Radikalkur
(lat.), s. Therapie.
Radikalkur
4 Wörter, 32 Zeichen
Radikalkur
(lat.), s. Therapie.
(griech., »Dienst, Pflege«, Heilkunst), derjenige Teil der Medizin, welcher den eigentlichen Endzweck des medizinischen Wissens bildet, die Lehre [* 3] von der Behandlung der Krankheiten. Die Mutter der Therapie ist die Erfahrung, und so findet sich in den Uranfängen der medizinischen Kunst noch vor Hippokrates oder irgend einer ausgebildeten Lehre die empirische Behandlung vor, welche bis auf unsre Tage ihr gutes Recht geltend macht und nicht selten Aufgaben löst, die für die exakte Forschung noch auf lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln sind. So hat vor mehreren Jahrhunderten die Erfahrung gelehrt, daß das Einimpfen von Kuhpockenlymphe einen Schutz gegen die wahren Pocken gewährt; seitdem sind dank der durchgreifenden Einführung der Impfung [* 4] die Blatterepidemien aus den Kulturländern fast verschwunden, und noch immer sucht man nach der Ursache, auf welcher dieser geheimnisvolle Schutz beruht.
Seit langem ist die geradezu spezifische Wirkung des Quecksilbers gegen die Syphilis oder des Chinins gegen das Wechselfieber bekannt, jeder Arzt wendet diese Mittel empirisch an, aber niemand kann Auskunft geben, auf welche Weise diese Wirkung zu stande kommt. Neben der Erfahrungstherapie hat es zu allen Zeiten eine rationelle Behandlung gegeben. Diese Ratio nun ist so wechselvoll gewesen wie die vielfachen Systeme und Schulen der Medizin (s. d.) selbst, welche im Lauf der Jahrtausende aufeinander gefolgt sind, und rationelle Therapie bedeutet darum nichts allgemein Feststehendes, sondern nur ein auf dem Grund irgend welcher gerade herrschenden Lehre aufgebautes Heilverfahren. Es ist z. B. rationell, wenn man einen Nierenkranken, dessen Harnabsonderung stockt, in heiße Decken hüllt, damit die im Blut sich anhäufenden schädlichen Stoffe auf einem andern Weg durch den Schweiß, aus dem Körper entfernt werden. Diese Therapie beruht auf einer Reihe von wissenschaftlich begründeten Vorstellungen, bei denen der Arzt zielbewußt handelt, während er beim Wechselfieber vorläufig das »Warum« seiner Therapie noch nicht kennt. - Radikalkur ist eine solche Therapie, bei welcher das Übel gleichsam mit der Wurzel [* 5] (radix) ausgerissen werden kann, z. B. eine erfolgreiche Bandwurmkur, die Durchschneidung verkürzter Sehnen, das Ausziehen eines schmerzenden Zahns etc. Ist eine solche gründliche Therapie nicht möglich, etwa weil das Organ nicht zugänglich ist, so muß sich die Therapie beschränken, die drohendsten oder lästigsten Symptome, z. B. den Schmerz durch Betäubungsmittel, zu bekämpfen (symptomatische Therapie). Liegt eine Krankheit vor, bei welcher erfahrungsgemäß ein günstiger Ausgang zu erwarten ist, wie bei Masern, leichten Fällen von Lungenentzündung bei kräftigen Personen, so muß sich der Arzt abwartend verhalten und nur jederzeit aufmerksam sein, daß nicht etwanige neue Übel hinzutreten; man spricht dann wohl von exspektativer Therapie, die aber eben nur eine Beobachtung ist. Dies sind dann die Fälle, bei denen die Homöopathie, die Naturheilung und andre Systeme ihre Triumphe feiern, da sich eben die Prozesse durch kein Mittel in ihrem Ablauf [* 6] beschleunigen lassen. Das Vorbeugen ¶
durch Schutzmaßregeln, welche die Entstehung oder Verbreitung einer Krankheit hemmen, heißt Prophylaxis. Eine Therapie ohne eine gründliche Kenntnis der Pathologie ist weder wissenschaftlich denkbar noch vor dem Gewissen eines ehrlichen Menschen zu verantworten. Es gibt deswegen kein Lehrbuch der Therapie, das nicht gleichzeitig ein solches der Pathologie wäre, wohl aber Lehrbücher der Pathologie, welche nicht von Therapie handeln.
Vgl. Billroth, Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie (14. Aufl., Berl. 1889);
die Handbücher der allgemeinen Pathologie und Therapie von Lebert (2. Aufl., Tübing. 1875) und F. v. Niemeyer (11. Aufl., das. 1881, 2 Bde.);
Petersen, Hauptmomente in der geschichtlichen Entwickelung der medizinischen Therapie (Kopenh. 1877).