Poseidon
[* 2] (bei den Römern Neptunus), in der griech. Mythologie ursprünglich der Gott des Wassers im allgemeinen und der befruchtenden Feuchtigkeit insbesondere, war ein Sohn des Kronos und der Rhea [* 3] und erhielt bei der Weltteilung die Herrschaft über das Meer, in dessen Tiefen er seinen Palast hatte. Hier befanden sich seine Rosse, mit denen er in seinem Wagen über die Meerflut fuhr. Auf seine Eigenschaft als Meergott weist auch hin das uralte Attribut und Symbol seiner Macht, der Dreizack, womit er Gebirge spaltet, daß die Erde erbebt (daher die Beinamen Enosigaios, Enosichthon und Seisichthon, »Erderschütterer«),
und
Quellen aus
Felsen hervorlockt.
Alle Untergötter der
See sind ihm unterthan. Auch jede Art von menschlichem
Verkehr auf und an der
See,
Schiffahrt, Hafenanlagen,
See- und Inselstädte, Fischfang etc., war seinem
Schutz
unterstellt.
Alle seefahrenden
Stämme und
Geschlechter griechischen Ursprungs pflegten ihren
Stammbaum an Poseidon
anzuknüpfen, aber
auch fremde
Völker, die an der
See wohnten, galten für seine Abkömmlinge. Die
Phäaken waren seine besondern Lieblinge.
Von ihm kommen Stürme, Wogen und Schiffbruch, aber auch günstige Winde. [* 4] Daher wurde er auch als Soter, als hilfreicher Gott des Meers, verehrt, und weil man sich das Meer nicht allein als die allgemeine Umgebung der Erde, sondern auch als deren Halt und Stütze dachte, führte er den Namen Gaieochos (»Erdhalter«). Auch in den Flüssen waltete er, und an den Quellen und Brunnen [* 5] ward er als Nymphagetes verehrt. Endlich galt er für den Schöpfer und Bändiger des Rosses (Hippios), welches ursprünglich wohl Bild der Woge war, und wurde somit Obwalter der Wettkämpfe. Am Trojanischen Krieg nahm er zu gunsten der Hellenen den lebhaftesten Anteil. Er und Apollon [* 6] hatten nämlich im Dienste [* 7] des Laomedon die Mauer der Burg zu Troja [* 8] gebaut.
Als sie für das
Weiden der königlichen
Herden daselbst den vorher bedungenen
Lohn nicht erhalten hatten, war von Poseidon
ein Meerungeheuer
gesandt worden, welchem
Laomedons Tochter
Hesione (s. d.) zur
Beute bestimmt ward, das aber
Herakles
[* 9] erlegte. Seine Gemahlin
war die
Nereide
Amphitrite, die ihm unter andern den
Triton
[* 10] gebar. Außerdem hatte er eine zahlreiche anderweitige
Nachkommenschaft. Vielfach beschäftigt sich die
Poesie und
Kunst mit der
Sage von Poseidons
Liebe zur
Danaide
Amymone, die der
Vater aus der wasserarmen
Küste von
Argolis nach Quellwasser ausschickt, wobei sie ein
Satyr
[* 11] überrascht, von dem Poseidon
sie befreit.
Von der Bändigung des
Rosses durch Poseidon
berichtete vorzüglich die korinthische
Fabel. Nach Herodot soll
der Poseidon
kultus aus
Libyen zu den Griechen gekommen sein; indes ist derselbe zu genau mit dem hellenischen Nationalbewußtsein
verwachsen, als daß man ihn von dem
Ausland ableiten durfte. Besonders alt ist der
Dienst des Poseidon
bei den
äolischen und ionischen
Völkerschaften. Einer der wichtigsten
Mittelpunkte für den griechischen Poseidon
kultus war der
Isthmus
bei
Korinth,
[* 12] und die ihm geweihten isthmischen Heiligtümer und
Spiele galten schon sehr früh den
Hellenen als Nationalsache.
Man opferte ihm schwarze und weiße
Stiere, auch
Eber und
Widder. Auch in Ägä hatte er einen besonders
berühmten
Dienst. Um
Attika kämpfte er mit
Athene
[* 13] und schenkte dem
Lande das
Roß und eine
Quelle
[* 14] auf der
Burg. Außer dem
Dreizack
waren noch der
Delphin und das
Pferd
[* 15] sowie der
Stier
Attribute und
Symbole seiner Macht. Die
Römer
[* 16] identifizierten den italischen
Gott
Neptunus mit dem griechischen Poseidon
In der bildenden
Kunst ist Poseidon
, obgleich ursprünglich der Wassergott
schlechthin, doch nur als der Meerbeherrscher dargestellt worden. Wie das
Meer, ist Poseidon
leidenschaftlich erregbar, deshalb
mit gefurchten
Zügen, ältlicher als
Zeus,
[* 17] doch diesem ähnlich, oft auch mit feuchtem, niederhängendem, etwas wirrem
Haar,
[* 18] mit derberer Muskulatur aufgefaßt worden. So zeigt den Kopftypus am besten eine
Büste im Museo
Chiaramonti
des
Vatikan.
[* 19]
Sein
Wesen kommt in verschiedenen, für ihn
¶
mehr
charakteristischen Motiven zum Ausdruck. Am häufigsten erscheint er unbekleidet, das rechte Bein auf einen Felsen oder ein Schiffsvorderteil aufgestützt, in der Hand [* 21] seine Waffe, den Dreizack, den Blick geradeaus auf das Meer gerichtet, als der Schützer der Schiffahrt, daher auch gern in dieser Gestalt auf Vorgebirgen und im Hafen aufgestellt (vgl. die Statue des Laterans, [* 2] Fig. 1), oder er wird lebhaft ausschreitend gebildet, wohl auch auf den Wellen [* 22] stehend, den Dreizack schwingend als der Erderschütterer, der Felsenspalter, da das Erdbeben [* 23] von ihm ausgehen sollte.
Seltner ist er ruhig stehend oder sitzend zu finden. Fichtenkranz und Delphin, gelegentlich auch der Thunfisch, sind neben dem Dreizack seine Attribute. Statuarisch hat ihn besonders Skopas, von allen Meerwesen umgeben, auch Praxiteles, Lysippos u. a. behandelt. Von Tritonen und Nereiden begleitet, neben seiner Gemahlin Amphitrite sitzend, zeigen ihn viele Sarkophagreliefs, am schönsten das herrliche, aus Rom [* 24] stammende Relief der Münchener Glyptothek [* 2] (Fig. 2). Von seinen Mythen hat die Kunst besonders das Zusammentreffen mit der schönen Amymone bevorzugt.
Vgl. Gerhard, Wesen, Ursprung und Geltung des
Poseidon
(Berl. 1851);
Eschweiler,
[* 25] De nomine mythologico Poseidon
(Rost. 1869);
Overbeck, Griechische Kunstmythologie, Bd. 2: Poseidon
(Leipz.
1875).
[* 2]
^[Abb.: Fig. 1. Poseidon
(Rom, Lateran).
Fig. 2. Poseidon
und Amphitrite (Relief, München).]
[* 26]