Porträt
im alten
Griechenland
[* 3] und
Rom.
[* 4] Die
Kunst, das menschliche
Antlitz in
Marmor,
Erzguß oder in
Farben darzustellen,
hatte schon im alten
Griechenland eine hohe
Blüte
[* 5] erreicht. Doch
war in der ältesten Zeit das Porträt
nicht Selbstzweck, sondern
diente zu einer außer ihm liegenden Bestimmung. Es war entweder
Grabmal oder Weihgeschenk an die
Götter.
Wir wissen jetzt durch neue
Ausgrabungen in
Attika, daß in der Zeit vor den
Perserkriegen das kegelförmige
Grab häufig die
vollausgearbeite Porträt
statue des Verstorbenen, oder auch in
Relief ausgeführt, als
Stele
[* 6] trug.
Priesterinnen anderseits weihten auf der
Burg von
Athen
[* 7] ihre Bildnisse der
Athene,
[* 8] welcher sie dienten.
Erst im 5. Jahrh. tritt das Porträt
als selbständiges Kunstwerk auf und zwar meist
in der Form der
Herme,
[* 9] eines viereckigen
Pfeilers, welcher
oben in menschliche
Schultern und
Kopf endigt; doch
gab es auch ganze
Porträt
statuen genug, z. B. die allbekannten des
Sophokles,
Demosthenes u. a. Auf
Münzen
[* 10] tritt bei den Griechen
das Porträt
erst mit
Alexander d. Gr. auf und wird auch dann nur selten angewandt, während bei den
Römern von der Kaiserzeit an
ganze
Reihen vorliegen.
Die Porträt
malerei, hoch gerühmt von den Schriftstellern, ist uns in ihren Hauptwerken gänzlich verloren gegangen, nur
hin und wieder taucht ein schwacher Nachklang in einem
Mosaik auf, und vor kurzem erst sind in
Ägypten
[* 11] ganze
Reihen von hellenistischen
Porträten entdeckt worden, welche ganz unter griechischem Einfluß von
Alexandria her stehen.
Diese
Porträte,
[* 12] von denen eine große Anzahl aus der Sammlung des
Wiener Kaufherrn
Graf (130
Stück) in allen Hauptstädten
ausgestellt waren und großes Aufsehen erregten, sind auf Sykomorenholz gemalt und stellen die verschiedensten
Personen
aller Altersstufen dar.
Meist ist nur Kopf und Hals mit dem obern Teile der bekleideten Brust dargestellt, hin und wieder auch die Hände. Sie waren mit Asphalt, von dem häufig auf der Rückseite der Tafel noch Spuren sichtbar sind, am Kopfende der Mumien befestigt, von Binden eng umrahmt, so daß meist nur das Gesicht [* 13] daraus hervorschaute. Sie wollen das wirkliche Abbild Gestorbener darstellen und vertreten also die Stelle der sonst bei den Ägyptern üblichen Totenmasken, resp. Reliefs, nur mit dem Unterschied, daß diese hellenistischen Porträte das getreue Abbild des Individuums geben wollen, während dies bei den ägyptischen Totenmasken nicht der Fall war. Sie kommen meistens aus dem Fayûm und gehören wahrscheinlich in die römische Kaiserzeit. (Eine Zusammenstellung von Abbildungen gibt Graul, Leipz. 1888; eine gute Darstellung der gesamten Frage Wilcken im »Jahrbuch des archäologischen Instituts«, 1889.).
Von weit höherm
Werte sind für uns die Werke der
Plastik. Eine sehr große Anzahl Porträt
büsten ist
uns aus dem griechischen wie römischen
Altertum überkommen, aber meist ohne erklärende
Inschrift, so daß wir der großen
Menge gegenüber zunächst ratlos dastehen. In der Renaissancezeit half man sich leicht, indem man nach der
Vorstellung, die
man aus den Schriftstellern oder der eignen
Phantasie sich bildete, kurzweg die namenlosen
Büsten taufte
und sogar mit neuen
Inschriften versah. So wurde ein schöner Bronzekopf aus
Herculaneum, der später als ein bärtiger
Dionysos
[* 14] (Bacchus) erkannt worden ist,
Plato benannt. Solche falsche Benennungen haben sich dann fortgepflanzt, und es ist erst jetzt
gelungen, eine Anzahl zu entlarven und die wahren
Porträte aufzufinden. Hilfsmittel geben zunächst
Münzen, welche griechische
Städte zum Andenken an besonders berühmte Mitbürger prägten, so z. B. die Mytilenäer
auf die
Sappho; ferner auch Doppelhermen. Man stellte mit Vorliebe zwei geistig ver-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Sappho (Rom, Villa Albani).]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 2. Thukydides (Marmorbüste in Holkham Hall, [* 15] England).] ¶
mehr
wandte Männer in Form eines Januskopfes dar, z. B. Herodot und Thukydides, Aristophanes und Menander, Sokrates und Seneca. Ist nun der eine schon bekannt, so sind die Möglichkeiten für Deutung des andern Kopfes schon sehr eingeschränkt.
Wir wählen aus den neuerdings erst festgestellten Porträten fünf berühmte Namen aus; die uns erhaltenen Köpfe sind freilich meist nur dekorative Kopien nach guten Originalen, und daraus, nicht etwa nur aus der Holzschnittausführung, ist manche Schwäche der künstlerischen Darstellung zu erklären. Wir beginnen mit der Sängerin glühender Liebeslieder, der lesbischen Dichterin Sappho, welche durch Grillparzers gleichnamiges Drama auch weitern Kreisen nahegerückt ist. Sappho, geboren zu Mytilene oder Eresos auf Lesbos, lebte als jüngere Zeitgenossin des Alkäos zwischen 630 und 570 v. Chr. Außer einer Anzahl kürzerer Bruchstücke haben sich von ihren Oden, die meist in der nach ihr benannten, von Horaz viel angewendeten Sapphischen Strophe gedichtet waren, noch zwei erhalten. Sie zeigen große Innigkeit und Tiefe der Empfindung. Unsre Abbildung [* 16] (Fig. 1) gibt eine Büste der Villa Albani zu Rom wieder.
Daß sie die Sappho darstellt, lehren Münzen von Lesbos, welche genau denselben Kopf zeigen. Es ist natürlich kein wirkliches
Porträt
, sondern zeigt uns nur, wie sich das spätere Altertum, etwa vom 5. Jahrh. an, seine große Dichterin
vorstellte. Unsre Büste geht wahrscheinlich auf ein attisches Original des Silanion (ca. 350 v. Chr.) zurück (vgl. »Jahrbuch
des archäologischen Instituts«, 1890). Ein wirkliches Porträt
hingegen, wohl ebenfalls auf denselben Silanion zurückgehend,
ist das des berühmten Geschichtschreibers des Peloponnesischen Krieges, des Thukydides, Sohnes des Atheners Oloros, vermutlich
eines Nachkommen des gleichnamigen thrakischen Fürsten (lebte von ca. 471 bis 395 v. Chr.). Er nahm auf
seiten der Athener selbst am Peloponnesischen Kriege teil und wurde von den Athenern verbannt, weil er 421 an der Spitze einer
Flotte zu spät zum Entsatz des vom Lakedämonier Brasidas belagerten Amphipolis in Thrakien kam.
Philosophischen Sinnes den Lauf dieser wunderlichen Welt betrachtend, immer nach den Gründen und Ursachen der Ereignisse forschend, hatte er gleich bei Beginn des Krieges, wie er selbst sagt, vorausgesehen, daß der Kampf an Größe und Merkwürdigkeit alle frühern übertreffen würde, und beschlossen, seine Geschichte zu schreiben. Seine Verbannung gewährte ihm Gelegenheit, selbst zu beobachten und zeitig mit der Ausarbeitung einzelner Teile zu beginnen. 404 kehrte er in die Vaterstadt zurück und fiel 395 durch Mörderhand. Wir sehen einen ernsthaften, ruhig beobachtenden, feinsinnigen Mann vor uns, den das Leben nicht zum Optimisten gemacht hat. Bekannt ist sein Bild durch eine Doppelherme in Neapel, [* 17] welche seinen Kopf mit dem des Herodot, beide inschriftlich bezeugt, vereinigt. Unsre Abbildung [* 16] (Fig. 2) gibt eine Büste in Holkham wieder.
Vgl. Michaelis, Die Bildnisse des Thukydides.
Der dritte Grieche, dessen Porträt
Silanion angefertigt haben soll, ist der Philosoph Platon, der Schüler des Sokrates (428-348 v. Chr.).
Er war nicht nur ein großes dichterisches Genie, der, wie im Phädrus, dem Phädon und vielen Stellen des
»Staates« den Leser unwiderstehlich durch den hohen Flug seiner Gedanken zu höhern Sphären mit sich fortreißt, sondern auch
der scharfe Dialektiker und unerbittliche Logiker, der tapfere, ja leidenschaftliche Bekämpfer alles Schlechten. Namentlich
diese letztere Seite scheint uns in dem hier gegebenen Bilde charakterisiert zu sein. Daß wirklich Platon
gemeint ist, geht namentlich aus einer in Berlin
[* 18] befindlichen Herme mit wohlbeglaubigter Inschrift in den Schriftzügen des
Zeitalters der Antonine hervor. Unsre Abbildung
[* 16]
(Fig. 3) gibt eine Herme aus dem Casino di Pirro Ligorio zu Rom wieder.
Es war ursprünglich eine Doppelherme, Sokrates und Platon vereinigend, die aber jetzt auseinander gesägt ist.
Etwas ganz Neues bietet der Kopf des großen Pompejus, des Triumvirn (106-48 v. Chr.), welcher nach der gegen Julius Cäsar verlornen Schlacht bei Pharsalus in Ägypten durch Mörderhand seinen Tod
[* 16] ^[Abb.: Fig. 3. Platon (Marmorherme in Rom).]
^[Abb.: Fig. 4. Büste des Pompejus (Paris, [* 19] Louvre).] ¶
mehr
fand. Sein Bildnis ist bekannt durch die Münzen, welche seine Söhne Gnäus und Sextus, letzterer im Seekrieg gegen Oktavian (38-36), prägen ließen. Nach ihnen hatte man im Schatze der erhaltenen römischen Porträte lange nach feiner Marmorbüste gesucht und auch geglaubt, sie in einer großen Statue des Palazzo Spada in Rom gefunden zu haben. Helbig wurde auf einen in Paris befindlichen Kopf aufmerksam, welcher so auffällig mit den Münzen von Pompejus' Sohn Gnäus stimmt, daß die Identifikation zweifellos ward (s. die Abbildung der Münze und des Marmorkopfes, [* 20] Fig. 4). Auf der Münze ist Pompejus abgebildet mit der Beischrift Neptuni.
Gnäus Pompejus war auf seine Erfolge zur See so stolz geworden, daß er sich und seinen Vater als besondere Schützlinge des Neptunus betrachtete. Mit der Beschreibung, welche Plutarch von Pompejus gibt, stimmt unser Kopf vortrefflich, namentlich in dem Umstand, daß über der Stirn »das Haar [* 21] sich aufbäumt«, ein Umstand, welchen Schmeichler benutzten, ihn mit Alexander d. Gr. zu vergleichen. Für die Beurteilung des Pompejus wirkt das Bild nicht günstig, ganz im Sinne Mommsens.
Die breite, aber niedrige Stirn, sagt Helbig, deutet auf mäßige Intelligenz, auf Charakterschwäche die weichlichen Formen und die kleinen, verlegen blickenden Augen, die man meint, zwinkern zu sehen. Die aufgezogene und in drei tiefe Falten gefurchte Stirnhaut bedeutet fortdauerndes Nachdenken, also Unsicherheit der Entschlüsse. Der Eindruck der Gutmütigkeit wird aufgewogen durch die schmalen geschlossenen Lippen, in welchen Zurückhaltung und Mißtrauen liegt.
Wohl noch größer ist die Überraschung bei dem zweiten Römer, [* 22] dessen Bildnis wir mitteilen, dem Philosophen Seneca (5 v. Chr. bis 65 n. Chr.), der auf ein Todesurteil Neros hin sich durch Öffnung der Adern den Tod gab. Man glaubte früher, sein Bild in einem Bronzekopf aus Herculaneum zu besitzen, welcher ein mageres, pathetisch erregtes Antlitz zeigt, doch ohne Grund. 1813 wurde auf dem Terrain der Villa Mattei in Rom eine Doppelbüste gefunden, welche den Sokrates auf der einen Seite, auf der andern den Seneca zeigt, beide durch Inschriften beglaubigt, deren eine auch auf unsrer Abbildung [* 20] (Fig. 5) deutlich zu sehen ist.
Doch kam die Herme in Vergessenheit, und erst als sie in den Besitz des Berliner [* 23] Museums gelangt war, wurde ihr authentischer Wert allgemein bekannt (vgl. Hübner, Die Bildnisse des Seneca, in der »Archäologischen Zeitung« 1880). Der wohlgeformte Schädel mit dem an den Seiten nach der Mode der Zeit kurz geschornen Haar, die gefurchte Stirn, die lebendig blickenden, auffällig ungleichen Augen mit den hochgezogenen Brauen, der kleine Mund mit dem Doppelkinn und der kurze fette Hals auf breiten Schultern geben das Bild einer Individualität, wie man sie heute noch unter den Sechzigern in Italien [* 24] und im südlichen Frankreich vielfach antrifft. Außerordentlich charakteristisch wiedergegeben erscheint der Zug des Denkers, die kluge, weltgewandte und von leichter Beredsamkeit überfließende Beobachtungsgabe des Staatsmannes, Redners und Schriftstellers.
Über die Porträt
kunde nach Münzen geben Aufschluß: Imhoof-Blumer, Porträt
köpfe auf römischen Münzen (Leipz. 1879);
Derselbe,
Porträt
köpfe auf antiken Münzen hellenischer und hellenistischer Völker (das. 1885).
Im Erscheinen begriffen ist ein umfangreiches
Prachtwerk: »Griechische und römische Porträte«, nach Auswahl und Anordnung von H. Brunn und Porträt
Arndt (Münch. 1891 ff.).
[* 20] ^[Abb.: Fig. 5. Seneca, der Philosoph (Marmorherme in Berlin).]