Titel
Pyämīe
(griech., Eiterfieber,
Wundfieber,
Blutvergiftung), schwere
Wundfieber, als deren
Ursache
Piorry einen Übertritt von
Eiter in das
Blut betrachtete. Die Entstehung der Pyämie
ist immer auf eine Gewebsverletzung zurückzuführen,
welche an der
Haut
[* 2] durch
Schnitt,
Schuß, Hieb,
[* 3]
Quetschung,
Verbrennung oder
Erfrierung, an
Schleimhäuten durch Zerreißungen oder
Verschwärung der Oberflächen, oder in der
Gebärmutter
[* 4] durch den Geburtsakt hervorgebracht wird.
Während man die
Ursache der Pyämie
früher darin suchte, daß
Eiter von einer verletzten Körperstelle ins
Blut aufgenommen und an entlegenen Teilen abgelagert, »versetzt«, würde
(Eitermetastase),
so weiß man jetzt, daß der Eiter einer Wunde an und für sich eine Verunreinigung der Wunde, eine »Wundinfektion«, bedeutet. Diese Infektion beruht darauf, daß in dem jeder größern Wunde eigentümlichen Sekret Bakterien sich angesiedelt und aus den an die Wundfläche ausgetretenen Gewebsflüssigkeiten Zersetzungsprodukte (Ptomaine) gebildet haben, welche die Wunde reizen und zur Eiterbildung anregen. Nun ist es aber nicht der Eiter, welcher »ins Blut übertritt«, sondern die löslichen Zersetzungsprodukte sind es, welche durch die Lymphbahnen dem Blut zugeführt werden.
Diese durch Bakterienwucherung gebildeten chemischen Stoffe sind noch wenig bekannt, es sind indessen zwei Gruppen, welche besonders als Erreger der Wundfieber in Betracht kommen:
1) giftig wirkende Körper, welche den Alkaloiden angehören und einstweilen als Toxine benannt werden;
2) heftig reizende
Stoffe, welche örtlich reizend und eitererregend wirken und erst in sehr großer
Menge
eigentliche
Vergiftung hervorbringen können
(Aminbasen, Fäulnisalkaloide, z. B. Pentamethylendiamin,
Trimethylamin etc.).
Wenn nun von diesen allgemein oder örtlich wirkenden
Ptomainen eine gewisse
Menge aufgesaugt wird, so ist die
Gefahr gegeben,
daß Pyämie
eintritt. Diese
Gefahr kündigt sich meistens mit einem
Schüttelfrost, oft nur durch leichteres
Frösteln an, es entwickelt sich ein heftiges
Fieber, welches aber niemals früher als einige
Tage nach der
Verletzung anhebt,
da es längerer Zeit bedarf, bevor die
Bakterien genügende
Mengen von
Gift gebildet haben. Die
Wunde selbst nimmt nunmehr ein
schlechtes Aussehen an, sie sondert
Eiter ab, oder das
Sekret wird übelriechend und faulig, die Umgebung
wird derb und schmerzhaft, die benachbarten
Lymphdrüsen schwellen, bei Berührung
¶
mehr
ist die Körperstelle sehr empfindlich. In diesem Stadium der beginnenden Pyämie
kann durch richtige chirurgische Behandlung das
Fortschreiten der Vergiftung noch gehemmt werden (s. Wunde). Bleibt eine energische Entfernung der Giftquelle aus, so schreitet
die Vergiftung unter immer höher steigendem Fieber weiter, es treten nach 8-14 Tagen Delirien ein, die
Haut und die Bindehäute der Augen färben sich gelblich (s. Gelbsucht), der Puls wird schwächer, das Bewußtsein schwindet, und
unter schnellem Kollaps erfolgt der Tod.
Dies Krankheitsbild ist nun einer großen Zahl von Wundfiebern, dem Milzbrand, dem Kindbettfieber, dem Hospitalbrand etc., mit
kleinen Abweichungen eigentümlich, so daß Pyämie
noch heute einen Komplex von sehr verschiedenen schweren
Wundinfektionskrankheiten umfaßt. Schon vor einigen Jahren hat man versucht, darin zwei Hauptgruppen zu unterscheiden, je
nachdem der Sektionsbefund eine reine Vergiftung ohne besondere Veränderung innerer Organe ergab, oder ob sich Eiterung an
zahlreichen Körperstellen, Gelenken, Lungen, Herz, Nieren, Leber etc., nachweisen ließ.
Man bezeichnete die erste Reihe der reinen Blutvergiftungen als Sephthämie (Sepsis, septische Intoxikation,
Faulfieber), die andre als Pyämie
im engern Sinn (Eiterfieber). Nachdem sich indessen herausgestellt hat, daß wiederum die Septichämie
oder Sephthämie solche Fälle aufweist, in denen 1) nur Gifte ins Blut aufgenommen worden sind, und 2) in solche, bei denen
die giftbildenden Bakterien selbst im Blut kreisen und sich vermehren; nachdem sich ferner ergeben, daß die Erscheinungen der
Pyämie
im eigentlichen Sinn durch den Übertritt sehr verschiedener Gifte und Bakterien erzeugt werden, seitdem kann Pyämie
nur ein
Sammelname sein, welcher in Zukunft in eine große Anzahl ätiologisch getrennter Wundinfektionen zerfallen
wird.
Vgl. R. Koch, Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (Leipz. 1878);
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine (Berl. 1885-1886, 3 Tle.);
Rosenbach, Untersuchungen über die Beziehungen kleinster lebender Wesen zu den Wundinfektionskrankheiten der Menschen (Wiesbad. 1885).