Opfer
(v. lat. offerre, »darbringen«),
im allgemeinen
Gaben, welche man der
Gottheit darbringt, entweder um ihr
Liebe und Dankbarkeit zu erweisen, oder um ihren
Zorn
zu versöhnen
und sie günstig für sich zu stimmen, oder auch um drohendes Unheil abzuwenden und ihren
Beistand auf sich
herabzuziehen. Der Opfer
dienst beruht somit auf dem Abhängigkeitsgefühl des
Menschen der
Gottheit gegenüber und ist so alt
wie die
Religion überhaupt. Die
Vorstellung, daß die
Götter sinnliche Bedürfnisse hätten wie die
Menschen, die Bildungsstufe,
auf welcher die Opfernden
standen, ihre Beschäftigung und Lebensweise und die
Beschaffenheit der
Produkte, welche ihr
Boden hervorbrachte, bestimmten in alten
Zeiten die Art der Opfer
Hirten und
Jäger brachten
Tiere, ackerbauende
Völker
Früchte und
Brot
[* 2] dar, ein jeder das
Beste, was er besaß; aber auch
Menschenopfer waren ursprünglich bei den meisten Völkern im
Gebrauch,
und
da man in dem
Feuer ein sichtbares
Symbol der
Götter, gleichsam einen
Boten derselben erkannte, so ward
bald dieses als
Mittel ausersehen, die für die
Gottheit bestimmten Opfer
in Empfang zu nehmen, sie zu verzehren und als
Rauch
zum Göttersitz emporzutragen. So entwickelte sich das
Brandopfer.
Jene materielle Seite trat aber allmählich in den
Hintergrund, das Opfer
wurde immer mehr ein symbolisches,
und schließlich kam die Auswahl der edelsten Erstlingsfrüchte, der reinsten und makellosesten
Tiere nur noch den
Priestern
zu gute, sofern
man nur die unbrauchbaren Teile der
Tiere (Fettteile,
Knochen
[* 3] etc.) mit
Salz,
[* 4]
Mehl,
[* 5]
Honig und Weinspenden opferte
,
die genießbaren und wohlschmeckenden dagegen selbst verzehrte. Darauf bezieht sich die griechische
Sage
vom
Prometheus, der den
Zeus
[* 6] bei der Opfer
mahlzeit um die besten Teile betrogen haben sollte. An die
Brandopfer schloß sich
das noch mehr symbolische
Rauchopfer (s. d.), bei welchem an die
Stelle der
Speisen
Spezereien traten, wie es noch jetzt in der
katholischen
Kirche gebräuchlich ist.
Nur langsam verschwanden die
Menschenopfer, zu denen
man in der
Regel gefangene Feinde und
Fremde bestimmte.
Juden, Griechen und
Römer
[* 7] kehrten, wenn
sie den
Zorn der
Gottheit sühnen wollten, immer von neuem zu dem grausamen Brauch der
Vorzeit zurück, worauf die Opfer
Abrahams,
Jephthas,
Agamemnons u. a. hindeuten. Am längsten hielten sich dieselben im
Sonnendienst der semitischen
Völker (Assyrer, Phöniker,
Moabiter, Kanaaniter etc.), die ihrem
Baal oder
Moloch
Kinder und
Jünglinge,
insbesondere die
Erstgeburt, darbrachten.
Witwenopfer
fanden in
Indien bekanntlich bis in die neueste Zeit statt. Mit der steigenden
Kultur und dem zunehmenden
Reichtum
der
Völker nahmen auch die Opfer
an Zahl und Kostbarkeit zu. So schlachteten Griechen und
Römer oft
Tausende
von Opfer
tieren (vgl.
Hekatombe), die überdies ganz untadelhaft sein mußten. Eine eigentümliche Art der Opfer
bildeten die
Weihgeschenke und die Keuschheitsopfer.
Jene bestanden in
Waffen,
[* 8] in einem Teil der Kriegsbeute, in Kleidern, in
Werkzeugen;
Jünglinge und
Jungfrauen gaben ihre
Haare,
[* 9] Dichter und
Philosophen die Werke ihres
Geistes etc. Die Keuschheitsopfer
bestanden darin, daß das weibliche
Geschlecht, besonders
Jungfrauen, seine
Keuschheit preisgab in dem
Glauben, eine der
Gottheit
wohlgefällige
Handlung zu verrichten. Dies geschah in
Babylon im
Dienste
[* 10] der
Mylitta, in
Persien
[* 11] in dem der
Anaitis, auf
Cypern
[* 12] in dem
Tempel
[* 13] der
Venus, in
Phönikien im
Dienste der
Astarte. Als Opferplätze dienten die
Tempel und zwar
in der
Regel bestimmte Abteilungen derselben, ferner besondere
Altäre,
Bäume,
Haine, bestimmte
Steine (Opfer- oder
Altarsteine),
Schluchten etc., je nach Herkommen und
Gebrauch eines
Volkes.
Hinsichtlich der einzelnen Völker ist folgendes hervorzuheben: Moses bestimmte in seinem Opfergesetz für das israelitische Volk reine, makellose Haustiere (Stiere, Widder, Ziegenböcke, Turteltauben etc.) und Früchte als Sinnbilder der Hingebung und Buße seines Volkes vor Jehovah. Das mosaische Gesetz hatte als Opferstätte allein den Tempelvorhof bestimmt; doch wurde vielfach auch auf Höhen geopfert, und im Reich Israel kannte man gar keine gesetzliche Opferstätte.
Die Kosten mußte der Privatmann bestreiten, für die öffentlichen Opfer aber sorgte entweder der König oder der Tempelschatz. Brandopfer fanden als Morgen- und Abendopfer beim täglichen Gottesdienst statt, außerdem bei den großen Nationalfesten, aber auch bei wichtigen Ereignissen des privaten Lebens. Mit ihnen regelmäßig verbunden waren Speise- und Trankopfer, aus Ölkuchen und Wein bestehend. Im übrigen waren die der Israeliten rücksichtlich ihres Sinnes und Zweckes teils Dank- und Freudenopfer, bestehend in Rind- und Kleinvieh, wovon die Fettstücke verbrannt wurden, Brust- und Schulterstücke den Priestern gehörten; teils gingen sie aus frommer, freiwilliger Entschließung oder aus einem Gelübde hervor und waren dann gewöhnlich mit Opfermahlzeiten verbunden, oder sie waren Sühn- und Schuldopfer, zu denen nur ¶
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Tiere verwendet wurden, und die in größere (mit mehr öffentlichen Charakter) und kleinere zerfielen. Am wichtigsten war das Sühnopfer für das Volk, das jährlich am großen Versöhnungstag (s. d.) stattfand (vgl. Asasel). Die Priester pflegten die Darbringenden, zum Zeichen ihrer Versöhnung mit Jehovah, mit dem Blute der geschlachteten Tiere (als dem Sitz des Lebens, das Gott gehörte) zu besprengen und, wenn es einer allgemeinen Buße und Entsündigung des ganzen Volkes galt, das Opfertier zu verbrennen, dagegen bei Sühnopfern für Einzelne das Fleisch selbst zu genießen.
Vgl. Kurtz, Das mosaische Opfer (Mitau [* 15] 1842). -
Die der alten Inder waren teils Speiseopfer (Ischti) oder Tieropfer (Paçu), teils Trankopfer (Sôma). Zu den bedeutendsten Opfern der ältern Zeit gehörten das mehrtägige Königsweihopfer (Râdschasûna) und das berühmte Roßopfer (Açvamêdha), das außer dem Roß 609 Tieropfer erforderte (darunter 260 Waldtiere) und ungeheuern Aufwand verursachte. Im Verlauf der Zeit kamen die Tieropfer mehr und mehr ab; Opferkuchen von Reis und Gerste [* 16] traten an ihre Stelle.
Der Opferdienst selbst war mit einem weitläufigen Zeremoniell verknüpft, das auf das genaueste befolgt werden mußte, wenn das Opfer Erfolg haben sollte. Im übrigen betrachtet man das Opfer gewissermaßen als einen Vertrag des Menschen mit den Göttern, der gegenseitig verbindliche Kraft [* 17] hatte, und die Erfüllung der Bitte war bei richtig vollzogenem Opfer nicht eine Gnade von seiten der Götter, sondern eine vertragsmäßige Pflicht; ein Dank- oder Sühnopfer, wie die Hebräer, kannten die Inder nicht.
Vgl. Schwab, Das altindische Tieropfer (Erlang. 1886). -
Die der Ägypter waren dagegen sämtlich zugleich Sühnopfer. Menschen (besonders Fremdlinge), reine, untadelige Stiere, Kälber wurden geschlachtet, der Leib des Opfertiers mit Brot, Honig und Räucherwerk angefüllt und unter Begießung von Öl verbrannt. Auch Schweine, [* 18] Ziegen, Schafe [* 19] sowie Weizen- und Gerstenähren wurden geweiht. Glänzend war besonders der Opferdienst der Göttin von Sais (Neith). - Die Griechen brachten vorzugsweise Speiseopfer; Brandopfer waren auch in späterer Zeit wenig üblich.
In der Homerischen Zeit erhielten vor jeder Mahlzeit die Götter ihren Anteil; bei feierlichen Gelegenheiten aber fanden öffentliche Opfer statt, unter denen das erste jedesmal der Hestia [* 20] dargebracht wurde, wie die Inder zuerst dem Agni opferten. Ehe man das Tier schlachtete, schnitt man ihm die Stirnhaare ab, warf sie als Erstlinge ins Feuer und bestreute dann das Tier mit Gerstenschrot. Mit dem Blut besprengte man den Altar. [* 21] Hierauf verbrannte man die Knochen und fleischigen Teile des Schenkels, wobei Wohlgerüche und Wein zugegossen und während des Opfers Leber, Herz und Lunge [* 22] geröstet und verzehrt wurden.
Zuletzt wurde die Zunge des Tiers mit einer Libation verbrannt. Mit den Opfern, die man vor wichtigen Unternehmungen vollbrachte, war in der Regel Weissagung durch Eingeweideschau verbunden. Die Libationen waren bei den Griechen ursprünglich nur den Manen gewidmete Trankopfer, meist mit Mahlzeiten verknüpft (vgl. Bernhardi, Das Trankopfer bei Homer, Leipz. 1885); die unblutigen Opfer bestanden in Darbringung der Erstlinge der Früchte, von Kränzen, Gebackenem etc. -
Ähnlich denen der Griechen waren die der Römer. Den Göttern opferte man männliche, den Göttinnen weibliche, den himmlischen Gottheiten weiße, den unterirdischen schwarze Tiere, wie auch alle Handlungen bei jenen Opfern denen bei diesen entgegengesetzt waren. Bei dem Beginn des Opfers ward Stillschweigen geboten (s. Omen) und Wein, Weihrauch, Dinkelmehl mit Salz (mola salsa) zwischen die Hörner des Tiers gestreut. Die Götter erhielten Teile der innern edlen Eingeweide, [* 23] Stückchen von der Hüfte, vom Schwanz und vom Euter, die, mit Weihrauch, Wein und Salz vermischt, verbrannt wurden.
Eigentümlich den Römern waren die Göttermahlzeiten (Lektisternien), die nach einem Sieg in der Weise veranstaltet wurden, daß die Altäre mit Speisen besetzt und die Bildnisse der Götter um den Altar herumgelegt wurden; ferner die Suovetaurilia, welche darin bestanden, daß am Ende eines jeden fünften Jahrs nach vollendeten Zensus ein Schwein, [* 24] ein Schaf [* 25] und ein Stier (sus-ovis-taurus) um die Volksversammlung geführt und dann geopfert wurden. Menschenopfer kamen in den ersten Zeiten der Republik jährlich vor; später wurden sie zwar vom Senat verboten, allein noch zu Cäsars Zeiten geübt, wie denn z. B. Oktavian 300 Ritter und Senatoren auf dem Altar des Julius Cäsar töten und Sextus Pompejus Menschen in das Meer werfen ließ, um sie dem Neptun zu opfern. - Auch die germanischen Völker opferten sowohl Menschen als Tiere.
Die Menschenopfer galten dem Wodan und Ziu, im Norden [* 26] dem Thor; ihnen legte man eine große sühnende Kraft bei. Nicht nur wurden nach errungenen Siegen [* 27] die gefangenen Feinde zum Wohlgefallen der Götter an den Bäumen aufgehängt, auch die eignen Leute opferte man, wenn man die Götter erzürnt glaubte. Eigentümlich war der schwedische Brauch, bei eintretender Hungersnot den König zu opfern, als das Köstlichste, was man den Göttern darbringen konnte. Ganz besonders aber stand das Menschenopfer im Dienste der Rechtspflege;
auch von Kinderopfern sind in den alten Sagen noch Spuren vorhanden. Zu Tieropfern durften nur reine Geschöpfe gewählt werden, deren Fleisch den Menschen genießbar, d. h. zu essen erlaubt, war. Zu diesen zählten in erster Linie das Roß, das als heiliges Tier verehrt wurde;
sodann das Rind, [* 28] der Eber und das Ferkel;
auch Widder und Böcke sowie Hunde [* 29] und Geflügel, welch letztere namentlich als Opfer für die Erntegottheiten dargebracht wurden (vgl. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau etc., Bresl. 1884).
Die unblutigen Opfer bestanden in Festkuchen und Festbroten, in Bier, Eiern, Milch, Honig etc. Die unblutigen Opfer durfte der Opfernde selbst darbringen, die blutigen dagegen wurden von den Priestern vollzogen und zwar meist bei Anlaß großer Festlichkeiten im Beisein der gesamten Gaubewohnerschaft. Die Schweden [* 30] veranstalteten jährlich drei große Opfer, um die Zeit der Herbstnachtgleiche, in der Mitte des Winters und zum Empfang des Sommers; außerdem beging man alle neun Jahre in Upsala [* 31] ein großes Sühnfest, wobei neun Häupter von jeder Tiergattung dargebracht wurden, und ein andres Opferfest, ebenfalls alle neun Jahre zur Sühne, feierten die Dänen den Todesgöttern, indem sie in Lethra auf Seeland 99 Menschen sowie Pferde, [* 32] Hunde und Hähne oder Habichte, jedes in gleicher Anzahl, schlachteten. Außerordentliche Opfer gab es vorzüglich bei kriegerischen Unternehmungen, bei Königswahlen und Leichenbestattungen. Der Gebrauch, Kriegsgefangene zu opfern, dauerte sogar noch unter den zum Christentum bekehrten Völkern, z. B. den Goten, Herulern, Langobarden, Sachsen, [* 33] fort. - Bei den Galliern (Kelten) besorgten die Druiden den Opferdienst, und zwar hielt man Menschen für die den Göttern angenehmste Opfer Götzenbilder, deren Glieder [* 34] aus Weiden geflochten waren, ¶
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wurden mit Menschen angefüllt und verbrannt. Man schlachtete Verbrecher, in deren Ermangelung aber auch Knechte, Kriegsgefangene, selbst Weiber und Kinder. Mit den Gestorbenen ward als Totenopfer alles verbrannt, was ihnen teuer war, auch die Sklaven und Schutzgenossen. Im allgemeinen fast dieselben Gebräuche fanden sich bei den Finnen, Esthen, Liven, Preußen, [* 36] Letten, Slawen, wenn auch nach Örtlichkeit, Glauben etc. verschieden. - Bei den Negern, Indianern, den Völkern der Südsee waren und sind Menschenopfer sehr häufig; die Mexikaner opferten oft an einem Tag an 20,000 Menschen, und ähnliche Menschenschlächtereien dauern z. B. in Dahomé noch heute fort.
Die bereits von den Propheten des Alten Testaments erkannte Wahrheit, daß der Mensch der Gottheit nichts anbieten könne, was nicht an und für sich schon ihr Eigentum und ihre Gabe sei, machte das Christentum dadurch geltend, daß es den jüdischen und heidnischen Opferdienst gänzlich beseitigte und den Tod Jesu als die ein für allemal und immer gültige Genugthuung für die Sünden der Menschen und als die letzte Erfüllung der alten Opferidee darstellte. Es ist dies übrigens eine Vorstellung, die auch dem Heidentum nicht völlig fremd geblieben war und sich in dem Somadienst der Inder, dem Mithrasdienst der Perser sowie in dem Osiris-, Dionysos- und Balderkultus ausprägte. Um diese Selbstopferungsidee symbolisch festzustellen, feierte man Liebesmahle und führte das Meßopfer ein, welches von der Kirche noch jetzt das unblutige Opfer genannt wird, weil nach dem katholischen Lehrbegriff der Meßpriester durch Weihung des Brotes und Weins den Leib und das Blut Christi im Sinn der jüdischen Sühnopfer gleichsam aufs neue opfert. Ferner sind die Oblationen der Christen, das Räuchern in den katholischen Kirchen, die Vermächtnisse an Kirchen, Klöster, Wallfahrtsorte überhaupt fromme Gaben für den religiösen Dienst (Opferpfennige, Kerzen, Votivbilder) Nachklänge und Übergänge aus den heidnischen Opfern.