Pfahlbauten
,
[* 2] die
Ansiedelungen, die man in vorgeschichtlicher Zeit auf
Pfählen in Seen,
Sümpfen und
Flüssen errichtete,
um so vor
Raubtieren oder
Angriffen feindlicher Nachbarn gesichert zu sein. Besonders die
Schweizer Seen
sind sehr reich an solchen Pfahlbauten
mit unendlich großer Menge von archäol. Fundstücken. Erst im Winter 1853/54
entdeckte man durch Zufall die ersten Pfahlbauten.
Der
Züricher See hatte damals
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einen nie zuvor beobachteten tiefen Wasserstand, und diesen Umstand wollte man benutzen, um der großen Wasserfläche ein
Stück Land abzugewinnen. Als man daher Mauern und Dämme zog und den Schlamm von dem entwässerten frei gewordenen Platze entfernen
wollte, stieß man auf regelmäßige Pfahlreihen und eine außerordentliche Menge von Thonscherben, Tierknochen,
Gerätschaften und andern Überbleibseln menschlicher Kultur. Ferdinand Keller nahm sich der Sache mit wissenschaftlichem
Eifer an, sammelte alle Fundstücke und rief das allgemeine Interesse für diese Funde wach. Bald wurden nun auch an andern
Orten ähnliche Pfahlbauten
gefunden, und jetzt sind in der Schweiz
[* 4] schon mehrere hundert bekannt, die fast alle
ein reiches und interessantes Material geliefert haben.
Wahrscheinlich auf etwas seichtern Stellen rammte man Pfähle ein, teils ganze Stämme, teils gespaltene und gewöhnlich zwei und zwei dicht nebeneinander; auf diesen wurden querüber mittels Holzkeilen andere Stämme und Planken befestigt und darauf die kleinen Hütten [* 5] errichtet. Die Pfähle sind meist nicht über 15 cm stark, ihre Länge beträgt je nach der Tiefe des Wasserstandes 3‒5 m; oft wurden aber noch um sie herum ganze Lager [* 6] von Steinen versenkt, um ihnen mehr Halt gegen Wellen [* 7] und Wind zu geben.
Der Boden der Pfahlbauten
scheint meist bis 2 m über dem Wasserniveau gestanden zu haben, um
auch von den höchsten Wellen unberührt zu bleiben. Die Hütten selbst waren ebenfalls aus Pfählen hergestellt, die von außen
mit einer Lehmschicht bekleidet und mit Stroh, Rinden und Reisern bedeckt wurden. (S. Tafel: Urgeschichte Ⅱ,
[* 3]
Fig. 8.) Die
Größe solcher Pfahldörfer ist sehr verschieden. Bei Robenhausen fand man Tausende von eingerammten
Pfählen, die eine Fläche von 13000 qm bedeckten, ein anderer Pfahlbau im Neuenburger See bedeckt sogar eine Fläche von etwa 60000 qm.
Vor allem für die Wissenschaft von Wert sind die zahllosen Gerätschaften, die man zwischen den Pfählen in den oft mehrere
Fuß hohen Kulturschichten aufgefunden hat. Auch die ältern Pfahlbauten
, zu denen besonders die
der Ostschweiz zu rechnen sind, die noch der Steinzeit
[* 8] angehören, zeigen schon einen verhältnismäßig hohen Grad von Kultur,
wie ihn wahrscheinlich die ungefähr gleichzeitigen Dolmenerbauer des Nordens nicht aufweisen konnten. Man findet zahlreiche
Steinbeile, fein und regelmäßig geschliffen und poliert, aus Granit, Diorit, Diabas, Hornblende,
[* 9] Schiefer,
Jadeit u. s. w.; die kleinern sind oft noch erst mit einer Hirschhornfassung versehen, ehe
sie in den großen Holzstiel eingelassen wurden, wahrscheinlich um ihnen beim Schlage größere Elasticität zu geben
[* 3]
(Fig. 11 u.
14). Das Abschleifen und Polieren dieser Steingeräte machte man mit Hilfe von Wasser auf Sandsteinblöcken,
die in großer Menge gefunden sind und durch ihre Längsfurchen ihre Eigenschaft als Schleifsteine deutlich zu erkennen geben.
Kleine Beile und Meißel
[* 10] aus Nephrit sowie Pfeilspitzen aus Feuerstein
[* 3]
(Fig. 3 u. 6) lassen sogar schon auf einen Handelsverkehr
nach Norden
[* 11] hin schließen, da beide Gesteinsarten in der Schweiz nicht vorkommen.
Sehr häufig sind ferner Geräte aus Knochen: [* 12] kleine Beile, Meißel, Pfriemen, Speerspitzen, Pfeilspitzen, Angelhaken u. s. w., dann auch Geräte von Hirschhorn: Hämmer, Pfriemen, Hacken und manche andere Stücke, die Spuren von Bearbeitung zeigen, deren Zweck aber nicht mehr zu erraten ist. Pferde- und Rinderknochen wurden als Schlittschuhe verwandt. Zu verhältnismäßig hoher Entwicklung war selbst schon während der Steinzeit bereits Spinnerei und Weberei [* 13] gelangt, wie die zahlreichen Thonwirtel und viele Reste von Netzen, geflochtenen Matten, einfachen und geköperten Geweben, besonders aus der Pfahlbaustation von Robenhausen, beweisen.
Scherben von zerbrochenen Gefäßen kommen sehr zahlreich vor, doch sind sie während der Steinzeit meist
noch ziemlich roh, nicht stark gebrannt und meist ohne Ornament
[* 3]
(Fig. 12). Was die Tierwelt der Pfahlbauten
anbetrifft, so herrschte
nach den daselbst aufgefundenen Knochen eine außerordentliche Mannigfaltigkeit. Als Haustiere finden sich bereits in der
Steinzeit Kuh, Ziege und Hund, später auch Schaf
[* 14] und Schwein,
[* 15] von Jagdtieren vor allem der Hirsch,
[* 16] dann
Reh,
[* 17] Elch, Biber, Bär, Wildschwein, Fuchs,
[* 18] Dachs und außerdem selbstverständlich die verschiedensten Arten von Fischen. Auch
die Anfänge der Landwirtschaft müssen in diese Zeit gerückt werden; sind doch Gerste,
[* 19] Weizen, Hirse
[* 20] und auch Haferkörner
so häufig, daß man, wie auch beim Flachs, einen systematischen Anbau dieser Feldfrüchte annehmen muß;
auch Holzäpfel, Pflaumen, Wasser- und Buchnüsse kommen fast in allen Stationen vor.
Als die Bronzekultur vom Süden oder Südosten Europas allmählich vordrang, hob sich dann die Kultur noch mehr. Besonders
aus den Pfahlbauten
von Mörigen, Auvernier und Corcelettes sind große Massen von Bronzen aller Art ans Tageslicht
befördert worden: Armringe, Celte, Nadeln
[* 21] (Fig. 9 u. 15), Messer,
[* 22] alle möglichen Schmucksachen,
[* 23] zum Teil von ganz hervorragender
Schönheit und Sauberkeit der Arbeit. Im allgemeinen ist die Zahl der Waffen,
[* 24] der Schwerter,
[* 25] Dolche und Lanzenspitzen verhältnismäßig
nicht sehr groß, was vielleicht auf einen friedliebenden Charakter der Bevölkerung
[* 26] schließen lassen könnte.
Einen hervorragenden Aufschwung während dieser Bronzezeit nimmt vor allem die Keramik.
[* 27] Die Gefäße werden zwar auch jetzt
noch mit freier Hand
[* 28] ohne Scheibe gemacht, aber sie zeigen durchweg sehr sorgfältige Arbeit und oft außerordentlich feine
Strich- und Punktverzierungen oder geometrische Muster; auch Bemalungen und Überzug mit Graphit ist nicht selten.
– Auch in der Eisenzeit finden sich noch Pfahlbauten
, wie die berühmte Station von La Tène (s. d.). Diese eisenzeitlichen Pfahlbauten
, die
bis in den Anfang unserer Zeitrechnung und der röm. Kaiserzeit bewohnt waren, gehören sicher
Kelten an, den alten Helvetiern, die Cäsar bekämpfte; auch daß die ältern Schweizer Pfahlbauten
keltischen Stämmen
angehört haben, ist sehr wahrscheinlich.
Wenn auch nicht in solcher Masse und nicht immer mit so reichhaltigen Funden, sind doch im Laufe der letzten Jahrzehnte noch
in manchen andern Ländern ähnliche Pfahlbauten
entdeckt worden. Die berühmtesten sind wohl die im Mondsee und Attersee in Österreich
[* 29] und im Laibacher Moor, alle drei der Steinzeit angehörig. Auch im deutschen Norden wurden an einzelnen
Stellen, so in Mecklenburg,
[* 30] in der Mark, in Pommern
[* 31] und Ostpreußen
[* 32] Pfahlbauten
gefunden, die aber, wie es scheint, alle einer viel jüngern
Kulturperiode, der slaw. Zeit, angehören.
Die Litteratur über die Schweizer Pfahlbauten
ist außerordentlich zahlreich;
besonders zu erwähnen sind: die
Pfahlbauten
berichte in den «Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft»
zu Zürich;
[* 33] ferner «Antiqua, Unterhaltungsblatt für Freunde der Altertumskunde» von Messikomer und Forrer (Hottingen
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40 bei Zürich 1883 fg.);
Troyon, Sur les habitations lacustres (Lausanne [* 35] 1860);
V. Groß, Les Proto-helvètes (Berl. 1883); Munro, The lake dwellings of Europe (Lond. 1890).