Die Zahl der Polen ist nicht leicht festzustellen, weil viele
Personen zwei-, sogar dreisprachig sind und sich
daher bald diesem, bald dem andern
Stamme zuzählen. Nach einer Berechnung von 1880 bis 1882 ergeben sich, mit 5 Proz. Zuwachs,
für 1894 folgende
Zahlen:
1) InRußland: in
Russisch-Polen 5670000 (73,4 Proz. der Gesamtbevölkerung), in den neun westl.
Gouvernements
Rußlands 1550000 (11 Proz.). Zusammen 7220000. 2) InÖsterreich-Ungarn:
[* 9] in Galizien 2887000
(46 Proz. der Gesamtbevölkerung), in
Schlesien
[* 10] 163000 (28 Proz.), in der
Bukowina 19000, in
Ungarn
[* 11] 12000. Zusammen 3081000. 3)
InPreußen:
[* 12] Reg.-Bez.
Posen
[* 13] (62 Proz.),
Bromberg
[* 14] (48),
Danzig
[* 15] (26), Marienwerder
[* 16] (37),
Gumbinnen
[* 17] (20), Königsberg
[* 18] (15), Oppeln
[* 19] (60),
Breslau
[* 20] (3,5 Proz.),
Pommern
[* 21] (3500 Seelen), zusammen 2810000 (nach der deutschen
Volkszählung vom beträgt
die Zahl der Polen in
Preußen 2816657). Dazu 4) zerstreut rund 2 Mill. (soviel wird für
Amerika
[* 22] allein angegeben). Es ergiebt
sich somit eine Gesamtzahl von rund 15 Mill.
Dem
Bekenntnis nach sind evangelisch 446000 (3,4 Proz. der Gesamtzahl in 1-3), griechisch-uniert 68000 (0,5
Proz.), mosaisch (polonisierte
Juden) 19000 (0,15 Proz.), mohammedanisch (im Gouvernement Sjedlez,
Suwalki,
Grodno u. a.) 9000, griechisch-orthodox 8000; zusammen nichtkatholisch 550000 (4 Proz.),
römisch-katholisch 12561000 (96 Proz.). Die in den vorstehenden Berechnungen mit inbegriffenen
Kassuben (s. d.; auch in
Amerika vertreten; Gesamtzahl 200000) bilden eigentlich einen besondern Volksstamm. -
Vgl. Czyński, Etnograficzno-statystyczny zarys liczebności i rozsiedlenia ludności polskiej (Warsch.
1887).
poln. Polska, russ. Polscha 1) EhemaligesKönigreich,
umfaßte bis zur ersten
Teilung 1772 im allgemeinen ein Gebiet, das im W. von der Oder und Warta, im S. von den Karpaten und
dem Dnjestr, im O. vom
Dnjepr, im N. von der Düna, der
Wasserscheide ihrer Zuflüsse und der zum Ilmensee
gehenden
Gewässer und von der Ostsee umschlossen wird. Westlich gingen die Grenzen
[* 23] nur im 11. und 12. Jahrh.
weit über die Oder und Warta hinaus, fast bis zur
Elbe bei Meißen
[* 24] und bis nach
Böhmen
[* 25] und Mähren. Die
Ausdehnung
[* 26] nach O.,
wo anfangs der
Bug die Grenze bildete, begann im 13. Jahrh. und ging zeitweilig sogar über den
Dnjepr hinaus. Polen hatte:
Jahr
Flächenraum qkm
Einwohner
1620
991000
15000000
1655
881000
14000000
1683
661000
12000000
1701
716000
12500000
1755
716000
13000000
1764
774415
12980000
1791
530000
7752486
1794
247800
4500000
Mit der dritten
Teilung 1795 hörte das alte Königreich ganz auf zu bestehen.
Der Nationalität nach waren in Polen um 1772 fast 5 Mill. Polen (meist Katholiken), etwa ebenso viele
Kleinrussen (meist uniert), 1 Mill.
Litauer (Katholiken), 1½ Mill.
Juden, 1 Mill. Deutsche
[* 27] (meist evangelisch). Das Land bestand aus drei großen
Provinzen, die
in Woiwodschaften und diese wieder in
Kreise
[* 28] (powiaty) zerfielen: Großpolen (s. d.),
Kleinpolen (s. d.) und
Litauen (s. d.). Die herrschende
Kirche war die
römisch-katholische; es bestanden zwei Erzbistümer
(Gnesen, Lemberg)
[* 29] und 15
Bistümer.
Universitäten gab es in Krakau,
[* 30] Wilna
[* 31] und Zamosc, daneben Dissidenten-,
Jesuiten-, später
Piaristen-, zuletzt sogar
Staatsschulen.
-
Das Wappen war ein quadrierter Schild,
[* 32] das erste und vierte Quadrat mit dem weißen gekrönten poln.
Adler
[* 33] in rotem Felde wegen Polen, im zweiten und dritten ein silberner geharnischter Reiter mit goldenem
Patriarchenkreuz und
bloßem Säbel auf einem rennenden silbernen
Pferde
[* 34] mit goldenen Hufeisen
[* 35] und blauem Reitzeug in rotem Felde
wegen
Litauen. Das
Herzschild enthielt das
Geschlechtswappen des Königs. Die Landesfarben waren
Weiß und
Rot. -
Vgl. Baliński
und Lipiński, Starożytna Polska (3 Bde., Warsch.
1844-48).
2) Königreich unter russ. Herrschaft, errichtet 1815 durch den
Wiener Kongreß, daher auch Kongreßpolen (Kongreśowka) oder
kurzweg
Russisch-Polen genannt, in
Rußland offiziell Weichselgouvernements (russ. Priwislanskija gubernii)
oder Weichselgebiet (Priwislanskij kraj). Es grenzt im N. an die preuß.
Provinzen West- und Ostpreußen
[* 36] und an das russ.
Gouvernement Kowno, im O. an Wilna, Grodno und
Volhynien, im
S. an das österr. Kronland Galizien, im
W. an die preuß.
ProvinzenSchlesien und
Posen, und hat 127312,9 qkm mit 8308122 E.,
d. i. 65,3 auf 1 qkm. Das Land ist vorherrschend
Ebene, nur die südl.
Teile haben als
Ausläufer der Karpaten eine wellige, zum
Teil bergige Oberfläche, deren höchste
Erhebung
die
Lysa-Gora (s. d.) ist. Im
SW. nahe an der Grenze ist das
Thal
[* 37] des Prondnik, die sog.PolnischeSchweiz.
Die Mitte wird bewässert von der Weichsel (auf 424,6 km) und ihren Nebenflüssen (rechts:
San,
Wieprz,
Bug-Narew; links: Nida,
Kamionna, Piliza und Bzura). Im Westen geht die Warta mit der Prosna zur Oder und der Nordosten gehört zum Gebiet des
Niemen,
zum
Teil von diesem selbst begrenzt. Seen sind im Norden
[* 38] zahlreich, aber nirgends von größerm
Umfang.
Im südl. und südwestl.
Teil finden sich Eisenerz, Kupfer,
[* 39] Zinn,
Zink und besonders
Steinkohlen. Ein Drittel des
Landes ist
mit Wäldern bedeckt.
Der
Boden ist fruchtbar.
Die Bevölkerung besteht zum größten
Teil aus Polen, dann etwa 300000
Russen, 1,1 Mill.
Juden, 440000
Deutschen, 300000 Litauern. Der
Religion nach sind römisch-katholisch 79 Proz., mosaisch 14 Proz.,
andern Bekenntnisses 7 Proz. Hauptbeschäftigung ist
Ackerbau. Gebaut werden neben Roggen, Gerste,
[* 40] Hafer
[* 41] ein vortrefflicher
Weizen. Bedeutend ist die Viehzucht,
[* 42] namentlich die Zucht span. Schafe,
[* 43] ferner Pferdezucht
[* 44] und
Bienenzucht
[* 45] in den Wäldern.
Polen (Königreich)
* 48 Seite 63.231.
Bergmännisch gewonnen werden hauptsächlich Eisenerz und
Steinkohlen (letztere jährlich etwa 130 Mill.
Pud). 1887 wurden erzeugt
Eisen
[* 46] gegen 4 Mill.,
Stahl 3 Mill.,
Gußeisen 3,7 Mill. Pud. Es giebt 2288 Fabriken mit 164,5 Mill.
Produktion. Die
Textilindustrie (besonders
Woll- und Baumwollfabriken) konzentriert sich hauptsächlich in Lodz. Auch die Zuckerfabrikation
ist bedeutend (6 Mill. Rubel Produktion jährlich). Nach Aufhebung der russ.-poln.
Zollgrenze 1851 bildet Polen mit
Rußland ein wirtschaftliches Gebiet; es hat schiffbare
Flüsse
[* 47] und 2174 km Eisenbahnen. Hauptstapelplatz
für das
Ausland ist
Danzig. Ausgeführt werden
¶
mehr
hauptsächlich Getreide,
[* 49] besonders Weizen, Holz,
[* 50] Ölsamen, Wolle, Vieh, Borsten, Roßhaare, Häute; eingeführt: Kolonialwaren,
Farbstoffe, Baumwolle,
[* 51] Rohseide und Seidenstoffe, Chemikalien, Maschinen, Metalle und Metallwaren, Wein und Kochsalz. Polen hat
eine Universität in Warschau,
[* 52] 21 Gymnasien, 7 Progymnasien, 4 Realschulen, 9 Lehrerinstitute und 2287 Volksschulen. Die Unterrichtssprache
in sämtlichen Schulen ist die russ. Sprache,
[* 53] die auch die Gerichts- und Geschäftssprache bildet.
An der Spitze des gesamten Unterrichtswesens steht der Kurator des Lehrbezirks Warschau. Die Verwaltung der röm.-kath. Kirche
wird vom Ministerium des Innern aus in Petersburg geleitet und der direkte Verkehr mit der röm. Kurie ist verboten. Die griech.-orthodoxe
Kirche steht unter dem Erzbischof von Warschau und Chelm, die evang.-luth. und die reform.
Kirche unter je einem Generalsuperintendenten, der zugleich Vorsitzender des betreffenden Gouvernements ist. Polen bestand anfangs
aus 8 Woiwodschaften, die 1846 in 5 und 1867 in 10 Gouvernements verwandelt wurden: Warschau, Kalisch,
[* 54] Petrikau, Radom, Kjelzy,
Lublin, Sjedlez, Plozk, Lomsha und Suwalki. Die selbständige Verwaltung des Landes hat seit 1863 überhaupt
aufgehört, und die oberste Leitung führt statt des frühern Statthalters seit 1874 ein russ. Generalgouverneur mit dem Sitz
in Warschau.
Geschichte.
1) Gründung, Verfall und Vereinigung des Reichs bis 1300. Als Fürsten der Vorzeit werden Lech und Popiel genannt. Nach
dem Tode des letzten Popiel schwang sich Piast (s. d.) zum Herrscher über Polen empor, mit dessen viertem
Nachfolger Mscislaw I. (s. d.; 962-992) dann die beglaubigte Geschichte P.s beginnt.
Diesem gelang es, die zahlreichen poln. Gemeinden zwischen Weichsel und Oder zu einem einheitlichen
Staatswesen zusammenzufassen; 966 nahm er das Christentum an und zwei Jahre später gründete er das BistumPosen.
Sein Sohn und Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (s. d.) eroberte Pommern mit Danzig und benutzte den Thronstreit in Böhmen, um Krakau
und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesienan sich zu bringen. Er begründete durch die Stiftung des Erzbistums Gnesen die kirchliche
Unabhängigkeit P.s von Deutschland
[* 55] und bereitete so die polit. Selbständigkeit vor (1000). Unter seinem
SohneMscislaw II. (s. d.) schwächten Bruderzwist und Bürgerkrieg die Macht des
Reichs. Während der vormundschaftlichen Regierung für Kasimir I. (gest. 1058) brach eine
Empörung des Adels und ein Kampf mit Břetislaw (s. d.) von Böhmen aus, die aber durch Dazwischenkunft
des deutschen Kaisers Konrad II. beendet wurden.
Kasimirs Sohn Boleslaw II. (s. d.) wurde wegen seiner Grausamkeit vertrieben (1079) und
sein Sohn vergiftet. Es folgte nun des Königs Bruder Wladislaw I. (gest. 1102), der als Schwager KaiserHeinrichs IV. in ein
friedliches Verhältnis zu Deutschland trat. Nach dem Tode seines SohnesBoleslaw III. (1139) wurde das Land
unter seine vier Sohne geteilt; der älteste, Wladislaw II., erhielt Krakau und Schlesien mit dem Seniorat, Boleslaw IV. Masowien
und Kujawien, MscislawGnesen und Pommern, Heinrich Sandomir. Wladislaw II. wurde vertrieben (1146), und nach BoleslawsTode (1173)
vereinigte Mscislaw III. Masowien, Kujawien und Krakau mit Großpolen; doch wurde er 1177 gestürzt und
der jüngste der Brüder, Kasimir II., zum König gewählt. Dieser brachte außer Sandomir
noch Gnesen zum Reich. Unter Kasimirs
Sohn Leszek (1194-1227), dem ersten Wahlfürsten in Polen, und dessen Sohn Boleslaw V. (gest. 1279) wurden ganze Landschaften
von Polen losgerissen.
Seit jener Zeit war die Herrschaft des Ordens gesichert, und Polen beteiligte sich nicht weiter am Kampfe gegen die Preußen.
Den Mongolen, die das östl. Europa
[* 56] in der schrecklichsten Weise heimsuchten, auch Volhynien, ganz Ungarn,
Südpolen bis nach Schlesien hin überschwemmten, stellte sich HerzogHeinrich der Fromme von Schlesien, im Verein mit Boleslaw
von Mähren, den Großpolen und den Deutschen Ordensrittern mit einem poln.-schles. Heere bei Liegnitz
[* 57] 1241 entgegen.
Heinrich fiel; die Zerfahrenheit im Innern und den unaufhörlichen Zwist unter den Landesfürsten, die nach seinem
Tode herrschte, benutzten die Nachbarn, um das wehrlose Land zu verwüsten und ein Stück nach dem andern von demselben abzutrennen.
Zudem machten die Tataren wiederholentlich Einfälle in die poln. Gebiete. So geschah es, daß man 1300 dem
König Wenzel von Böhmen, der schon Kleinpolen beherrschte, die poln. Krone übertrug; er stellte durch
sein kräftiges Eingreifen die Ruhe im Reiche endlich wieder her.
2) Blüte
[* 58] des Reichs 1300-1572. Auf Wenzel von Böhmen folgte Wladislaw IV. (1306-33); er machte Krakau wieder zu einer rein
poln. Stadt, die nach seiner Krönung 1320 Krönungsstadt (an Stelle von Gnesen) fortan blieb. Kleinpolen gewann dadurch an
Bedeutung, während Großpolen an Ansehen verlor. Besonders bekämpfte er mit aller Macht den DeutschenOrden
[* 59] und stärkte
dadurch das Nationalbewußtsein. Wladislaws Sohn Kasimir III. d. Gr. (s. d.;
1333-70) überließ dem DeutschenOrden 1343 das Kulmer Land, Nessau und Pommern.
Für das im Westen durch die AbtretungSchlesiens an Johann von Böhmen geschmälerte Reichsgebiet eroberte
er 1366 im Osten die russ. Fürstentümer Halicz und Wladimir und vereinigte, nach dem Aussterben der
Herzogsgeschlechter, Kujawien, Lentschiza und Dobrzyn mit dem Königreich. Ihm folgte Ludwig von Ungarn (1370-82), der als Enkel
Wladislaws IV. Ellenlang die nächsten Ansprüche hatte. Seine Tochter Hedwig, zur Nachfolgerin bestimmt, mußte
auf Verlangen des Adels 1386 dem Großfürsten Jagello (s. d.) von Litauen ihre Hand
[* 60] reichen.
Polen (Königreich)
* 62 Seite 63.232.
Dadurch kamen die Jagellonen (bis 1572) auf den poln. Thron
[* 61] und eine Vereinigung von Polen und Litauen zu stande. Polen wurde jetzt
der mächtigste Staat im östl. Europa; es bestand aus dem Königreich (d. i. Gebiet Krakau und die Herzogtümer
Schlesien, Kujawien, Masowien) und dem Großfürstentum Litauen; gegen die Ostsee ward es abgegrenzt durch das Gebiet des DeutschenOrdens. Auf einem Flächenraum von 1 Mill. qkm wohnten etwa 35 Mill. E. Am wurden bei Tannenberg die Ordensritter
unter FührungUlrichs von Jungingen von Jagello geschlagen: doch im ersten Thorner Frieden Febr. 1411 trat
der Orden¶
mehr
nur Samogitien ab. 1413 wurde die VereinigungLitauens mit Polen und die Gleichstellung des Adels beider Länderteile ausgesprochen. 1433 wurde
Rotrußland und Podolien unauflöslich mit der Krone Polen verbunden.
Auf Jagello (gest. 1434) folgte sein Sohn Wladislaw III., der, als KaiserAlbrecht starb, 1440 auch die Krone von Ungarn erhielt;
doch verlor er im Kampfe gegen die Türken bei Warna Nov. 1444 sein Leben. Die VerbindungUngarns mit Polen löste sich wieder
auf. Dort wurde Albrechts nachgeborener Sohn Wladislaw (Ladislaus, s. d.) König, während
in Polen nach einem Interregnum von drei Jahren der zweite Sohn Jagellos, Kasimir IV. (s. d.),
den Thron bestieg. Der 13jährige Kampf mit dem DeutschenOrden erreichte erst 1466 durch den zweiten Frieden
zu Thorn
[* 63] sein Ende, in welchem der Orden Westpreußen und Ermland an Polen abtreten mußte, Ostpreußen aber als poln. Lehn behielt.
Auf Kasimir IV. (gest. 1492) folgten kurz hintereinander seine drei Söhne: Johann I. Albrecht (1492-1501),
Alexander (1501-6), Sigismund I. (1506-48). Der Versuch des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg,
[* 64] Westpreußen wiederzuerobern,
mißlang; doch erhielt Albrecht 1525 die Anerkennung als weltlicher Herzog von Preußen unter poln. Lehnshoheit. Während der
Regierungszeit Sigismunds fand auch die luth. Lehre
[* 65] in Polen Eingang, besonders in Westpreußen, ferner in Ostpreußen, nachdem
der Hochmeister Albrecht mit fast allen Ordensrittern zu ihr übergetreten war.
Sigismunds Sohn und schon bei Lebzeiten des Vaters gekrönter Nachfolger war Sigismund II. August (1548-72), der seinen Plan,
die allmählich erworbenen LänderLitauen, Preußen, Volhynien, Podolien und die Ukraine mit Polen zu einer Staatseinheit zu
verbinden und einen gemeinsamen Reichstag für diese Gebietsteile zu konstituieren, endlich zu stande
brachte in der Lubliner Union 1569. Unter ihm erreichte Polen auch seine größte Ausdehnung, fast 940000 qkm mit etwa 35 Mill.
E.
3) Polen als Wahlreich bis zur dritten Teilung 1572-1795. Der Tod Sigismunds (1572), mit dem der jagellonische Mannsstamm ausstarb,
gab dem bisher nur der Theorie nach bestehenden Recht der Königswahl eine praktische Bedeutung: Polen gestaltete
sich seit 1572 zu einem wirklichen Wahlreiche. Von den verschiedenen Bewerbern um die poln. Krone kamen 1572 eigentlich nur
zwei in Betracht: der Erzherzog von Österreich, Sohn Maximilians II., und Heinrich von Valois (s. Heinrich
III., König von Frankreich).
Letzterer wurde 1573 gewählt und beschwor die Pacta conventa; doch verließ er bereits nach drei Monaten, im Juli 1573, Polen, um
als nächster Erbe den durch den Tod seines BrudersKarl IX. erledigten franz. Königsthron zu gewinnen, worauf 1575 StephanBathory
als König erwählt wurde. Nach dessen Tode 1586 erfolgte die Wahl des schwed. Prinzen Sigismund III.,
der die beiden ersten nordischen Kronen
[* 66] zu vereinigen suchte. Aber Schweden
[* 67] riß sich bald von dieser Verbindung los.
Infolgedessen entbrannte ein langwieriger Krieg zwischen Polen und Schweden, der erst durch den Frieden zu Oliva 1660 beendigt
wurde; Polen verlor Livland
[* 68] und 1657 die Lehnshoheit über das Herzogtum Preußen. Nach dem Tode des Johann
(s. d.) Sobieski (1674-96) schien der Thron dem Meistbietenden zuzufallen, jede Großmacht erkaufte sich für ihren Thronkandidaten
eine Partei des Adels. Als der Kurfürst von Sachsen,
[* 69] August II. (s. d.),
sich gegen den franz.
Prinzen Conti behauptete und sich an Peter I. von Rußland anschloß, wurde Polen in den Nordischen Krieg (s. d.)
verwickelt.
Das gab Österreich, Rußland und Preußen den willkommenen Vorwand, die lange beabsichtigte Teilung P.s vorzunehmen. Die drei
Mächte schlossen darüber einen Vertrag, und die Republik Polen genehmigte die schon
vollzogene Teilung (erste Teilung), durch welche Polen von den 750000 qkm, die es damals noch enthielt, gegen 214000 verlor. Österreich
erhielt die GrafschaftZips, die Hälfte der Woiwodschaft Krakau, einen Teil der Woiwodschaft Sandomir, die Woiwodschaft Lemberg,
das Land Halicz, die Woiwodschaft Belz und den westlichsten Teil von Podolien, zusammen 70480 qkm mit 2700000
E.;
Rußland das poln. Livland, die Hälfte der Woiwodschaft Polozk, die Woiwodschaften Witebsk und Mstislaw und einen Teil
von Minsk, zusammen 108750 qkm mit 1800000 E. Eine patriotische Partei begann nunmehr an der Wiederherstellung
P.s zu arbeiten;
aber Rußland fand Verbündete an einem Teil des poln. Adels, der zu Targowitz eine Konföderation gegen die
bereits vom Reichstage angenommene Konstitution (vom geschlossen hatte.
Hierauf verließ Preußen die Sache
der Republik und willigte in eine zweite Teilung P.s. Rußland bekam 250700 qkm mit 3 Mill. E., die Reste der Woiwodschaften
Polozk und Minsk, die Hälfte der Woiwodschaften Nowgorodek und Brzesc, den östl. Grenzstrich
der Woiwodschaft Wilna, die Ukraine (die Woiwodschaften Kiew
[* 71] und Braclaw), Podolien und die östl.
Hälfte Volhyniens; Preußen 58370 qkm mit 1100000 E., die Woiwodschaften Posen, Kalisch, Sieradz, Lenczic und halb Rawa, nebst
Danzig und Thorn, die Hälfte der Woiwodschaft Brzesc, das Ländchen Dobrzyn, die Woiwodschaft Plock, das Land Wielun und die
Festung
[* 72] Czenstochau.
Preußen bildete daraus die neue ProvinzSüdpreußen. Da erhob sich Kosciuszko (s. d.) an der
Spitze derKonföderation von Krakau, März 1794, zum Kampfe für Vaterland und Freiheit. Doch es war zu spät. Ohne Festungen,
ohne Taktik, ohne Bundesgenossen, ja ohne Waffen, mußte die Nation gegen Russen, Preußen und Österreicher nach dem Tage von
Maciejowice, 10. Okt., und nach dem Falle von Praga, unterliegen. Hierauf ward durch Traktat vom die
dritte Teilung P.s endgültig geregelt und Polen aus der Reihe der Staaten gestrichen. Rußland erhielt 111780 qkm mit fast 1200000
E., Preußen 54398 qkm mit beinahe
¶