Orchester
hieß im
Theater
[* 3] der Griechen der Teil der
Bühne, auf welchem sich der
Chor bewegte (orchestra, »Tanzplatz«);
beim
Versuch der Wiederbelebung der antiken
Tragödie, welcher bekanntlich die Kunstgattung der
Oper (s. d.) ins
Leben
rief, ging der
Name Orchester
auf den
Raum über, den die den
Gesang der Bühnendarsteller begleitenden Instrumentenspieler einnehmen
(zwischen
Bühne und
Publikum), sowie schließlich auf die
Instrumenten selbst. Heute ist die letztere Bedeutung die vulgäre,
und wenn man z. B. sagt, daß eine
Bühne ein großes Orchester
habe, so meint man nicht die
Größe des
Raums,
sondern die Anzahl der
Musiker.
Orchestes - Orchideen

* 4
Seite 12.421.
Jede Vereinigung von Instrumentenspielern verschiedener Art zum
Zweck der Ausführung größerer Instrumentalwerke (oder Vokalwerke
mit Instrumentalbegleitung) heißt heute ein Orchester.
Je nach der
Zusammensetzung unterscheidet man das
Streichorchester, in welchem
nur
Streichinstrumente beschäftigt sind, und das Harmonieorchester
, das nur
Blasinstrumente enthält;
noch spezieller das Blechorchester
(Messingorchester
), in welchem auch die Holzblasinstrumente nicht vertreten sind, sondern
nur
Hörner,
Trompeten,
Posaunen und ähnliche
Instrumente, weshalb die von einem solchen Orchester
aufgeführte
Musik auch
Hornmusik
genannt wird. Das aus
Blas- und
Schlaginstrumenten zusammengesetzte Orchester
nennt man
Militärmusik oder
Janitscharenmusik (türkische
Musik).
Alle diese Orchester
sind von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem vollen Orchester oder
großen Orchester
, von welchem das sogen. kleine Orchester
nur eine
Abart ist. Das große sowohl als das
¶
mehr
kleine Orchester
begreift sämtliche Hauptgattungen der Musikinstrumente in sich: Streichinstrumente, Holz- und Blechblasinstrumente
und Schlaginstrumente (Pauken);
nur in der Stärke [* 5] der Besetzung sowie besonders in der Anzahl der angewendeten Arten von Blasinstrumenten unterscheiden sie sich.
Das kleine Orchester
besteht außer dem Streichquintett (ersten und zweiten Violinen, Bratschen, Cellos und
Bässen) aus 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten (die sogar manchmal fehlen, z. B. in der G moll-Symphonie von
Mozart), 2 Fagotten, 2 Hörnern, 2 Trompeten und 2 Pauken (die auch manchmal fehlen). Welche Fülle verschiedener Klangfarben mit
diesen bescheidenen Mitteln erzielt werden kann, beweisen die Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven hinlänglich.
Treten zu den genannten noch 2 weitere Hörner und 3 Posaunen hinzu, so heißt das Orchester
schon das große; es ist (mit oder ohne
Pickelflöte) das eigentliche Symphonieorchester
, wie es nicht nur Beethoven in seinen größern Symphonien, sondern auch die
nachbeethovenschen Symphoniker (Schubert, Mendelsohn, Schumann, Gade, Brahms, Volkmann, Raff, Dietrich u. a.)
bis auf den heutigen Tag festgehalten haben.
Erheblich erweitert ist dagegen das große der neuern Oper, der neuern Messe, überhaupt der neuern Chormusik mit Orchester
und der
Programmsymphonien. Das Streben nach Charakteristik des Ausdrucks, nach Individualisierung verschiedenartiger Personen, nach
täuschender Tonmalerei etc. hat die Komponisten veranlaßt, für alle diese Arten illustrierender Instrumentalmusik
immer neue Klangfarben aufzusuchen, und so finden wir denn neben den bereits genannten Instrumenten noch: Englisch Horn, Baßklarinette,
Kontrafagott, Baßtuba, Harfe, große und kleine Trommel, Becken, Triangel, Glockenspiel (Stahlharmonika, Lyra)
[* 6] etc. Auch eine besonders
starke Besetzung der einzelnen Arten von Instrumenten fordert manchmal der Komponist zur Erzielung eines
außergewöhnlichen Effekts.
Tua res agitur - Tuber

* 7
Tuba.
Hector Berlioz verlangt für das Tuba
[* 7] mirum seines riesengroßen »Requiem« folgende Besetzung: 4 Flöten, 2 Oboen, 2 C-Klarinetten, 8 Fagotte, 4 Hörner
in Es, 4 Hörner in F, 4 Hörner in G, 4 Cornets à pistons in B, 2 F-Trompeten, 6 Es-Trompeten, 4 B-Trompeten, 16 Tenorposaunen, 2 C-Ophikleiden, 2 B-Ophikleiden,
eine Monster-Ophikleide à pistons, 8 Paar Pauken, 2 große Trommeln und ein sehr stark besetztes Streichorchester (18 Kontrabässe).
Diese ungeheuerliche Anforderung steht allerdings einzig in ihrer Art da. Das großartigste Opernorchester
ist das Wagners
in den »Nibelungen«; er verlangt außer dem Streichorchester: 3 große Flöten, eine Pickelflöte, 3 Oboen,
ein Englisch Horn, 3 Klarinetten, eine Baßklarinette, 3 Fagotte, 8 Hörner, eine Tenortuba, 2 Baßtubas, eine Kontrabaßtuba, 3 Trompeten,
eine Baßtrompete, 2 Tenorposaunen, eine Baßposaune, eine Kontrabaßposaune, 2 Paar Becken, Triangel, große und kleine Trommel.
In den frühern Opern beschränkt sich Wagner in der Vergrößerung des Symphonieorchesters auf die dreifache Besetzung der Holzbläser und Trompeter sowie die Einführung von Englisch Horn, Baßklarinette, Baßtuba, Harfe und Schlaginstrumenten. Bei den andern Opernkomponisten fällt auch noch die dreifache Besetzung der Holzbläser und Trompeten fort. Das Orchester, für welches Haydn und Mozart ihre symphonischen Werke schrieben, wies nur wenig Blasinstrumente auf (das oben spezifizierte kleine Orchester); doch wußte gerade Haydn dieselben so zu individualisieren und ihre besondere Klangfarbe so geschickt zu verwerten, daß er zuerst der reinen Instrumentalmusik rechtes Leben gab und das Orchester zu einem Wettstreit verschieden redender und empfindender Einzelwesen umschuf.
Mozart und Beethoven gingen nun seinen Weg weiter, jeder nach seiner Eigenart andern Empfindungen und Stimmungen Ausdruck gebend. Heute verrät das deutsche Orchester (wenn wir das Wagners, Liszts und ihrer Jünger so nennen dürfen) wieder die Vorliebe der Deutschen für die Blasinstrumente; wir sind nach der richtigen Bemerkung des Franzosen H. Lavoix, der die erste Geschichte der Instrumentation geschrieben hat (1878), auf dem Weg zur Wiederherstellung (mutatis mutandis) der Verhältnisse des 16. und 17. Jahrh., wo jedes Instrument in drei oder vier verschiedenen Großen existierte, in Sopran- (Alt-), Tenor- und Baßlage.
Wir haben heute die Flöte in zweierlei Größe, die Oboe in Sopran- und Altlage (Englisch Horn), die Klarinette in Sopran-, Alt- und Baßlage, das Fagott in Baß- und Kontrabaßlage, neben der Trompete die Baßtrompete, neben der Baßtuba die Tenortuba etc. Der Unterschied ist nur, daß wir alle diese Instrumente zu einem kolossalen Instrumentalkörper vereinigen, während man im 16. Jahrh. fast nur vierstimmig mit Instrumenten derselben Familie musizierte. Vgl. Instrumentalmusik.