Pestalozzi
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Pester Becken - Pestil

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Seite 63.8.Joh. Heinr., Pädagog, geb. zu Zürich [* 2] als Sohn eines Arztes, wurde von der Mutter erzogen, da der Vater frühzeitig starb, studierte Sprachen und Theologie, wandte sich aber später dem Studium der Rechte zu. Veranlaßt durch Rousseaus «Émile» und eine schwere Krankheit, verbrannte er nach seiner Genesung seine litterar. Sammlungen, wurde Landmann, kaufte im Herbst 1768 bei Birr im Aargau ein Grundstück, das er Neuhof nannte, und bewirtschaftete es. 1709 verheiratete er sich mit Anna Schultheß, einer Kaufmannstochter aus Zürich. In seinen ländlichen Verhältnissen lernte er das sittliche Elend des Volks kennen, und voll Erbarmen und Mut ¶
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zu helfen begann er 1775 seine pädagogische Wirksamkeit mit der Aufnahme verlassener Bettelkinder in sein Haus, deren er bald mehr als 50 um sich sah. Seine Ideen über die Erziehung des Volks entwickelte er in den «Briefen über die Erziehung der armen Landjugend» (in Iselins «Ephemeriden»). Da er aber in seinen Unternehmungen wenig praktisches Geschick zeigte, geriet er in Schulden, und nach fünfjährigem Bestehen seiner Armenerziehungsanstalt mußte der Versuch (1780) als gescheitert angesehen werden.
Damals schrieb er den originellen Volksroman «Lienhardt und Gertrud» (3 Bde., Berl. 1781-85 u. ö.; bearb. von K. Richter, 4. Aufl., Lpz. 1882), worin er seine Erfahrungen über die Quellen des Elends in den niedern Ständen und fruchtbare Ideen und Vorschläge zur Hebung [* 4] desselben mit Kraft [* 5] und Innigkeit darlegte. Zur Erläuterung dieses Volksbuchs schrieb er «Christoph und Else» (Zür. 1782); außerdem «Abendstunden eines Einsiedlers» (in Iselins «Ephemeriden»),
«Das Schweizerblatt für das Volk» (1782-83),
Ablauf - Ableitung

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Ablauf. eine Abhandlung «Über Gesetzgebung
und Kindermord» (Zür. 1789) und die gedankenreichen «Nachforschungen
über den Gang
[* 6] der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts» (ebd. 1797). Mit Unterstützung des schweiz.
Direktoriums legte Pestalozzi
1798 ein Erziehungshaus für arme Kinder zu Stanz an. Doch noch vor Ablauf
[* 7] des Jahres zerstörten der
Krieg und die Ränke einer ihm feindlichen Partei auch diese Anstalt, und mit Undank belohnt ging
er nach Burgdorf und wurde Schulmeister, zuerst in der sog. Lehrgottenschule, d. h.
in einer sonst von einer Lehrerin verwalteten Unterklasse; dann (1800) übernahm er mit Krüsni und Tobler die kurz vorher
gegründete, mit Lehrerseminar verbundene Erziehungsanstalt im Schlosse zu Burgdorf. Begeisterte Männer
schlossen sich hier ihm an, und seine methodischen Schriften «Wie Gertrud ihre Kinder lehrt» (Bern
[* 8] und Zür. 1801; bearb. von A. Richter, 4. Aufl.,
Lpz. 1880),
«Buch der Mütter» (Bern und Zür. 1803),
Paris

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Paris.«ABC der Anschauung oder Anschauungslehre der Maßverhältnisse» und «Anschauungslehre der Zahlenverhältnisse» (ebd. 1804) fanden an vielen Orten empfängliche Leser. Durch seine Teilnahme an den polit. Händeln, seine demokratischen Gesinnungen, seine «Ansichten über die Gegenstände, auf welche die Gesetzgebung Helvetiens ihr Augenmerk vorzüglich zu richten hat» (Bern 1802) verdarb er es jedoch mit den Vornehmen, während das Volk ihn 1802 als seinen Anwalt zum Ersten Konsul nach Paris [* 9] sendete. Seine sich immer mehr entwickelnde Erziehungsanstalt verlegte er, da das Schloß von Burgdorf zu Regierungszwecken in Verwendung genommen wurde, 1804 nach München-Buchsee bei Hofwyl, um mit Fellenberg (s. d.) in Verbindung zu treten, dann aber nach Yverdon, wo er das ihm von der Regierung eingeräumte Schloß bezog.
P.s Erziehungsinstitut erregte in ganz Europa
[* 10] Aufmerksamkeit und wurde von vielen jungen Männern besucht,
die sich hier zu Lehrern ausbilden wollten; auch viele Gelehrte, Schulmänner und Staatsmänner, ja sogar Fürsten kamen,
um P.s Wirken kennen zu lernen. Bald aber entstanden unter den Mitarbeitern Zwistigkeiten, die nach und nach die Grundlagen
der Anstalt untergruben. Nach den deutschen Befreiungskriegen hatte das Institut äußerlich seine größte
Blüte
[* 11] erreicht. Von da an sank es rasch. Geldverlegenheiten, in die Pestalozzi
geriet, konnten auch durch die
vollständige
Ausgabe der sämtlichen Werke P.s (15 Bde., Stuttg.
und Tüb. 1819-26) nicht beseitigt werden. Pestalozzi
sah sich 1825 genötigt, seine
Erziehungsanstalt aufzulösen. Er zog sich zu seinem Enkel auf den Neuhof zurück, schrieb seinen «Schwanengesang» (1826)
und «Meine Lebensschicksale als Vorsteher meiner Erziehungsinstitute in Burgdorf und Iferten» (Lpz. 1826) und starb zu
Brugg im Aargau.
Spottiswoode - Sprache

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Sprache.Sein Ziel war Verbesserung der häuslichen Erziehung, Hebung der ärmern Volksklasse durch Erziehung und Unterricht, Begründung einer einfachen, der Entwicklung des jugendlichen Geistes angemessenen Unterrichtsmethode, die durch Sprache, [* 12] Zahl und Form mittels der Anschauung und lückenlosen Fortschreitens vom Leichtern zum Schweren auf naturgemäße Weise die Kraft des Kindes üben und es zu geistiger Selbstthätigkeit bilden sollte. Von Sachkenntnissen hielt er wenig.
Das Princip seiner Erziehung war aber die Liebe. Die zum Lehrer und Schulvorsteher erforderlichen Eigenschaften
besaß Pestalozzi
in geringerm Grade. Sein größtes Verdienst besteht auch weniger in seiner Methode, die keine durchaus haltbare
Grundlage hat, als vielmehr in seinen anregenden Ideen und in der Macht seiner persönlichen Einwirkung, wodurch er zahlreiche
Schüler begeisterte, die später fast in allen Ländern Europas für die Verbesserung der Schulen, namentlich des Elementarunterrichts,
thätig waren.
Durch Pestalozzi
und seine Schule hat besonders das Volksschulwesen große Fortschritte gemacht. Zu seiner Erinnerung wurden vielfach
wohlthätige Erziehungsanstalten (Pestalozzi
-Stiftungen) gegründet. Auch bestehen vielfach in Deutschland
[* 13] zur Unterstützung
dürftiger Lehrerwitwen und Lehrerwaisen Pestalozzi
-Vereine. Eine neuere Gesamtausgabe von P.s Werken
hat Seyffarth (16 Bde., Brandenb.
a. d. H. 1869-72) veranstaltet, eine Auswahl in 4 Bänden Fr. Mann (Langensalza,
[* 14] 4. Aufl. 1885-93).
Litteratur. Biber, Beitrag zur Biographie Heinrich P.s (St. Gallen 1827);
P.s bis dahin unedierte Briefe und Schicksale (Bern 1834);
Blochmann, Heinrich Pestalozzi
, Züge aus dem Bilde seines Lebens und Wirkens (Lpz. 1846);
Christoffel, P.s Leben
und Ansichten, in einem wortgetreuen Auszuge aus sämtlichen von Pestalozzi
herrührenden Schriften (Zür. 1846);
Schmidt, Geschichte der Pädagogik, Bd. 4 (3. Aufl., Köthen [* 15] 1876);
Morf, Zur Biographie P.s (3 Bde., Winterthur 1869-85);
Alberti, Heinrich Pestalozzi.
Ein
Lebensbild (Berl. 1868);
Guimps, Histoire de Pestalozzi
, de sa pensée et de son œuvre (Lausanne
[* 16] 1874);
Krusi,
Pestalozzi
, his life, work and influence (Neuyork
[* 17] 1875);
Zehnder, Pestalozzi
, Idee und Macht der menschlichen Entwicklung (Gotha
[* 18] 1875);
Vogel, Systematische Darstellung der Pädagogik P.s (2. Aufl., Hannov. 1893);
Israel, Versuch einer Zusammenstellung der Schriften
von und über Pestalozzi
(Zschopau 1894).