. 1860).