Pseudoskōpische
Erscheinungen entstehen durch unwillkürliche Täuschungen des Augenmaßes, welche unser Urteil über Größe und Gestalt der Gegenstände irre führen. Die Mehrzahl derselben läßt sich rein psychologisch durch vorgefaßte Meinungen erklären, die sich uns unbewußt aufdrängen. So halten wir z. B. geteilte Größen für ausgedehnter als ununterbrochene, weil wir für die Fülle der wahrgenommenen Einzelheiten unwillkürlich einen größern Raum beanspruchen; die geteilte Hälfte der Geraden [* 1] (Fig. 1) erscheint uns daher größer und von den beiden gleichen Quadraten der [* 1] Fig. 2 das vertikal gestreifte breiter, das horizontal gestreifte höher.
Die
Entfernung bis zum
Horizont
[* 3] halten wir aus demselben
Grund für größer als die bis zum
Zenith und schreiben daher dem scheinbaren
Himmelsgewölbe die Gestalt einer gedrückten
Kuppel zu.
Mond
[* 4] und
Sonne
[* 5] dünken uns im
Horizont entfernter und darum (da der
Sehwinkel derselbe ist) größer zu sein, als wenn sie hoch am
Himmel
[* 6] stehen. Für eine andre
Klasse pseudoskop
ischer
Erscheinungen
gibt
[* 1]
Fig. 3 ein einfaches
Beispiel: von den beiden gleichen
Sektoren scheint der nach der Seite der
Konvergenz vorliegende a
größer zu sein als b, weil wir unwillkürlich nach dieser Seite hin eine Verschmälerung erwarten u.
dadurch verleitet werden, die vorhandene
Breite
[* 7] für größer zu halten, als sie wirklich ist.
Diese Täuschung wiederholt sich in der Reihe der Trapeze [* 1] Fig. 4, deren Grundlinien ac ... bd von a nach b hin scheinbar zunehmen. Denkt man sich daher die Geraden ab und cd gezogen, so scheinen sich dieselben in der Richtung ab voneinander zu entfernen, obgleich sie in Wahrheit parallel sind. Dadurch erklärt sich die Wirkung der [* 1] Fig. 5 (des Zöllnerschen Musters), welche als Wiederholung der [* 1] Fig. 4 mit Weglassung der parallelen Trapezseiten u. Hinzufügung der Geraden ab, cd anzusehen ist.
Auch hier scheinen diese
Geraden, obgleich sie in der That parallel sind, nach der Seite hin divergent
zu sein, nach welcher die schiefen Querstriche konvergieren.
Analog hiermit sind die pseudoskop
ischen Bewegungserscheinungen;
schaut man z. B. von einer
Brücke
[* 8] in ein rasch fließendes Gewässer und blickt dann auf die
Brücke oder andre ruhende
Gegenstände, so scheinen diese sich in entgegengesetzter
Richtung zu bewegen.
Oppels
Antirrheoskop dient dazu, diese Täuschung
künstlich hervorzurufen. Zu den pseudoskop
ischen
Erscheinungen gehört auch die scheinbare
Umkehrung des
Reliefs, welche besonders
leicht eintritt, wenn die
Beleuchtung
[* 9] der vom Beobachter vermuteten entgegengesetzt ist. Die vertiefte Form einer
Medaille
erscheint als
Relief, wenn man das
Licht
[* 10] des
Fensters durch einen
Schirm abhält und dafür an der entgegengesetzten
Seite einen für den Beobachter nicht sichtbaren
Spiegel
[* 11] anbringt
(Oppels
Anaglyptoskop).
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Die geteilte Hälfte erscheint größer.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 2. a erscheint zu breit, b zu hoch.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 3. a erscheint größer als b.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 4. Jedes von a nach b folgende Trapez [* 12] erscheint größer als das vorhergehende.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 5. Die lotrechten Parallelen erscheinen abwechselnd konvergent und divergent.]