Perücke
[* 1]
(Perrücke, franz. perruque, ital. parrucca, span.
peluca, v. lat. pilus,
Haar),
[* 2] Kopfbedeckung von
Haaren, die dem natürlichen Haupthaar mehr oder weniger ähnlich ist. Der
Gebrauch fremder
Haare
[* 3] zur
Bedeckung des
Kopfes kam schon im
Altertum vor und zwar weniger, um das natürliche
Haar, falls es geschwunden, zu ersetzen, sondern zum
Schmucke.
Könige und
Krieger setzten sich Perücken
auf, um ehrfurchtgebietender
oder furchterregender zu erscheinen, und diese Absicht liegt auch der Perücke
aus
Menschen- oder Tierhaaren,
Pflanzenfasern,
Gräsern
etc. zu
Grunde, welche noch heute von unzivilisierten
Völkerschaften getragen
wird.
Bei den
Medern, Persern, Lydiern und Kariern war die Perücke
allgemein, und aus
Asien
[* 4] ging sie nach
Griechenland
[* 5] und
Rom
[* 6] über, wo
namentlich das goldgelbe
Haar der
Germanen sehr geschätzt und zu Perücken
verarbeitet wurde. Bei dem wachsenden
Luxus der
römischen Kaiserzeit wurde das Tragen von Perücken
unter den
Damen allgemein. Sie waren schnell dem
Wechsel der
Mode unterworfen, und man fertigte danach sogar Porträtstatuen und
-Büsten mit abnehmbaren Marmorperücken.
Im
Mittelalter scheint die Perücke
erst unter
Ludwig XI. in
Frankreich wieder aufgenommen zu sein.
Wenigstens wirft Maillard, der 1494 und 1508 in
Paris
[* 7] predigte, den
Frauen vor, sich der Perücken
zu bedienen.
Doch scheint die
Kunst, Perücken
zu machen, vor dem 17. Jahrh. wenig Fortschritte gemacht zu haben. Man
trug anfangs große Käppchen, die mit einer doppelten
Reihe von ganz glatten oder leicht frisierten
Haaren besetzt waren.
Erst 1620 ward eine Perücke
Mode, welche der
Abbé La
Rivière zuerst trug. Sie war blond und so dicht besetzt
und lang, daß sie 2 Pfd. wog, und 1680 erfand ein gewisser Ervais das Kräuseln, wodurch die Perücken
leichter wurden und voll aussahen, ohne viel
Haare zu brauchen. So ward
Frankreich das Vaterland der neuern Perücken
, welche
sich von dort aus über die meisten
Länder
Europas verbreiteten.
Man verließ bald den natürlichen
Gesichtspunkt einer möglichst täuschenden
Nachahmung des eignen
Haars und trug Perücken
nicht bloß als ein Ersatzmittel des mangelnden Kopfhaars, sondern zur Zierde. Die wunderlichste
Ausartung dieses
Geschmacks
waren die
Allongeperücken (Staatsperücken
), die, von Binette, dem Leibfriseur
Ludwigs XIV., um 1670 erfunden,
aus einem dichten Gekräusel von
Haaren bestanden, das, die
Stirn bogenförmig begrenzend, sich tief über den
Nacken erstreckte
und über die
Schultern zu beiden Seiten auf die
Brust herabfiel (s. die Abbildung und Tafel
»Kostüme
[* 8] III«,
[* 9] Fig. 7). Die größte
dieser
Allongeperücken nannte man grand in-folio.
Als andre, zum Teil nicht weniger unnatürliche
Arten nennen wir: die Knotenperücken
(Karréperücken
),
deren Hinterhaare in
Knoten geschürzt wurden;
die Haarbeutelperücken
(Beutelperücken, Sackperücken), bei denen das lange
Hinterhaar in einen
Beutel
[* 10] eingeschlossen war;
die Zopfperücken, welche hinten in einem offenen oder zusammengewundenen Zopf oder auch in zwei Zöpfen endigten;
die Stutz- oder Abbéperücken, die im Nacken kurz abgeschnittenes Haar hatten.
Schon 1673 entstand in Paris die erste Perückenmacherzunft. Berlin [* 11] erhielt eine solche 1716, nachdem schon etwa 40 Jahre früher, unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, die Perücken Eingang gefunden hatten und 1701 von König Friedrich I. mit einer Steuer belegt worden waren. Unter Ludwig XV. von Frankreich kamen zwar die großen Perücken mehr und mehr ab und blieben bloß beim Richterstand noch in Gebrauch; aber statt ihrer wurden unter der Regentschaft die Perruques à la régence oder à la Cadogan (s. d.) eingeführt, welche erst gegen Ende des 18. Jahrh. durch den Zopf (s. d.) verdrängt wurden. Seit dem Beginn des 19. Jahrh. hat die Perücke ihre Bedeutung als Bestandteil der Tracht verloren. Man trägt sie nur in den Fällen, wo aus Eitelkeit
[* 1] ^[Abb.: Allongeperücke.] ¶
mehr
oder aus Rücksicht für die Gesundheit der Mangel des natürlichen Haars versteckt oder dem kahlen Kopf eine vor Erkältung schützende Decke [* 13] gegeben werden soll. Je nach Umständen braucht man entweder Perücken, die den ganzen sonst behaarten Teil des Kopfes einhüllen und gleich einer Mütze aufgesetzt werden (Touren), oder solche, welche nur eine kleine kahle Stelle bedecken und teils (mit Quittenschleim und Hausenblase) aufgeklebt, teils durch Federn festgehalten werden (halbe Perücken, Atzeln, Toupets und Platten).
Die besten Perücken wurden eine Zeitlang aus Paris bezogen. Doch kommen jetzt auch die deutschen Friseure ihren französischen Kollegen in der Anfertigung von Perücken gleich. Das Festsitzen derselben auf dem Kopf wird jetzt meist mit Druckfedern bewirkt. Von besonderer Wichtigkeit ist die Perückenmacherei jetzt noch für Bühne, Zirkus, Maskengarderoben, Schaufensterköpfe u. dgl.
Vgl. Nicolai, Über den Gebrauch der falschen Haare und Perücken (Berl. 1801). -
Perückenstil nennt man eine Ausartung des Barock- oder Rokokostils.