Pest
(lat. pestis
), im
Altertum jede schwere, bösartige
Volkskrankheit, seit dem 6. Jahrh. die ansteckende akute
Krankheit,
welche durch schwere Erkrankung einzelner
Abschnitte des lymphatischen
Apparats (Bubonenpest
) und durch die
Entwickelung
von
Anthrax oder
Karbunkel charakterisiert ist und auf der einen Seite mit dem
Typhus, auf der andern mit dem
Milzbrand manche
Übereinstimmung zeigt. Diese
Krankheit war schon
vor der christlichen
Zeitrechnung bekannt; als
Epidemie trat sie häufig in
Syrien und
Ägypten
[* 3] auf, und im 6. Jahrh. verbreitete sie sich über ganz
Europa
[* 4]
(Justinianische Pest
). Im
Lauf des
Mittelalters waren Pest
epidemien häufig; der verheerende schwarze
Tod (s. d.) des 14. Jahrh. war wohl gleichfalls
eine Pest
, obwohl es bei dem noch im
Mittelalter volkstümlichen
Gebrauch des
Wortes Pest
für alle
Epidemien und bei dem Schweigen
der ärztlichen
Schriften über die Bubonenpest
sehr schwer ist, zu entscheiden, ob die Schilderungen
des Chronisten sich stets auf diese
Krankheit beziehen. Im 16. und 17. und zum Teil noch im Anfang des vorigen
Jahrhunderts
war die Pest
in
Europa ziemlich häufig; sie trat damals in
Deutschland,
[* 5]
Holland,
Italien
[* 6] etc. bald da, bald dort in großen oder
auch in kleinen örtlichen
Epidemien auf und war oft wieder für längere Zeit ganz verschwunden. In
Italien hat die
Krankheit,
abgesehen von einer kleinen
Epidemie von 1691 bis 1692 in einigen Ortschaften der neapolitanischen
Provinz
Bari, zum letztenmal
von 1656 bis 1657, im britischen Inselreich und in der
Schweiz,
[* 7] die später von der
Seuche ganz verschont
geblieben sind, zuletzt von 1666 bis 1667 geherrscht; in
Holland fällt der letzte Pest
ausbruch 1677 und auf der
Iberischen Halbinsel
1678-79.
In
Deutschland und in den skandinavischen
Reichen verbreitete sich von S. nach O. (bez.
Österreich
[* 8] und Rußland) her 1708 und 1709 eine
schwere Pest
epidemie über die
Weichsel- und Odergebiete, welche erst in den Elbgegenden ihre
Grenze fand,
an einzelnen
Punkten des nordwestlichen
Deutschland auch noch in den folgenden
Jahren wiederholt auftrat und in ebendieser Zeit
einen großen Teil von
Dänemark
[* 9] und
Schweden
[* 10] überzog. Das Jahr 1711 bildet für diese Gegenden den definitiven
Abschluß
des Vorkommens der Pest 1720-22 wurde die
Provence von dieser
Seuche heimgesucht, und 1743 erschien die
Krankheit in
Messina,
[* 11] von
wo aus sie nach
Reggio verschleppt wurde.
Dauernde Sitze der Pest auf europäischem Boden während des 18. Jahrh. bildeten demnach nur der Osten und Südosten dieses Kontinents; aber auch hier sind es, abgesehen von der schweren Seuche, welche sich von 1707 bis 1713 über einen großen Teil Rußlands und Österreichs verbreitet hatte, und von der Epidemie von 1770 bis 1771, welche von den südlichen Gegenden Rußlands bis nach Moskau [* 12] fortgeschritten war, vorzugsweise nur die Türkei, [* 13] Dalmatien, Siebenbürgen, Ungarn, [* 14] Bosnien, [* 15] Serbien [* 16] und die Donaufürstentümer sowie das südwestliche Rußland gewesen, in welchen bis zum Schluß des Jahrhunderts die Pest in verheerenden Epidemien und in weiterer Verbreitung wiederholt geherrscht hat.
Ebenso hatte die
Krankheit inzwischen
in
Ägypten,
Syrien, auf dem nordafrikanischen
Küstenland und in
Anatolien und
Armenien
ihre frühere Herrschaft behauptet und in
Vorderasien sich noch weiter, über
Mesopotamien und
Persien,
[* 17] ausgedehnt. In
Mesopotamien herrschte die
Seuche nachweisbar zum erstenmal 1773 und in
Persien 1725. In letzterm Land blieb
die Pest ausschließlich auf den Nordwesten beschränkt, und nur die
Epidemien von 1757 und 1760 haben einen bedeutenden
Umfang
erlangt. Auch im 19. Jahrh. wurden
Mesopotamien und
Persien selten von der Pest heimgesucht.
Im westlichen Europa trat die Pest nur noch dreimal in eng begrenzten Herden, 1813 auf Malta, 1815 in dem neapolitanischen Küstenstädtchen Noja (von Dalmatien eingeschleppt) und 1820 auf Mallorca (von Marokko [* 18] her infiziert) auf. Die gleichzeitige Epidemien auf Malta, in Bukarest, [* 19] Griechenland [* 20] und an der siebenbürgischen Militärgrenze stehen mit einem bedeutenden Pestausbruch im Orient im Zusammenhang. Ebenhier zeigte sich die Seuche 1815 von neuem, gleichzeitig (zum letztenmal) in Dalmatien und 1828 in Kronstadt; [* 21] seitdem ist Österreich von der Pest verschont geblieben.
In den Donaufürstentümern erlangte die Krankheit zur Zeit des russisch-türkischen Kriegs von 1827 bis 1829 eine weitere Verbreitung, und mit ebendieser Epidemie hängt das Auftreten der Pest 1828 in Odessa [* 22] zusammen. In Rußland hatte die Pest vorher, 1807, jedoch nur in geringem Umfang, an einzelnen Punkten der Gouvernements Astrachan und Saratow, später (1812) in Odessa, sodann 1819 und 1824 an einigen Orten Bessarabiens geherrscht; dann erschien sie, wie bemerkt, 1828 in Odessa und endlich ebenhier noch einmal 1837; diese Pestepidemie ist, bis zum Wiederauftreten der Seuche 1878, die letzte auf russischem Boden gewesen. In ebendieses Jahr (1837) fallen dann auch die letzten Pestausbrüche in Griechenland sowie in Tripolis und Algerien. Auf asiatischem Boden erlosch die Seuche zuerst (1830) in Mesopotamien, sodann (1832) in Arabien, zuletzt (1835) in Persien, so daß 1837 neben der Türkei, welche von der Krankheit noch einmal (1839) heimgesucht worden ist, nur noch die alten Stätten der Pest, Ägypten und Syrien, Sitze der Krankheit blieben; in Syrien (und Armenien) herrschte sie zum letztenmal 1841, in Ägypten von 1843 bis 1844, und damit hatte die Pest vorläufig ihr Ende erreicht.
Die neuere
Periode, welche mit 1858
(Bengasi in
Tripolis) beginnt, zeigt die auffallende
Erscheinung, daß, während die
Krankheit
aus dem
Terrain, welches sie nachweisbar nahe an zwei Jahrtausende behauptet hatte, bis jetzt vollständig
verschwunden ist, dieselbe in Gegenden, welche bis dahin nur in großen, Jahrzehnte umfassenden Zwischen
räumen, und zwar
stets infolge von Einschleppung der
Seuche, von ihr heimgesucht worden waren, jetzt neue Heimatsherde gefunden hat.
Vier
Punkte sind seit jener Zeit Sitz der
Krankheit geworden: das
Hochland Assyr an der Westküste von
Arabien,
der westliche und besonders der nordwestliche Teil
Persiens, die
Ufer des
Euphrat und
Tigris in
Mesopotamien und der
Distrikt von
Bengasi im
Paschalik
Tripolis. Ob zwischen
dem Auftreten der
Krankheit an diesen einzelnen
Punkten ein innerer Zusammenhang besteht,
erscheint fraglich, und noch weniger läßt sich darüber urteilen, ob und inwieweit die Pestepidemien
mit dem Vorherrschen der
Krankheit an den Abhängen des
Himalaja in
Verbindung zu bringen sind. Im
Winter 1878/79 wurde das Wolgagebiet
¶
mehr
des Gouvernements Astrachan von der Pest heimgesucht. Eine eigentlich epidemische Verbreitung erlangte die Krankheit aber nur in dem Kosakendorf Wetljanka, wo sie 20 Proz. der Einwohner fortraffte und 82 Proz. der Erkrankten dem Tod anheimfielen. Man muß annehmen, daß die Pest hierher aus Persien über Astrachan oder durch Truppen aus Armenien eingeschleppt worden ist. Eine weitere Verbreitung wurde durch rigorose, oft grausame Sperrmaßregeln verhindert.
Der Ansteckungsstoff der Pest ist noch völlig unbekannt, er wird nicht nur durch Berührung, sondern auch durch die Luft übertragen, und dies ist gewiß die häufigste Art der Ansteckung. Auch die von den Kranken benutzten Betten, Wäsche etc. können den Ansteckungsstoff aufnehmen und denselben an bisher pestfreie Orte bringen. Dagegen ist es nicht sicher erwiesen, daß auch durch bloße Handelswaren (Baumwolle [* 24] u. dgl.) die Pest aus dem Orient nach Europa eingeschleppt worden sei.
In den allermeisten Fällen scheint die Pest innerhalb 7 Tagen nach der Aufnahme des Ansteckungsstoffs in den Körper auszubrechen, in vielen Fällen aber dauert dieses sogen. Inkubationsstadium nur 2-5 Tage und in sehr vereinzelten Fällen auch wohl bis zu 15 Tagen. Dieser Umstand ist natürlich für die Feststellung der Quarantänezeit von der größten Wichtigkeit. Die in Armut und Elend lebenden Volksklassen werden von der Pest am häufigsten ergriffen. Merkwürdigerweise scheinen manche Beschäftigungsweisen ganz verschont zu werden, besonders solche, welche viel mit Wasser zu thun haben, noch mehr aber die Ölträger, Öl- und Fetthändler.
Der Verlauf beginnt bald mit örtlichen Zufällen, Karbunkeln und Pestbeulen, denen dann Fieber und die Zeichen der Allgemeinerkrankung folgen, bald mit Frost, Mattigkeit, Kopfschmerz, Ohrensausen und Schwindel, Angstgefühl, verstörtem Gesicht, [* 25] Appetitmangel, beschleunigtem Atem und Pulsschlag, heißer Haut, [* 26] bisweilen Erbrechen und Durchfall etc. Die Pestbeulen (angeschwollene und vereiternde Lymphdrüsen) erscheinen am häufigsten in den Weichen, seltener unter den Achseln, im Nacken oder unter dem Ohr [* 27] als rundliche Geschwülste mit oder ohne Rötung der darüberliegenden Haut.
Sie verursachen meist lebhafte stechende Schmerzen, wachsen bis zur Größe eines Taubeneies und darüber und gehen dann gewöhnlich in Eiterung, Verjauchung und Brand über. Der Pestkarbunkel entsteht aus einzelnen flohstichähnlichen roten Flecken, die oft unter stechenden Schmerzen hier und da auf der Haut, besonders der Beine, erscheinen, später zu größern bläulichroten Flecken anwachsen, verhärten, ein Bläschen an der Spitze zeigen und endlich in einen Brandschorf mit lebhaft entzündetem Hof [* 28] übergehen, unter welchem Haut und Muskeln [* 29] brandig zerstört werden.
Nach dem Auftreten dieser örtlichen Pestmale steigert sich gewöhnlich das Fieber zu heftigen typhusähnlichen Symptomen, es tritt ein hochgradiger Verfall der Kräfte ein, und es erfolgt dann entweder der Tod unter schlagflußähnlichen oder mit andauernder Bewußtlosigkeit einhergehenden Hirnzufällen, oder auch durch Blutungen, Entkräftung und Blutzersetzung, oder es tritt unter Eiterung der Beulen und Abstoßung der Brandschorfe allmähliche Genesung ein.
Die Dauer der Krankheit ist wahrscheinlich 5-6 Tage, manche Epidemien töten jedoch schon unter den Erscheinungen der intensivsten Blutvergiftung in den ersten 24 Stunden. Tritt Genesung ein, so zieht sich diese oft durch Wochen und Monate hindurch. Die Prognose der Pest ist eine sehr schlechte. Die Vorbauungsmittel gegen die Krankheit sind teils allgemeine, teils individuelle. Zu erstern gehört die von allen seefahrenden Küstenvölkern, besonders am Mittelländischen Meer, eingeführte Quarantäne.
Das sicherste Vorbauungsmittel wäre wohl die Einführung von ausreichenden sanitätspolizeilichen Maßregeln in den Ländern, wo sich die Pest selbständig entwickelt, namentlich also in Ägypten. Der einzelne von der Pest. Bedrohte isoliere sich möglichst von dem Verkehr, besonders von dem mit unreinlichen Volksklassen, vermeide den Umgang mit Pestkranken und halte sich fern von deren Wohnräumen, Betten und Kleidungsstücken. Das Einreiben des Körpers mit Baumöl verdient als Schutzmittel versucht zu werden.
Die Behandlung der Pestkranken muß in der Hauptsache eine diätetische sein. Man sorge für reine, frische Luft, wende das frische und reine Wasser innerlich und äußerlich an, gebe Limonaden und andre kühlende Mittel. Tritt Genesung ein, so muß man bereiten für Darreichung einer nährenden und leichtverdaulichen Kost sorgen.
Vgl. Griesinger, Die Infektionskrankheiten (2. Aufl., Erlangen [* 30] 1864);
Stamm, Nosophthorie (Leipz. 1862);
Tholozan, Histoire de la peste bubonique en Mésopotamie, etc. (Par. 1874-77, 3 Mémoires);
Derselbe, Les trois dernières épidémies de peste du Caucase (das. 1879);
Derselbe, La peste en Turquie dans les temps modernes (das. 1880);
Hirsch, [* 31] Mitteilungen über die Pestepidemie 1878-79 im russischen Gouvernement Astrachan (Berl. 1880).