Titel
Rætikon
und Plessurgebirge (Kt. Graubünden).
I. Der Rætikon
ist jenes mächtige und schöne Gebirge an der schweizerisch-österreichischen Grenze, das im S. vom
Prätigau, im N. vom Montafun, im W. vom
Rheinthal
(Landquart bis Feldkirch) und im Osten vom
Schlappinerjoch (Klosters-St.
Gallenkirch)
begrenzt wird. Es erscheint, wenigstens orographisch, als ein Ausläufer der
Silvrettagruppe, mit der es am genannten Joch
zusammenhängt und deren krystalline Gesteine auch noch in den östl. Teil des Rätikon
herübergreifen,
während im übrigen dieses Gebirge der Zone der nördl. Kalk- und Schieferalpen angehört.
Die Linie St.
Antönierthal-Grubenpass-Gampadelzthal scheidet den östlichen,
von S. nach N. streichenden Rätikon
vom westlichen,
dessen Hauptkamm im ganzen vom
Grubenpass bis zum
Luzisteig ostwestlich streicht. Von diesem Hauptkamm
zweigen, das N.-Ende des Osträtikon
mitgerechnet, sieben Seitenketten nach N. ab, die sechs Seitenthäler einschliessen
und grösstenteils aus Triasgesteinen aufgebaut sind. Im S. dagegen finden wir nur drei Seitenzweige und diese in mehr stockförmiger
als kettenförmiger Gliederung aus tertiärem Flysch herausmodelliert. Mit dem Osträtikon
zusammen schliessen sie
drei Seitenthäler des
Prätigaus ein, die als tiefeingeschnittene
Schluchten münden, weiter hinten aber sich ausweiten und
mehrfach verzweigen. Alle diese Seitenthäler sind nur sehr spärlich bewohnt, am besten dasjenige von
Brand im N. und das
von St. Antönien im S., die auch von Kurgästen und Touristen am meisten besucht werden.
Der zentrale Hauptkamm des Westrätikon
ist ein herrliches Kalk- und Dolomitgebirge, dessen über die grünen
Vorberge hochaufragenden,
weissschimmernden
Wände namentlich in der Abendbeleuchtung einen unvergleichlichen Anblick gewähren und lebhaft an die Dolomiten
Südtirols erinnern. Wenige Glieder der nördl.
Kalkalpen zeigen auf so
¶
Rætikon und Plessurgebirge
Lief. 151.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebrüder Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 7° 20’ O; 47° 0’ N; 1:300000]
MCE BOREL & CIE
V. ATTINGER SC.
RÆTIKON UND PLESSURGEBIRGE ¶
mehr
kleinem Raum eine solche Mannigfaltigkeit des Reliefs und eine so ausgeprägte Originalität der Gipfelbildung, wie der Rätikon.
Besonders fallen die imposanten Gestalten des Falknis (2566 m), der Scesaplana (2969 m), der Kirchlispitzen (2541 und 2555 m),
der Drusenfluh (2829 und 2828 m), der Sulzfluh (2820 m), der Scheienfluh (2630 m) und der Rätschenfluh (2707
m) auf, die gleich riesigen Bastionen mit fast senkrechten Wänden aufragen und oft plateauartige, zum Teil firngekrönte
Scheitelflächen tragen, aber auch einen Reichtum von vielgestaltigen Zinnen, Türmen, Erkern, vorspringenden Rippen und dazwischen
eingelassenen Runsen und Kaminen aufweisen, während das Madrishorn und seine gesteinsverwandten Trabanten des
Osträtikon
mehr die Pyramidenformen und zerrissenen Gräte der steilaufgerichteten Gneise und krystallinen Schiefer zeigen.
Der Preis der Schönheit unter diesen Bergen gehört der Drusenfluh, deren riesige S.-Wand zu den gewaltigsten Gebilden dieser Art in den Schweizeralpen gehört. Aber als Aussichtspunkt steht obenan die Scesaplana, die infolge ihrer Höhe und vorgeschobenen Lage ein Schaugerüste ersten Ranges ist und seit Jahren einen stets sich mehrenden Strom von Touristen anzieht. Ihr gehört auch der grösste Gletscher des Rätikon an, der auf hoher Terrasse flachausgebreitete Brandner Ferner, der mit seiner Umrahmung von Brand aus einen herrlichen Anblick gewährt.
Ein weiterer Schmuck der Scesaplana ist der 1000 m unter dem Gipfel in grossartigem Felsenzirkus eingebettete Lünersee, dessen smaragdgrüner Spiegel wunderbar kontrastiert mit den kahlen, zum Teil phantastisch gestalteten Wänden und rauhen Schutthalden ringsumher. Ueber dem w. Ufer des Sees findet sich die Douglashütte des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Eine Rivalin der Scesaplana ist die Sulzfluh, die ebenfalls einen kleinen Gletscher trägt und der auch der Schmuck kleiner Bergseen nicht fehlt. Wir finden da den Tilisunasee (2102 m) im NO. und den Partnunsee (1874 m) im SO. zu beiden Seiten des vielbegangenen Grubenpasses. Eine Eigentümlichkeit der Sulzfluh sind ihre Höhlen. Solche gibt es zwar auch in andern Teilen des Rätikon noch manche, aber nirgends sind sie so gross und so zahlreich wie an der Sulzfluh. Ihrer mehrere finden sich in der O.-Wand des Sulzfluhplateaus.
Ferner wird auch das Madrishorn (2830 m), der Hauptgipfel im Gneiskamm des Osträtikon
, häufig bestiegen, weil man hier einen
herrlichen Blick auf die schon näher gerückte Silvrettagruppe geniesst. Mit dieser Besteigung lässt
sich leicht diejenige der Rätschenfluh und des Saaser Calanda verbinden. Schwieriger und seltener gemacht
ist diejenige des
österreichischen Madriser Spitz. Ebenfalls nur selten besucht werden die weiter n. folgenden Spitzen des Gneiskamms (Gargellenköpfe,
Riedkopf, Rotspitz, Vierecker, Röbispitzen, Sarotlaspitzen etc.), alles nur kleinere Formen und keine
grossen Gipfelindividuen.
Nur die vorgelagerten Kalkberge der Scheienfluh (2630 m) und des Schollbergs (2574 m) imponieren wieder mehr und erhalten hie und da Besuch. Ein vielbesuchter Hauptaussichtspunkt ist aber noch der Falknis (2566 m), der westl. Eckpfeiler des Rätikon, der einen wundervollen Blick namentlich in die benachbarten Thäler (Rheinthal von Chur bis zum Bodensee, Seezthal bis Walen- und Zürichsee und Prätigau) gewährt. Zusammen mit dem doppeltürmigen Gleckhorn ist der Falknis nach dem Urteil des Geologen Theobald eine der schönsten Bergformen Graubündens. An ihn reihen sich nach O. die beiden Grauspitzen (2601 und 2577 m), der Naafkopf (2574 m), der Tschingel (2544 m) und an die Scesaplana angelehnt der Hornspitz (2540 m), alles weniger bekannte und seltener besuchte Gipfel.
Auch Kirchlispitzen und Drusenfluh, östl. von der Scesaplana, werden seltener bestiegen, obwohl namentlich die gewaltige Drusenfluh, nicht zum mindesten der Schwierigkeiten wegen, auf geübte und mutige Bergsteiger einen grossen Reiz ausübt. Den ebenfalls dem Kalkgebirge (vorherrschend Trias) angehörenden, nach N. ausstrahlenden Seitenkämmen mit ihren rauhen, wildzerrissenen Gräten entragen zahlreiche kühngeformte Gipfel von zum Teil grossem touristischem Interesse, wie besonders im Gebiet der Drei Schwestern (2108 und 2124 m), der Zimbaspitze (2645 m) und des Schwarzhorns (2462 m). Im Gegensatz zu diesen nördl. Auszweigungen zeigen die südl. Vorberge des Rätikon die sanfteren, dem Schiefergebirge und der Flyschbildung eigentümlichen Formen mit ihren breiten, bis auf die Gipfel reichenden Rasenhängen, die allerdings dann und wann von wilden Runsen und Schluchten durchrissen sind und durch diese bei heftigern Regengüssen oft genug verheerende Rüfen ins Thal senden. Dem Touristen bieten sie wenig, obwohl der Vilan (2380 m) bei Seewis, der Ochsenberg (2312 m) und der Girenspitz (2397 m) bei Schiers, das Kreuz (2200 m) und das Kühnihorn (2416 m) bei Schiers und St. Antönien schöne Aussichtspunkte sind und von den Thalbewohnern und Kurgästen der Gegend gern besucht werden.
Die Pässe über den Zentralkamm des Rätikon sind ziemlich zahlreich, aber durchweg sehr hoch - keiner unter 2100 m - und beschwerlich. Grössere Verkehrsbedeutung haben sie nie gehabt, ausgenommen der Luzisteig und etwa das Schlappinerjoch. Der Luzisteig (719 m) ist aber mehr eine ¶
mehr
Thal- als eine Bergstrasse, die mit einer Steigung von nur etwa 200 m durch ein altes, abgestorbenes Thal des Rhein zwischen Falknis und Fläscherberg von Maienfeld nach dem Fürstentum Liechtenstein führt und in wohl nicht mehr ferner Zeit durch eine Sekundärbahn ergänzt werden wird. Die schweizerische Landesgrenze ist hier von der Passhöhe nach N. bis ganz nahe an das liechtensteinische Balzers verschoben. Das Schlappinerjoch (2200 m) am O.-Ende des Rätikon war früher (bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts) ein ziemlich befahrener Saumpfad, über den unter anderm auch die Weinfuhren ans dem Veltlin ins Montafun gingen.
Auch Kriegszüge haben gelegentlich den Pass benützt. So fielen über ihn im Oktober 1621 die Oesterreicher unter Brion ins Prätigau ein. Die über den eigentlichen Hauptkamm des Rätikon führenden Pässe lassen sich in drei Gruppen bringen, die man als St. Antönier-, Schierser- und Seewiserpässe bezeichnen kann. Die St. Antönierpässe sind: das St. Antönierjoch (2375 m) von St. Antönien östl. hinüberführend nach Gargellen; der Plasseckenpass (2345 m) und der Grubenpass (2235, resp. 2222 m), jener an der O.-Seite, dieser an der W.-Seite der Scheienfluh vorbeiführend von St. Antönien ins Gampadelzthal und nach Schruns; der Grubenpass (Variante 2222 m) speziell ist der vielbenutzte Uebergang von Partnun (Pension Sulzfluh) nach der Tilisunahütte.
Die Schierserpässe sind das Drusenthor oder die Sporrenfurka (2400 und 2350 m) zwischen Sulzfluh und Drusenfluh, Uebergang von Schiers-Schuders ins Gauerthal (Lindauerhütte) und nach Schruns; das Schweizerthor (2151 m) zwischen Drusenfluh und Kirchlispitzen, niedrigster, aber interessantester Pass des Rätikon, Uebergang ins Rellsthal und in Verbindung mit dem Nerrajöchl und der Garschinafurka oft als Uebergang vom Lünersee nach Partnun benutzt; das Cavelljoch (2238 m) zwischen Kirchlispitzen und Scesaplana, Uebergang von Schiers-Schuders nach dem Lünersee und Brand-Bludenz.
Seewiserpässe: das Lünereck (2299 m) ebenfalls zwischen Kirchlispitzen und Scesaplana (speziell Kanzelkopf) von Seewis durch die Valser Alp und hart am Cavelljoch vorbei zum Lünersee;
die Kleine Furka (2238 m) und Grosse Furka (2367 m), erstere zwischen Scesaplana und Hornspitze, letztere zwischen Hornspitze und Tschingel, beide von Seewis über die Alp Fasons zum Nenzinger Himmel (Gamperdonathal) und nach Nenzing;
der Pass Auf den Platten oder Barthümeljoch (2328 m) westl. vom Tschingel, von Seewis über die Alp Stürvis wiederum ins Gamperdonathal;
endlich das Jes Fürkli (2352 m) zwischen Naafkopf und Hinter Grauspitz von Seewis über Stürvis ins Saminathal und von da nach Frastenz-Feldkirch oder Vaduz-Triesen.
Ausser diesen Touristenpässen gibt es noch manche Jäger-, Hirten- und Schmugglerpfade.
Aber nicht nur landschaftlich und touristisch, sondern auch geologisch gehört der Rätikon zu den interessantesten Gebirgen der Schweiz. Es finden sich da ganz merkwürdige und eigenartige Verhältnisse, deren Studium den Fleiss und Scharfsinn zahlreicher Geologen herausgefordert hat und jetzt noch nicht abgeschlossen ist. Es hält immer noch schwer, sich aus dem Gewirr von Ansichten und Theorien ein einigermassen befriedigendes Bild von dem Gesteinsmaterial, der Stratigraphie und Tektonik dieses Gebirges zu machen.
Die Geologische Karte der Schweiz von Heim und Schmidt lässt uns im Rätikon drei grössere geologische Provinzen erkennen: eine Trias-, eine Jura-Kreide- und eine Bündnerschieferprovinz. Das Triasgebiet umfasst im ganzen die nördl. Seitenketten, erreicht aber in der Scesaplana auch den Hauptkamm. Am N.- und W.-Rand ist es von einem schmalen Flyschstreifen umschlossen. Das Jura-Kreidegebiet umfasst im ganzen den Hauptkamm vom Falknis bis zur Sulzfluh, jedoch ohne die Scesaplana. Im Gebiet des Falknis ist es ziemlich breit, verschmälert sich aber nach O. immer mehr, bis es südl. vor der Scesaplana auf einen ganz schmalen Streifen eingeschränkt ist, um dann in Kirchlispitzen, Drusenfluh und Sulzfluh wieder breiter (doch nicht mehr so breit wie im Falknis) zu werden.
Mit dem Osträtikon
biegt diese Jura-Kreidezone nach S. um und bildet die Scheienfluh, Rätschenfluh und einige
dazwischenliegende kleinere Gipfel und Bänder vor dem krystallinen Hauptkamm dieses Osträtikon.
Die Bündnerschiefer-, bezw.
Flyschprovinz endlich umfasst die südl. Seitenketten des Westrätikon und reicht auch bis in den Osträtikon hinein, abgesehen
davon, dass dieser Bündnerschiefer-Flysch sich jenseits der Landquart noch weit durch das nördl. Graubünden
fortsetzt. Der Hauptkamm
des Osträtikon besteht aus vom Silvrettamassiv herübergeschobenen
Zum Duden
Nr. | Ergebnis | Rätikon |
---|---|---|
1 | ****** | Rä|ti|kon, das; -s, auch: der; -[s]: Teil der Ostalpen an der österreichisch-schweizerischen Grenze. |
Quellen, Literatur
Band - Seite | Artikel | Autor | Titel | Ausgabe |
---|---|---|---|---|
42.411 | GRAUBÜNDEN | 3. Albulagruppe | 4. Silvrettagruppe | (mit Rätikonund Samnaungruppe), 5. Plessurgruppe; |
44.83 | RÆTIKON | Lorenz | Der südl. Rätikon | (in den Berichten ... Freiburg i. B. 1902) |
13.590 | Rätikon | Waltenberger | Die Rätikonkette, Lechthaler und Vorarlberger Alpen | (Gotha 1875) |
44.83 | RÆTIKON | Bern 1864; Mojsisovics | E. v. Der Rätikon | (im Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt. 1873) |
44.39 | PRÆTIGAU | Zürich 1891; Imhof | Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. | (Itinerar. S. A. C. 1890-91) |
44.83 | RÆTIKON | Glarus 1890; Tarnuzzer | Chr. Der geolog. Bau des Rätikon | (im Jahresbericht der Naturforsch. Gesellsch. Graubündens. 1892) |
44.396 | SANKT ANTŒNIERTHAL | Chur 1865; Imhof | Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. | (S. A. C.; Itinerarium 1890-91) |
44.83 | RÆTIKON | Gotha 1875; Imhof | Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. | (Itinerarium des S. A. C. für 1890-91) |
44.37 | PRÆTIGAU | Näheres darüber siehe bei Imhof | Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. | (Itinerar. S. A. C. für 1890-1891) |
9 Quellen wurden gefunden.