Radowitz,
Joseph von, preuß. General und Staatsmann, geb. 6. Febr. 1797 zu Blankenburg am Harz, Sprößling eines ungarischen katholischen Geschlechts, trat im Dezember 1812 als Leutnant in die westfälische Artillerie ein. Er befehligte in der Schlacht bei Leipzig eine Batterie und fiel verwundet in Gefangenschaft. In kurhessischen Militärdienst übergetreten, wurde er 1814 als erster Lehrer der Mathematik und der Kriegswissenschaften an der Kadettenanstalt zu Kassel angestellt. 1821 avancierte er zum Hauptmann im Generalstab, 1823 trat er in preußische Dienste und ward darauf auch zum militärischen Lehrer des Prinzen Albrecht ernannt. 1828 erfolgte seine Ernennung zum Major und Mitglied der obersten Militärstudienbehörde, zum Lehrer an der Kriegsschule sowie zum Mitglied der Artillerieprüfungskommission und 1830 zum Chef des Generalstabs der Artillerie. Von reicher und vielseitiger Bildung, wurde er der Freund des ihm geistesverwandten Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm IV. 1836 preußischer Militärbevollmächtigter beim Bundestag, 1842 Gesandter bei den Höfen zu Karlsruhe, Darmstadt und Nassau, wurde er 1845 zum Generalmajor ernannt. Damals gab er über die schleswig-holsteinische Frage die Schrift »Wer erbt in Schleswig?« (Karlsr. 1846) und das berühmte, auch durch klassische Form ausgezeichnete Buch »Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche« (Stuttg. 1846, 4. Aufl. 1851) heraus. Der Verfasser (»Waldheim«) zeigt sich darin als Anhänger der sogen. historischen Schule und der ständischen Monarchie. Seine Ansichten suchte Friedrich Wilhelm IV. indem Verfassungspatent vom 3. Febr. 1847 zu verwirklichen. Im November 1847 und März 1848 ging Radowitz nach Wien, um mit der österreichischen Regierung über eine Neugestaltung des Deutschen Bundes zu unterhandeln, und seine Schrift »Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.« (Hamb. 1848) wollte nachweisen, daß diese Absicht in dem König festgestanden habe, seitdem er zur Regierung gelangt, nicht erst durch die Bewegung von 1848 hervorgerufen sei. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments war er Führer der äußersten Rechten. Preußens Versuch, nach der Auflösung des Parlaments durch das Dreikönigsbündnis die Union Deutschlands unter Preußens Führung zu begründen, ward hauptsächlich unter seiner Mitwirkung gemacht, und er vertrat die Unionspolitik sowohl 1849 vor den preußischen Kammern als auch vor dem (März 1850) nach Erfurt berufenen Parlament. Nachdem er schon seit Mai 1849 thatsächlich die auswärtige Politik Preußens geleitet, übernahm er 27. Sept. 1850 förmlich das Portefeuille des Auswärtigen und legte, als die Entscheidung der deutschen Frage durch Waffengewalt unvermeidlich schien, ein Programm vor, das zu offenem Widerstand gegen die Politik Österreichs und seiner Verbündeten riet. Die Verwerfung desselben durch den König hatte seinen Rücktritt (2. Nov.) zur Folge. Er zog sich nach Erfurt zurück und schrieb hier seine
mehr
»Neuen Gespräche aus der Gegenwart« (Erfurt 1851, 2 Bde.), welche die Reorganisation Deutschlands behandelten. Der König berief ihn im August 1852 wieder in seine Nähe, indem er ihn zum Direktor des Militärstudienwesens ernannte; doch beschränkte sich Radowitz'. Wirken hauptsächlich auf litterarische Arbeiten, unter denen die »Fragmente« (Bd. 4 u. 5 der »Gesammelten Schriften«, Berl. 1852-53, 5 Bde.) Aufsehen machten. Er starb 25. Dez. 1853. Von seinen Schriften sind noch zu nennen: »Ikonographie der Heiligen, ein Beitrag zur Kunstgeschichte« (Berl. 1834) und »Die Devisen und Mottos des spätern Mittelalters« (das. 1850). Vgl. Frensdorff, Jos. v. Radowitz (Leipz. 1850); F. Fischer, Radowitz, im »Historischen Taschenbuch« 1874. - Radowitz hinterließ zwei Söhne, von denen der eine bis 1887 General und Kommandant von Altona war, der andre, Joseph Maria von Radowitz, geb. 19. Mai 1839, seit 1873 Gesandter in Athen und vortragender Rat im Auswärtigen Amte des Deutschen Reichs, seit 1882 Botschafter in Konstantinopel ist.