das Einsenken einer saftigen Holzstange in flüssige Metalle, wobei durch den aus ersterer
entwickelten Wasserdampf und die Verkohlungsgase das Metallbad lebhaft aufsprudelt und dadurch dem Luftzutritt eine große
Oberfläche darbietet, so daß die das Hauptmetall (Blei, Zinn, Kupfer) verunreinigenden Substanzen (Antimon, Arsen, Zink) dabei
oxydiert oder absorbierte Gase ausgetrieben werden (schweflige Säure beim Dichtpolen des Kupfers). Nach dem Herausziehen des
Polstabes setzen sich dann die Unreinigkeiten als oxydische Kruste (Polkrätze) auf der Oberfläche des
Metalls ab. Auch kann der entweichende Wasserdampf oxydierend wirken, z. B. auf Zink und Eisen in Blei. Beim Kupferraffinieren
geht das Zähpolen unter einer Kohlendecke vor sich.
(hierzu Karte »Polen und Westrußland«),
ehemaliges europäisches Reich, dessen Umfang zu verschiedenen Zeiten ein
sehr verschiedener war. Ursprünglich nur die Woiwodschaften Posen, Gnesen, Kalisch, Lublin, Rawa, Sieradz, Podlachien und Plozk
umfassend, dehnte es sich bald auch über Schlesien und Pommern und eine Zeitlang sogar über Böhmen und Mähren aus.
Obwohl sich letztere Länder sowie Schlesien und Pommern im 12. und 13. Jahrh. unabhängig machten, so erwarb Polen dafür 1386 durch
Heirat Litauen, später, wenn auch nur auf kurze Zeit, Livland und Esthland, dazu die Lehnsherrschaft über Preußen, Kurland mit
Semgallen wie über die Moldau und Walachei und die Herrschaft über die Mehrzahl der Kosaken. Am größten
war seine Ausdehnung und Macht unter der Herrschaft der Jagellonen.
Unter Kasimir IV. (1466) hatte es ein Areal von ca. 1,173,000 qkm mit über 35 Mill. Einw. Selbst nach Verlust der Moldau und
Walachei und andrer Gebietsteile umfaßte es unter dem letzten Jagellonen, Siegmund II. (gest. 1572), noch
1,040,000 qkm mit etwa 27 Mill. Einw. und vor seiner ersten Teilung (1772) 750,900 qkm mit über 12 Mill. Einw. Durch die
drei Teilungen Polens fiel ein Areal von 483,700 qkm mit fast 6 Mill. Einw. an Rußland, 121,500 qkm mit 3,6
Mill. Einw. an Österreich und 145,700 qkm mit 2,7 Mill. Einw. an Preußen. Man unterschied in Polen drei
große Provinzen: Großpolen, Kleinpolen und Litauen (s. d.).
Das alte Polen war von 1572 an bis zur dritten Teilung (1795) eine aristokratische Republik mit einem Wahlkönig an der Spitze.
Alle Gewalt ruhte in den Händen des Adels, der allein auf den Reichstagen das Volk vertrat. Der Bürgerstand
war von denselben ganz ausgeschlossen, und außer dem König bestanden sie nur aus dem Senat, zu dem die Bischöfe, die Woiwoden
oder lebenslänglichen Statthalter der einzelnen Landschaften, die Kastellane und die zwölf höchsten Staatsbeamten gehörten,
und aus den Landboten (nuntii terrestres), den Repräsentanten des Adels, die von jeder Woiwodschaft in
einer gewissen Anzahl gesandt wurden.
Der Reichstag war entweder ein ordentlicher, oder außerordentlicher, oder auch ein solcher, der während eines Interregnums
wegen der Königswahl und Krönung gehalten wurde. Die ordentlichen Reichstage wurden vom König ausgeschrieben und alle zwei
Jahre zweimal hintereinander in Warschau, dann das dritte Mal in Grodno gehalten. Während bei Geldsachen
die Mehrheit der Stimmen entschied, war bei Staatssachen Einhelligkeit derselben erforderlich, so daß ein einziger Landbote
durch seinen Einspruch (das Liberum veto) den ganzen Beschluß ungültig machen und den Reichstag sprengen konnte.
Was die Königswahl betrifft, so trat nach dem Ableben des Königs eine Zwischenregierung (Interregnum)
ein, indem der Primas von Polen und Litauen, der Erzbischof von Gnesen, als Reichsverweser fungierte. Der gewöhnliche Wahlort war
auf einem freien, mit Graben und Wall umgebenen Feld bei dem Dorf Wola, unweit Warschau; an der Wahl selbst nahmen sowohl
die Senatoren und Landboten als auch die Abgeordneten der Städte Krakau, Posen, Wilna, Lemberg, Warschau, Danzig und Thorn teil; doch
mußten letztere Abgeordnete stets der Wahl des Adels beitreten.
Der gewählte König mußte selbst oder durch Gesandte eine Wahlkapitulation (Pacta conventa) beschwören, welche die königliche
Macht außerordentlich beschränkte; sodann wurde er als König ausgerufen und in der Kathedrale zu Krakau
vom Erzbischof von Gnesen gekrönt. Von höchst nachteiligem Einfluß
waren die sogen. Konföderationen, d. h. gesetzlich erlaubte
Sonder- oder Parteibündnisse, welche durch Verteidigung ihrer Meinungen oft blutige Bürgerkriege hervorriefen (s. unten, Geschichte).
Das Wappen des polnischen Reichs war ein quadrierter Schild, das erste und vierte Quartier mit dem weißen
gekrönten polnischen Adler im weißen Felde, das zweite und dritte mit einem silbernen geharnischten Reiter mit blauem Schild,
goldenem Patriarchenkreuz und bloßem Säbel auf einem rennenden Pferde. Der Herzschild enthielt das Familienwappen des Königs.
Das heutige, mit der Krone Rußland vereinigte sogen. Königreich Polen, bis 1866 ein selbständig verwalteter
Teil des russischen Reichs, seitdem völlig mit demselben verschmolzen, grenzt im N. an die Provinzen Ost- und Westpreußen und
das russische Gouvernement Kowno, im O. an die Gouvernements Wilna, Grodno und Wolhynien, im S. an das österreichische Kronland
Galizien, im W. an die preußischen Provinzen Schlesien und Posen und zerfällt (seit 1867) in zehn (vordem
in fünf) Gouvernements: Kalisch, Kjelzy (Kielce), Lomsha, Lublin, Petrokow, Plozk, Radom, Sjedlez (Siedlce), Suwalki und Warschau, welche
zusammen 127,311 qkm (2312 QM.) umfassen (näheres s. unter den
einzelnen Gouvernements).
Die Bevölkerung Polens betrug 1885: 7,960,304 Seelen. In betreff der Nationalität unterschied man 1870:
3,450,000 Polen (65 Proz.), 600,000 Russen (11 Proz.), 693,000 Israeliten (13 Proz.), 289,000 Deutsche
(5½ Proz.), 284,000 Litauer (5 Proz.), außerdem 3000 Franzosen, Engländer etc., 300 Tataren und 290 Zigeuner. Dem Religionsbekenntnis
nach kamen 71,31 Proz. auf Katholiken, 5,67
Proz. auf Evangelische, 4,61 Proz. auf orthodoxe Griechen,
13,10 Proz. auf Juden etc. Die eigentlichen Polen gehören zur westlichen Abteilung der großen lettoslawischen
Familie und sind von mittelgroßem, meist hagerm, aber kräftigem Körperbau.
Die hervorstehenden Backenknochen und die etwas eingedrückte Nase deuten auf die slawische Abstammung. Man schreibt dem Polen
leichte Beweglichkeit, schnelle Fassungsgabe, Sinn für schöne Formen, anderseits aber auch Zügellosigkeit,
Leichtsinn, Jähzorn, Unzuverlässigkeit zu. Für frühere Jahrhunderte mag dies im ganzen zutreffend sein, dem genauern Beobachter
aber zeigt sich ein großer Unterschied in den von den drei großen Nachbarstaaten erzielten Erziehungsresultaten des polnischen
Volkes.
Die beste Bildung haben unzweifelhaft die Posener Polen bekommen, denn ohne gute polnische Eigenschaften
aufzugeben, haben sie von den Deutschen Ausdauer und Sparsamkeit angenommen und deutsche Schulen durchgemacht, wodurch sie vorteilhaft
von ihren unter russischem Zepter lebenden Brüdern abstechen. Die österreichischen Polen haben mit der Erhaltung größerer
nationaler Eigenart auch ihre nationalen Fehler reiner erhalten: in unfruchtbarem Parteihader und kläglicher
Pfaffenwirtschaft zersplittern sie ihre besten Kräfte.
Vgl. Andree, Polen in geographischer geschichtlicher etc. Hinsicht (Leipz.
1831);
Possart, Lukaszewicz und Mulkowski, Das Königreich Polen und der Freistaat Krakau (Stuttg. 1840);
Hervet, Ethnographie Polens
(Wien 1871);
Leublfing, Wanderungen im westlichen Rußland (Leipz. 1875);
Janke, Skizzen aus dem europäischen Rußland (Berl.
1877);
Siwonenko, Vergleichende Statistik Polens (russ., Warsch. 1879);
Kolberg, Das polnische Volk (poln.,
Krak. 1871 ff.);
Szuiski, Die Polen und Ruthenen in Galizien (Teschen 1882).
Maßstab 1:3700000.
Die Gouvernements-Hauptstädte sind unterstrichen.
Die Gouvernements, welche nicht den Namen ihres
Hauptortes führen, sind beschrieben.
Anschluß s. Karte »Ostseeprovinzen«
Zum Artikel »Polen«.
mehr
Geschichte Polens.
(Hierzu die »Geschichtskarte von Polen«.)
Gründung des Reichs und Herrschaft der ersten Piasten.
Nach der sagenhaften Überlieferung gründete Piast, ein Bauer aus Kruswitz in Kujavien, um 840 die Dynastie, welche über das
zwischen Warthe, Weichsel und Netze in Großpolen wohnende slawische Volk der Polen (Polänen, Lechen) herrschte. Doch
ist das Reich wahrscheinlich durch die Eroberung eines polnischen Stammes entstanden, welcher in demselben sodann als zahlreicher
Adel (Szlachta) eine herrschende Stellung einnahm und allein das Recht, Waffen zu tragen, hatte.
Ihm unterthan war der Bauernstand, der teils aus Vollfreien oder nur persönlich Freien, dinglich aber Unfreien (Kmeci, Kmetones),
teils aus persönlich und dinglich Unfreien (glebae adscripti) bestand. Die Bauern lebten in Schutzdistrikten
(vicinia, opole) vereinigt, welche zu gemeinsamer Leistung öffentlicher Dienste, namentlich für den Fürsten, verpflichtet
und für vorgefallenen Mord gemeinschaftlich verantwortlich waren; ein Kastellan, der auf seiner Burg (Grod) saß, vertrat den
Fürsten in Verwaltung und Rechtsprechung. Über den Kastellanen standen anfangs Teilfürsten (in den Landschaften
Posen, Kalisch, Sieradz, Lentschiza und Kujavien), später die Palatine oder Woiwoden.
Der vierte Piast, der Überlieferung nach Mieczyslaw (Miesko), ward 963 vom deutschen Markgrafen Gero unterworfen; er ward Lehnsmann
des Kaisers und mußte Tribut zahlen. Um 965 nahm derselbe das römisch-katholische Christentum an, und deutsche
Priester gründeten das erste, dem Magdeburger Sprengel angehörige Bistum Posen. Sein Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (der Kühne,
992-1025) beseitigte durch Gewalt seine Miterben, eroberte Pomerellen mit Danzig und riß bei Gelegenheit eines Thronwechsel
in Böhmen die südpolnischen Provinzen Krakau und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich. Während er
mit Kaiser Otto III., der durch Errichtung des Erzstifts Gnesen Polen von dem Metropolitanverband mit Magdeburg löste, in gutem
Einvernehmen gestanden, fiel er nach dessen Tod in das Deutsche Reich ein, um die unter dessen Herrschaft stehenden slawischen
Reiche und Stämme seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen; 1002 erwarb er die Lausitz, 1003 Böhmen.
Kaiser Heinrich II. vermochte ihn trotz mehrerer Feldzüge gegen Polen nicht zu unterwerfen und mußte im Frieden von Bautzen 1018 seine
Unabhängigkeit anerkennen. Böhmen konnte Boleslaw freilich nicht behaupten, und auch seine Kriegszüge gegen die Russen, auf
denen er bis nach Kiew vordrang, verschafften ihm nur den Besitz der sogen. czerwenischen Städte (Rotrußland).
Die Verbreitung des Christentums, selbst mit grausamer Härte gegen die Widerstrebenden, ließ er sich sehr angelegen sein,
und mit Zustimmung des ihm sehr geneigten Klerus nahm er gegen Ende seines Lebens 1025 den Königstitel an.
Sein Sohn und Nachfolger Mieczyslaw (Miesko) II. (1025-34) vertrieb, um Alleinherrscher zu sein, seinen
Bruder Otto, der erst zu den Russen, dann zu den Deutschen flüchtete. Nun fielen von allen Seiten die Feinde in Polen ein; die Dänen
entrissen ihm Pomerellen, die Ungarn die Slowakei, die Russen die czerwenischen Städte. Mieczyslaw richtete alle seine Kräfte
gegen Deutschland, unternahm verwüstende Heerzüge bis vor Magdeburg und zwang Kaiser Konrad II. zu einem
erbitterten, schwierigen Krieg.
Schließlich aber mußte er die deutsch-slawischen Marken wieder an Deutschland abtreten
und Polen seinem Bruder Otto überlassen,
der als »Herzog« unter deutscher Lehnshoheit regierte. Nach Ottos Ermordung (1032) ward er nach Anerkennung der deutschen Oberhoheit
auf dem Hoftag zu Merseburg (7. Juli 1032) in die Herrschaft Polens wieder eingesetzt, die er bis zu seinem
Tod (15. März 1034) behauptete. Für seinen unmündigen Sohn Kasimir I. (1034-58) führte dessen Mutter Richeza, eine Tochter des
Pfalzgrafen bei Rhein, die Regierung, erregte aber durch Begünstigung der Fremden einen Aufstand der Szlachta,
welche den jungen König vertrieb. Polen drohte nun in völlige Anarchie zu versinken und zu einem Nebenland des mächtigern
Böhmenreichs herabgedrückt zu werden.
Aber Kaiser Heinrich III. begünstigte die Rückkehr Kasimirs auf den polnischen Thron, den er nach langen Kämpfen endlich dauernd
behauptete. Auch Schlesien gewann er gegen Zahlung eines Tributs von Böhmen zurück. Durch Wiederherstellung
der kirchlichen Ordnung erlangte er die Gunst des Klerus und hinterließ die Herrschaft seinem ältesten Sohn, Boleslaw II. Smialy
(dem Kühnen, 1058-81), so gefestigt, daß derselbe, begünstigt durch die innern Wirren in Deutschland und durch Thronstreitigkeiten
in Ungarn und Böhmen, wieder erobernd auftreten und, wenn auch nur für kurze Zeit, Kiew in Besitz nehmen
konnte. Seine Macht war so gestiegen, daß er am Weihnachtsfest 1076 mit großer Feierlichkeit sich die Königskrone aufsetzte.
Als er aber im Streit mit dem Bischof Stanislaw von Krakau diesen in der Kirche mit eigner Hand erschlug, mußte
er Polen verlassen und starb in einem fernen Kloster.
Sein Bruder und Nachfolger Wladislaw I. Hermann (1081-1102) gab den Königstitel wieder auf. Er suchte das Land nördlich der
Netze den Pommern wieder zu entreißen, wurde aber daran durch den Aufstand seines natürlichen Sohns Zbygniew gehindert, dem
sich später auch sein legitimer Sohn Boleslaw III. Krzywousty (Schiefmaul) anschloß. Beide erzwangen
von ihrem Vater die Entfernung seines Günstlings, des Palatins Sieciech, und setzten sich schon bei Lebzeiten desselben in
den Besitz großer Teile des Reichs.
Nach Wladislaws Tod (1102) teilten sich die Brüder das Land, gerieten jedoch bald in Streit. Zbygniew unterlag,
behielt bloß Masovien als Vasallenherzog und wurde, als er seine Feindseligkeiten fortsetzte, 1111 auf Boleslaws Befehl ermordet.
Boleslaw unternahm viele Kriegszüge nach Pommern, Mähren und Rußland führte auch mit Kaiser Heinrich V. nicht unglücklich
Krieg, eroberte aber nur Pommern nebst Rügen, für das er 1134 in Merseburg vor Kaiser Lothar die deutsche
Oberlehnshoheit anerkennen und sich zu einem zwölfjährigen Tribut verstehen mußte. Bei seinem Tod (1139) teilte er das Reich
unter seine vier mündigen Söhne derart, daß der älteste, Wladislaw II., Krakau und Schlesien sowie eine Oberhoheit (Prinzipat)
über seine Brüder haben, Boleslaw IV. Kendzierzawy (der Kraushaarige) Masovien und Kujavien, Mieczyslaw
Stary Gnesen und Pommern, Heinrich Sandomir erhalten sollte.
Zersplitterung und Neubegründung des Reichs.
Diese Zersplitterung Polens hatte aufreibende innere Kämpfe zur Folge. Wladislaw II., der seine Brüder zu unterdrücken suchte,
wurde von Boleslaw IV. zur Flucht nach Deutschland genötigt. Auf seinen Antrieb unternahm Kaiser Friedrich I. einen Zug
nach
Polen, auf dem er bis Posen siegreich vordrang und Boleslaw zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit zwang. Das Prinzipat behauptete
Boleslaw
poln. Polacy (Einzahl Polak), russ. Poljaki (Poljak),
slaw. Volksstamm, zur westl. Gruppe des Slawentums gehörig, berührt
sich im NO. mit den Litauern, im NW. und W. mit den Deutschen, im S. mit den Czechen und Slowaken und im
O. mit den Russen. Seine kompakten Wohnsitze sind in Rußland: Russisch-Polen (zu 15/16), die Kreise Sokolka, Bjelostok (zu je
¾) und Bjelsk (teilweise) des Gouvernements Grodno;
in Österreich-Ungarn: Westgalizien und Ostschlesien;
in Preußen: Oberschlesien,
der größte Teil der Provinz Posen, ein Teil von West- und Ostpreußen.
Über die Grenzlinien s. Polnische Sprache.
Außerhalb des oben angegebenen Gebietes finden sich noch Sprachinseln und Minoritäten nach allen Seiten, besonders nach
O. und NO., entsprechend der ehemaligen Ausdehnung des poln. Reichs. So in Österreich in Ostgalizien und in der Bukowina; in
Rußland in den Gouvernements Kowno, Wilna, Grodno, Minsk, Witebsk, Mohilew, Kiew, Podolien, Volhynien
und selbst teilweise in Kurland. Hier bilden die Polen, als Großgrundbesitzer, Stadtbürger (soweit sie nicht Juden sind), kath.
und evang. Geistliche, überall die intelligente Schicht über einer anderssprachigen (kleinruss.,
weißruss., litauischen, selbst lettischen) Landbevölkerung. In Schlesien und Ostpreußen ist umgekehrt die Landbevölkerung
polnisch. Ziemlich bedeutende Kolonien von Polen giebt es in Nord- und Südamerika, ferner finden sie sich
in Gruppen bald
mehr
als Emigranten, bald als Angestellte, bald als Verbannte im Innern Rußlands, besonders in Südrußland (Odessa, Bessarabien
u. a.), in Petersburg, Sibirien, dann in der Türkei, in Frankreich, in der Schweiz, in Österreich (Wien) u. a.
Die Zahl der Polen ist nicht leicht festzustellen, weil viele Personen zwei-, sogar dreisprachig sind und sich
daher bald diesem, bald dem andern Stamme zuzählen. Nach einer Berechnung von 1880 bis 1882 ergeben sich, mit 5 Proz. Zuwachs,
für 1894 folgende Zahlen:
1) In Rußland: in Russisch-Polen 5670000 (73,4 Proz. der Gesamtbevölkerung), in den neun westl.
Gouvernements Rußlands 1550000 (11 Proz.). Zusammen 7220000. 2) In Österreich-Ungarn: in Galizien 2887000
(46 Proz. der Gesamtbevölkerung), in Schlesien 163000 (28 Proz.), in der Bukowina 19000, in Ungarn 12000. Zusammen 3081000. 3)
In Preußen: Reg.-Bez. Posen (62 Proz.), Bromberg (48), Danzig (26), Marienwerder (37), Gumbinnen (20), Königsberg (15), Oppeln
(60), Breslau (3,5 Proz.), Pommern (3500 Seelen), zusammen 2810000 (nach der deutschen Volkszählung vom 1. Dez. 1890 beträgt
die Zahl der Polen in Preußen 2816657). Dazu 4) zerstreut rund 2 Mill. (soviel wird für Amerika allein angegeben). Es ergiebt
sich somit eine Gesamtzahl von rund 15 Mill.
Dem Bekenntnis nach sind evangelisch 446000 (3,4 Proz. der Gesamtzahl in 1-3), griechisch-uniert 68000 (0,5
Proz.), mosaisch (polonisierte Juden) 19000 (0,15 Proz.), mohammedanisch (im Gouvernement Sjedlez, Suwalki,
Grodno u. a.) 9000, griechisch-orthodox 8000; zusammen nichtkatholisch 550000 (4 Proz.),
römisch-katholisch 12561000 (96 Proz.). Die in den vorstehenden Berechnungen mit inbegriffenen
Kassuben (s. d.; auch in Amerika vertreten; Gesamtzahl 200000) bilden eigentlich einen besondern Volksstamm. -
Vgl. Czyński,
Etnograficzno-statystyczny zarys liczebności i rozsiedlenia ludności polskiej (Warsch.
1887).
poln. Polska, russ. Polscha 1) Ehemaliges Königreich,
umfaßte bis zur ersten Teilung 1772 im allgemeinen ein Gebiet, das im W. von der Oder und Warta, im S. von den Karpaten und
dem Dnjestr, im O. vom Dnjepr, im N. von der Düna, der Wasserscheide ihrer Zuflüsse und der zum Ilmensee
gehenden Gewässer und von der Ostsee umschlossen wird. Westlich gingen die Grenzen nur im 11. und 12. Jahrh.
weit über die Oder und Warta hinaus, fast bis zur Elbe bei Meißen und bis nach Böhmen und Mähren. Die Ausdehnung nach O.,
wo anfangs der Bug die Grenze bildete, begann im 13. Jahrh. und ging zeitweilig sogar über den Dnjepr hinaus. Polen hatte:
Jahr
Flächenraum qkm
Einwohner
1620
991000
15000000
1655
881000
14000000
1683
661000
12000000
1701
716000
12500000
1755
716000
13000000
1764
774415
12980000
1791
530000
7752486
1794
247800
4500000
Mit der dritten Teilung 1795 hörte das alte Königreich ganz auf zu bestehen.
Der Nationalität nach waren in Polen um 1772 fast 5 Mill. Polen (meist Katholiken), etwa ebenso viele Kleinrussen (meist uniert), 1 Mill.
Litauer (Katholiken), 1½ Mill. Juden, 1 Mill. Deutsche (meist evangelisch). Das Land bestand aus drei großen
Provinzen, die
in Woiwodschaften und diese wieder in Kreise (powiaty) zerfielen: Großpolen (s. d.), Kleinpolen (s. d.) und
Litauen (s. d.). Die herrschende Kirche war die römisch-katholische; es bestanden zwei Erzbistümer (Gnesen, Lemberg) und 15 Bistümer.
Universitäten gab es in Krakau, Wilna und Zamosc, daneben Dissidenten-, Jesuiten-, später Piaristen-, zuletzt sogar Staatsschulen.
- Das Wappen war ein quadrierter Schild, das erste und vierte Quadrat mit dem weißen gekrönten poln.
Adler in rotem Felde wegen Polen, im zweiten und dritten ein silberner geharnischter Reiter mit goldenem Patriarchenkreuz und
bloßem Säbel auf einem rennenden silbernen Pferde mit goldenen Hufeisen und blauem Reitzeug in rotem Felde
wegen Litauen. Das Herzschild enthielt das Geschlechtswappen des Königs. Die Landesfarben waren Weiß und Rot. -
Vgl. Baliński
und Lipiński, Starożytna Polska (3 Bde., Warsch.
1844-48).
2) Königreich unter russ. Herrschaft, errichtet 1815 durch den Wiener Kongreß, daher auch Kongreßpolen (Kongreśowka) oder
kurzweg Russisch-Polen genannt, in Rußland offiziell Weichselgouvernements (russ. Priwislanskija gubernii)
oder Weichselgebiet (Priwislanskij kraj). Es grenzt im N. an die preuß. Provinzen West- und Ostpreußen und an das russ.
Gouvernement Kowno, im O. an Wilna, Grodno und Volhynien, im S. an das österr. Kronland Galizien, im W. an die preuß. Provinzen
Schlesien und Posen, und hat 127312,9 qkm mit 8308122 E., d. i. 65,3 auf 1 qkm. Das Land ist vorherrschend
Ebene, nur die südl. Teile haben als Ausläufer der Karpaten eine wellige, zum Teil bergige Oberfläche, deren höchste Erhebung
die Lysa-Gora (s. d.) ist. Im SW. nahe an der Grenze ist das Thal des Prondnik, die sog. Polnische Schweiz.
Die Mitte wird bewässert von der Weichsel (auf 424,6 km) und ihren Nebenflüssen (rechts: San, Wieprz, Bug-Narew; links: Nida,
Kamionna, Piliza und Bzura). Im Westen geht die Warta mit der Prosna zur Oder und der Nordosten gehört zum Gebiet des Niemen,
zum Teil von diesem selbst begrenzt. Seen sind im Norden zahlreich, aber nirgends von größerm Umfang.
Im südl. und südwestl. Teil finden sich Eisenerz, Kupfer, Zinn, Zink und besonders Steinkohlen. Ein Drittel des Landes ist
mit Wäldern bedeckt.
Der Boden ist fruchtbar. Die Bevölkerung besteht zum größten Teil aus Polen, dann etwa 300000 Russen, 1,1 Mill. Juden, 440000
Deutschen, 300000 Litauern. Der Religion nach sind römisch-katholisch 79 Proz., mosaisch 14 Proz.,
andern Bekenntnisses 7 Proz. Hauptbeschäftigung ist Ackerbau. Gebaut werden neben Roggen, Gerste, Hafer ein vortrefflicher
Weizen. Bedeutend ist die Viehzucht, namentlich die Zucht span. Schafe, ferner Pferdezucht und
Bienenzucht in den Wäldern.
Bergmännisch gewonnen werden hauptsächlich Eisenerz und Steinkohlen (letztere jährlich etwa 130 Mill.
Pud). 1887 wurden erzeugt Eisen gegen 4 Mill., Stahl 3 Mill., Gußeisen 3,7 Mill. Pud. Es giebt 2288 Fabriken mit 164,5 Mill.
Produktion. Die Textilindustrie (besonders Woll- und Baumwollfabriken) konzentriert sich hauptsächlich in Lodz. Auch die Zuckerfabrikation
ist bedeutend (6 Mill. Rubel Produktion jährlich). Nach Aufhebung der russ.-poln.
Zollgrenze 1851 bildet Polen mit Rußland ein wirtschaftliches Gebiet; es hat schiffbare Flüsse und 2174 km Eisenbahnen. Hauptstapelplatz
für das Ausland ist Danzig. Ausgeführt werden
mehr
hauptsächlich Getreide, besonders Weizen, Holz, Ölsamen, Wolle, Vieh, Borsten, Roßhaare, Häute; eingeführt: Kolonialwaren,
Farbstoffe, Baumwolle, Rohseide und Seidenstoffe, Chemikalien, Maschinen, Metalle und Metallwaren, Wein und Kochsalz. Polen hat
eine Universität in Warschau, 21 Gymnasien, 7 Progymnasien, 4 Realschulen, 9 Lehrerinstitute und 2287 Volksschulen. Die Unterrichtssprache
in sämtlichen Schulen ist die russ. Sprache, die auch die Gerichts- und Geschäftssprache bildet.
An der Spitze des gesamten Unterrichtswesens steht der Kurator des Lehrbezirks Warschau. Die Verwaltung der röm.-kath. Kirche
wird vom Ministerium des Innern aus in Petersburg geleitet und der direkte Verkehr mit der röm. Kurie ist verboten. Die griech.-orthodoxe
Kirche steht unter dem Erzbischof von Warschau und Chelm, die evang.-luth. und die reform.
Kirche unter je einem Generalsuperintendenten, der zugleich Vorsitzender des betreffenden Gouvernements ist. Polen bestand anfangs
aus 8 Woiwodschaften, die 1846 in 5 und 1867 in 10 Gouvernements verwandelt wurden: Warschau, Kalisch, Petrikau, Radom, Kjelzy,
Lublin, Sjedlez, Plozk, Lomsha und Suwalki. Die selbständige Verwaltung des Landes hat seit 1863 überhaupt
aufgehört, und die oberste Leitung führt statt des frühern Statthalters seit 1874 ein russ. Generalgouverneur mit dem Sitz
in Warschau.
Geschichte.
1) Gründung, Verfall und Vereinigung des Reichs bis 1300. Als Fürsten der Vorzeit werden Lech und Popiel genannt. Nach
dem Tode des letzten Popiel schwang sich Piast (s. d.) zum Herrscher über Polen empor, mit dessen viertem
Nachfolger Mscislaw I. (s. d.; 962-992) dann die beglaubigte Geschichte P.s beginnt.
Diesem gelang es, die zahlreichen poln. Gemeinden zwischen Weichsel und Oder zu einem einheitlichen
Staatswesen zusammenzufassen; 966 nahm er das Christentum an und zwei Jahre später gründete er das Bistum
Posen.
Sein Sohn und Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (s. d.) eroberte Pommern mit Danzig und benutzte den Thronstreit in Böhmen, um Krakau
und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich zu bringen. Er begründete durch die Stiftung des Erzbistums Gnesen die kirchliche
Unabhängigkeit P.s von Deutschland und bereitete so die polit. Selbständigkeit vor (1000). Unter seinem
Sohne Mscislaw II. (s. d.) schwächten Bruderzwist und Bürgerkrieg die Macht des
Reichs. Während der vormundschaftlichen Regierung für Kasimir I. (gest. 1058) brach eine
Empörung des Adels und ein Kampf mit Břetislaw (s. d.) von Böhmen aus, die aber durch Dazwischenkunft
des deutschen Kaisers Konrad II. beendet wurden.
Kasimirs Sohn Boleslaw II. (s. d.) wurde wegen seiner Grausamkeit vertrieben (1079) und
sein Sohn vergiftet. Es folgte nun des Königs Bruder Wladislaw I. (gest. 1102), der als Schwager Kaiser Heinrichs IV. in ein
friedliches Verhältnis zu Deutschland trat. Nach dem Tode seines Sohnes Boleslaw III. (1139) wurde das Land
unter seine vier Sohne geteilt; der älteste, Wladislaw II., erhielt Krakau und Schlesien mit dem Seniorat, Boleslaw IV. Masowien
und Kujawien, Mscislaw Gnesen und Pommern, Heinrich Sandomir. Wladislaw II. wurde vertrieben (1146), und nach Boleslaws Tode (1173)
vereinigte Mscislaw III. Masowien, Kujawien und Krakau mit Großpolen; doch wurde er 1177 gestürzt und
der jüngste der Brüder, Kasimir II., zum König gewählt. Dieser brachte außer Sandomir
noch Gnesen zum Reich. Unter Kasimirs
Sohn Leszek (1194-1227), dem ersten Wahlfürsten in Polen, und dessen Sohn Boleslaw V. (gest. 1279) wurden ganze Landschaften
von Polen losgerissen.
Nicht nur trat Schlesien allmählich aus dem Verbände mit Polen, auch Pomerellen machte sich unter Herzog Swatopluk
unabhängig; die heidn. Preußen und Litauer machten zudem fortwährend die Nordgrenzen des Reichs unsicher, bis die Not Konrad
von Masowien zwang, die Deutschen Ritter herbeizurufen, die, vereinigt mit dem Polenheer unter Führung Herzog Heinrichs
von Breslau in der Schlacht an der Sirgune (1233) den Preußen eine entscheidende Niederlage beibrachten.
Seit jener Zeit war die Herrschaft des Ordens gesichert, und Polen beteiligte sich nicht weiter am Kampfe gegen die Preußen.
Den Mongolen, die das östl. Europa in der schrecklichsten Weise heimsuchten, auch Volhynien, ganz Ungarn,
Südpolen bis nach Schlesien hin überschwemmten, stellte sich Herzog Heinrich der Fromme von Schlesien, im Verein mit Boleslaw
von Mähren, den Großpolen und den Deutschen Ordensrittern mit einem poln.-schles. Heere bei Liegnitz 1241 entgegen.
Heinrich fiel; die Zerfahrenheit im Innern und den unaufhörlichen Zwist unter den Landesfürsten, die nach seinem
Tode herrschte, benutzten die Nachbarn, um das wehrlose Land zu verwüsten und ein Stück nach dem andern von demselben abzutrennen.
Zudem machten die Tataren wiederholentlich Einfälle in die poln. Gebiete. So geschah es, daß man 1300 dem
König Wenzel von Böhmen, der schon Kleinpolen beherrschte, die poln. Krone übertrug; er stellte durch
sein kräftiges Eingreifen die Ruhe im Reiche endlich wieder her.
2) Blüte des Reichs 1300-1572. Auf Wenzel von Böhmen folgte Wladislaw IV. (1306-33); er machte Krakau wieder zu einer rein
poln. Stadt, die nach seiner Krönung 1320 Krönungsstadt (an Stelle von Gnesen) fortan blieb. Kleinpolen gewann dadurch an
Bedeutung, während Großpolen an Ansehen verlor. Besonders bekämpfte er mit aller Macht den Deutschen Orden und stärkte
dadurch das Nationalbewußtsein. Wladislaws Sohn Kasimir III. d. Gr. (s. d.;
1333-70) überließ dem Deutschen Orden 1343 das Kulmer Land, Nessau und Pommern.
Für das im Westen durch die Abtretung Schlesiens an Johann von Böhmen geschmälerte Reichsgebiet eroberte
er 1366 im Osten die russ. Fürstentümer Halicz und Wladimir und vereinigte, nach dem Aussterben der
Herzogsgeschlechter, Kujawien, Lentschiza und Dobrzyn mit dem Königreich. Ihm folgte Ludwig von Ungarn (1370-82), der als Enkel
Wladislaws IV. Ellenlang die nächsten Ansprüche hatte. Seine Tochter Hedwig, zur Nachfolgerin bestimmt, mußte
auf Verlangen des Adels 1386 dem Großfürsten Jagello (s. d.) von Litauen ihre Hand reichen.
Dadurch kamen die Jagellonen (bis 1572) auf den poln. Thron und eine Vereinigung von Polen und Litauen zu stande. Polen wurde jetzt
der mächtigste Staat im östl. Europa; es bestand aus dem Königreich (d. i. Gebiet Krakau und die Herzogtümer
Schlesien, Kujawien, Masowien) und dem Großfürstentum Litauen; gegen die Ostsee ward es abgegrenzt durch das Gebiet des Deutschen
Ordens. Auf einem Flächenraum von 1 Mill. qkm wohnten etwa 35 Mill. E. Am 15. Juli 1410 wurden bei Tannenberg die Ordensritter
unter Führung Ulrichs von Jungingen von Jagello geschlagen: doch im ersten Thorner Frieden Febr. 1411 trat
der Orden