Posse
s. A posse ad esse.
Posse
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Posse
s. A posse ad esse.
Posse,
ein
Ausdruck der
Poetik, der in verschiedenem
Sinn gebraucht wird.
In dem einen bezeichnet er eine Art des
Komischen
(s. d.) und zwar das Niedrig-Komische, dessen Ungereimtheit einzusehen es nur
eines mäßigen
Grades von Verstandesbildung bedarf, dessen
Wirkung daher auf die niedern Volksschichten
berechnet und nicht nur in allgemeiner, sondern auch gemeinern
Kreisen zu
Haus ist als das höhere
Komische.
Träger
[* 3] der Posse
in
diesem
Sinn ist die sogen. lustige
Person (Lustigmacher, Posse
nreißer;
Hanswurst in der deutschen,
Arlecchino in der italienischen
Stegreifkomödie), in der dramatischen
Poesie das niedere
Lustspiel (Volkskomödie). Im andern
Sinn wird
das
Wort in der Redensart »einen
Possen spielen« gebraucht und dadurch eine
Handlung bezeichnet, welche nicht bloß (wie das
Komische) andre lachen, sondern andre lächerlich zu machen bestimmt ist. In diesem
Sinn verstanden, ist die Posse
keineswegs
gutmütig, sondern im Gegenteil boshaft und ebensowenig unschädlich, sondern im Gegenteil schadenfroh,
während das
Komische (auch das Niedrig-Komische) beides, sowohl gutmütig als unschädlich, ist.
Träger der Posse
in diesem
Sinn ist die »lächerliche
Person« (der betrogene
Alte, der bestohlene Geizhals etc.; der
Vater in der
griechisch-römischen,
Pantalone in der italienischen
Stegreif-,
Harpagon in der Molièreschen
Komödie),
in der dramatischen Litteratur die eigentliche Posse
oder das »Posse
nspiel«
(s.
Drama). Während im niedern
Lustspiel der Glückswechsel vom
Bessern zum Schlimmern stattfindet, aber so, daß das schließliche
Unglück nur in der Einbildung des davon Betroffenen besteht, findet derselbe im Posse
nspiel vom Schlimmern zum
Bessern
statt (Glückspilz, Glücksposse
), aber so, daß das
Glück nur in der Einbildung des dasselbe vermeintlich Besitzenden besteht,
also im
Grund keins ist
(Narr des
Glücks, Posse
des
Glücks).
Der erstere
Fall macht uns lachen, weil der vermeintlich Unglückliche nicht unglücklich, letzterer
Fall macht den »Glücklichen«
lächerlich,
weil er nicht glücklicher ist, als er schon früher war. Der Glückswechsel in der niedern
Komödie ist komisch, jener in der Posse
selbst ein »Posse
nspiel«.
Dem Habsüchtigen, dessen vermeintliche
Reichtum sich in ein Aschenhäufchen verwandelt, dem verliebten Alten, welchem die
reizende
Braut unter der
Nase
[* 4] weggeführt wird, wird »ein
Possen gespielt«, entweder vom
Zufall (Zufallsposse
),
oder von Klügern als er
(Schwank), oder von neckenden
Dämonen
(Feen-,
Geister- und Zauberposse
).
Geht die Posse darauf aus, eine bestimmte Person lächerlich zu machen, so wird sie zum (dramatischen) Pasquill (Kleon bei Aristophanes); wählt sie zu demselben Zweck die Einwohner eines bestimmten Ortes (die Sitten, Gebräuche, Sprache [* 5] etc. einer Stadt, eines Landes), so entsteht die Lokalposse (wie sie im Altertum Athen [* 6] und Rom, [* 7] in der Neuzeit große Städte, wie Paris, [* 8] Wien, [* 9] Berlin, [* 10] in eigentümliche Weise und im eignen Dialekt ausgebildet haben). Wird der Mensch überhaupt und die Menschenwelt (zu welcher der sich mit verspottende Dichter selbst gehört) lächerlich gemacht, so entsteht die humoristische (weltverlachende) Posse (Tiecks »Verkehrte Welt«, Krasinskis »Ungöttliche Komödie«). In der Lokalposse haben sich Nestroy, Gleich, Kaiser u. a. in Wien, L. Angely, Kalisch, [* 11] L'Arronge u. a. in Berlin ausgezeichnet. Durch die Verbindung der Lokal- mit der Zauberposse hat Raimund in Wien (»Der Verschwender«, »Alpenkönig und Menschenfeind« u. a.) ein eigentümliches Genre phantasievollen Possenspiels begründet. ¶