Opitz
,
Martin, einflußreicher deutscher Dichter und Kunsttheoretiker des 17. Jahrh., geb. zu Bunzlau, [* 3] besuchte die dortige Schule, dann das Magdalenäum zu Breslau [* 4] und 1617 das akademische Gymnasium zu Beuthen, [* 5] bekleidete darauf in der Familie des Tobias Scultetus eine Hauslehrerstelle und veröffentlichte 1618 sein erstes ins Gewicht fallendes Werk, die lateinisch abgefaßte, gegen die Vernachlässigt der deutschen Sprache [* 6] gerichtete Schrift »Aristarchus«.
Nachdem er in demselben Jahr noch eine Zeitlang die Universität zu Frankfurt [* 7] a. O. besucht hatte, wurde er 1619 Lehrer der Söhne des kurpfälzischen Geheimrats v. Lingelsheim zu Heidelberg [* 8] und schloß mit einem Kreis [* 9] junger Talente, unter denen Zinkgref später am bekanntesten geworden ist, Freundschaft. Von Heidelberg flüchtete er 1620 nach Holland, wo er sich die Gunst Daniel Heinsius' durch Übersetzung von dessen Lobgesängen auf Bacchus und den Heiland erwarb, ging 1621 nach Jütland, wo sein erst 13. Jahre später veröffentlichtes »Trostgedicht in Widerwärtigkeit des Kriegs« entstand, und folgte ein Jahr später dem Ruf des Fürsten von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, zur Übernahme einer Lehrerstelle der Philosophie und schönen Wissenschaften an der hohen Schule zu Weißenburg. [* 10] Er verfaßte hier sein Gedicht »Zlatna, oder von Ruhe des Gemüts« und begann ein nie vollendetes großes Werk über die Altertümer Daciens (»Dacia antiqua«).
Von
Heimweh getrieben, kehrte er schon 1623 nach
Schlesien
[* 11] zurück und wurde im folgenden Jahr
Rat beim
Herzog von
Liegnitz
[* 12] und
Brieg.
[* 13] Bei einem Besuch in
Wien
[* 14] 1625 wurde er für ein Trauergedicht auf den
Tod des
Erzherzogs
Karl vom
Kaiser
Ferdinand II. eigenhändig
gekrönt und später (1628) als »Opitz
von
Boberfeld« in den Adelstand erhoben. Bereits 1626 war er als
Sekretär
[* 15] in den
Dienst des durch seine grausame Protestantenverfolgung berüchtigten
Grafen
Karl
Hannibal von
Dohna getreten, der ihn 1630 mit
geheimen Aufträgen nach
Paris
[* 16] schickte, wo Opitz
mit
Hugo
Grotius bekannt wurde, dessen
Schrift Ȇber die
Wahrheit der
christlichen
Religion« er in
Versen ins Deutsche
[* 17] übertrug.
Nach dem
Tode
Dohnas (1633) folgte Opitz
1634 einem ältern
Gönner, dem
Herzog
Johann
Christian von
Brieg, auf dessen
Flucht nach
Preußen
[* 18] und erwählte
Danzig
[* 19] zum Wohnort, wo er nach kurzer Zeit vom König
Wladislaw IV. von
Polen, den er mit einem
Lobgedicht angesungen hatte, zum
Sekretär und polnischen Hofhistoriographen ernannt wurde. In dieser
Eigenschaft begann Opitz
das
Studium der sarmatischen
Altertümer, beschäftigte sich daneben viel mit altdeutscher
Poesie und gab das
»Annolied« mit lateinischen
Anmerkungen
(Danz. 1639) heraus, dessen
Handschrift seitdem verloren ist.
Während einer in
Danzig wütenden Pestseuche durch einen Bettler,
dem er ein
Almosen reichte, angesteckt,
starb er Opitz'
große litterarhistorische Bedeutung beruht nicht sowohl auf seinen
Dichtungen als solchen, sondern
auf den in diesen praktisch bethätigten und in theoretischen Werken von ihm verkündigten ästhetischen und technischen
Grundsätzen.
Sein Einfluß auf den Bildungsgang des 17. Jahrh. ist unberechenbar
groß gewesen, und fast volle 100 Jahre hindurch
¶
mehr
haben seine Poesien im Ansehen unübertrefflicher Mustergültigkeit gestanden. Unter seinen theoretischen Schriften nimmt das Buch »Von der teutschen Poeterei« (Brieg 1624 u. öfter; Neudruck, Halle [* 21] 1876) den ersten Rang ein, und die im 17. Jahrh. geltenden schiefen und nüchternen Ansichten über Aufgabe und Wesen der Poesie basieren fast ausschließlich auf diesem Werk, das sich seinerseits wieder eng an die lateinische Poetik des Franzosen Scaliger anschließt.
Die Dichtkunst ist nach dem Dogma der »Poeterei« ursprünglich eine »verborgene Theologie« gewesen; ihr Zweck darf nicht in der »Ergötzung« allein gesucht werden, sondern sie soll auch »nützen«, nämlich belehren. Ein Haupterfordernis derselben sei ein reicher Vorrat von malenden und schmückenden Beiwörtern, und das Ansehen und die Dignität der dichterischen Rede bestehe in den Tropen und Schematen, »wenn ein Wort von seiner eigentlichen Bedeutung auf eine andre gezogen werde«.
Eine unglaubliche Dürftigkeit ästhetischer Einsicht verrät namentlich der Abschnitt, in welchem Opitz
die einzelnen dichterischen
Gattungen charakterisiert, wie er denn das Wesen der Tragödie darin sieht, daß sie nur von königlichem
Willen, von Totschlägen, Verzweiflungen, Kinder- und Vatermorden, Brand, Blutschande, Kriegen und Aufruhr, Klagen, Seufzen u. dgl.
handle. Erfreulicher als diese Anschauungen waren Opitz'
Bestrebungen für das Ansehen der deutschen Sprache und sein Einfluß
auf die metrische Entwickelung der deutschen Poesie.
Schon in seiner oben erwähnten Jugendschrift »Aristarchus« hatte er die Geringschätzung, mit welcher der Gelehrtendünkel die deutsche Sprache ungepflegt ließ, wirksam bekämpft. In metrischer Hinsicht verhalf er den Anschauungen, die einige poetische Vorgänger bereits gehegt hatten, zum Sieg. Im 7. Kapitel der »Poeterei« ward zum erstenmal bestimmt ausgesprochen, daß wir Deutschen nicht nach Art der Alten »eine gewisse Größe der Silben in acht zu nehmen, sondern aus den Accenten und dem Ton zu erkennen« hätten, welche Silben »hoch und welche niedrig gesetzt werden sollen«.
Zugleich verlangte er Reinheit des Reims
[* 22] und stellte den Alexandriner als deutschen Mustervers auf, der
seitdem über ein Jahrhundert lang herrschend blieb. Opitz'
eigne Dichtungen wurden zwar seiner Zeit und bis ins vorige Jahrhundert
hinein überschwenglich gepriesen und der Dichter als der unsterbliche »Boberschwan«
unzähligemal gefeiert; gleichwohl mag selten eine gemütsärmere und phantasielosere Natur als gerade Opitz
zu Dichterruhm gelangt
sein. Am meisten sagte seiner nüchternen Verständigkeit das Lehrgedicht zu, das er denn auch mit Vorliebe
pflegte (außer den schon genannten Werken dieser Art sind anzuführen: »Das Lob des Feldlebens«, »Vesuvius«, »Vielgut«,
»Das Lob des Kriegsgottes«).
Diesen hausbackenen Produkten schließen sich Übertragungen der Psalmen, der Sophokleischen »Antigone« und der »Trojanerinnen«
des Seneca an. Das nach dem Italienischen bearbeitete Singspiel »Daphne« (1627, von Schütz in Musik gesetzt,
zu Torgau
[* 23] aufgeführt) gilt in gewissem Sinn als erste deutsche Oper; durch seine »Hercynia« führte Opitz
die Schäferpoesie ein.
Auch in Bezug auf persönliche Eigenschaften: Liebedienerei und Schmeichelsucht, Schmiegsamkeit gegen Große und Gier nach äußerlichen
Ehren, ward Opitz
das unrühmliche Vorbild der deutschen Dichter des 17. Jahrh.
Seine Werke erschienen gesammelt noch bei seinen Lebzeiten Breslau 1625, 1629 und 1637;
eine vierte, von ihm noch selbst geordnete Sammlung Danzig 1641. Die 1690 zu Breslau erschienene Ausgabe ist nicht vollständig und sehr fehlerhaft.
Eine kritische Ausgabe,
von Bodmer und Breitinger unternommen, kam nur bis zum zweiten Teil (der erste erschien Zürich
[* 24]
1745), da sie die Konkurrenz der schlechtern,
von Triller besorgten (Frankf. 1746, 4 Bde.) nicht bestand. Ausgewählte
Dichtungen von Opitz
gab neuerdings Tittmann (Leipz. 1869) heraus. Ein Denkmal des
Dichters (Marmorbüste von Michaelis) wurde 1877 in Bunzlau enthüllt.
Vgl. Gottsched, Lobrede aus Opitz
(Leipz.
1739);
Strehlke, Martin Opitz
(das. 1856);
Weinhold, Martin Opitz
(Kiel
[* 25] 1862);
Palm, Martin Opitz
(Bresl. 1862);
Borinski, Die Kunstlehre
der Renaissance in Opitzens
Buch von der deutschen Poeterei (Münch. 1883), weitere Schriften darüber von Fritsch (Halle 1884)
und Berghöffer (Frankf. a. M. 1888).