Otfried
,
Verfasser einer poetischen
»Evangelienharmonie« (s. d.), die zu den wichtigsten
Denkmälern unsrer althochdeutschen
Sprach- und Litteraturperiode gehört, war aus
Weißenburg
[* 2] im Elsaß gebürtig und genoß eine Zeitlang
den
Unterricht des berühmten
Hrabanus Maurus in
Fulda
[* 3] und wahrscheinlich auch den
Salomos, des spätern
Bischofs von
Konstanz.
[* 4] Von
Fulda kehrte Otfried
in das Benediktinerkloster
Weißenburg zurück, und hier hat er sein Gedicht,
dem er den
Titel:
»Liber Evangeliorum
Domini gratia theodisce conscriptus« gab, um 868 beendet.
Dasselbe enthält fünf
Bücher und ist dem König
Ludwig dem
Deutschen gewidmet. Otfried
beabsichtigte mit seiner
Dichtung der Volkspoesie (dem »laicorum cantus obscoenus«) entgegenzuwirken
und eine Art von christlichem Kunstepos zu bieten, für welches ihm heidnische und christliche
Autoren, wie Vergil, Lukan,
Ovid,
Juvencus,
Aratos,
Prudentius etc., seiner eignen Angabe zufolge als Vorbilder vorschwebten.
Der poetische Wert seines Werkes ist nicht groß und namentlich unvergleichlich geringer als der des stoffverwandten
»Holland«.
Der Verfasser bringt seine Gelehrsamkeit, wo es irgend geht, in den Vordergrund; er schiebt mit Vorliebe mystische und moralische Deutungen in die Darstellung ein, trockne Lehrhaftigkeit macht den überwiegende Charakter der letztern aus. Seine litterarhistorische Wichtigkeit beruht zum größern Teil in dem Umstand, daß er zuerst mit Entschiedenheit den freilich oft sehr ungenauen Endreim statt der Allitteration als Bindemittel der Verse angewendet hat, die übrigens dem Grundtypus nach noch ganz wie in der Allitterationspoesie gebaut und nur nach dem Muster der lateinischen Hymnenpoesie geregelt sind.
Bemerkenswert ist, daß schon Otfried
sich in allerlei sprachliche Künsteleien versucht hat, wie denn in den Zueignungsgedichten,
mit denen er sein Werk an König
Ludwig,
Salomon von
Konstanz und Liutbert sandte, nicht nur aus den Anfangs-, sondern sogar
aus den Endbuchstaben Akrosticha gebildet sind. Es existieren von Otfrieds
Gedicht zwei ausgezeichnet
schöne
Handschriften zu
Heidelberg
[* 5] und
Wien
[* 6] (die letztere wahrscheinlich von Otfried
selbst revidiert) sowie eine minder wertvolle
in
München;
[* 7] außerdem in
Wolfenbüttel,
[* 8]
Bonn,
[* 9]
Berlin
[* 10] Bruchstücke einer vierten
Handschrift. Herausgegeben wurde das Gedicht
zuerst von
Matthias
Flacius aus
Illyrien (Basel
[* 11] 1571); neuere
Ausgaben besorgten
Kelle (Regensb. 1856-1869, 2 Bde.;
Glossar, das. 1879-81),
Piper (2. Ausg., Freiburg
[* 12] 1884, 2 Bde.;
kleinere Ausg., das. 1882) und
Erdmann
(Halle
[* 13] 1883, Textabdruck 1882); Übersetzungen
Rapp (Stuttg. 1858), Rechenberg
(Chemn.
1862) und
Kelle
(Prag
[* 14] 1870).
Vgl. Lachmann (in Ersch und Grubers »Encyklopädie«);
Wackernagel (in den »Kleinen Schriften«, Bd. 2, Leipz. 1875);
Behringer, Krist und Heliand (Würzb. 1870);
Fertsch, der Weißenburger Mönch (Weißenb. 1874).