Titel
Polen
(hierzu
Karte »Polen
und
[* 3]
Westrußland«),
ehemaliges europäisches
Reich, dessen
Umfang zu verschiedenen
Zeiten ein
sehr verschiedener war. Ursprünglich nur die Woiwodschaften
Posen,
[* 4]
Gnesen,
Kalisch,
[* 5]
Lublin,
Rawa, Sieradz,
Podlachien und
Plozk
umfassend, dehnte es sich bald auch über
Schlesien
[* 6] und
Pommern
[* 7] und eine Zeitlang sogar über
Böhmen
[* 8] und
Mähren aus.
Obwohl sich letztere
Länder sowie
Schlesien und
Pommern im 12. und 13. Jahrh. unabhängig machten, so erwarb Polen
dafür 1386 durch
Heirat
Litauen, später, wenn auch nur auf kurze Zeit,
Livland
[* 9] und
Esthland, dazu die Lehnsherrschaft über
Preußen,
[* 10]
Kurland mit
Semgallen wie über die
Moldau und
Walachei und die Herrschaft über die
Mehrzahl der
Kosaken. Am größten
war seine
Ausdehnung
[* 11] und Macht unter der Herrschaft der
Jagellonen.
Unter
Kasimir IV. (1466) hatte es ein
Areal von
ca. 1,173,000 qkm mit über 35 Mill. Einw. Selbst nach Verlust der
Moldau und
Walachei und andrer Gebietsteile umfaßte es unter dem letzten
Jagellonen,
Siegmund II. (gest. 1572), noch
1,040,000 qkm mit etwa 27 Mill. Einw. und vor seiner ersten
Teilung (1772) 750,900 qkm mit über 12 Mill. Einw. Durch die
drei
Teilungen Polens
fiel ein
Areal von 483,700 qkm mit fast 6 Mill. Einw. an Rußland, 121,500 qkm mit 3,6
Mill. Einw. an
Österreich
[* 12] und 145,700 qkm mit 2,7 Mill. Einw. an
Preußen. Man unterschied in Polen
drei
große
Provinzen:
Großpolen,
Kleinpolen und
Litauen (s. d.).
Das alte Polen
war von 1572 an bis zur dritten
Teilung (1795) eine aristokratische
Republik mit einem Wahlkönig an der
Spitze.
Alle
Gewalt ruhte in den
Händen des
Adels, der allein auf den
Reichstagen das
Volk vertrat. Der Bürgerstand
war von denselben ganz ausgeschlossen, und außer dem König bestanden sie nur aus dem
Senat, zu dem die
Bischöfe, die
Woiwoden
oder lebenslänglichen
Statthalter der einzelnen
Landschaften, die
Kastellane und die zwölf höchsten Staatsbeamten gehörten,
und aus den
Landboten (nuntii terrestres), den
Repräsentanten des
Adels, die von jeder Woiwodschaft in
einer gewissen Anzahl gesandt wurden.
Der Reichstag war entweder ein ordentlicher, oder außerordentlicher, oder auch ein solcher, der während eines Interregnums wegen der Königswahl und Krönung gehalten wurde. Die ordentlichen Reichstage wurden vom König ausgeschrieben und alle zwei Jahre zweimal hintereinander in Warschau, [* 13] dann das dritte Mal in Grodno gehalten. Während bei Geldsachen die Mehrheit der Stimmen entschied, war bei Staatssachen Einhelligkeit derselben erforderlich, so daß ein einziger Landbote durch seinen Einspruch (das Liberum veto) den ganzen Beschluß ungültig machen und den Reichstag sprengen konnte.
Was die Königswahl betrifft, so trat nach dem Ableben des Königs eine Zwischenregierung (Interregnum) ein, indem der Primas von Polen und Litauen, der Erzbischof von Gnesen, als Reichsverweser fungierte. Der gewöhnliche Wahlort war auf einem freien, mit Graben und Wall umgebenen Feld bei dem Dorf Wola, unweit Warschau; an der Wahl selbst nahmen sowohl die Senatoren und Landboten als auch die Abgeordneten der Städte Krakau, [* 14] Posen, Wilna, [* 15] Lemberg, [* 16] Warschau, Danzig [* 17] und Thorn [* 18] teil; doch mußten letztere Abgeordnete stets der Wahl des Adels beitreten.
Der gewählte König mußte selbst oder durch Gesandte eine Wahlkapitulation (Pacta conventa) beschwören, welche die königliche Macht außerordentlich beschränkte; sodann wurde er als König ausgerufen und in der Kathedrale zu Krakau vom Erzbischof von Gnesen gekrönt. Von höchst nachteiligem Einfluß waren die sogen. Konföderationen, d. h. gesetzlich erlaubte Sonder- oder Parteibündnisse, welche durch Verteidigung ihrer Meinungen oft blutige Bürgerkriege hervorriefen (s. unten, Geschichte). Das Wappen [* 19] des polnischen Reichs war ein quadrierter Schild, [* 20] das erste und vierte Quartier mit dem weißen gekrönten polnischen Adler [* 21] im weißen Felde, das zweite und dritte mit einem silbernen geharnischten Reiter mit blauem Schild, goldenem Patriarchenkreuz und bloßem Säbel auf einem rennenden Pferde. [* 22] Der Herzschild enthielt das Familienwappen des Königs.
Das heutige, mit der Krone Rußland vereinigte sogen. Königreich Polen, bis 1866 ein selbständig verwalteter Teil des russischen Reichs, seitdem völlig mit demselben verschmolzen, grenzt im N. an die Provinzen Ost- und Westpreußen [* 23] und das russische Gouvernement Kowno, im O. an die Gouvernements Wilna, Grodno und Wolhynien, im S. an das österreichische Kronland Galizien, im W. an die preußischen Provinzen Schlesien und Posen und zerfällt (seit 1867) in zehn (vordem in fünf) Gouvernements: Kalisch, Kjelzy (Kielce), Lomsha, Lublin, Petrokow, Plozk, Radom, Sjedlez (Siedlce), Suwalki und Warschau, welche zusammen 127,311 qkm (2312 QM.) umfassen (näheres s. unter den einzelnen Gouvernements).
Die Bevölkerung [* 24] Polens betrug 1885: 7,960,304 Seelen. In betreff der Nationalität unterschied man 1870: 3,450,000 Polen (65 Proz.), 600,000 Russen (11 Proz.), 693,000 Israeliten (13 Proz.), 289,000 Deutsche [* 25] (5½ Proz.), 284,000 Litauer (5 Proz.), außerdem 3000 Franzosen, Engländer etc., 300 Tataren und 290 Zigeuner. Dem Religionsbekenntnis nach kamen 71,31 Proz. auf Katholiken, 5,67 Proz. auf Evangelische, 4,61 Proz. auf orthodoxe Griechen, 13,10 Proz. auf Juden etc. Die eigentlichen Polen gehören zur westlichen Abteilung der großen lettoslawischen Familie und sind von mittelgroßem, meist hagerm, aber kräftigem Körperbau.
Die hervorstehenden Backenknochen und die etwas eingedrückte Nase [* 26] deuten auf die slawische Abstammung. Man schreibt dem Polen leichte Beweglichkeit, schnelle Fassungsgabe, Sinn für schöne Formen, anderseits aber auch Zügellosigkeit, Leichtsinn, Jähzorn, Unzuverlässigkeit zu. Für frühere Jahrhunderte mag dies im ganzen zutreffend sein, dem genauern Beobachter aber zeigt sich ein großer Unterschied in den von den drei großen Nachbarstaaten erzielten Erziehungsresultaten des polnischen Volkes.
Die beste Bildung haben unzweifelhaft die Posener Polen bekommen, denn ohne gute polnische Eigenschaften aufzugeben, haben sie von den Deutschen Ausdauer und Sparsamkeit angenommen und deutsche Schulen durchgemacht, wodurch sie vorteilhaft von ihren unter russischem Zepter lebenden Brüdern abstechen. Die österreichischen Polen haben mit der Erhaltung größerer nationaler Eigenart auch ihre nationalen Fehler reiner erhalten: in unfruchtbarem Parteihader und kläglicher Pfaffenwirtschaft zersplittern sie ihre besten Kräfte.
Vgl. Andree, Polen in geographischer geschichtlicher etc. Hinsicht (Leipz. 1831);
Possart, Lukaszewicz und Mulkowski, Das Königreich Polen und der Freistaat Krakau (Stuttg. 1840);
Hervet, Ethnographie [* 27] Polens (Wien [* 28] 1871);
Leublfing, Wanderungen im westlichen Rußland (Leipz. 1875);
Janke, Skizzen aus dem europäischen Rußland (Berl. 1877);
Siwonenko, Vergleichende Statistik Polens (russ., Warsch. 1879);
Kolberg, [* 29] Das polnische Volk (poln., Krak. 1871 ff.);
Szuiski, Die Polen und Ruthenen in Galizien (Teschen 1882). ¶
Maßstab [* 31] 1:3700000.
Die Gouvernements-Hauptstädte sind unterstrichen.
Die Gouvernements, welche nicht den Namen ihres Hauptortes führen, sind beschrieben.
Anschluß s. Karte »Ostseeprovinzen« [* 9]
mehr
Geschichte Polens.
(Hierzu die »Geschichtskarte von Polen«.)
Gründung des Reichs und Herrschaft der ersten Piasten.
Nach der sagenhaften Überlieferung gründete Piast, ein Bauer aus Kruswitz in Kujavien, um 840 die Dynastie, welche über das zwischen Warthe, Weichsel und Netze in Großpolen wohnende slawische Volk der Polen (Polänen, Lechen) herrschte. Doch ist das Reich wahrscheinlich durch die Eroberung eines polnischen Stammes entstanden, welcher in demselben sodann als zahlreicher Adel (Szlachta) eine herrschende Stellung einnahm und allein das Recht, Waffen [* 33] zu tragen, hatte.
Ihm unterthan war der Bauernstand, der teils aus Vollfreien oder nur persönlich Freien, dinglich aber Unfreien (Kmeci, Kmetones), teils aus persönlich und dinglich Unfreien (glebae adscripti) bestand. Die Bauern lebten in Schutzdistrikten (vicinia, opole) vereinigt, welche zu gemeinsamer Leistung öffentlicher Dienste, [* 34] namentlich für den Fürsten, verpflichtet und für vorgefallenen Mord gemeinschaftlich verantwortlich waren; ein Kastellan, der auf seiner Burg (Grod) saß, vertrat den Fürsten in Verwaltung und Rechtsprechung. Über den Kastellanen standen anfangs Teilfürsten (in den Landschaften Posen, Kalisch, Sieradz, Lentschiza und Kujavien), später die Palatine oder Woiwoden.
Der vierte Piast, der Überlieferung nach Mieczyslaw (Miesko), ward 963 vom deutschen Markgrafen Gero unterworfen; er ward Lehnsmann des Kaisers und mußte Tribut zahlen. Um 965 nahm derselbe das römisch-katholische Christentum an, und deutsche Priester gründeten das erste, dem Magdeburger Sprengel angehörige Bistum Posen. Sein Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (der Kühne, 992-1025) beseitigte durch Gewalt seine Miterben, eroberte Pomerellen mit Danzig und riß bei Gelegenheit eines Thronwechsel in Böhmen die südpolnischen Provinzen Krakau und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich. Während er mit Kaiser Otto III., der durch Errichtung des Erzstifts Gnesen Polen von dem Metropolitanverband mit Magdeburg [* 35] löste, in gutem Einvernehmen gestanden, fiel er nach dessen Tod in das Deutsche Reich ein, um die unter dessen Herrschaft stehenden slawischen Reiche und Stämme seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen; 1002 erwarb er die Lausitz, 1003 Böhmen.
Kaiser Heinrich II. vermochte ihn trotz mehrerer Feldzüge gegen Polen nicht zu unterwerfen und mußte im Frieden von Bautzen [* 36] 1018 seine Unabhängigkeit anerkennen. Böhmen konnte Boleslaw freilich nicht behaupten, und auch seine Kriegszüge gegen die Russen, auf denen er bis nach Kiew [* 37] vordrang, verschafften ihm nur den Besitz der sogen. czerwenischen Städte (Rotrußland). Die Verbreitung des Christentums, selbst mit grausamer Härte gegen die Widerstrebenden, ließ er sich sehr angelegen sein, und mit Zustimmung des ihm sehr geneigten Klerus nahm er gegen Ende seines Lebens 1025 den Königstitel an.
Sein Sohn und Nachfolger Mieczyslaw (Miesko) II. (1025-34) vertrieb, um Alleinherrscher zu sein, seinen Bruder Otto, der erst zu den Russen, dann zu den Deutschen flüchtete. Nun fielen von allen Seiten die Feinde in Polen ein; die Dänen entrissen ihm Pomerellen, die Ungarn [* 38] die Slowakei, die Russen die czerwenischen Städte. Mieczyslaw richtete alle seine Kräfte gegen Deutschland, [* 39] unternahm verwüstende Heerzüge bis vor Magdeburg und zwang Kaiser Konrad II. zu einem erbitterten, schwierigen Krieg.
Schließlich aber mußte er die deutsch-slawischen Marken wieder an Deutschland abtreten und Polen seinem Bruder Otto überlassen, der als »Herzog« unter deutscher Lehnshoheit regierte. Nach Ottos Ermordung (1032) ward er nach Anerkennung der deutschen Oberhoheit auf dem Hoftag zu Merseburg [* 40] in die Herrschaft Polens wieder eingesetzt, die er bis zu seinem Tod behauptete. Für seinen unmündigen Sohn Kasimir I. (1034-58) führte dessen Mutter Richeza, eine Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein, die Regierung, erregte aber durch Begünstigung der Fremden einen Aufstand der Szlachta, welche den jungen König vertrieb. Polen drohte nun in völlige Anarchie zu versinken und zu einem Nebenland des mächtigern Böhmenreichs herabgedrückt zu werden.
Aber Kaiser Heinrich III. begünstigte die Rückkehr Kasimirs auf den polnischen Thron, [* 41] den er nach langen Kämpfen endlich dauernd behauptete. Auch Schlesien gewann er gegen Zahlung eines Tributs von Böhmen zurück. Durch Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung erlangte er die Gunst des Klerus und hinterließ die Herrschaft seinem ältesten Sohn, Boleslaw II. Smialy (dem Kühnen, 1058-81), so gefestigt, daß derselbe, begünstigt durch die innern Wirren in Deutschland und durch Thronstreitigkeiten in Ungarn und Böhmen, wieder erobernd auftreten und, wenn auch nur für kurze Zeit, Kiew in Besitz nehmen konnte. Seine Macht war so gestiegen, daß er am Weihnachtsfest 1076 mit großer Feierlichkeit sich die Königskrone aufsetzte. Als er aber im Streit mit dem Bischof Stanislaw von Krakau diesen in der Kirche mit eigner Hand [* 42] erschlug, mußte er Polen verlassen und starb in einem fernen Kloster.
Sein Bruder und Nachfolger Wladislaw I. Hermann (1081-1102) gab den Königstitel wieder auf. Er suchte das Land nördlich der Netze den Pommern wieder zu entreißen, wurde aber daran durch den Aufstand seines natürlichen Sohns Zbygniew gehindert, dem sich später auch sein legitimer Sohn Boleslaw III. Krzywousty (Schiefmaul) anschloß. Beide erzwangen von ihrem Vater die Entfernung seines Günstlings, des Palatins Sieciech, und setzten sich schon bei Lebzeiten desselben in den Besitz großer Teile des Reichs.
Nach Wladislaws Tod (1102) teilten sich die Brüder das Land, gerieten jedoch bald in Streit. Zbygniew unterlag, behielt bloß Masovien als Vasallenherzog und wurde, als er seine Feindseligkeiten fortsetzte, 1111 auf Boleslaws Befehl ermordet. Boleslaw unternahm viele Kriegszüge nach Pommern, Mähren und Rußland führte auch mit Kaiser Heinrich V. nicht unglücklich Krieg, eroberte aber nur Pommern nebst Rügen, für das er 1134 in Merseburg vor Kaiser Lothar die deutsche Oberlehnshoheit anerkennen und sich zu einem zwölfjährigen Tribut verstehen mußte. Bei seinem Tod (1139) teilte er das Reich unter seine vier mündigen Söhne derart, daß der älteste, Wladislaw II., Krakau und Schlesien sowie eine Oberhoheit (Prinzipat) über seine Brüder haben, Boleslaw IV. Kendzierzawy (der Kraushaarige) Masovien und Kujavien, Mieczyslaw Stary Gnesen und Pommern, Heinrich Sandomir erhalten sollte.
Zersplitterung und Neubegründung des Reichs.
Diese Zersplitterung Polens hatte aufreibende innere Kämpfe zur Folge. Wladislaw II., der seine Brüder zu unterdrücken suchte, wurde von Boleslaw IV. zur Flucht nach Deutschland genötigt. Auf seinen Antrieb unternahm Kaiser Friedrich I. einen Zug nach Polen, auf dem er bis Posen siegreich vordrang und Boleslaw zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit zwang. Das Prinzipat behauptete Boleslaw ¶
Polen und das westliche Rußland um das Jahr 1000.
Polen, Littauen und das westliche Rußland zu Begin des 14. Jahrhunderts.
Polen vor den Friedensschlüssen von Oliva (1660) und Andrussow (1667).
Preußen (Oberhoheit) 1660 an Brandenbg.
Livland 1660 an Schweden [* 44]
1667 an das Moskowitische Reich
Polen nach den Grenzen [* 45] von 1772.
1772 abgetreten an Preußen, an Rußland, an Österreich
1793 abgetreten an Preußen, an Rußland
1795 abgetreten an Preußen, an Rußland, an Österreich
mehr
bis zu seinem Tod (1173), worauf es an Mieczyslaw Stary überging, dem es von Kasimir II. Sprawiedliwy (dem Gerechten), dem fünften Sohn Boleslaws III., 1177 entrissen wurde. Als Kasimir 1194 starb, war das Prinzipat zwischen dessen Sohn Leszek Bialy (dem Weißen) und Mieczyslaw (gest. 1202) streitig, und dessen Sohn Wladislaw Laskonogi (Dünnbein) wurde von seinem Neffen Wladislaw Odonicz sogar aus seinem Erbland Großpolen verdrängt und starb 1231 im Exil. Während dieser Zwistigkeiten verlor Polen seinen Einfluß auf Pommern; Schlesien entzog sich mehr und mehr dem Zusammenhang mit Polen und wurde durch starke deutsche Einwanderung germanisiert; der Herzog Konrad von Masovien aber sah sich durch die unaufhörlichen Einfälle der heidnischen Preußen und Litauer 1225 gezwungen, den Deutschen Orden [* 47] zur Bekämpfung der Heiden einzuladen und die Landschaften Kulm und Löbau [* 48] ihm zu überlassen.
Infolge davon entstand zwischen Polen und dem Baltischen Meer ein Staat, der ihm freilich Schutz gegen die preußischen und litauischen Barbaren gewährte, aber nicht bloß völlige Selbständigkeit erlangte, sondern auch durch die Germanisierung Preußens [* 49] in nationalen Gegensatz zu Polen trat. Das geschwächte und zersplitterte Polen vermochte daher 1240, als die Mongolen auf ihrem Zug nach dem Abendland in Polen einbrachen, keinen Widerstand zu leisten und würde, wie Rußland, denselben dauernd unterworfen worden sein, wenn sie nicht nach der Schlacht bei Liegnitz [* 50] sich nach Süden gewendet hätten.
Die durch die innern Kriege und die Einfälle der Barbaren bewirkte Entvölkerung der Landschaften beförderte im 13. Jahrh. die Einwanderung der Deutschen, die nicht vereinzelt, sondern in geschlossenen Haufen kamen, sich gegen Verbürgung ihrer persönlichen Freiheit, des Erbrechts an Grund und Boden und der Steuerfreiheit in den ersten Jahren der Ansiedelung auf urbar zu machenden Strecken niederließen und deutsches Gemeinderecht sowie die heimische Gemeindeverfassung mitbrachten.
Fürsten, Klerus und Adel begünstigten diese Einwanderung um so mehr, als ihre vorteilhaften Wirkungen augenfällig waren, aus den Dörfern sich Städte entwickelten, welche meist magdeburgisches Recht bei sich einführten, und Handel und Gewerbe einen großen Aufschwung nahmen. Auch die polnischen Städte bemühten sich, deutsche Einwohner an sich heranzuziehen und durch die Einführung der deutschen Gemeindeverfassung eine größere Selbständigkeit zu gewinnen.
Der Klerus, der sich, vornehmlich in den Klöstern, vielfach aus Deutschland ergänzte, erwarb neben gesteigerter politischer Bedeutung Steuerfreiheit und Immunität von den weltlichen Gerichten, der Adel die weitgehendsten Vorrechte. Die Gewalt der Teilfürstentümer, deren Zersplitterung gegen Ende des 13. Jahrh. so weit gediehen war, daß manche nur noch aus einem Schloß und einem kleinen Distrikt bestanden, sank unter diesen Umständen zu einem Schatten [* 51] herab.
Das Prinzipat war nur dem Namen nach erhalten und kam den Fürsten von Krakau zu, Boleslaw Wstidliwy (dem Keuschen, 1242-79) und Leszek Czarny (dem Schwarzen, 1279-88). Auf letztern folgte Herzog Heinrich IV. von Breslau [* 52] (1288-90), ein deutscher Reichsfürst, so daß Polen das Schicksal Schlesiens teilen und in den Verband [* 53] des Deutschen Reichs übergehen zu sollen schien. Kleinpolen unterwarf sich 1292 dem König Wenzel von Böhmen, und nach der kurzen Herrschaft Przemyslaws II. in Großpolen, der sich vom Papste die Königskrone verleihen ließ, aber schon 1293 ermordet wurde, erkannten auch die Großpolen Wenzels Herrschaft an.
Da aber mit Wenzels Tod 1306 das böhmische Königsgeschlecht der Przemysliden erlosch, faßte einer der piastischen Herzöge, der vor den Böhmen Polen hatte verlassen müssen, Wladislaw Lokietek (Ellenlang, 1306-33), in Krakau wieder Fuß und eroberte Landschaft auf Landschaft; Masovien, das in drei Herzogtümer geteilte Kujavien sowie die Herzogtümer Lentschiza und Dobrzyn erkannten seine Oberlehnshoheit an. Nur Pomerellen vermochte er nicht wiederzugewinnen; dasselbe fiel an den Deutschen Orden. 1320 setzte er sich mit Zustimmung des Papstes in Krakau als Wladislaw I. die Königskrone auf und vererbte sie auf seinen Sohn Kasimir I. (1333-70), der wegen seiner Verdienste um die Kultur des Landes und die Begründung einer nationalen Staatsordnung den Beinamen »der Große« erhielt.
Derselbe schloß mit den Böhmen 1335 den Frieden von Trentschin, in welchem er Schlesien als ein böhmisches Lehen anerkannte, und mit dem Orden 1343 den Frieden von Kalisch, der demselben den Besitz von Pomerellen, Kulm und Michelau sicherte, eroberte aber dafür im Osten die russischen Fürstentümer Halicz und Wladimir (Lodomerien) und vereinigte nach dem Aussterben der Herzogsgeschlechter Kujavien, Lentschiza und Dobrzyn mit dem Königreich. Die deutsche Einwanderung beförderte er, verbot aber den Deutschen, sich ihr Recht von den heimischen Gerichten zu holen; die schon seit langem in Polen bestehenden deutschen Rechtsoberhöfe sollten ihre zuständigen Gerichte sein.
Das Gewohnheitsrecht der einzelnen Provinzen ließ Kasimir in aufgeschriebenen Statuten sammeln und zu einem allgemein gültigen Gesetzbuch (dem sogen. Statut von Wislica von 1368) für den gesamten Staat verarbeiten, welches die Grundlage der polnischen Legislative wurde. Er sorgte für den Gehorsam gegen die Gesetze und besserte dadurch die Lage der niedern Stände so, daß er der »Bauernkönig« genannt wurde, war duldsam gegen die griechischen Christen und die Juden, stiftete die Universität Krakau (1364), sicherte die Einkünfte des Reichs durch strenge Steuerverordnungen und regelte den Salinenbetrieb von Wieliczka und Bochnia durch besondere Gesetze.
Kasimir war der letzte Piast auf dem polnischen Thron. Da er keine Söhne hinterließ, ging die polnische Krone auf den schon 1355 von den Ständen bestätigten Nachfolger, den Sohn von Kasimirs Schwester Elisabeth, Ludwig von Anjou (1370-1382), König von Ungarn, über, der sich aber wenig um Polen kümmerte und die Regierung daselbst erst seiner Mutter Elisabeth, dann dem zum »Gubernator« des Reichs ernannten Herzog Wladislaw von Oppeln [* 54] überließ. Ludwig, der keine Söhne, sondern nur zwei Töchter, Hedwig und Maria, besaß, wollte einer derselben, Hedwig, den polnischen Thron sichern und machte 1374 dem Adel für seine Zustimmung Zugeständnisse, welche die königliche Gewalt erheblich schmälerten: der Adel wurde von allen direkten Steuern, außer einem Grundzins von zwei Groschen für die Hufe (Königssteuer), befreit und durch die Verfügung, daß in jeder Landschaft nur Eingeborne derselben Ämter bekleiden könnten, die provinzielle Sonderung und der föderale Charakter des Reichs befestigt. Nach Ludwigs Tod wurden vom Adel mehrere Provinzial- und Reichsversammlungen über die Thronfolge abgehalten; man sträubte sich namentlich gegen die weitere Personalunion mit Ungarn und die Anerkennung der Ehe Hedwigs mit dem ¶