Papier.
(Frz. papier
, engl. paper, span. papel, ital.
carta) wird das aus fein zerteilten Fasern in wäßriger Aufschwemmung durch Verfilzung und Entwässerung auf feinen Metallgeweben
dargestellte Blatt (Platte) genannt. Dieser Name ist dem aus dem Schafte des babylonischen, am Nil von 2000 vor
bis 700 nach Christo sorgfältig gepflegten, binsenartigen Sauergrases Papyros (beblos, biblos) antiquorum bereiteten Schriftblatte
und darum durchaus unpassend entlehnt.
Richtiger würde der Name Karte (im Sanskrit und über ganz Indien kartä, kirtas, qertas, phön. chartès, lat. quarta, carta etc. was ein viereckiges Blatt bedeutet) sein, den die Italiener und Griechen auch noch heute beibehalten haben. In China (Schina), dem Stammlande des Schriftfilzes, heißt es Chi (Schi), in Japan Gami, was beides „das Verständige“ bedeutet; russisch heißt es Bumaga (das Baumwollene) auch kithai, mongol. katay, maur. wark (qark = viereckig). -
Geschichte. Ums Jahr 123 v. Chr. erfand der chinesische
Mandarin (Gelehrte) und Ackerbauminister Tsai-lün
die Kunst, durch Verfilzung feiner Pflanzenfäserchen beim wäßrigen Aufguß derselben auf geeignete, das Wasser durchlassende
Gewebe ein dünnes Blatt zu bereiten, welches an Stelle der bis dahin üblichen Holztafeln und Gewebe, billiger und besser
zum Zwecke des Schreibens dienen konnte. Algen,
Baumwolle, Bambusmark, sogar
Abfälle der Baumwollengewebe
gaben zuerst das Material, bis spätere Jahrhunderte zur Verwendung der Stroharten, des Bastes mehrerer Baumarten und der
Papier
baumschalen (Broussonetia papyrifera) führten.
Um 610 n. Chr. kam die Papier
macherei nach Korea und dann nach Japan, wo der genannte
Papierbaum
das Hauptmaterial liefert. Die Tataren lernten die Kunst auf ihren kriegerischen Einfällen
in die Mongolei kennen und verpflanzten sie zu Anfang des siebenden ^[richtig: siebten] Jahrhunderts nach den Hauptstädten
Marakanda (Samarkand), Bokhara, Kaschghar, Yarkand etc. Von den Tataren lernten die gelehrigen
Araber auf ihren Eroberungszügen zu Anfang des achten Jahrhunderts das
Papiermachen und gründeten zahlreiche Papier
häuser
(Kehatjana) in den weiten eroberten Gebieten, namentlich in Syrien, Palästina, Arabien, Ägypten, Sicilien
und Spanien.
Papier

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Seite 21.397. Das Rohmaterial war ausschließlich die rohe
Baumwolle, während in Hindostan bis Ceylon die Faser der Sonnenpflanze oder
Sunhanf (crotolaria juncea), in Vorderindien die Tschut
(Jute, Corchorus capularis), Pisang, Agave, in Tibet eine Wurzelrinde,
in Siam und Anam die Fasern des Pliu-Kloi (Trophis aspera) und Nessel (Boehmeria nivea) verwendet wurden.
Die arabischen und maurischen Papier
macher (warrák), welche fast immer zugleich Gelehrte, Richter und Schreiber (Kanzler)
waren, hielten ihre Kunst sehr geheim, sodaß kein Fremder davon Kenntnis erlangen und die Papier
macherei sich auch
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mehr
nirgends in Europa verbreiten konnte, - bis die Kreuzfahrer im dritten Kreuzzuge mit Hilfe der Gewalt sich genau davon unterrichteten und um dieselbe Zeit die Mauren aus Spanien vertrieben wurden, wodurch das Papiermachen auch dort in den Besitz christlicher Nachfolger überging. -
Der Papier
handel hatte bis dahin seinen Hauptzug aus dem Orient über Griechenland nach Venedig, Augsburg,
Frankfurt a/M. und über Triest, Görlitz, Frankfurt a/O. nach dem Norden Deutschlands, woraus für das Papier
die Namen
„Griechisches Pergament“ pergamena graeca, Charta gossypina, bombycina, cotonea, Damascena, Serica, hervorgingen. Als
das Papier
zu Ende des 12. Jahrhunderts in Europa selbst bereitet zu werden begann, die Mauren aber den
Handel mit Baumwolle nach Europa infolge ihrer Vertreibung aufgaben, sodaß dieses Material immer seltener wurde, da mußten
die christlichen Papiermacher sich zu den abgenutzten baumwollenen Gewebeabfällen (Hadern) wenden. -
Die Bereitungsweise des Papiers blieb jedoch dieselbe, indem die angefeuchteten, klein geschnittenen Hadern in Mörsern mit Keulen erst für sich, dann mit etwas Ätzkalkzusatz fein zerstoßen wurden, die breiige Masse mit Wasser verdünnt und anfangs auf lockere Gewebe gegossen, später auf Drahtformen zu Bogen geschöpft wurde. Diese Papierblätter fielen freilich sehr ungleich und uneben aus, doch half man, wie die Papiermacher des Orients in alter Zeit und jetzt noch gethan, die Unebenheiten durch starkes Glätten mit Eberzähnen, Muscheln oder glatten Steinen auszugleichen, was auch die Ursache der auffallend glänzenden Oberfläche dieser Papiere ist. Geleimt wurde mit Reis- oder Getreideschleim (Gluten-lutum) oder tierischem Leim (gelatine).
Die reine Handarbeit wurde bei allen mit größerem Kraftaufwande zu betreibenden Gewerben, vom Ende des zehnten Jahrhunderts an, erst durch Tierkräfte (Ochsen, Esel, Pferde) am Göpel, dann durch Wasser oder Windkraft (Schiffs- und Windmühlen) unterstützt oder ganz ersetzt. Wenn die ersten Spuren der Müllerei bis Anfang des vierten Jahrhunderts (Trier und längs der Mosel) sich verfolgen lassen, sodaß die Deutschen die ersten waren, welche überhaupt Mühlenbetrieb einführten (eine Folge des Getreidebaues), so kann doch erst gegen Mitte des 12. Jahrhunderts von eigentlichen Mühlen gesprochen werden, welche als Getreide- und Walkmühlen und Hammerwerke dienten.
Der immer fühlbarer gewordene Mangel an baumwollenen Hadern, die geringe Haltbarkeit des Baumwollenpapiers und der sich vermehrende Papierbedarf zwangen die Papiermacher um diese Zeit zu der Verwendung von Leinenhadern, für deren Bearbeitung das Zerstoßen in Mörsern aber nicht ausreichte und der mühlenartige Betrieb notwendig wurde. Zu Ende des 13. Jahrhunderts (1290) legten die Getreidemüller Holbein in Ravensburg die erste Hadermühle mit Wasserbetrieb an ihre Mühle, 1312 entstand eine solche in Kaufbeuren, 1319 in Nürnberg, 1320 in Augsburg; 1324 wurde die Ravensburger bedeutend verbessert; 1346 gab es solche in Heidelberg, 1356 in Leesdorf bei Wien, 1390 in Nürnberg (nach verbesserten System von Ullmann Stromer erbaut) und andre, um 1320 in Italien, in Sizilien und Fabriano, 1330 in Padua, 1340 in Treviso und Ancona und andre, in Spanien 1340, im Galicischen, dann in Valenzia, Barzelona, Alcoi, Toledo und andre, in Frankreich um 1360 in Troyes, Essonne, Angoumais u. andre. In der Schweiz wurden die ersten Papier- oder Hadermühlen nach 1400 in St. Gallen, Basel, Bar ^[richtig: Baar], Zürich und in den andern Ländern noch später angelegt. -
Der Verbrauch des Papyros hatte um 700 n. Chr., als das Pergament die Oberhand erhielt, gänzlich, der Verbrauch des Pergamentes um 1400 n. Chr. wesentlich aufgehört, da das Papier einesteils bessere Dienste leistete, andernteils weit billiger und leichter zu beschaffen war, als jenes. Einen großen Aufschwung erhielt jedoch die Papiermacherei durch die Erfindung der Buchdruckerkunst. Als das Pergament im Verhältnis zum Bedarf so selten wurde, daß man bereits beschriebene Pergamente wieder abschabte, um sie neu zu beschreiben (Palimpsesten, libri liturarii), also das Pergament nicht einmal für die Schreiber ausreichte, da konnte niemand auf die Idee verfallen, durch auf Stäbe eingeschnittene oder gegossene Lettern (litterae) des Alphabetes (Buchstäbe) die Vervielfältigung von Schriften zu befördern.
Erst als das 100 Jahre früher erfundene und für den Druck besser als alles andre Material geeignete Linnenpapier für den geistigen und wirtschaftlichen Bedarf ausreichend geliefert wurde, konnte 1440 Guttenberg auf seine Erfindung hingeführt werden. Die Ausbreitung der Buchdruckerkunst schritt in demselben Grade vorwärts, als die Papiermanufakturen sich vermehrten, wie umgekehrt früher Klöster, Schulen und Gerichte zur Anlegung solcher genötigt waren, um Papier zu besitzen; und darum kann man die Errichtung von Buchdruckereien immer da zuerst finden, wo solche Papierwerkstätten in der Nähe waren. -
Den zweiten großartigen Aufschwung bewirkte 80 Jahre später die Reformation, weil ein außerordentlicher Bedarf an Papier für die Reformationsschriften, die Katechismen, die Bibeln etc. entstand, und es hätte die Reformation gar nicht so schnelle Verbreitung finden können, wenn das Papier gemangelt hätte, wie es ja bei allen Ereignissen der Welt den ersten Anteil hat. -
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Seite 21.398.Das Bedürfnis nach Vergrößerung der Papiere für den Druck und die Tapeten führte zu Ende des vorigen Jahrhunderts zur Anfertigung sogenannter Doppelformen, welche mit Mechanismus geführt wurden und die Arbeit des Schöpfers, Gautschers und Legers wesentlich erleichterten. Aus diesem Fortschritte scheint der weitere der Papiermaschine hervorgegangen zu sein, denn zu Anfang dieses Jahrhunderts konstruierte Robert in Essonne eine Maschine mit einem endlosen Metallsiebe und Preßwalzen, welches System auch Gamble, Fourdrinier, John und Georg Dickinson verfolgten, während Leistenschneider, Bramah, Denisson u. andre das Papier mittels eines Siebcylinders darstellten, in welcher Art Keferstein in Weida 1816 ebenfalls eine besondere Maschine konstruiert hatte, der als weiterer Fortschritt ein ¶
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Trocknungscylinder beigefügt war. - Die Papiermaschine gehört zu den geistreichsten Kombinationen auf mechanischem Gebiete, aber ungeachtet der Vorteile, welche sie der Handarbeit gegenüber besitzt, dauerte es doch bis Anfang der zwanziger Jahre, bevor sie Eingang fand, und bis zu Anfang der vierziger Jahre, bis sie gegen die Bütten ganz das Feld behauptete. Seitdem sind in allen Beziehungen Fortschritte gemacht worden, sodaß die jetzigen Papiermaschinen und ihre Hilfsmaschinen mit den Anfängen gar nicht mehr vergleichbar sind. -
Die ersten Papiermaschinen wurden aufgestellt: 1803 in Datfort, 1815 in Sorel, 1816 in Weida, 1818 in Berlin, 1823 in Heilbronn, 1822 in Arnau, 1828 in Fiume, 1824 in Lassarag, 1830 in Huy, 1827 in Isoladi Sora, in Sizilien, in Borgo Sesia, in Sardinien, 1824 in Strandmölln bei Kopenhagen, 1832 in Warschau, 1840 in Manzanares in Spanien. Jetzt gibt es nach Rudel's Statistik der Papierfabriken in Europa 3466 Papiermaschinen und auf der Erde deren 4091, Büttenmanufakturen in Europa 1238 und auf der Erde 6238. Die Produktion nach europäischer Art beträgt jährlich 11 Mill. Kilozentner, welche von 366 Mill. Menschen verbraucht werden. Überdies verbrauchen 620 Mill. Menschen das chinesische, japanesische und koreanische Papier, 116 Mill, das Papier nach arabischer und siamesischer Art, 30 Mill. Menschen schreiben auf Palmblätter, Rinden, Bast und Holztafeln (jenseits des Ganges, am Himalaya, in Afrika und auf den Südseeinseln) und 276 Mill. Menschen bedienen sich keiner Schrift. - Von dem verbrauchten Papierquantum kommen durchschnittlich auf die
Behörden und Amtskanzleien | 11% | oder | 1,21 Mill. Kilozent. |
Schulen aller Art | 13% | oder | 1,43 " " |
Handel | 12% | oder | 1,32 " " |
Industrie | 8% | oder | 0,88 " " |
Brief- und Privatverbrauch | 6% | oder | 0,66 " " |
Druckerei und Buchhandel | 50% | oder | 5,50 " " |
: | 11,00 " " |
Dieses Quantum verteilt sich nach den Papiersorten in:
2 Mill. Kilozent. | Schreibpapier |
2½ " " | Pack- und Tapetenpapier |
5 " " | Druckpapier |
1½ " " | Pappen und Kartons. |
Jahres-Anfertigung und -Verbrauch verteilen sich in Europa pro Kopf:
Anfertigung | Verbrauch | |
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Belgien | 4½ kg, | 3½ kg |
Dänemark | 2 " | 2 " |
Deutschland | 4½" | 4 " |
Frankreich | 4 " | 3½ " |
Griechenland | - " | ¼ " |
Großbritannien | 6 " | 5½ " |
Italien | 2 " | 2 " |
Niederlande | 3 " | 3 " |
Österreich-Ungarn | 2 " | 1¾ " |
Portugal | 1½ " | 1¾ " |
Rumänien | - " | ¼ " |
Serbien | - " | ¼ " |
Rußland | ½ " | ½ " |
Skandinavien | 2¼ " | 1¾ " |
Schweiz | 4 " | 3½ " |
Spanien | ½ " | ½ " |
Türkei | - " | ¼ " |
Ver. Staaten N.-Amerikas | 5½ " | 5 " |
Die Papierbereitung erfolgt auf eine zweifache Weise, einesteils überwiegend durch Handarbeit, wo sie Hand- oder Büttenpapierfabrikation (richtiger Papiermanufaktur, papeterie à la main, hand-paper-making), andernteils überwiegend durch Maschinen, wo sie Maschinenpapierfabrikation (richtiger kurz Papierfabrikation, papeterie à la mécanique, machine-paper-making) genannt wird. Die Papiermanufaktur zerfällt in folgende einzelne Arbeiten: Sortieren (trier, délisser; sorting) der Hadern in 20-30 verschiedne Arten, Reinigen durch einen Stäuber (Wolf, blutoir, loup, diable; duster), Kochen mit Kalklauge in einem feststehenden oder rotierenden eisernen Kessel (lessiveur; boiler), Auswaschen und Halbstoffmahlen in der Cylindermühle oder dem Halbholländer (cylindre defileur; rag grinding engine), Bleichen des Halbstoffes (demi-pâte; half-stuff) mittels Chlorgas oder Chlorkalklösung (unterchloriger Säure), Ganzstoffmahlen in der Ganzstoffmühle oder dem Ganzholländer (cylindre raffineur; pulp finishing engine).
Nicht unerwähnt mag bleiben, daß man früher zur Erleichterung des Mahlens die Hadern faulen ließ (macerage, pourrissage, roting) wodurch zugleich ein sehr geschmeidiges Papier erhalten wurde. Je nach dem anzufertigenden Papiere wird der fertige Ganzstoff (pâte fine; stuff) beim Handpapier mit Harzthonerde vorgeleimt und gefärbt. Die Farben werden teils fertig dem Stoff zugesetzt (substantive Farben), teils durch Niederschlag auf den Stoff frisch bereitet (adjektive Farben).
Ist der Stoff so vorbereitet, so wird er in einem, je nach der Dünne oder Dicke des anzufertigenden Papieres wechselnden, mit Wasser verdünnten Zustande in die Schöpfbütte (cuve; stuffvat) gebracht, wo der Schöpfgeselle (puisseur, plongeur; vatman) mit einer der Größe des P. entsprechenden Form aus feinem Messingdrahtgewebe und dem Rahmen (tamis, forme; would) die Fasern auffängt und durch Schütteln teils dieselben gleichmäßig verteilt, teils die größte Menge Wasser entfernt.
Dann schiebt der Schöpfgeselle dem Gautscher (coucheur; layer) die Form auf einem Brett (trêteau; trestle) zu, dieser drückt den nassen Papierbogen auf einen Filz (feutre coucheur; wet felt), was so lange, Bogen auf Filz übereinander, fortgesetzt wird, bis bei gewöhnlichen Papiersorten 181 Bogen in 182 Filzen liegen, was man einen Puscht oder Pauscht (porse; bolster) nennt. (Daher „über Pauscht und Bogen“). Wenn der Puscht fertig ist, so kommt er unter die Presse, durch welche das überflüssige Wasser aus den Papierbogen herausgedrückt wird, indem man stundenweise die Presse immer wieder anzieht. Gewöhnlich werden die bis mittags fertig gewordenen Puschte bis gegen Abend, die bis abends fertig gewordenen bis früh ¶