Orsières
(Kt. Wallis, Bez. Entremont). 888 m. Gem. und grosses Pfarrdorf an der Strasse über den Grossen St. Bernhard; 17 km sö. der Station Martigny Ville der Simplonbahn, 6 km s. Sembrancher und 1 km n. der Vereinigung der beiden obern Arme der Dranse (Val Ferret und Val d'Entremont). Der Fluss teilt das Dorf in zwei ungleiche Hälften, den Bourg oder das eigentliche Dorf am rechten und den Borgeal oder das Aussenquartier am linken Ufer, die durch eine 1810 neuerstellte, schöne einbogige Steinbrücke miteinander verbunden sind.
Postbureau, Telegraph, Telephon; im Winter Endstation der Postwagen von Martinach her, im Sommer Postwagen über den Grossen St. Bernhard. Gemeinde: 407 Häuser, 2215 kathol. Ew.; Dorf: 124 Häuser, 658 Ew. Liegt an einer etwas eingeengten Stelle des Thales, ist aber von schönen Wiesen und gut angebauten Feldern umgeben. An der Stelle eines zu Ende des 15. Jahrhunderts umgebauten und seither nicht mehr genügend Sicherheit bietenden Gotteshauses steht seit 1896 die geräumige neue Pfarrkirche, die dem h. Nikolaus geweiht und deren prachtvoller Glockenturm einer der ältesten im Kanton ist.
Seine gezackte Mauerzinne zeigt, dass er zur Zeit der grossen Völkerwanderungen als Wacht- und Verteidigungsturm gedient haben muss. Einige architektonische Einzelheiten und alte Möbel machen auch das Gemeindehaus sehenswert. Nahe dem S.-Ende des Aussenquartieres am linken Ufer der Strasse bemerkt man an der Strasse ins Val Ferret die zwischen anderen Bauten versteckten Ueberreste der einstigen Burg Le Châtelard, mit einer noch deutlich sichtbaren Freske, die den das Jesuskind tragenden h. Christoph darstellt.
Ein Gasthof und zwei Gastwirtschaften. Die Gemeinde Orsières
ist die an Fläche zweitgrösste des Bezirkes
Entremont und zusammen mit
Bagnes, Evolena und
Zermatt zugleich eine der ausgedehntesten des Kantons. Sie umfasst neben dem
Hauptdorf noch eine Menge von Weilern und Häusergruppen, die an den Seitengehängen des
Val d'Entremont und im vorderen Abschnitt
des
Val Ferret zerstreut liegen und einst zu sog. «tiers» (Dritteilen)
gruppiert waren (ähnlich den
«quarts» oder
Quartieren der Gemeinde
Bagnes).
Der rechts der
Dranse gegen den Fuss des
Six Blanc ansteigende Hang trägt die
Weiler
La Rosière,
Comeire,
Reppaz,
Chez les Addy,
Chez les
Giroud und
Chamoille, während am gegenüberliegenden Gehängefuss des
Catogne die Gruppen
Sous la Lix,
Verdonnaz,
Biollay,
Prassony und
Chez les Reuses und am Ufer der
Dranse der
Weiler
La Douay stehen. Im
Val Ferret findet sich
Som la Proz
(am Eingang),
Issert,
Les Arlaches und
Praz de Fort. Die im schweizerischen Anteil des
Mont Blanc Massives vor etwa 20 Jahren
nur im Dorf Orsières
schwach vertretene Fremden- und Hotelindustrie hat seither einen raschen Aufschwung
genommen.
Das früher nur als Alpweide benutzte Thälchen des Lac de Champex ist zu einem ganzen Dorf von Gasthöfen und Pensionen geworden. Das zu den weiten Eisfeldern der mächtigen Kette aufsteigende, liebliche u. ruhige Val Ferret besass einst nur auf den Mayens de Ferret einen kleinen Gasthof und hat nun seit 1899 auch ein mitten im Dorf Praz de Fort stehendes neues Hotel erhalten. Man plant aber bereits die Errichtung weiterer Fremdenstationen, von denen aus die vom S. A. C. in diesem Gebiet erstellten Klubhütten leicht erreichbar sein werden.
Die arbeitsamen, ausdauernden und zähen Bewohner von Orsières
ziehen von ihrem Boden alles, was er
ihnen zu bieten vermag, vermögen aber seine Erträgnisse mit dem raschen
Anwachsen der Bevölkerungszahl nicht mehr in Einklang
zu bringen. 1816: 1965 Ew., 1850: 2305, 1870: 2394 Ew. Die Ziffern 2222 Ew. für 1888 und 2215 Ew. für 1900 zeigen, dass
die Orsériens bereits in beträchtlicher Zahl auswandern. In der Tat findet man sie besonders in Paris, wo sie als Kutscher,
Eisverkäufer, Farbenreiber etc. ihr Brot verdienen. Die Auswanderung ist dadurch begünstigt worden, dass die dem Thal einst
schönen Verdienst bietende Eisausbeute am Saleinazgletscher seit 1880 allmählig eingestellt worden ist.
Orsières
ist eine bedeutende Führer- und Trägerstation und der Ausgangspunkt für
Touren in die
Eis- und Gipfelgebiete von
Orny,
Saleinaz etc.
Die Ueberlieferung erzählt uns, dass die den
Mons Jovis (Grossen
St. Bernhard) besetzt haltenden Sarazenen um die zweite Hälfte
des 10. Jahrhunderts den nach
Rom reisen wollenden St. Maiolus, Abt von Cluny, in Orsières
als Gefangenen
zurückbehielten. Die lange andauernde Besetzung des
Thales durch die Sarazenen, die sich schliesslich mit den frühern Bewohnern
gemischt und der Landwirtschaft zugewendet hätten, erklärt einigermassen das Fehlen von bestimmten Urkunden über diese
Gegend. 1052 vergabte dann Aymon von Savoyen, damaliger
Bischof von
Sitten, seinem Stift zahlreiche Ländereien,
die er zumeist von seinem Onkel
Ulrich oder Udalrich geerbt hatte.
Darunter befand sich neben dem
Schloss
Saillon und den
Herrschaften
Ayent,
Suen und
Grengiols auch das Dorf Orsières
im
Entremont.
Es ist aber nicht bekannt, ob das Stift seinen Besitz in Orsières
wirklich angetreten hat, da man diese
Herrschaft wenige Jahre später in den Händen der
Herren d'Allinges findet, die zugleich auch das Meieramt (métralie) über
Liddes innehatten. Das
Schloss dieses Geschlechtes, das sich später den Namen der du Coudray und du
Châtelard beilegte, stand,
wie schon erwähnt, südl. vom Dorf am linken Ufer der
Dranse (150 m vom heutigen Friedhof entfernt) und
gehörte im 16. Jahrhundert den Edeln Cavelli, deren Nachkommen in Orsières
heute noch leben. Im April 1100 wütete in Orsières
die Pest. Seit 1263 erscheint auch ein Edelgeschlecht derer von Orsières
, die sich mit einflussreichen Familien verschwägerten
und deren einer Zweig sich in
Sitten einbürgerte, während ein anderer das Bürgerrecht von Genf
erwarb und
in dieser Stadt im 15. und
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16. Jahrhundert eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Orsières
ist die Heimat des Advokaten Louis Pittier, eines eifrigen
Parteigängers der Politik Napoleons I. im Wallis;
des militärischen Leiters des Walliseraufstandes 1840-1844 Alexis Joris (genannt
d'Illarsaz); des Dr. Gaspard Joris, Leibarztes des Grafen von Chambord, und des 1886 gestorbenen Rechtsanwaltes und Nationalrates
Fidèle Joris. Ein bei Dix Milieux aufgefundener römischer Meilenstein befindet sich jetzt in Vollèges. 1052: Ursaria; 1177:
Sancti Pantaleonis de Urseri; 1199: de Orseres. Im 11. Jahrhundert (Vita S. Maioli): ad villam usque descendunt quae, prope
Dranci fluvii decursum posita, Pons Ursarii quondam vocitari erat solita.
Die etwa 150 km2 Fläche umfassende Gemeinde Orsières
grenzt mit dem Col de Ferret und Col du Ban d'Arrey
an Italien, mit den Eisgebieten um die Aiguille d'Argentière, den Tour Noir und den Mont Dolent (Col du Chardonnet und Col d'Argentière)
an Frankreich, mit dem Val de Champex, der Fenêtre d'Arpette und der Pointe d'Orny an den Bezirk Martinach
und endlich an sämtliche übrigen Gemeinden des Bezirkes Entremont (exkl. Vollèges). Vergl. auch die Art. Dranse, Entremont,
Ferret.