Radowitz
,
Joseph von, preuß.
General und Staatsmann, geb. zu
Blankenburg am
Harz, Sprößling eines ungarischen
katholischen
Geschlechts, trat im
Dezember 1812 als
Leutnant in die westfälische
Artillerie ein. Er befehligte in der
Schlacht
bei
Leipzig
[* 2] eine
Batterie und fiel verwundet in Gefangenschaft. In kurhessischen Militärdienst übergetreten,
wurde er 1814 als erster
Lehrer der
Mathematik und der
Kriegswissenschaften an der Kadettenanstalt zu
Kassel
[* 3] angestellt. 1821 avancierte
er zum
Hauptmann im
Generalstab, 1823 trat er in preußische
Dienste
[* 4] und ward darauf auch zum militärischen
Lehrer des
Prinzen
Albrecht ernannt. 1828 erfolgte seine Ernennung zum
Major und Mitglied der obersten Militärstudienbehörde,
zum
Lehrer an der
Kriegsschule sowie zum Mitglied der
Artillerieprüfungskommission und 1830 zum
Chef des
Generalstabs der
Artillerie.
Von reicher und vielseitiger
Bildung, wurde er der
Freund des ihm geistesverwandten
Kronprinzen, nachherigen
Königs
Friedrich
Wilhelm IV. 1836 preußischer
Militärbevollmächtigter beim
Bundestag, 1842 Gesandter bei den
Höfen zu
Karlsruhe,
[* 5]
Darmstadt
[* 6] und
Nassau, wurde er 1845 zum
Generalmajor ernannt. Damals gab er über die schleswig-holsteinische
Frage
die
Schrift
»Wer erbt in
Schleswig?« (Karlsr. 1846) und das berühmte, auch durch klassische Form ausgezeichnete
Buch »Gespräche aus der Gegenwart über
Staat und
Kirche« (Stuttg. 1846, 4. Aufl. 1851) heraus. Der Verfasser
(»Waldheim«) zeigt sich darin als Anhänger der sogen. historischen
Schule und der ständischen
Monarchie. Seine
Ansichten suchte
Friedrich
Wilhelm IV. indem Verfassungspatent vom zu verwirklichen. Im
November 1847 und März 1848 ging Radowitz
nach
Wien,
[* 7] um mit der österreichischen
Regierung über eine Neugestaltung des
Deutschen
Bundes zu unterhandeln, und
seine
Schrift
»Deutschland
[* 8] und
Friedrich
Wilhelm IV.« (Hamb. 1848) wollte nachweisen, daß diese Absicht in dem König festgestanden
habe, seitdem er zur
Regierung gelangt, nicht erst durch die
Bewegung von 1848 hervorgerufen sei.
Als Mitglied des Frankfurter Parlaments war er Führer der äußersten Rechten. Preußens [* 9] Versuch, nach der Auflösung des Parlaments durch das Dreikönigsbündnis die Union Deutschlands [* 10] unter Preußens Führung zu begründen, ward hauptsächlich unter seiner Mitwirkung gemacht, und er vertrat die Unionspolitik sowohl 1849 vor den preußischen Kammern als auch vor dem (März 1850) nach Erfurt [* 11] berufenen Parlament. Nachdem er schon seit Mai 1849 thatsächlich die auswärtige Politik Preußens geleitet, übernahm er förmlich das Portefeuille des Auswärtigen und legte, als die Entscheidung der deutschen Frage durch Waffengewalt unvermeidlich schien, ein Programm vor, das zu offenem Widerstand gegen die Politik Österreichs und seiner Verbündeten riet. Die Verwerfung desselben durch den König hatte seinen Rücktritt (2. Nov.) zur Folge. Er zog sich nach Erfurt zurück und schrieb hier seine ¶
mehr
»Neuen Gespräche aus der Gegenwart« (Erfurt 1851, 2 Bde.), welche die Reorganisation Deutschlands behandelten. Der König berief
ihn im August 1852 wieder in seine Nähe, indem er ihn zum Direktor des Militärstudienwesens ernannte; doch beschränkte sich
Radowitz'.
Wirken hauptsächlich auf litterarische Arbeiten, unter denen die »Fragmente« (Bd. 4 u. 5 der
»Gesammelten Schriften«, Berl. 1852-53, 5 Bde.)
Aufsehen machten. Er starb Von seinen Schriften sind noch zu nennen: »Ikonographie der Heiligen, ein Beitrag zur
Kunstgeschichte« (Berl. 1834) und »Die Devisen und Mottos des spätern Mittelalters« (das. 1850).
Vgl. Frensdorff, Jos. v. Radowitz
(Leipz.
1850);
F. Fischer, Radowitz
, im »Historischen Taschenbuch« 1874. - Radowitz
hinterließ zwei Söhne, von denen der eine
bis 1887 General und Kommandant von Altona
[* 13] war, der andre, Joseph Maria von Radowitz
, geb. seit 1873 Gesandter in Athen
[* 14] und
vortragender Rat im Auswärtigen Amte des Deutschen Reichs, seit 1882 Botschafter in Konstantinopel
[* 15] ist.