Ollivier
(spr. -wjeh), Olivier Emile, franz. Staatsmann, Sohn des Demosthenes der, Chef eines bedeutenden Handelshauses in Marseille, [* 3] als eifriger Demokrat nach dem Staatsstreich vom um der Deportation zu entgehen, nach Florenz [* 4] flüchtete und erst 1860 nach Frankreich zurückkehrte, geb. zu Marseille, studierte die Rechte in Paris [* 5] und war eben Advokat daselbst geworden, als Ledru-Rollin ihn 1848 als Kommissar der Republik nach Marseille schickte.
Cavaignac ernannte ihn zum
Präfekten daselbst, dann in
Chaumont; doch kehrte Ollivier
im
Januar 1849 zur
Advokatur zurück und zeichnete
sich durch beredte
Führung mehrerer
Prozesse aus. Seit 1857 Mitglied des
Gesetzgebenden
Körpers, ward er der glänzendste und
beliebteste Redner der kleinen
Gruppe der fünf, aus denen die ganze
Opposition bestand. Doch machte der
Regierung keine systematische
Opposition, zeigte vielmehr 1864 als
Berichterstatter über das sogen. Koalitionsgesetz ein solches
Einverständnis mit den
Ideen der
Regierung, daß seine frühern politischen
Freunde sich von ihm trennten.
Auch billigte er die
Politik des
Kaisers in der italienischen wie in der deutschen
Frage und verteidigte
sogar die Einigung
Deutschlands.
[* 6] 1865 ernannte ihn der
Vizekönig von
Ägypten
[* 7] mit bedeutendem
Gehalt zu seinem juristischen
Beirat. Infolge davon legte Ollivier
die
Advokatur nieder. Als 1869 die
Neuwahlen herannahten, schrieb er über den liberalen
Brief
Napoleons III. vom eine
Broschüre (»Le
[* 8] 19 janvier«),
in welcher er die Möglichkeit eines konstitutionellen Kaiserreichs
auseinandersetzte, wurde im
Gesetzgebenden
Körper der
Stützpunkt einer neuen Regierungspartei von gemäßigt liberalem
Charakter
und bildete ein konstitutionelles
Ministerium, in
dem er das
Portefeuille der
Justiz und die oberste
Leitung, namentlich die Vertretung vor den
Kammern, erhielt. Ollivier
glaubte aufrichtig an die Ausführbarkeit der übernommenen
Aufgabe, die liberalen
Parteien mit dem Bonapartismus auszusöhnen und eine wirklich verfassungsmäßige, streng gesetzliche
Regierung zu errichten.
Aber seine pedantische Eitelkeit verblendete ihn völlig und raubte ihm die klare Einsicht in die wirklichen Verhältnisse, so daß er nicht merkte, daß er nur ein Werkzeug in der Hand [* 9] der bonapartistischen Hofclique war. Das Plebiszit, welches nur darauf berechnet war, den absoluten Imperialismus zurückzuführen, ließ er nicht nur zu, sondern betrieb dessen Annahme mit allen Mitteln des Bonapartismus, welche auf eine Fälschung der Volksmeinung berechnet waren, und feierte dieselbe als einen glänzenden Sieg.
Kompromittiert bei sämtlichen Liberalen, befangen durch die Schmeicheleien der Hofpartei, gab er sich dazu her, die Kammern und die öffentliche Meinung in den Krieg mit Preußen [* 10] fortzureißen. Während er noch 29. Juni mit Emphase gesagt, daß der Friede nie gesicherter gewesen, 12. Juli den Krieg durch die Thronentsagung des hohenzollerischen Prinzen für abgewendet erklärt hatte, half er 15. Juli den Gesetzgebenden Körper durch die bekannte Erklärung täuschen und übernahm »leichten Herzens« die Verantwortung für die Folgen seiner Handlungsweise. Er hielt einen leichten Sieg für gewiß und glaubte, daß die von neuem befestigte Dynastie die Krönung des Werkes, die liberale Verfassung und Regierung, erst recht verwirklichen könne und werde. Die ersten Niederlagen der französischen Armee ¶
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führten 9. Aug. den Sturz seines Ministeriums herbei. Er zog sich zunächst nach Italien
[* 12] zurück und lebt jetzt in Marseille, mit
wissenschaftlichen Studien beschäftigt. Ollivier
trat erst 1879 wieder hervor, als ihn das Institut, dem er seit 1870 angehörte,
damit beauftragte, Henri Martins Lobrede auf Thiers zu erwidern, und er einen Entwurf einreichte, in dem er
gegen Thiers' Verhalten 1870 einen scharfen und unberechtigten Tadel aussprach, und der deshalb zurückgewiesen wurde. Er schrieb
noch: »Une visite à la chapelle de Médicis; dialogue entre Michel-Ange et Raphaël« (1872);
»Lamartine« (1874);
»Principes et conduite« (1875);
»L'Église et l'État au concile du Vatican« (1879, 2 Bde.);
»Thiers à l'Académie et dans l'histoire« (1879);
»Nouveau manuel de droit ecclésiastique français« (1885).