Plotinos
,
der bedeutendste Neuplatoniker, geb. 205 n. Chr. zu Lykopolis in Ägypten, [* 2] hörte die Vorträge des Ammonios Sakkas (s. d.), schloß sich der Expedition des Kaisers Gordianus gegen Persien [* 3] an, um in Persien und Indien aus den Urquellen der Weisheit zu schöpfen, kehrte nach Ermordung des Kaisers nach Antiochia zurück und ging 244 als Lehrer der Philosophie nach Rom. [* 4] Die hervorragendsten unter seinen Schülern waren hier Amelios, Eustochios und Porphyrios von Tyros.
Seine asketische Lebensführung brachte ihn in den
Geruch eines Wunderthäters und Götterfreundes.
Noch in seinem 60. Jahr
erwachte in ihm der
Gedanke, einen
Platonischen Musterstaat zu gründen, und schon hatte er sich dazu eine wüst liegende Stadt
in
Kampanien, welche den
Namen Platonopolis erhalten sollte, ausersehen, als die Ungunst einiger Höflinge die Ausführung
des vom
Kaiser
Gallienus gebilligten
Plans hintertrieb. Plotinos
starb 270 auf einem
Landgut bei
Minturnä in
Kampanien, wo er
Genesung
gesucht hatte.
Sein
Schüler
Porphyrios hat seine Werke gesammelt und in sechs Hauptabschnitte geordnet, deren jeder wieder
neun
Bücher enthält (daher der
Name
»Enneaden«). Herausgegeben wurden sie von
Creuzer (Oxf. 1835, 3 Bde.),
Dübner (Par. 1855),
Kirchhoff (Leipz. 1856, 2 Bde.)
und H. F.
Müller (Berl. 1878-80, 2 Bde.),
welch letzterer gleichzeitig eine Übersetzung lieferte. Die
Lehre
[* 5] des Plotinos
ist eine Verschmelzung der Ideenlehre
Platons mit dem orientalischen Emanatismus.
Das durch die
Ideen vermittelte
Verhältnis der
Welt zu ihrem Urgrund wurde von Plotinos
als eine ewige Ausströmung des Abhängigen
aus dem Selbständigen aufgefaßt. Die infolge der letztern die
Ontologie ein beständiges Hervorgehen des Niedern aus dem
Höhern, so stellt die
Erkenntnis- und Tugendlehre umgekehrt ein beständiges Sicherheben vom Niedern zum
Höhern dar. Dasselbe erfolgt theoretisch von der
Stufe der sinnlichen durch jene der mathematischen und dialektischen hindurch
zu der höchsten, der reinen, d. h. einer sinnenfreien,
Erkenntnis, welche auf unmittelbarem Einssein menschlichen und göttlichen
Wissens, praktisch von der
Stufe der sinnlichen Befangenheit durch jene der asketischen, d. h.
die
Sinnlichkeit allmählich abtötenden,
Tugenden hindurch zu der höchsten, des
¶
mehr
reinen, d. h. von allen Antrieben der Sinnlichkeit freien, Handelns, welches auf unmittelbarem Einssein des menschlichen und
göttlichen Willens beruht, und endet dort wie hier in dem (wenigstens temporären) ungeschiedenen Zusammenfallen des Menschen
mit Gott in ekstatischer Verzückung. Plotinos
selbst soll nach der Versicherung des Porphyrius diesen Zustand im ganzen viermal
erreicht haben. Mit dieser Lehre verknüpfen sich weiter manche phantastische Vorstellungen, so die Annahme einer Seelenwanderung,
Götter- und Dämonenlehre.
Auch der Mantik und Astrologie
[* 7] redete er das Wort. Plotinos'
Philosophie war der letzte für die Nachwelt verhängnisvoll gewordene
Versuch des griechischen Geistes, das Rätsel der Welt, statt, wie bisher, auf dem natürlichen Weg der Erfahrung
und Vernunft, auf dem übernatürlichen der Mystik und einer intellektualen Anschauung zu lösen, dessen schwer wiegende Folgen
in der Philosophie des Christentums und in der Theosophie des neuen deutschen Idealismus sich fühlbar gemacht haben. Vgl. Neuplatonismus.
Litteratur: Kirchner, Die Philosophie des Plotinos
(Halle
[* 8] 1854);
Brenning, Die Lehre vom Schönen bei Plotinos
(Götting.
1864);