Pseudomorp
hosen
(Afterkristalle) scheinbare Kristallgestalten, aus kristallinischen
Aggregaten oder amorpher
Substanz
aufgebaut und äußerlich die Kristallform einer andern
Substanz nachahmend. Das
Charakteristische der Pseudomorp
hosen ist demnach der Widerstreit
zwischen
Substanz und Form, ein Widerstreit, den man bei der Bezeichnung der Pseudomorp
hosen durch Aufführung
der
Substanz und Beifügung des
Namens der Mineralspezies, deren
Formen imitiert sind, mit der
Präposition »nach« ausdrückt,
z. B.
Malachit nach
Rotkupfererz: die zusammensetzende
Substanz ist
Malachit (basisches Kupfercarbonat Cu2CO4 + H2O
), die Form aber ist nicht die für
Malachit charakteristische, sondern eine sonst von
Rotkupfererz
(Kupferoxydul
Cu2O ) hervorgebrachte. Da übereinstimmende
Beobachtungen die Kristallform als etwas der
Natur der
Substanz Entsprechendes erkennen lassen, so daß eine bestimmte Kristallform nur von einer bestimmten
Substanz erzeugt
werden kann, so ist das Auftreten der Pseudomorp
hosen in dem
Sinn zu deuten, daß früher diejenige
Substanz vorhanden war, welche die noch
erhaltene Form erfahrungsmäßig allein erzeugen kann, und mittels physikalischer oder chemischer
Prozesse
durch die jetzt die Form tragende
Substanz ersetzt wurde. In dieser allein möglichen
Erklärung der Entstehung der Pseudomorp
hosen liegt
die große Bedeutung derselben für mineralogische und geologische
Spekulationen. Pseudomorp
hosen vereinen
in sich die
Signale des Anfangs
(die allein erhaltene Form der ehemaligen
Substanz) und des
Endes (die die Form jetzt tragende
Substanz),
eines Umwandlungsprozesses, dessen Verlauf auch dann nicht bestritten werden kann, wenn die einzelnen
Phasen desselben chemisch
nur schwer oder gar nicht erklärt werden können. So findet man
Speckstein (Magnesiumsilikathydrat Mg3Si4O11 + H2O
) in
Formen des
Quarzes (Kieselsäureanhydrid SiO2 ). Die Unangreifbarkeit des
Quarzes durch Agenzien, welche in der
Natur zirkulieren, läßt den
Prozeß einer
Zersetzung des
Quarzes durch ein seinerseits
ebenfalls schwer lösliches Magnesiumsilikat nur schwer erklärlich erscheinen; dessenungeachtet aber muß man den
Prozeß
selbst eben durch das Auftreten der genannten Pseudomorp
hosen als erwiesen betrachten. Man wird sogar die
Annahme eines durch
Pseudomorp
hosen als möglich bewiesenen Umwandlungsprozesses nicht ausschließlich auf die ziemlich
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mehr
seltenen Fälle der Pseudomorphosen
selbst beschränken dürfen, da nur unter besonders günstigen Umständen sich der
Prozeß so langsam und man möchte sagen vorsichtig vollzogen haben kann, daß eine Wahrung der Form trotz der Umwandlung
möglich war. So dürften einem jeden durch Pseudomorphosen
erhärteten Umwandlungsprozeß Hunderte gleicher Tendenz entsprechen, bei denen
die Reaktionen zu stürmisch verliefen, als daß die Form hätte bestehen bleiben können.
Man pflegt die Pseudomorphosen
in Umhüllungs-, Ausfüllungs- und Umwandlungspseudomorphosen einzuteilen. Eine dünne
Kruste verschiedenartigen Materials hüllt die Kristallform einer Substanz ein, so daß die Oberfläche der Kruste die dem
einhüllenden Material selbst fremde Form der eingehüllten Substanz wiedergibt (Umhüllungspseudomorphosen
).
So bildet Quarz in papierdünnen Krusten Umhüllungspseudomorphosen
nach Kalkspat.
[* 3] Verschwindet der Kern einer solchen Krustenbildung,
so kann entweder die Innenseite der Umhüllungspseudomorphosen
den Abdruck der ehemaligen Kristallgestalt konservieren, oder
es tritt in den Hohlraum anderweitig Mineralsubstanz ein (oft dieselbe, aus welcher die Hülle besteht, oder doch eine Varietät
derselben), die nun einen Abguß der ihr selbst fremden Form darstellt (Ausfüllungspseudomorphosen
).
Umwandlungspseudomorphosen
endlich entstehen durch teilweisen oder gänzlichen Austausch der Bestandteile. Liegen Pseudomorphosen
der einen
Modifikation eines dimorphen Körpers nach der andern vor (wie Aragonit
[* 4] nach Kalkspat, Rutil
[* 5] nach Anatas), so vollzog sich die
Umwandlung durch innere Umlagerung der Atome ohne Aufnahme oder Abgabe von Bestandteilen (Paramorphosen).
Andre Pseudomorphosen
entstehen lediglich durch Verlust von Bestandteilen (Apomorphosen), so gediegen Kupfer
[* 6] nach Rotkupfererz (Cu2O ),
Silberglanz nach Rotgüldigerz (Ag3SbS3 = Ag6Sb2S6 wurde durch Verlust von
Sb2S3 zu 3Ag2S ); wieder andre durch Aufnahme von Bestandteilen (Epimorphosen), so Gips
[* 7] nach
Anhydrit (zu CaSO2 treten 2H2O ), Bleivitriol nach Bleiglanz (PbSO4 aus
PbS); endlich solche durch Austausch von Bestandteilen (partielle Allomorphosen), so Brauneisenerz nach Eisenkies
[* 8] (H6Fe4O9=4FeS2-8S+6O+3H2O
^[H6Fe4O9=4FeS2-8S+6O+3H2O]), Kaolin nach Feldspat: (H4Al2Si2O9=K2Al2Si6O16-K2O-4SiO2+2H2O ^[H4Al2Si2O9=K2Al2Si6O16-K2O-4SiO2+2H2O]).
Der letztgenannten Abteilung sind auch diejenigen Pseudomorphosen
zuzurechnen, bei denen der Zusammenhang zwischen
der ursprünglichen und der die Pseudomorphosen tragenden Substanz nicht mehr nachweisbar ist (totale Allomorphosen),
so Quarz nach Flußspat
[* 9] (CaFl2 wurde zu SiO2 ), Pyrolusit nach Kalkspat ( ^[MnO2] aus CaCO3
entstanden). Man ist jetzt geneigt, auch für diese totalen Allomorphosen eine Serie von Umwandlungsprozessen anzunehmen,
deren Zwischenglieder nicht erhalten sind, wodurch der Verlauf der einzelnen chemischen Vorgänge schwer
verständlich wird oder nur hypothetisch konstruierbar ist. So könnte man bei dem einen der beiden Beispiele an einen manganhaltigen
Kalkspat denken, der unter Verlust von CaCO3 sich zu Manganspat und aus diesem zu Pyrolusit umwandelt. Früher
glaubte man einen mikrophysikalischen Weg, eine »Verdrängung« der alten
Substanz durch die neue, Atom für Atom, annehmen zu müssen und nannte diese Pseudomorphosen Verdrängungspseudomorphosen.
Unterstützt wird die Ansicht von der Entstehung der Pseudomorphosen vermittelst umwandelnder Prozesse einerseits durch die Beobachtung noch erhaltener Kerne in äußerlich schon umgewandelten Stücken (so bestehen häufig Würfel äußerlich aus Brauneisenstein, innerlich aus dem die Form bedingenden Eisenkies), anderseits durch die Möglichkeit der künstlichen Erzeugung von Pseudomorphosen. Für letztere ist eins der bekanntesten Beispiele und zwar das einer Paramorphose die Umwandlung der durch Schmelzen erhaltenen monoklinen Kristalle [* 10] des Schwefels in ein Aggregat von rhombischen Formen durch Befeuchten mit Schwefelkohlenstoff. Die oben erwähnten Pseudomorphosen von Silberglanz nach Rotgüldigerz lassen sich künstlich durch Einlegen von Kristallen der letztern Substanz in eine Lösung von Schwefelalkalien darstellen. Zahlreiche sonstige Methoden zur Gewinnung künstlicher Pseudomorphosen gaben Scheerer, Stein, Sorby, Knop u. a. an.
Aus der oben gegebenen Definition des Begriffs der Pseudomorphosen erhellt, daß in gewissem Sinn auch die Versteinerungen hierher zu zählen sind, insofern jetzt eine ursprünglich durch den tierischen oder pflanzlichen Lebensprozeß erzeugte Form von einer mineralischen aus der zuerst vorhandenen, meist durch völligen Austausch der Bestandteile entstandenen Substanz getragen wird.
Vgl. Breithaupt, Über die Echtheit der Kristalle (Freiberg [* 11] 1815);
Landgrebe, Über die Pseudomorphosen im Mineralreich (Kassel [* 12] 1841);
Blum, Die Pseudomorphosen des Mineralreichs (Stuttg. 1843, mit vier Nachträgen 1847-79; Hauptwerk und vollständigste Aufzählung der Pseudomorphosen);
Winkler, Die Pseudomorphosen des Mineralreichs (Münch. 1855);
Scheerers Artikel »Afterkristalle« in dem »Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie« (1857);
Delesse, Recherches sur les pseudomorphoses (Par. 1859);
Geinitz im »Neuen Jahrbuch für Mineralogie« 1877 und in Tschermaks »Mineralogischen und petrographischen Mitteilungen« 1879 (nach Geinitz ist die oben gegebene Einteilung der Umwandlungspseudomorphosen).
Endlich gibt Roth im 1. Band [* 13] seiner »Allgemeinen und chemischen Geologie« [* 14] (Berl. 1879) ein sehr vollständiges Verzeichnis der bekannten Pseudomorphosen.