Oper
(ital. opera
,
sc. in musica, »Musikwerk«),
ein etwa seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. für die ursprüngliche Bezeichnung Dramma per musica gebräuchliches Wort, bezeichnet ein dramatische Gedicht, welches erst durch den musikalischen Ausdruck seine volle Wirkung von der Bühne herab zu erreichen strebt. Da außer der Mimik [* 2] auch noch die Tanzkunst und (zur Ausschmückung der Bühne) Architektur und Malerei mitwirken, so ist sie ihrer innern Anlage nach ¶
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ein Kunstwerk, zu dessen Vollendung fast alle schönen Künste sich vereinigen. Die dominierende Kunst bleibt hierbei natürlich die Tonkunst: erstens, weil bei einer Vereinigung von Musik und Poesie erstere selbst bei aufopfernder Hingabe an das Gedicht hinsichtlich der ersten unmittelbaren, sinnlichen Einwirkung stets das Vorwiegende sein wird, indem durch die Musik nicht allein das Wort, sondern weit mehr noch der grammatikalische und logische Gedankenzusammenhang an Präzision und Klarheit der äußern Darstellung verliert, je mehr die Tonkunst ihr eigenstes Wesen zu gunsten des Gefühlsausdrucks geltend macht; zweitens, weil auch der poetische Rhythmus als solcher im musikalischen unterzugehen hat, um in letzterm potenziert wieder zu erstehen, wofern er nicht bloß ein äußerliches konventionelles, metrisches Schema war; endlich drittens, weil der Künstler, welcher die Künste verbinden will (hier also der Tonsetzer), aus kunsttechnischen Gründen sich den Endzweck einer einzigen Kunst zum Hauptziel setzen und diesem sodann die übrigen Künste dergestalt dienstbar machen muß, daß letztere mehr oder weniger nur Mittel zur Erreichung jenes Ziels werden.
Folgerichtig wird daher die Dichtkunst, um sich mit der Tonkunst zu gemeinsamer Wirkung vollständig verbinden zu können, vorzüglich jene Eigenschaften entfalten müssen, welche sie mit der Musik gemein hat. In der äußern Erscheinung ist dies die vokalische Volltönigkeit und der aus dem jedesmaligen Stimmungscharakter sich natürlich ergebende rhythmische Fluß der Sprache, [* 4] aus dem innern Wesen der Poesie hingegen vornehmlich das Gefühl, wodurch die Dichtkunst das Gebiet der Musik als des unmittelbarsten Ausdrucks der Empfindung zunächst berührt.
Das für musikalische Behandlung zumeist geeignete Gedicht wird demnach vorwiegend lyrisch sein müssen.
Damit sich aber das lyrische Element in der dramatischen Poesie geltend machen könne, hat der Dichter des Oper
nbuchs (des
Librettos) vor allem auf eine mehr skizzenhafte, in allgemeinen kräftigen Umrissen gehaltene Bearbeitung zu sehen und - im
Gegensatz zum recitierenden Drama mit vorwaltender Gedankendialektik, für welche der Tonkunst die Ausdrucksmittel
fehlen - hier (im Musikdrama) vorzugsweise die Gefühlsdialektik Platz greifen zu lassen.
Daß bei Abfassung eines Operntextes auch die allgemeinen Regeln der Dramaturgik zu beobachten sind, versteht sich von selbst. Das Gedicht entwickele sich nach wohlüberlegtem Plan auf Grund der drei Hauptteile: Situation, Kollision, Katastrophe in klarer, proportionierter Disposition und in strenger Einheit. Ist schon dem recitierenden Drama gegenüber der Zuhörer schließlich nicht mehr im stande, dem Werk seine vollkommene Aufmerksamkeit zu widmen, wenn es sich in allzu breite Dimensionen verliert, um wieviel mehr muß dies erst beim Musikdrama der Fall sein, welches ohnedies den Text schon in ungewöhnliche Breite [* 5] zieht und außerdem die Sinne noch zu ungleich größerer Spannung anregt.
Eine je tiefere, reichere Menschlichkeit uns aus den Charakteren eines Bühnenkunstwerks entgegenklingt, eine desto längere Dauer wird ein solches in den Gemütern der Zuhörer haben, desto länger wird es sich auf den Repertoires erhalten. Eine weitere Rücksicht hat der Dichter auf die mitwirkenden Nebenkünste (den Tanz, die Kostüm-, Maschinen- und Dekorationskünste) zu nehmen; er darf sie alle für seine Zwecke in Bewegung setzen, muß jedoch jeder einzelnen die ihr gebührende Rolle zuerteilen und ihre Inanspruchnahme gehörig geistig motivieren, soll deren Hinzutritt nicht zum leeren Schaugepränge führen, das veraltet, sobald es aufhört, den Sinnen etwas Neues, etwas Überraschendes zu sein.
Die Oper
liebt es, ihre Stoffe, anstatt aus dem realen Leben, aus den Gebieten des Wunderbaren (Mythus, Märchen, Sage) zu entnehmen,
und dies ist wohl ihre eigentliche Domäne, denn kein andres Kunstgenre vermag uns auf so anmutende und zugleich
vollständige Weise in das bunte Reich der Phantasie einzuführen wie die Oper.
Jenen aber, die das Wunderbare überhaupt aus der
Kunst verbannt wissen wollen, weil sie entweder trostlosem Realismus huldigen, oder auf einem nüchternen Aufklärungsstandpunkt
stehen, mögen folgende Worte H. Chr.
Örsteds genügen: »Es ist nicht der Glaube an das Dasein der übernatürlichen Wesen in der Wirklichkeit des Alltagslebens, welcher sie poetisch macht, sondern, soweit sie es sind, haben sie ihren dichterischen Wert und ihre Bedeutung dadurch, daß eine von der Vernunft durchdrungene Einbildungskraft sie gebraucht hat, um schöne Bilder des höhern Daseins vor unsere innere Anschauung zu stellen. Es ist dem Dichter genug, daß diese Wesen Wirklichkeit für unsere Einbildung haben, während wir sein Werk auffassen oder in unserm Innern wiederholen. Die Forderung einer andern Wirklichkeit ist lächerlich.«
Nach altem, von den Italienern überkommenem Brauch teilt man die Oper
in die große oder ernsthafte Oper (opera
seria) und in die komische oder scherzhafte Oper
(opera buffa); die erstere ist dem Epos und der Tragödie
verwandt, letztere nähert sich dem komischen Epos und dem Lustspiel. Eine strenge Scheidung übrigens in die Extreme des Tragischen
und Komischen ist, gleichwie im modernen Drama überhaupt, so auch hier nicht durchzuführen. Man nahm deshalb
schon im vorigen Jahrhundert den mezzo stilo auf.
Ihm sind vor allem die Opera semiseria der Italiener und zum großen Teil die Opéra comique der Franzosen beizuzählen, da dieser
Name, ganz abgesehen von dem Inhalt des Gedichts, in Frankreich überhaupt jeder Oper
mit gesprochenem Dialog beigelegt wird. Bezeichnungen
endlich, wie heroische, romantische, Konversations-, Spieloper sowie deren Unterart, die Zauberoper
, können
eine wesentliche Berechtigung als Gattungsbegriffe nicht beanspruchen, da sie im besten Fall nur die Sphäre genauer bestimmen,
innerhalb welcher sich der Inhalt einer Oper
bewegt.
Unter der gleichfalls noch hierher gehörigen Operette (Singspiel) ist das Lustspiel zu verstehen, welches teilweise
Gesang aufnimmt und zwar meist da, wo der Dichter lyrische Ruhepunkte herbeiführt. Natürlich kann hier die gegenseitig
Durchdringung von Poesie und Musik keine innige sein, da ihr Verein teils ein mehr zufälliger sein wird, hauptsächlich aber
von den Launen des Dichters abhängt. Erscheint hierbei das Niedrigkomische im Gewand des Alltagslebens,
so verwandelt sich die Operette in die Posse mit Gesang, und gesellt sich dieser das Wunderbare in einer Weise zu, daß es bei
Ausführung eines solchen relativen Kunstwerkes hauptsächlich auf den Scharfsinn des Maschinisten ankommt, so entsteht hieraus
die Zauberposse. Ein gleichfalls mit der Operette verwandtes Genre ist das Vaudeville (s. d.) der Franzosen
und das Liederspiel, das mit letzterm und mit der englischen Balladen oper
(ballad opera) in nächster Verwandtschaft steht.
Die musikalischen Bestandteile einer Oper sind außer den reinen Instrumentalsätzen (dahin gehören Ouvertüre oder Introduktion und die sonstigen durch die Handlung bedingten Orchesternummern, wie ¶
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z. B. Märsche, Tanzstücke u. dgl.) das Recitativ, das Arioso, die Cavatine, die Arie und das Ensemble vom Duett, Terzett, Quartett etc. bis hinauf zum Finale mit Chören, ebenso die durch die französischen Opern eingeführten Chansons, Romanzen, Balladen. Hinsichtlich der Gesetze und der sonstigen ästhetischen und praktischen Rücksichten, welche der Musiker bei jeder einzelnen der eben aufgeführten Formen zu beobachten hat, verweisen wir auf die betreffenden Einzelartikel, indem wir uns hier auf einige mehr allgemeine Andeutungen beschränken.
Der an jedes Kunstwerk vor allem zu stellenden Anforderung bezüglich strenger Stileinheit hat auch der Opernkomponist Genüge zu leisten. Ein für das Ganze festzuhaltendes Grundgefühl hat durch alle Mannigfaltigkeit der Situationen durchzuklingen und die einzelnen musikalischen Bilder zu einigen. Von der Ouvertüre an muß sich dem Hörer ein Gesamtresultat ergeben, und wie im Gemälde Eine Grundfarbe, so herrsche hier Ein Grundton vor, der übrigens bei einzelnen Meistern in solcher Weise ausgeprägt ist, daß man sogar von einem Lokalton reden kann.
Wir erinnern nur an den verschiedenen Stimmungston in K. M. v. Webers »Freischütz« und »Oberon«, desgleichen in Mozarts »Zauberflöte« und »Don Juan«, trotzdem diese Opern das Gemeinschaftliche haben, daß in ihnen allen das mystische Element eine Rolle spielt. Daß aber dieser Einheit zuliebe keineswegs bis zum Aufgeben der notwendigen Gegensätze gegangen oder etwa die Wahrheit des Ausdrucks und scharfe Charakteristik geopfert werden darf, braucht wohl nicht näher erörtert zu werden, denn nächst der eben bezeichneten Kardinaltugend eines jeden Kunstwerkes sind besonders für das dramatische Kunstwerk wahrer, gediegener Ausdruck und ideale Belebung des Charakteristik schon zwei der wichtigsten Eigenschaften.
Geschichte der Oper.
Die Kunstform der Oper oder, wie man seit Wagner lieber sagt, des musikalischen Dramas ist alt, stand bei den Griechen in hoher Blüte [* 7] und ist vielleicht noch viel älter als die Blüte Griechenlands. Die Tragödien eines Äschylos, Sophokles, Euripides wurden musikalisch recitiert, die Chöre waren unisone Gesänge; leider fehlt uns jeder Anhalt, [* 8] um uns von dem musikalischen Aufbau dieser Werke einen Begriff zu machen, da nicht eine Zeile der Musik derselben erhalten ist. Da dramatische Aufführungen durch das ganze Mittelalter nichts Seltenes sind, so ist es nicht wunderbar, wenn wir zu verschiedenen Zeiten auch die Musik dabei mitwirkend finden, so in den Mysterien, die in der Gestalt der Passionsspiele bis ins 8. Jahrh. zurückreicht; die Marienschauspiele kamen wohl im 12. Jahrh. auf.
Die dabei verwendete Musik war in der Hauptsache Gesang und zwar den Antiphonarien entnommener Kirchengesang; doch wurde auch Instrumentalmusik eingeschoben, wo die Handlung dazu Veranlassung gab. Eine weitergehende musikalische Ausgestaltung erfuhr das sogen. Schäferspiel (Pastorale), das besonders im 16. Jahrh. zu großer Beliebtheit gelangte (allegorisierende Darstellungen antiker Süjets zu fürstlichen Vermählungen und andern Hoffesten). Dieselben unterschieden sich von den ersten wirklichen Opern nur dadurch, daß sie im Madrigalienstil gesetzt waren und Rede und Gegenrede durch einzelne Personen von einem hinter der Bühne aufgestellten Chor abgesungen wurden.
Als einer der ältesten Komponisten solcher Pastorales ist Alfonso della Viola bekannt, der für den Hof [* 9] zu Ferrara [* 10] schrieb (»Orbeche«, 1541; »Il sacrificio«, 1554; »Aretusa«, 1563; »Lo sfortunato«, 1557). Das allegorische Ballett war für ähnliche Zwecke bereits im 15. Jahrh. beliebt. Das wirkliche musikalische Drama, dessen Wesenskern begleitete Einzelgesang (Monodie) ist, wurde auf rein theoretischem Wege konstruiert von einem Kreis [* 11] gelehrter und fein gebildeter Männer, welche die hohe Kunstblüte des klassischen Altertums neu zu beleben gedachten.
Die Wiege der Oper waren die Salons des Grafen Bardi zu Florenz. [* 12] Eine Reaktion gegen die das Verständnis des Textes zuletzt völlig erstickende kontrapunktische Kunst der Niederländer war unausbleiblich und zeigte sich bereits in verschiedenartige Symptomen. Schon Josquin, mehr aber Orlando Lasso und Palestrina wenden sich einem schlüchtern Satz wieder zu, und nicht nur in Rom, [* 13] sondern auch in Venedig [* 14] ging ein Abklärungsprozeß vor sich, welcher versprach, auch ohne eine gewaltsame Revolution die Kunst in neue Bahnen zu lenken (Giovanni Gabrieli).
Daß diese letztere dennoch erfolgte, war weniger eine Naturnotwendigkeit als das Resultat philosophischen Räsonnements. Graf Giovanni Bardi da Vernio, Vincenzo Galilei (der Vater Galileo Galileis), Pietro Strozzi, Girolomo Mai, Giambattista Doni, Ottavio Rinuccini, Jacopo Corsi u. a. waren die Männer, welche zwei talentvolle Musiker, Giulio Caccini und Jacopo Peri, dahin brachten, den Kampf mit dem Kontrapunkt aufzunehmen und eine neue Art Musik zu schaffen, die eine Wiederbelebung der antiken sein sollte, von der man damals noch weniger wußte als heute.
Graf Bardi und Vincenzo Galilei gingen ihnen sogar mit dem ersten Beispiel voran. Die »neue Musik«, welche sie fanden, war der begleitete einstimmige Gesang, die Monodie. Den Anfang machten Sonette und Kanzonen, bald folgten kleine dramatische Szenen (Intermezzi),
und 1594 wurde im Haus Jacopo Corsis zum erstenmal eine wirkliche kleine Oper, »Dafne«, gedichtet von Rinuccini, komponiert von Peri und Caccini, ausgeführt unter unendlichem Jubel, daß nun der dramatische Stil der Alten wiedergefunden sei. Der Quell der neuen Musik floß zunächst spärlich genug, denn erst 1600 hören wir wieder von neuen Musikdramen, Peris »Euridice« und Caccinis »Rapimento di Cefalo«. Als aber Caccini 1602 einen Band [* 15] monodischer Kompositionen in die Welt schickte, die berühmten »Nuove musiche«, fing es überall an zu gären; es dauerte nicht lange, so hatte der monodische Stil auch seinen Vertreter in Rom (Kapsberger), wo übrigens ungefähr gleichzeitig mit den Florentinern Ludovico Viadana den begleiteten Sologesang für die Kirche gefunden (seine Kirchenkonzerte erschienen 1602) und Cavalieri die Kunstform des Oratoriums (s. d.) inauguriert hatte. Da Cavalieri 1600 bereits tot war, so ist sogar der Gedanke naheliegend, daß er der erste Komponist im neuen Stil war.
Die Anfänge der Florentiner [* 16] waren, entsprechend ihrem abstrakten Ursprung, dürr und dürftig. Caccini rühmt sich sogar in der Vorrede seiner »Nuove musiche« einer »edlen Verachtung des Gesanges« (»nobile sprezzatura del canto«),
deren er sich befleißigte, d. h. der Stilo rappresentativo, wie man ihn nannte, mied zunächst geflissentlich eigentliche Melodiebildung, er wollte oder sollte nur natürliche musikalische Deklamation des Textes sein. Diese Reaktion zu gunsten der Dichtung und im Gegensatz zum rein Musikalischen begegnet uns (mutatis mutandis) bei Gluck und Wagner wieder, welche sich beide in ähnlicher Weise dem Überwuchern des rein Musikalischen über das poetische Interesse entgegenstellten. Die von ganz andern Gesichtspunkten ausgehenden Kirchenkomponisten ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Oper
(ital. opĕra), die Hauptgattung der Bühnen- oder Theatermusik. Der Name entstand in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. in Italien; [* 17] nach neuern Untersuchungen hat ihn wahrscheinlich der Venetianer Fr. Cavalli zuerst (1639) für seine Werke (opera) gebraucht. Vorher und auch später noch nannten die Italiener die Oper vorwiegend dramma in musica oder dramma per musica, Musikdrama, eine Bezeichnung, die bis heute die vornehmere und die Sache selbst treffende geblieben ist.
Die Aufgabe der Oper ist, eine dramat. Handlung durch Hilfe der Musik zu veranschaulichen und dadurch den Gefühls- wie den Phantasieinhalt des Ganzen wie der einzelnen Scenen zu gesteigerter und vertiefter Wirkung zu bringen. Aus der Natur der Musik ergiebt sich, daß sich nicht jedes Drama zur Oper eignet. Die zu Grunde liegende Arbeit des Dichters (das Textbuch, Libretto) hält sich am besten bescheiden im Hintergrund und erwartet Glanz und Licht [* 18] von der Musik und von der Scene.
Der Textdichter kann seine Meisterschaft aber in der Lösung folgender drei Aufgaben zeigen: in der Wahl des Gegenstandes, in dessen Entwicklung zu einer psychologisch richtigen, in wirkungsvollen, kontrastierenden Scenen sich fortbewegenden Handlung und in der Ausbildung einer musikalischen oder bequem komponierbaren Sprache. Starke, allgemeine, sinnlich anschauliche Gegensätze der Motive und Charaktere werden vorzugsweise einer wirksamen musikalischen Behandlung fähig sein. Das musikalische Drama kann nicht, wie das ¶
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rein poetische, Charaktere und Handlung dialektisch entwickeln und verstandesmäßig zurechtlegen, aber es kann sie mit einer unmittelbarem Naturkraft der Empfindung zur Anschauung bringen. Darum werden in der Oper die Charaktere und Situationen weniger allmählich und in stetiger logischer Vermittelung vor unserm Auge [* 20] aufwachsen wie im Drama, sondern mehr als gegebene gegeneinandergestellt, dabei aber um so breiter und tiefer in ihren Kontrasten ausgemalt. Die Oper giebt eine Reihe dramat. Bilder, deren innerer Zusammenhang selbstverständlich sein muß, weil er musikalisch nicht im einzelnen entwickelt werden kann.
Das schablonenhafte Ansehen, welches die äußere Anlage der Oper dadurch erhält, wird noch erhöht durch die typische Gleichartigkeit der musikalischen Charaktere, die sich in höchstens sechs Stimmlagen (Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Bariton, Baß) bewegen müssen, und zwar so, daß durch den jeweiligen Charakter der Stimme der Charakter der Person beherrscht wird. Die Hauptpersonen der Oper sind daher in ihren allgemeinen Zügen mit Recht stereotyp geworden.
Die Oper als ein Kunstwerk, an dem mehrere Künste mitarbeiten müssen, wenn es zu stande kommen soll, ist, wie alle komponierten Werke, der Gefahr ausgesetzt, einzelne Teile auf Kosten der übrigen zu bevorzugen und dadurch das Ganze zu gefährden. Weil der Sologesang nirgends in solcher Unmittelbarkeit und Stärke [* 21] wirkt als von der Bühne aus, liegt für die Oper der Abweg nahe, in der Entfaltung virtuoser Gesangskünste fast ihre einzige Aufgabe zu suchen. Dies war der Mangel der im übrigen wahrhaft großen italienischen Oper im 18. Jahrh. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrh.; sie wurde dadurch fast ein Konzert im Kostüm. [* 22]
Die deutschen Oper des 19. Jahrh. dagegen, ja fast sämtliche Oper der Gegenwart, leiden an einer zu starken Instrumentation auf Kosten des Gesangs, eine Folge verkehrter Anwendung des Beethovenschen Instrumentalorchesters auf die Gesangskomposition. Eine Übertreibung anderer Art, die aber gern mit lärmenden Instrumenten Hand [* 23] in Hand geht, liegt nahe bei der Verwendung der Dekorationen, Maschinen und Verwandlungen. Schon gegen Ende des 17. Jahrh. war die Oper auf diesem Abwege, den sie seit Meyerbeer abermals in bedenklichstem Maße betreten hat.
Eine vierte Verirrung entsteht, wenn die Oper auf das Gebiet des recitierenden Dramas übergreift und sich nicht begnügt, ein musikalisches Drama zu sein, sondern die Stellung eines Centraldramas einzunehmen strebt. Diese Ausschreitung ist von all den genannten anscheinend die berechtigtste, die legitimste, da aus einem Bestreben dieser Art die Oper in der Renaissancezeit hervorging; aber sie ist zugleich die gefährlichste, da sie leicht dahin umschlägt oder bereits umgeschlagen ist, das Musikdrama an die Stelle des Dramas überhaupt zu setzen.
Die ganze Geschichte der Oper bewegt sich um das Einhalten oder Erreichen des richtigen Verhältnisses zwischen den dramat. und musikalischen Elementen. Zeiten, in denen die Dichter ihre Stoffe ohne Rücksicht auf die Natur der Musik wählten und ausführten, waren Perioden des Verfalls (die Altvenetianische Oper, die Meyerbeersche), ebenso die, in denen die Musik sich auf Kosten der Handlung vordrängte (die Periode der Neapolitaner von A. Scarlatti bis Hasse). Die an beiden Endpunkten notwendig hervorgerufene Reaktion wird durch die Namen Gluck (s. d.) und Wagner (s. d.) vertreten. ^[]
Nach Art der Handlung und nach den verwendeten musikalischen Formen unterschied man von jeher mehrere Klassen von Oper. Am geläufigsten ist heute die Einteilung in große Oper (opera seria bei den Italienern, tragédie lyrique bei den Franzosen) und komische oder Spieloper (ital. opera buffa; frz. opéra comique). In beiden Gattungen wird bei den Italienern die ganze Dichtung durchkomponiert. Bei den Franzosen und den Deutschen wird in der zweiten auch gesprochener Dialog verwendet.
Das erklärt sich daraus, daß bei ihnen die komische oder Spieloper aus dem einfachen Lieder- oder Singspiel (das bei den Franzosen bis Adam de la Hale zurückgeht) hervorwuchs. Als Ausnahmen haben beide Völker auch einzelne ernste Oper aufzuweisen, die in dieser Mischform gehalten sind: Cherubinis «Medea», Mozarts «Zauberflöte», Beethovens «Fidelio», Webers «Freischütz». Im Anfang des 18. Jahrh. nannte man in Deutschland [* 24] alle Oper auch die ital. Singspiele (s. d.);
erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. wurde letzterer Name auf die Halbopern mit gesprochenem Dialog (im Französischen: Vaudevilles; im Englischen: Ballad-opera,) beschränkt.
Gegenwärtig ist für diese Gattung der Titel Operette allgemein gebräuchlich. Als besondere Art der Oper unterscheidet man wohl auch die in neuester Zeit besonders von Humperdinck und Goldmark kultivierte Märchenoper (vgl. L. Schmidt, Zur Geschichte der Märchenoper, 2. Aufl., Halle [* 25] 1896).
Die Oper entstand um 1590 in Florenz im Kreise [* 26] der dortigen Platonischen Akademie aus dem Bestreben, die Weise der altgriech. Tragödie wieder aufzufinden und ihre Wirkung zu erneuern. Zu diesem Zweck wählte man pathetische, ergreifende Gedichte und wandte auf sie den eben erst erfundenen einstimmigen Gesang mit Begleitung (Monodie) an, der in der Folge durch das Musikdrama zur höchsten Ausbildung gelangte. Mit der Zeit verdrängte er sogar die in der ersten Periode noch mit großer Wirkung verwendeten Chorsätze vollständig.
Das erstere größere Werk war «Dafne», 1597 aufgeführt, von Ottavio Rinuccini gedichtet und von Jacopo Peri komponiert. Das zweite und glänzendere Werk dieser Art war die auch in der Musik noch erhaltene «Euridice», von denselben Verfassern, 1600 bei der Vermählung Heinrichs Ⅳ. mit Maria von Medici zu Florenz mit großer Pracht dargestellt. Zu gleicher Zeit führte einer der florentin. Akademiker, Emilio del Cavalieri, in Rom das erste Oratorium in diesem neuen Stil auf. (S. Oratorium.) Durch das Hinzutreten eines so großen Komponisten wie Monteverdi, der Striggios «Orfeo» und Rinuccinis «Arianna» komponierte und 1607 und 1608 zu Mantua [* 27] aufführte, kam in diese Bestrebungen ein neuer Geist, der sich nach und nach das ganze Gebiet der Musik unterthan machte.
Sein bedeutendster Nachfolger war Francesco Cavalli. Rinuccinis «Dafne» verdeutschte Opitz, und Heinrich Schütz brachte sie 1627 in Musik. Doch faßte die Oper erst gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland Wurzel; [* 28] in Frankreich zur selben Zeit; gegen 1660 in England. Das erste öffentliche Operntheater entstand 1637 zu Venedig; das erste deutsche (von Schloßtheatern abgesehen) 1678 zu Hamburg. [* 29] In Frankreich erstand Lully, in England Purcell, in Deutschland (Hamburg) Keiser, in Italien Scarlatti, sämtlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. Von jenen vier Männern beherrschten Lully und Scarlatti die folgende Entwicklung. Die weitere Geschichte des ¶
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musikalischen Dramas ist schon oben in ihren Hauptrichtungen und Höhenpunkten angedeutet. –
Vgl. H. Kretzschmar, Die venetianische Oper (Lpz. 1891);
Oper Neitzel, Führer durch die Oper des Theaters der Gegenwart (Bd. 1, ebd. 1890‒94);
H. Bulthaupt, Dramaturgie der Oper (2 Bde., ebd. 1887);
H. Riemann, Opernhandbuch (ebd. 1887; Supplement 1893).
(S. auch Musik und die Specialartikel Deutsche, [* 31] Französische, Italienische Musik.)