Ohrringe
,
ein gegenwärtig besonders beim weiblichen
Geschlecht gebräuchlicher
Schmuck, der jedoch zuweilen auch von
Männern der untern Volksklasse
(Schiffern,
Hirten, Landleuten) getragen wird, weil man darin ein
Mittel
der Abwehrung von
Krankheiten zu besitzen glaubt. Bei den
Indern waren von alters her Ohrringe
bei beiden Geschlechtern im
Gebrauch,
ebenso bei den Babyloniern,
Medern, Persern, Arabern,
Hebräern und bei den alten
Galliern und
Germanen.
Alle diese
Völker schrieben
den Ohrringen
die
Kraft
[* 2] von
Amuletten zu und hielten sie für geeignet, Zaubertöne vom
Ohr
[* 3] fern zu halten,
daher die Ohrringe
häufig mit geheimnisvollen
Charakteren versehen wurden. Bei manchen Urvölkern (Pampaindianern in
Brasilien,
[* 4] Macusi in
Guayana,
Sioux und
Dakota in
Nordamerika,
[* 5] Papuastämmen auf
Neuguinea etc.) sowie in Südindien und
Persien
[* 6] wird der
Akt des Ohrlöcherstechens am
Tag der Namengebung des
Kindes feierlich begangen; auch findet bei den Badaga
am Nilgirigebirge in
Indien am 30.
Tag nach der
Geburt, an welchem dem
Kinde die
¶
mehr
Ohren mit kleinen kupfernen Ringen durchbohrt werden, ein großes Fest statt. Neger, Indianer und andre Urvölker tragen Metallschmuck,
Knochen,
[* 8] Muscheln,
[* 9] oft unförmlich große Ringe, cylindrische Holzstücke, Korallen
[* 10] u. dgl. in den Ohren (vgl. die Tafeln »Afrikanische,
Amerikanische, Asiatische und Ozeanische Völker«). Ohrringe
von Bronze
[* 11] finden sich in den Pfahlbauten
[* 12] der Schweiz
[* 13] sowie in alten Grabstätten in verschiedener Form; einige sind breit und gegen das Ohrläppchen hin verengert, andre sind
nur einfache Bronzedrähte.
Auch befinden sich unter den südgermanischen Gräberfunden der ältern Eisenzeit (z. B. im römisch-germanischen Museum zu
Mainz)
[* 14] als Ohrschmuck dienende Gold- und Bronzeringe mit ungemein zierlichen Ornamenten, deren Geschmacksrichtung
auf etrurische Herkunft deutet. Bei den Griechen kamen die Ohrringe
und Ohrgehänge nur als Schmuck des weiblichen Geschlechts vor.
Bei den Römern kannten die Matronen schon zu Coriolans Zeit die Ausschmückung der Ohren; das männliche Geschlecht verachtete
in der frühern Zeit dieselbe als weichlich. Ohrringe
und Ohrgehänge von Bronze, Gold
[* 15] und Silber, mit edlen Steinen
besetzt, sind in Griechenland,
[* 16] Kleinasien, in der Krim
[* 17] und in Italien
[* 18] (Pompeji,
[* 19] Etrurien) in großer Zahl gefunden worden.
Die Griechen gaben den Ohrringen
eine edle, künstlerische Form, oft solche von menschlichen und Tierfiguren (Schlangen).
[* 20] Am gewöhnlichsten war die noch heute übliche Form der Bommel. In der römischen Kaiserzeit hatte man
bereits Ohrgehänge, die ganz aus edlen Steinen oder aus einer großen oder mehreren kleinen Perlen bestanden. Altrömische
und etruskische Ohrgehänge werden jetzt nach dem Vorgang von Castellani in Rom
[* 21] überall nachgebildet. Die Sklaven trugen
in dem durchbohrten Ohr einen Ring, entweder weil sie diese Sitte aus ihrer Heimat mitbrachten, oder als
Abzeichen der Sklaverei.
Sowohl im Mittelalter als in unsrer Zeit hat die Mode das Tragen der Ohrringe
unter den zivilisierten Völkern beim männlichen Geschlecht,
die Italiener und Franzosen etwa ausgenommen, größtenteils verbannt; beim weiblichen dagegen wird auf die Kostbarkeit, Feinheit
und Zierlichkeit dieses Schmuckes nach wie vor ein besonderer Wert gelegt, wobei sowohl Gold und Silber
als edle Steine, Perlen, Korallen, geschnittene Steine, Muschelkameen etc. bevorzugt werden. Seit dem Aufschwung der Kunstindustrie
werden so ziemlich alle Muster der Vergangenheit und des volkstümlichen Schmuckes (nordisches und italienisches Gold- und Silberfiligran,
Emailschmuck der Renaissance, orientalischer Münzenschmuck etc.) nachgebildet. Im Orient und bei den Völkern,
bei denen sich noch die sogen. Nationaltracht erhalten hat (Schweden,
[* 22] Norwegern, Holländern, Bretonen, Russen, Schweizern, Italienern,
Ungarn)
[* 23] wird mit Ohrringen
ein großer Luxus getrieben. Vgl. Schmuck (nebst Tafel).