Prostitution
(lat.) oder Preisgebung, die gewerbmäßig betriebene
Hingabe weiblicher
Personen zur Befriedigung geschlechtlicher
Triebe. In der
Bibel
[* 2] finden sich schon zur Zeit der
Patriarchen prostituierende Frauen erwähnt und
Moses
gestattete den
Juden den Umgang mit ausländischen Prostituierten. In
Babylon mußte sich jede Eingeborene mindestens einmal
im Leben im
Tempel
[* 3] der
Mylitta (s. d.) einem Fremdling hingeben, und von hier aus verpflanzte sich
der
Kultus der religiösen Prostitution
rasch nach
Phönizien, Cypern,
[* 4]
Ägypten
[* 5] und
Persien.
[* 6] In
Griechenland
[* 7] nahm die Prostitution
schon
frühzeitig eine gesetzliche Form an, doch durfte sie nur von Sklavinnen betrieben werden.
Solon errichtete ein
Bordell, Dikterion, als Staatsanstalt, kaufte auf Staatskosten Sklavinnen im
Auslande und regelte den Verkehr
im Dikterion durch Festsetzung von Gebühren und eine Hausordnung. (S.
Hetären.) Auch in
Rom
[* 8] war unter der Republik die
Prostitution
geduldet und stand unter der
Aufsicht der
Ädilen, die Listen führten und die
Bordelle überwachten. Zur Zeit der
Kaiser
war
Rom von Prostituierten überflutet; es bestand nicht nur eine große Anzahl staatlicher und privater Freudenhäuser (Lupanaria),
auch zahllose vagierende Lustdirnen (meretrices und prostibulae) trieben in den öffentlichen
Bädern, dem
Cirkus
[* 9] und den
Tavernen ihr Unwesen. Im Mittelalter nahm trotz wiederholt versuchter gewaltsamer Unterdrückung durch
Kirche
und
Staat die Prostitution
sehr überhand. (S. Frauenhäuser.)
Trotz aller Bekämpfung hat die Prostitution
in allen großen
Städten eine gewaltige
Ausdehnung
[* 10] erlangt; so wird die Zahl der prostituierenden
Frauen und Mädchen in
Berlin
[* 11] auf 30000, in
Wien
[* 12] auf 25000, in
Paris
[* 13] auf weit über 40000, in
London
[* 14] auf
60000, in Neuyork
[* 15] auf 30000 geschätzt. Da nun die Hauptgefahr der Prostitution
, abgesehen von der tiefen Schädigung
und Untergrabung der öffentlichen
Moral, vorzugsweise in der
Verbreitung einer der ansteckendsten und gemeingefährlichsten
Krankheiten, der
Syphilis, liegt, so ist die
Notwendigkeit einer strengen sanitätspolizeilichen Überwachung
der Prostitution
neuerdings allseitig anerkannt worden. In dieser Hinsicht ist wiederholt auf internationalen mediz.
Kongressen
(Paris 1867,
Florenz
[* 16] 1869,
Wien 1873) auf das strengste betont worden, daß nur durch das Verbot der heimlichen, durch
die polizeiliche Kontrollierung der offenen Prostitution
, durch Ein-
registrierung und
regelmäßige ärztliche Untersuchung und womöglich durch die
Beschränkung der Prostitution
auf
öffentliche, leichter kontrollierbare Prostitution
shäuser
(Bordelle,
Maisons tolérées) die
Verbreitung der
Syphilis wirksam
bekämpft werden kann.
Dem entsprechend ist jetzt fast in allen Kulturstaaten die Prostitution
durch Gesetze und polizeiliche
Anordnungen geregelt. Im Gebiete
des
Deutschen
Reichs werden nach §. 361 des Strafgesetzbuches solche Weibspersonen mit Haft bestraft,
die, ohne einer polizeilichen
Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßige
Unzucht treiben oder welche, wegen gewerbsmäßiger
Unzucht der polizeilichen
Aufsicht unterstellt, den zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen
Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandeln. Das Halten von Bordellwirtschaften ist
nach den §§. 180 und 181 des Strafgesetzbuches, welche die
Kuppelei und gewohnheitsmäßige Verschaffung von Gelegenheit
zur
Unzucht mit Gefängnisstrafen bedrohen, verboten; aber trotzdem bestehen in fast allen größern
Städten, namentlich Hafenstädten
Deutschlands
[* 17]
Bordelle, wennauch nur stillschweigend geduldet. In
Österreich
[* 18] erfordert das Strafgesetzbuch (§. 509) die Bestrafung
derjenigen, welche mit ihrem Körper unzüchtiges
Gewerbe treiben, durch die Polizei, der auch die Überwachung
des Gesundheitszustandes übertragen ist.
Gegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Weiterbetreibung des
Gewerbes bei vorhandenem
Bewußtsein venerischer
Ansteckung
tritt strenge Arreststrafe von 1 bis 3
Monaten ein. In
Wien wurde die
Beaufsichtigung 1873 durch Anlegung besonderer Gesundheitsbücher
für alle Dirnen geregelt. In England unterliegt auf
Grund der Contagious diseases
Act von 1864, 1868 und 1889 das
Prostitution
swesen nur in 14
Hafen- und Garnisonplätzen gesetzlichen Bestimmungen. Im übrigen darf die Polizei nur im Falle
der Erregung öffentlichen Ärgernisses einschreiten. In
Frankreich werden alle Prostituierten in den
Maisons tolérées möglichst
zusammen vereinigt; doch hat die Zahl derselben in
Paris beständig abgenommen; 1842 gab es dort 193, 1888 nur
noch 67
Bordelle.
Ferner steht der Polizei das weitgehendste
Recht zur Zwangseinschreibung aller Mädchen zu, die, ohne es zuzugestehen, ihr
den
Verdacht erregen, daß sie gewerbsmäßig
Unzucht treiben.
Alle in die Dirnenliste
Eingetragenen sind
verpflichtet, sich zu periodisch wiederkehrenden ärztlichen Untersuchungen einzubinden. In
Belgien
[* 19] teilen sich die Prostitution
shäuser
in
Bordelle zu dauerndem Aufenthalt der Dirnen und in Gelegenheitshäuser, die für Einzelwohnende zugänglich sind.
Italien
[* 20] besitzt für das Prostitution
swesen besondere
Inspektionen unter der Leitung einer Centralaufsichtsbehörde in allen größern
Städten, sowie besondere Gesundheitsämter in den Kreishauptstädten.
In den meisten übrigen
Ländern
erfreuen sich meist nur die Hauptstädte einer besondern Regelung; auch schwankt die Gesetzgebung zwischen den verschiedenen
Systemen hin und her.
Zur erfolgreichen Bekämpfung der Prostitution
stehen auch der Gesellschaft eine Reihe wirksamer
Mittel zu Gebote; in dieser Hinsicht
dürften namentlich gewisse
Reformen im Erziehungs- und Vormundschaftswesen, die Errichtung von Mägdeherbergen
und Unterkunftshäusern für dienst- und arbeitslose Mädchen, Bestrebungen zu besserer Verwertung der Frauenarbeit sowie
die
Stiftung von
¶
mehr
Asylen und Besserungshäusern für reuige Prostituierte (Magdalenenstiften) geeignet sein, die Ausbreitung der Prostitution
wenigstens
teilweise einzuschränken. In England besteht seit 1875 eine internationale Liga mit der Benennung «Féderation
britannique continentale et générale», die den Zweck verfolgt, die Prostitution
als legale oder geduldete
Institution aufzuheben; man pflegt derartige Bestrebungen als Abolitionismus zu bezeichnen. Das Deutsche Reich
[* 22] hat 1891 mit Belgien und Holland internationale Verträge zum Schutz verkuppelter weiblicher Personen geschlossen.
Litteratur. Parent-Duchatelet, De la Prostitution
dans la ville de Paris (2 Bde., 3. Aufl., Par.
1857);
Zügel, Zur Geschichte, Statistik und Regelung der Prostitution (Wien 1865);
F. W. Müller, Die Prostitution in socialer, legaler und sanitärer Beziehung (Erlangen [* 23] 1868);
Acton, Prostitution in its moral, social and sanitary aspects in London and other cities (2. Aufl., Lond. 1869);
Huppé, Das sociale Deficit von Berlin (Berl. 1870);
Jeannel, De la Prostitution dans les grandes villes au 19e siècle (2. Aufl., Par. 1874; deutsch von Müller, Erlangen 1869);
Das deutsche Strafgesetzbuch und polizeilich konzessionierte Bordelle.
Aktenstücke u. s. w. (Hamb. 1877);
Lecour, La Prostitution à Paris et à Londres 1789-1871 (3. Aufl., Par. 1877);
von Oettingen, Die Moralstatistik (3. Aufl., Erlangen 1882);
Schrank, [* 24] Die Prostitution in Wien (2 Bde., Wien 1886);
Stursberg, Die Prostitution in Deutschland [* 25] (2. Aufl., Düsseld. 1887);
Fournier, Die öffentliche Prophylaxe der Syphilis (deutsch, Lpz. 1888);
Tarnowsky, Prostitution und Abolitionismus (Hamb. und Lpz. 1890);
Lombroso und Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte (Hamb. 1894).