Ortsbewegungen
der
Tiere treten uns in ihren Hauptformen als
Gehen,
Schwimmen und
Fliegen
[* 3] entgegen und sind entweder
dem
Lande, dem
Wasser oder
der
Luft angepaßt. Auf dem Land erfahren die
Gliedmaßen den größten
Widerstand
und verursachen die geringste
Verschiebung; in der
Luft erleiden die
Flügel den geringsten
Widerstand und verursachen die größte
Verschiebung; das
Wasser steht in Bezug auf den
Widerstand,
den es bietet, und auf die
Verschiebung seiner
Teilchen, die es erfährt, in der
Mitte.
Dem entsprechend sind die
Werkzeuge,
[* 4] welche die Ortsbewegungen
vermitteln, eingerichtet. Landbewohnende
Tiere besitzen kleinere
Bewegungsflächen als
Amphibien, letztere kleinere als
Fische
[* 5] und diese wieder kleinere als
Insekten,
[* 6]
Fledermäuse und
Vögel.
[* 7] Die
Mittel, deren sich die
Tiere bei der Ortsbewegung
[* 8] bedienen, sind im wesentlichen dieselben, deren wir
uns bei der künstlichen Fortbewegung von
Lasten bedienen; es sind deshalb lauter mechanische
Fragen, welche bei der Ortsbewegung
in Betracht kommen, und dieselben haben Bezug auf die verschiedenen
Klassen von
Hebeln, die
Schwerkraft, die
Rolle, das
Pendel,
[* 9] das
spezifische Gewicht, den
Widerstand fester, halbfester und flüssiger
Körper etc. Weiteres s. unter
Gehen,
Laufen,
Schwimmen und
Fliegen.
Die
Methoden zum
Studium der Ortsbewegung
sind in der Neuzeit sehr vervollkommt worden. Zunächst hat J.
^[Etienne Jules]
Marey
(s. d.) ein
Verfahren gebracht, welches selbst die schnellsten
Gangarten exakt und völlig unabhängig von der
Individualität
des Beobachters zu verfolgen gestattet. Dieses
Verfahren ist ein graphisches und schildert uns die
Bewegung
in ihrer Abhängigkeit von der Zeit. Jede
Bewegung bedarf einer bestimmten Zeit, um alle
Phasen ihres Geschehens zu durchwandern.
Teilt man diese Zeit in Intervalle, so wird jedem Intervall eine gewisse Intensität der Bewegung entsprechen. Ist auf einem in regelmäßige kleine Quadrate geteilten Bogen [* 10] jeder Abschnitt auf der horizontalen Grundlinie ein bestimmtes kleines Zeitintervall, während jeder Abschnitt auf der Vertikalen einer gewissen Intensität der Bewegung entspricht, so kann man durch Punkte die Höhe, welche die Bewegungsintensität in jedem Zeitintervall anzeigt, bezeichnen, und man erhält dann durch Verbindung der so gewonnenen Punkte eine Kurve, welche die Abhängigkeit der Bewegung von der Zeit graphisch darstellt.
Mareys graphischer Apparat stellt einen mit einem Papiermantel versehenen stehenden Cylinder dar, der durch ein Uhrwerk in gleichmäßige Rotation gebracht wird. Dem Cylinder liegen in verschiedenen Höhen vier besonders konstruierte Schreibstifte an, welche Hebel [* 11] darstellen, die mittels des zur Übertragung von Bewegungen vielfach in der Physiologie benutzten Tambour enregistreur in Thätigkeit gesetzt werden. Die Vorrichtung besteht aus einem mit einer Kautschukmembran verschlossenen Kästchen, welches einen Luftbehälter bildet, der mit einem zweiten elastischen Luftbehälter mittels flexibler Kommunikationsröhren in Verbindung steht.
Dieser zweite Behälter wird derartig befestigt, daß sein
Inhalt durch die
Bewegung des zu untersuchenden
Teils komprimiert wird.
Hat sich aber in diesem Behälter die
Spannung der eingeschlossenen
Luft vermehrt, so wird sich auch
die
Spannung der Kautschukmembran des ersten Behälters erhöhen, diese treibt hierbei den mittels einer
Schraube genau eingestellten
Schreibstift in die
Höhe, und es werden die so erfolgenden
Exkursionen des
Stifts auf den mit gleichmäßiger
Geschwindigkeit vorbeigeführten Papiermantel aufgezeichnet. Bei seinen Untersuchungen über die Ortsbewegungen
des
Pferdes
ließ
Marey einen
Reiter die mit den Schreibstiften versehene
Trommel tragen (vgl. Abbildung), während sich an den
Enden der
Extremitäten
Apparate befanden, welche die Aufgabe hatten, in gegebenen
Momenten den
Inhalt der
Röhren
[* 12] zu komprimieren und auf diese
Weise ein
Heben der
Schreibfedern zu veranlassen.
¶
mehr
Marey hat auf diese Weise höchst beachtenswerte Resultate erzielt; so hat er z. B. die erste exakte Darstellung des Galopps gegeben, und hinsichtlich des Trabes ermittelte er, daß beim gewöhnlichen Trab die Dauer des Auftretens durchschnittlich doppelt so lange währt wie die Zeit, während welcher der Körper in der Luft schwebt.
Fast noch ehe es der eben beschriebenen graphischen Methode vergönnt war, in weitern Kreisen zur Anerkennung zu gelangen, wurde
sie in den Hintergrund gedrängt durch einen Erfolg des Amerikaners Muybridge. Dieser konstruierte einen elektrophotographischen
Apparat, der nach den Angaben seines Erfinders auch Bilder zu fixieren im stande ist, die nur 0,0005 Sekunde
bestanden haben. Unzweifelhaft wird dieser Apparat den Ausgangspunkt zu einer völligen Reform auf dem Gebiet der Lehre
[* 14] von
den Ortsbewegungen
abgeben; denn er ermöglicht es, die Lageveränderung eines jeden Punktes der Körperoberfläche während
der Bewegung genau verfolgen zu können.
Hiermit soll freilich keineswegs gesagt sein, daß dieses Ziel durch die bisherigen Leistungen, so hervorragend sie immer sind, bereits erreicht sei. Die bisherigen Untersuchungen haben sich hauptsächlich auf die Gangarten der Vierfüßler und auf den Flug der Vögel erstreckt. Letzterer hat bisher noch mangelhafte Ergebnisse geliefert, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß er sowohl als auch das Schwimmen dem neuen Verfahren zugänglich ist. Die bedeutendsten Leistungen Muybridges beziehen sich auf die schnellern Gangarten des Pferdes, und er bediente sich hierbei einer Camera [* 15] mit einem elektrischen Verschluß, der ein blitzartig schnelles Öffnen und Schließen gestattete.
Eine größere Anzahl dieser Apparate befand sich in einer Reihe dicht nebeneinander aufgestellt und zwar in regelmäßigen Abständen. In einer bestimmten Entfernung von dieser Reihe bewegte sich ein Pferd [* 16] mit möglichst gleichmäßiger Geschwindigkeit durch das Gesichtsfeld. Es wurde nun von diesem Tier eine unterbrochene Reihenfolge von Aufnahmen dergestalt angefertigt, daß nach dem jedesmaligen Fortrücken des Körpers um wenige Zoll eine neue Aufnahme erfolgte. Da die Abstände des Apparats gleich waren, und da weiterhin der Pferdekörper eine möglichst gleichmäßige Geschwindigkeit besaß, so war der Künstler im stande, die einzelnen Aufnahmen durch annähernd gleiche Intervalle zu trennen.
Unzweifelhaft die bedeutendsten Leistungen Muybridges beziehen sich auf den Galopp [* 17] (s. Laufen). Vorzügliche Aufnahmen von Tieren in der Bewegung lieferte der Photograph Anschütz in Lissa. [* 18] Seine Leistungen übertreffen diejenigen von Marey und Muybridge bedeutend, und indem er seine Serienbilder auf einer stroboskopischen Scheibe anbrachte, gelangte er zu einer vollständigen Reproduktion der Bewegung in allen ihren charakteristischen Feinheiten, die bei langsamer Drehung der Scheibe genau studiert werden können.
Vgl. Pettigrew, Die Ortsbewegung
der Tiere (deutsch, Leipz. 1877).